Europarecht

Vorläufiger Rechtsschutz, Allgemeinverfügung, Antragsgegner, Aufschiebende Wirkung, Verwaltungsgerichte, Interessenabwägung, Infektionsschutzgesetz, Grenzpendler, Anfechtungsklage, Ermächtigungsgrundlage, Rechtsschutzbedürfnis, Grenzgänger, Streitwertfestsetzung, Nachweispflichten, Verwaltungsakt, Prozeßkostenhilfeverfahren, Einreise, Festsetzung des Streitwerts, Streitwertkatalog, Beauftragte Stellen

Aktenzeichen  Au 9 S 21.159

Datum:
3.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1788
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
CoronaEinreiseV § 2 Abs. 1 Nr. 3
CoronaEinreiseV § 3 Abs. 1 S. 1
CoronaEinreiseV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Testnachweis von Einreisenden Nr. 1.2 AV

 

Leitsatz

Tenor

I. Die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen Nr. 1.2 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 15. Januar 2021 (Az. G51o-G8000-2020/415-75) wird wiederhergestellt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 5.000,– EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege vorläufigen Rechtsschutzes gegen die ihm auferlegte kalenderwöchentliche Testpflicht als Grenzgänger zwischen seinem Wohnsitz in * (Landkreis *) und seinem Arbeitsplatz in * (Vorarlberg; Republik Österreich).
Die am 14. Januar 2021 in Kraft getretene Verordnung zum Schutz vor einreisebedingten Infektionsgefahren in Bezug auf das Coronavirus SARS-CoV 2 nach Feststellung einer epidemischen Lage von Nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag – Corona Virus Einreiseverordnung; CoronaEinreiseV – hat auszugsweise folgenden Wortlaut:
§ 1 Anmeldepflicht
(1) Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland einreisen wollen und sich in den letzten zehn Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet nach § 2 Nr. 17 des Infektionsschutzgesetzes mit einem erhöhten Risiko für eine Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV2 (Risikogebiet) aufgehalten haben, sind verpflichtet, der zuständigen Behörde im Sinne des Infektionsschutzgesetzes vor der Einreise ihre personenbezogenen Angaben nach § 2 Nr. 16 des Infektionsschutzgesetzes, das Datum ihrer voraussichtlichen Einreise, ihre Aufenthaltsorte der zehn Tage vor und die geplanten Aufenthaltsorte der zehn Tage nach der Einreise und das für die Einreise genutzte Reisemittel durch Nutzung des vom Robert-Koch-Institut nach § 36 Abs. 9 Satz 1 des Infektionsschutzgesetzes eingerichteten elektronischen Melde- und Informationssystems unter https://www.einreiseanmeldung.de (digitale Einreiseanmeldung) mitzuteilen.
§ 2 Ausnahmen von der Anmeldepflicht
(1) § 1 gilt vorbehaltlich der Absätze 3 und 4 nicht für Personen, (…)
3. sich im Rahmen des Grenzverkehrs weniger als 24 Stunden in einem Risikogebiet aufgehalten haben oder für bis zu 24 Stunden in die Bundesrepublik Deutschland einreisen.
§ 3 Test- und Nachweispflicht
(1) Personen, die in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und sich in den letzten zehn Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, das weder ein Hochinzidenzgebiet noch ein Virusvarianten-Gebiet im Sinne von Abs. 2 Satz 1 ist, müssen 48 Stunden nach ihrer Einreise über einen Nachweis nach Abs. 3 verfügen und diesen auf Anforderung der zuständigen Behörde im Sinne des Infektionsschutzgesetzes, die bis zu zehn Tage nach Einreise erfolgen kann, vorlegen.
(2) Personen, die sich in den letzten zehn Tagen vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, für das durch das Bundesministerium für Gesundheit im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein besonders hohes Risiko für eine Infektion mit dem Corona-SARS-CoV2 festgestellt wurde, weil 1. in diesem Risikogebiet eine besonders hohe Inzidenz für die Verbreitung des Corona-Virus SARS-CoV2 besteht (Hochinzidenzgebiet), oder 2. in diesem Risikogebiet bestimmte Varianten des Corona-Virus SARS-CoV2 verbreitet aufgetreten sind (Virusvarianten-Gebiet), haben bei Einreise einen Nachweis nach Abs. 3 mitzuführen und auf Anforderung der zuständigen Behörde im Sinne des Infektionsschutzgesetzes oder der von dieser beauftragten Behörde oder Stelle vorzulegen.
