Europarecht

Vollziehung, Unterlassung, Aufhebung, Zustellung, Frist, Zustimmung, Verfahren, Staatsanwaltschaft, Ordnungsgeld, Anordnung, Herausgabe, Kostenentscheidung, Wiederholungsgefahr, Verzicht, zeitliche Begrenzung

Aktenzeichen  22 O 889/20

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AfP – 2022, 181
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung im Urteil vom 26.01.2021 (Ziffer 1 und 2) wird aufgehoben.
2. Die Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagte hat in Abänderung zur Kostenentscheidung im Urteil vom 26.01.2021 die Kosten des Verfügungsverfahrens und des Aufhebungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Der zulässige Antrag der Aufhebungsklägerinnen und Verfügungsbeklagten hat auch in der Sache Erfolg.
Die einstweilige Verfügung aus dem Urteil vom 26.01.2021 war auf Antrag der Aufhebungsklägerinnen und Verfügungsbeklagten nach § 927 ZPO aufzuheben. Zudem waren der Aufhebungsbeklagten sämtliche Verfahrenskosten aufzuerlegen.
A. Zulässigkeit
Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis anzunehmen.
Für den Antrag nach § 927 Abs. 1 ist immanente Voraussetzung, dass die Anordnung jedenfalls formal noch Bestand hat. Ein Verzicht des Gläubigers auf seine Rechte aus der Verfügung beseitigt das Rechtsschutzbedürfnis für den Aufhebungsantrag, wenn er den Schuldner gleichzeitig gegen jede künftige Inanspruchnahme hieraus sicherstellt, etwa durch Herausgabe des Titels (BeckOK ZPO/Mayer, 41. Ed. 1.7.2021, ZPO § 927 Rn. 10).
Auch wenn die Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagte vorträgt, dass sich die Unterlassungsverfügung erledigt habe, verzichtet sie ausdrücklich nicht auf die Rechte aus dem Urteil und verwahrt sich gegen die Übernahme der vollständigen Kostenlast. Danach besteht für die Aufhebungsklägerinnen und Verfügungsbeklagten ein Rechtsschutzbedürfnis, da ihnen künftig weiterhin ein Vorgehen aus der Unterlassungsverfügung droht und sie weiter die im Urteil vom 26.01.2021 teils auferlegte Kostenlast zu tragen hätte.
B. Begründetheit
Die Unterlassungsverfügung im Urteil vom 26.01.2021 Ziffer 1 und die dahingehende Androhung unter Ziffer 2 waren aufgrund geänderter Umstände nach § 927 ZPO aufzuheben.
I. Veränderte Umstände aufgrund versäumte Zustellung nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO
Die mangelnde Vollziehung der einstweiligen Verfügung durch die Verfügungsklägerin führt dazu, dass diese nach § 927 ZPO aufzuheben war. Nach Ablauf der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO, wird kraft Gesetzes unwiderleglich vermutet, dass sich die Umstände im Sinne des § 927 ZPO verändert haben und kein Verfügungsgrund (mehr) vorliegt (OLG Düsseldorf NJW-RR 2000, 68; vgl. auch BVerfG NJW 1988, 3141).
Nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO ist die Vollziehung der einstweiligen Unterlassungsverfügung unstatthaft, wenn seit dem Tag, an dem sie verkündet oder dem Gläubiger zugestellt worden ist, ein Monat verstrichen ist. Die Vorschrift dient dem Schutz des Schuldners und bedeutet eine zeitliche Begrenzung des dem Gläubiger gewährten vorläufigen Rechtsschutzes. Eine nach Ablauf der Vollziehungsfrist beantragte und durchgeführte Vollziehung ist unwirksam. Wegen des gleichwohl erzeugten Rechtsscheins stehen dem Schuldner jedoch Rechtsbehelfe zu. Die Unterlassungsverfügung selbst wird im Verfahren nach § 927 ZPO aufgehoben (Musielak/Voit/Huber, 18. Aufl. 2021, ZPO § 929 Rn. 7).
Bei einer Unterlassungs- oder Duldungsverfügung, die gem. §§ 936, 928, 890 Abs. 2 bereits die Androhung eines Ordnungsmittels enthält, genügt deren Zustellung im Parteibetrieb als Mittel der Vollziehung (BGHZ 131, 141; 120, 73; BGH NJW 1990, 122). Da der Gläubiger seinen Vollziehungswillen betätigen muss, kommt der Amtszustellung für sich alleine keine fristwahrende Wirkung zu (BGHZ 120, 73; OLG München BeckRS 2010, 17363; OLG Düsseldorf MDR 2010, 652; OLG Stuttgart NJW-RR 2009, 696; OLG Brandenburg OLGR 2009, 754; BeckRS 2014, 19354; OLG Hamburg OLGR 2006, 572).
Wird die Unterlassung durch Urteil angeordnet, so beginnt die Frist mit dessen Verkündung (§ 310 Abs. 1; vgl. OLG Dresden BeckRS 2017, 102218; 2017, 102219).
Diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall übertragen, ergibt sich Folgendes:
Das Urteil wurde am 26.01.2021 nach mündlicher Verhandlung am 12.01.2021 verkündet, so dass die Frist an diesem Tag anläuft. Sie endet mangels Unterbrechung oder Neubeginn mit Ablauf des 26.02.2021.
Eine Zustellung des Urteils durch die Verfügungsklägerin an die Verfügungsbeklagten hat unstreitig nicht stattgefunden. Auch die Zusendung am 08.03.2021 in einem nachfolgenden Verfahren mit vertauschten Parteirollen ist unabhängig davon, ob diese ausreichend wäre, jedenfalls verspätet.