(3) Als Nachweis gelten ein ärztliches Zeugnis oder ein Testergebnis hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV2.
§ 4 Ausnahmen von der Test- und Nachweispflicht
(1) Von § 3 Abs. 1 nicht erfasst sind:
1. Personen für die eine Ausnahme von der Anmeldepflicht nach § 2 Abs. 1 gilt, (…)
3. bei Einhaltung angemessener Schutz- und Hygienekonzepte Personen,
a) die in der Bundesrepublik Deutschland ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung an ihre Berufsausübungs-, Studien- oder Ausbildungsstätte in einem Risikogebiet begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzpendler) oder
b) die in einem Risikogebiet ihren Wohnsitz haben und die sich zwingend notwendig zum Zweck ihrer Berufsausübung, ihres Studiums oder ihrer Ausbildung in die Bundesrepublik Deutschland begeben und regelmäßig, mindestens einmal wöchentlich, an ihren Wohnsitz zurückkehren (Grenzgänger),
²In begründeten Einzelfällen kann die zuständige Behörde auf Antrag weitere Ausnahmen bei Vorliegen eines triftigen Grundes erteilen oder Ausnahmen nach Satz 1 einschränken.
Der Antragsgegner hat von der Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 2 der CoronaEinreiseV Gebrauch gemacht und am 15. Januar 2021 die Allgemeinverfügung (AV) Testnachweis von Einreisenden erlassen (Az. G51o-G8000-2020/415-75). Danach gilt auszugsweise Folgendes:
1.2 Abweichend von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 und § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaEinreiseV müssen Grenzgänger und Grenzpendler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaEinreiseV in jeder Kalenderwoche, in der mindestens eine Einreise stattfindet, einmal über einen Nachweis im Sinne von § 3 Abs. 3 CoronaEinreiseV verfügen und diesen auf Anforderung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde oder einer von ihr beauftragten Stelle unverzüglich vorlegen. Ein bereits vorhandener Nachweis ist bei Einreisen mitzuführen. Weitergehende Testpflichten bleiben unberührt.
(…)
6. Soweit diese Allgemeinverfügung auf § 28 Abs. 1 Satz 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) gestützt ist, ist sie kraft Gesetzes sofort vollziehbar. Im Übrigen wird die sofortige Vollziehung angeordnet.
7. Diese Allgemeinverfügung tritt am 16. Januar 2021 in Kraft und mit Ablauf des 26. Februar 2021 außer Kraft. Abweichend von Satz 1 tritt Nr. 1.2 am 18. Januar 2021 in Kraft.
Zur Begründung der AV Testnachweis von Einreisenden ist u.a. ausgeführt, dass der Freistaat Bayern geografisch am südöstlichen Rand der Bundesrepublik Deutschland liege. Lagebedingt bestünden in Bayern längere Außengrenzen zur Republik Österreich und zur Tschechischen Republik. Beide Staaten seien Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Zwischen den Regionen beiderseits der Staatsgrenzen bestünden im europäischen Binnenmarkt zahlreiche und wichtige Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen. Soweit – wie derzeit – in den angrenzenden Staaten eine erhöhte Infektionsgefahr bestehe und diese Staaten infolge dessen als Risikogebiet im Sinne von § 2 Nr. 17 Infektionsschutzgesetz (IfSG) eingestuft worden seien, sei es erforderlich, beim Grundsatz weiterhin geöffneter Grenzen die Belange des Infektionsschutzgesetzes nicht außer Acht zu lassen. In der Vergangenheit sei festzustellen gewesen, dass die Grenzregionen von den Infektionsgeschehen überdurchschnittlich betroffen seien. Auf der Basis des Robert-Koch-Instituts mit Stand vom 12. Januar 2021 sei festzuhalten, dass die 7-Tages-Inzidenz für 19 der 26 Kreise der Grenzregion über dem bayerischen Durchschnitt der 7-Tages-Inzidenz liege. Die für Grenzgänger und Grenzpendler vorgesehenen Ausnahmen von den Test- und Nachweispflichten der CoronaEinreiseV seien deshalb dahingehend einzuschränken, dass Grenzpendler und Grenzgänger verpflichtet seien, in jeder Kalenderwoche, in der mindestens eine Einreise stattfinde, wöchentlich einmal über einen Testnachweis nach § 3 Abs. 3 CoronaEinreiseV zu verfügen und diesen auf Anforderung vorzulegen. Nr. 1.2 schränke die in § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 CoronaEinreiseV vorgesehenen Ausnahmen nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 CoronaEinreiseV dahingehend ein, dass Grenzgänger und Grenzpendler, die sich vor der Einreise in einem Risikogebiet aufgehalten haben, das weder Hochinzidenzgebiet noch Virusvarianten-Gebiet sei, in jeder Kalenderwoche, in der mindestens eine Einreise stattfinde, mindestens einmal über einen Nachweis im Sinne von § 3 Abs. 3 CoronaEinreiseV verfügten und diesen auf Anforderung der zuständigen Kreisverwaltungsbehörde oder einer von ihr beauftragten Stelle vorlegen müssten. Die Einschränkung gelte nur für Grenzgänger und Grenzpendler im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 CoronaEinreiseV, für diese aber auch dann, wenn der jeweilige Aufenthalt im Risikogebiet weniger als 24 Stunden betragen habe. Für die auf § 3 und § 4 der CoronaEinreiseV gründenden Anordnungen werde die sofortige Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angeordnet. Die Bekämpfung der Pandemie erfordere eine zeitnahe Vorlage von Testnachweisen und eine zeitnahe Testung von Personen, die nach § 36 Abs. 10 Satz 2 IfSG verpflichtet seien, eine entsprechende Untersuchung zu dulden. Nur durch zeitnahe Testungen sei sichergestellt, dass Infektionen erkannt und dadurch Infektionsketten unterbrochen würden. Die sofortige Vollziehung der Anordnungen liege daher im öffentlichen Interesse.
Der Antragsteller hat gegen die vorbezeichnete Allgemeinverfügung mit Schriftsatz vom 27. Januar 2021 im Wege vorläufigen Rechtsschutzes beantragt,
die aufschiebende Wirkung der noch zu erhebenden Klage des Antragstellers gegen Ziffer 1.2 der Allgemeinverfügung des Antragsgegners vom 15. Januar 2021 (Az. G51o-G8000-2020/415-75) wiederherzustellen.
Zur Begründung wird ausgeführt, dass im Freistaat Bayern die in der CoronaEinreiseV ausdrücklich geregelte Ausnahmeregelung für Grenzgänger aufgehoben worden und eine kalenderwöchentliche Testpflicht festgelegt worden sei. Der Antragsteller sei als Grenzgänger von der Regelung betroffen. Er sei antragsbefugt, weil er durch die ihm auferlegte Testpflicht in seinem Recht auf körperliche Unversehrtheit und in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit betroffen sei. Die vorzunehmende Interessenabwägung ergebe, dass das private Aufschubinteresse des Antragstellers, von den grundrechtsbeschränkenden Maßnahmen der Testpflicht verschont zu bleiben, das öffentliche Interesse an der Abwehr von Gefahren für die Gesundheit der Allgemeinheit überwiege. Die streitbefangene Regelung werde als offensichtlich rechtswidrig erachtet. Es bestünden bereits Zweifel an einer entsprechenden Rechtsgrundlage für die angeordneten Maßnahmen. Auch im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit bestünden tiefgreifende Zweifel. Überdies handle es sich lediglich um eine kalenderwöchentliche Testpflicht, die nicht zielführend sei. Die Testungen stellten allenfalls eine nicht aussagekräftige Momentaufnahme dar. Auch der Nutzen der Testung sei nicht ersichtlich. Die Maßnahme sei offensichtlich unverhältnismäßig im engeren Sinne. Darüber hinaus bestünden Zweifel im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Die beanstandete Regelung könne im Wege einer summarischen Prüfung daher keinen weiteren Bestand haben.
Auf den weiteren Inhalt des Antragsschriftsatzes vom 27. Januar 2021 wird ergänzend verwiesen.