II. Kein Entgegenstehen von § 242 BGB
Auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sind die Aufhebungsklägerinnen nicht daran gehindert, sich auf die oben festgestellte Fristversäumung nach § 929 Abs. 2 ZPO zu berufen.
Allenfalls wenn der Schuldner die titulierte Unterlassungsanordnung bereits freiwillig und endgültig erfüllt und den Gläubiger so gestellt hat wie dieser bei Vollziehung der Vollstreckung stehen würde, könnte es als treuwidrig angesehen werden, wenn sich der Schuldner sodann auf die fehlende Vollziehung beruft. Wobei allerdings zu sehen ist, dass in diesem Fall die Aufhebung nach § 927 ZPO denkbar wäre, da aufgrund der geänderten Umstände keine Wiederholungsgefahr mehr anzunehmen wäre (Zöller, 33. Auflage 2020, § 927 Rn. 5).
Vorliegend haben die Verfügungsbeklagten und Aufhebungsklägerinnen jedoch in keiner Weise einen eindeutigen und vollumfänglichen Vollziehungswillen dargetan. Eine Unterlassungserklärung wurde zu keinem Zeitpunkt abgegeben.
Die Umstände, auf die sich die Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagte beruft – die Herausnahme des Online-Artikels und die „Korrekturmeldung“- lagen bereits bei Urteilserlass am 26.01.2021 vor. Bei konsequenter Verfolgung des Gedanken der Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagten hätte demnach das Urteil am 26.01.2021 mangels Rechtsschutzbedürfnis und mangels Verfügungsgrund/Wiederholungsgefahr gar nicht zu ihren Gunsten ergehen dürfen.
Diese beiden Umstände lassen jedoch nach Ansicht des Gerichts keinen vollumfänglichen Vollziehungswillen erkennen, der eine Zustellung der Verfügungsklägerin an die Verfügungsbeklagten nur noch als bloße Förmelei hätte erscheinen lassen. Die Herausnahme des Artikels am 13.12.2020, also vor dem Antrag aus Erlass einer einstweiligen Verfügung, erfolgte laut eigenen Angaben der Verfügungsbeklagten nur vorläufig und unter Vorbehalt. Eine geänderte Einschätzung diesbezüglich wurde seitens der Verfügungsbeklagten nie kundgetan und ist auch nicht alleine aus der nicht sofortigen Wiedereinstellung des Artikels nach Verkündung des Urteils am 26.01.2021 zu sehen.
Auch der Folgebericht vom 22.01.2021 stellt keine klare Distanzierung von den zu unterlassenden Äußerungen dar, die sicher auf eine künftige Unterlassung schließen lässt. In dem Artikel wird von der Prüfung der Geschäftspraktiken durch die Staatsanwaltschaft gesprochen und über Überlegungen von Gläubigern Anzeige wegen Betruges zu erstatten. Eine Bezugnahme auf den Bericht vom 10.12.2020 oder eine Richtigstellung/Rücknahme der zu unterlassenden Äußerungen erfolgt dagegen nicht.
Danach ist unter keinem Gesichtspunkt ersichtlich, wie die Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagte aufgrund dieser Umstände nunmehr plötzlich darauf vertraut haben will, dass die Verfügungsbeklagten die Unterlassungsverfügungen künftig umfassend und freiwillig erfüllen werden.
C. Nebenentscheidungen
Die Verfügungsklägerin und Aufhebungsbeklagte hat sowohl die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens als auch des Aufhebungsverfahrens zu tragen.
Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich auf die Kosten des Aufhebungsverfahrens begrenzt, weil das Urteil keine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verfügungsverfahrens insgesamt trifft. Deshalb lässt die neue Kostenentscheidung die der vorangegangenen einstweiligen Verfügung grundsätzlich unangetastet. Der Grundsatz der Selbständigkeit des Kostenausspruchs im Aufhebungsverfahren erfährt jedoch dort Ausnahmen, wo die kostenmäßige Selbständigkeit von Anordnungs- und Aufhebungsverfahren inhaltlich durchbrochen wird. Die Ausnahmen sind notwendige Konsequenzen der Ausdehnung des Aufhebungsverfahrens gemäß § 927 auf solche Gründe, die die Rechtmäßigkeit der erlassenen Verfügung von Anfang an betreffen. Dies gilt auch bei Aufhebung wegen Versäumung der Vollziehungsfrist des § 929 Abs. 2. ZPO (OLG Köln GRUR-RR 2018, 268 (270); OLG Stuttgart JurBüro 2015, 308; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 2002, 1080). Nach der gesetzlichen Wertung in § 929 fehlte in diesem Fall von Anfang an einem Verfügungsgrund. In diesen Ausnahmefällen muss der Kostenausspruch ausdrücklich die Kosten des gesamten Verfügungsverfahrens umfassen, sonst können sie nicht mit festgesetzt werden (MüKoZPO/Drescher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 927 Rn. 17). Danach trifft die Aufhebungsbeklagte als Unterlegene die volle Kostenlast.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 708 Nr. 6 ZPO.


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