Der Antragsgegner ist dem Antrag mit Schriftsatz vom 2. Februar 2021 entgegengetreten und beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung ist ausgeführt, dass der Antrag bereits unzulässig sei, da in der Hauptsache keine Anfechtungsklage erhoben worden sei. Eine solche sei aber zwingend erforderlich. Der Antrag sei aber auch unbegründet, da die angegriffene Regelung in Nr. 1.2 der AV Testnachweis von Einreisenden rechtmäßig sei. In § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV finde sich eine tragfähige Rechtsgrundlage. Gegen die CoronaEinreiseV habe sich der Antragsteller nicht gewandt. Nr. 1.2 der AV Testnachweis für Einreisende sei auch verhältnismäßig. Legitimer Zweck sei es, zur Erfüllung der Schutzpflicht des Staates Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, indem die Verbreitung des Virus SARS-CoV-2 bekämpft werde. Auch solle das Gesundheitssystem vor Überlastung geschützt werden. Neue Impulse für das Infektionsgeschehen durch Einreisen sollten unterbunden werden. Die AV Testnachweis für Einreisende sei hierzu geeignet und auch angemessen. Jede Testung sei mit einem zusätzlichen Nutzen verbunden. Nach dem Situationsbericht des Robert Koch-Instituts (RKI) vom 1. Februar 2021 sei weiterhin eine hohe Anzahl an Übertragungen in der Bevölkerung in Deutschland zu beobachten. Das RKI schätze die Gefährdung für die Gesundheit der Bevölkerung weiterhin als sehr hoch ein. Die getroffenen Maßnahmen hätten auch vor dem Hintergrund besondere Bedeutung, dass in der zunehmenden Verbreitung von Virus-Varianten ein neues Risiko liege.
Auf den weiteren Vortrag im Antragserwiderungsschriftsatz des Antragsgegners vom 2. Februar 2021 wird ergänzend verwiesen.
Die 7-Tages-Inzidenz beträgt im Landkreis * (Stichtag: 2.2.2021) 84,17, in Bayern 92,59 und in Vorarlberg 103 (Quellen: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/; https://orf.at/ corona/daten/bundeslaender).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf das wechselseitige schriftliche Vorbringen und die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gerichtete Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat Erfolg. Er ist zulässig und begründet.
1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung einer vom Antragsteller noch zu erhebenden Klage gegen Nr. 1.2 der Allgemeinverfügung (AV) Testnachweis von Einreisenden des Antragsgegners vom 15. Januar 2021 (Az. G51o-G8000-2020/415-75) ist zulässig.
a) Für die in Nr. 1.2 der Allgemeinverfügung Testnachweis von Einreisenden getroffene Regelung über die Testpflicht von Grenzgängern wurde vom Antragsgegner in Nr. 6 der Allgemeinverfügung der Sofortvollzug gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet. Daher kommt einer vom Antragsteller noch zu erhebenden Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung im Sinne des § 80 Abs. 1 VwGO zu.
b) Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann gemäß der ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung in § 80 Abs. 5 Satz 2 VwGO auch bereits vor Erhebung einer Anfechtungsklage in der Hauptsache gestellt werden. Da die mit dem gestellten Antrag angegriffene Regelung in Nr. 1.2 der Allgemeinverfügung nach Nr. 7 Satz 2 der AV Testnachweis von Einreisenden erst am 18. Januar 2021 in Kraft getreten ist, ist für den Antragsteller eine Anfechtungsklage auch in der Hauptsache noch möglich. Bestandskraft gegenüber dem Antragsteller liegt insoweit nicht vor, so dass auch dessen Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners nicht bezweifelt werden kann. Der Zulässigkeit des Antrags steht auch nicht entgegen, dass bis zur Entscheidung des Gerichts noch kein Hauptsacheverfahren eingeleitet wurde, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden kann (so z.B. Hoppe in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 80 Rn. 81 m.w.N.). Denn von diesem Erfordernis ist in den Fällen abzusehen, in denen – wie im vorliegenden Fall – eine Entscheidung in der Hauptsache vor Ablauf der Geltungsdauer der streitgegenständlichen Maßnahme nicht zu erwarten ist. Die Forderung nach einer Klageerhebung wäre in diesen Fällen reiner Formalismus. So liegt der Fall hier. Die Allgemeinverfügung Testnachweis von Einreisenden tritt mit Ablauf des 26. Februar 2021 außer Kraft (Nr. 7 der Allgemeinverfügung). Eine Hauptsacheentscheidung ist bis zu diesem Zeitpunkt nicht zu erwarten.
c) Das Rechtsschutzbedürfnis für diesen Antrag entfällt auch nicht durch eine möglicherweise auch in den Nachbarländern für Grenzpendler angeordnete Testpflicht. Durch eine solche Maßnahme würde die aus der Allgemeinverfügung Testnachweis von Einreisenden folgende Verpflichtung zur Vorlage eines Testnachweises an die örtlich zuständige Kreisverwaltungsbehörde in Deutschland nicht beseitigt.
2. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist auch in der Sache begründet.
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nr. 1.2 der AV Testnachweis von Einreisenden genügt den in formeller Hinsicht zu stellenden Anforderungen an eine Begründung im Sinne des § 80 Abs. 3 VwGO.
Eine hinreichende Begründung nach § 80 Abs. 3 VwGO setzt voraus, dass die Anordnung mit einer auf den konkreten Einzelfall bezogenen und nicht lediglich formelhaften schriftlichen Begründung des besonderen öffentlichen Interesses an der Eilbedürftigkeit der Maßnahme versehen wird. Die zu Nr. 6 der AV Testnachweis von Einreisenden angeführte Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung genügt diesen Anforderungen. Der Antragsgegner hat konkrete Gründe angeführt, aus denen es nach seiner Auffassung erforderlich ist, eine abweichende Regelung von § 3 Abs. 1 Satz 1 und § 2 Abs. 1 Nr. 3 CoronaEinreiseV zu treffen. Er hat dies damit begründet, dass die Bekämpfung der Pandemie eine zeitnahe Vorlage von Testnachweisen und – soweit solche nicht vorgelegt würden – eine zeitnahe Testung von Personen, die nach § 36 Abs. 10 Satz 2 IfSG verpflichtet seien, eine entsprechende Untersuchung zu dulden, erfordere. Nur durch zeitnahe Testungen könne sichergestellt werden, dass Infektionen erkannt und dadurch Infektionsketten unterbrochen würden. Die sofortige Vollziehung der Anordnungen liege daher im öffentlichen Interesse. Damit bezieht sich die Begründung auf den konkreten Einzelfall der Testpflicht von Grenzgängern und weist den erforderlichen Einzelfallbezug auf. Ob die vom Antragsgegner gegebene Begründung inhaltlich zutreffend ist, ist hingegen keine Frage des formellen Erfordernisses des § 80 Abs. 3 VwGO, sondern ist im Rahmen der vom Gericht anzustellenden Interessenabwägung zu würdigen.
b) Die vom Gericht im Rahmen des § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung geht vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus.
aa) Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen des § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise wiederherstellen, wobei es eine eigene Abwägungsentscheidung trifft. Hierbei ist das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes gegen das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs abzuwägen. Maßgebliches Kriterium bei der vorzunehmenden Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache. Erweist sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig, überwiegt regelmäßig das private Aussetzungsinteresse das gegenläufige öffentliche Vollziehungsinteresse. Stellt sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig dar, bedarf es grundsätzlich auch bei Vorliegen eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes eines besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung. Lässt sich hingegen bei summarischer Überprüfung eine Offensichtlichkeitsbeurteilung nicht treffen, kommt es entscheidend auf eine Abwägung zwischen den für eine sofortige Vollziehung sprechenden Interessen einerseits und dem Interesse des Betroffenen an einer Aussetzung der Vollziehung bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren andererseits an. Bei der Abwägung fällt der Rechtsschutzanspruch des Bürgers umso stärker ins Gewicht, je schwerer die ihm auferlegte Belastung ist und je mehr die Maßnahme der Exekutive Unabänderliches bewirkt (BVerfG, B.v. 29.5.2015 – 2 BvR 869/15 – juris Rn. 12).
Diese Interessenabwägung führt im vorliegenden Fall zu einem Überwiegen des privaten Interesses des Antragstellers an einer Aussetzung der sofortigen Vollziehung der Anordnung der kalenderwöchentlichen Testpflicht von Grenzgängern in Nr. 1.2 der AV Testnachweis von Einreisenden vom 15. Januar 2021. Die mit dem Antrag angegriffene Regelung in Nr. 1.2 begegnet nach der im Eilverfahren allein maßgeblichen summarischen Prüfung von Sach- und Rechtslage erheblichen rechtlichen Bedenken.
bb) Die mit dem Antrag angegriffene Regelung in Nr. 1.2 ist bereits nicht von der gesetzlichen Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV gedeckt. Nach dieser Vorschrift kann die zuständige Behörde in begründeten Einzelfällen entweder auf Antrag weitere Ausnahmen bei Vorliegen eines triftigen Grundes von der Test- und Nachweispflicht erteilen bzw. – wie hier maßgeblich – Ausnahmen nach Satz 1 einschränken. Diese Einschränkung hat sich jedoch nach dem ausdrücklichen Wortlaut in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV auf begründete Einzelfälle zu beschränken. Zutreffend hat deshalb auch der Antragsgegner in seiner Erwiderung vom 2. Februar 2021 darauf hingewiesen, dass die Regelung restriktiv zu handhaben ist. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel daran, dass der Antragsgegner dieser der Ermächtigungsgrundlage immanenten Beschränkung auf Einzelfälle ausreichend Rechnung getragen hat, nachdem die Allgemeinverfügung für sämtliche Grenzregionen des Freistaats Bayern Geltung beansprucht, die nach Angaben der Antragsgegners 26 Landkreise umfasst. Damit beschränkt sich die Regelung bei einer Länge der bayerischen Außengrenzen zu Österreich von 818 km und zur Tschechischen Republik von 357 km selbst aber bereits nicht auf begründete Einzelfälle, sondern trifft für alle 26 Landkreise des Freistaats Bayern ohne die gebotene Differenzierung eine inhaltsgleiche Regelung der kalenderwöchentlichen Testpflicht für Grenzgänger. Die getroffene Regelung in Nr. 1.2 gilt dabei unabhängig von den jeweiligen 7-Tages-Inzidenzen in den jeweiligen grenznahen Landkreisen. Diese pauschale, für alle Grenzregionen Bayerns unabhängig von der jeweiligen 7-Tages-Inzidenz getroffene Regelung ist nach Auffassung der Kammer von der Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV nicht gedeckt. Die Begründung der AV Testnachweis für Einreisende legt dies auch selbst nahe, indem ausgeführt wird, dass im Zeitpunkt des Erlasses die 7-Tages-Inzidenz nur für 19 der 26 Landkreise der Grenzregion über dem bayernweiten Durchschnitt liegt. Insoweit erstreckt sich die Allgemeinverfügung jedoch nicht mehr auf begründete Einzelfälle, wie es die Ermächtigung in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV in der gebotenen Restriktion verlangt. Die in der AV Testnachweis für Einreisende in Nr. 1.2 getroffene Regelung für sämtliche Landkreise der Grenzregion des Freistaats Bayern zu Österreich und der Tschechischen Republik überspannt den bundesgesetzlich gewählten Begriff der „begründeten Einzelfälle“ bei weitem. Zu berücksichtigen ist insoweit nämlich insbesondere, dass die vom Antragsgegner in der angegriffenen Nr. 1.2 der AV Testnachweis für Einreisende getroffene Regelung dazu führt, dass Grenzgänger in den grenznahen Regionen des Freistaats Bayern aus einem Hochinzidenzgebiet bzw. einem Virusvarianten-Gebiet im Sinne des § 3 Abs. 2 der CoronaEinreiseV gleichgestellt werden. Dies ist in der Pauschalität, wie der Antragsgegner die Regelung auf die gesamten grenznahen Landkreise des Freistaats Bayern bezogen hat, sachlich nicht zu rechtfertigen. Deutlich macht dies insbesondere der Blick auf den hier im Streit stehenden Grenzübertritt des Antragstellers vom Landkreis * nach Vorarlberg. Da zum Stichtag 2. Februar 2021 die 7-Tages-Inzidenz im Landkreis * lediglich 84,17 und in Vorarlberg 103 betragen hat, ist die mit der AV Testnachweis für Einreisende verbundene kalenderwöchentliche Testpflicht des Antragstellers jedenfalls im Ergebnis unverhältnismäßig. Eine Gleichstellung mit einem Einreisenden aus einem Hochinzidenzgebiet bzw. einem Virusvariantengebiet im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 CoronaEinreiseV ist vor diesem Hintergrund jedenfalls in der Sache nicht geboten, zumal auch der 7-Tages-Inzidenzwert im Landkreis * aktuell unter dem landesweiten Wert von aktuell 92,59 (2.2.2021; Quelle: https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/karte_coronavirus/) liegt. Demgegenüber würden keine rechtlichen Bedenken bestehen, von der Ermächtigung zur Beschränkung von Ausnahmen von der Test- und Nachweispflicht in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV bei Landkreisen Gebrauch zu machen, die gegenüber dem bayernweiten Durschnitt eine deutlich erhöhte 7-Tages-Inzidenz aufweisen. Insoweit erscheint auch eine Gleichstellung mit Hochinzidenzgebieten bzw. Virusvarianten-Gebieten gerechtfertigt. Eine pauschalierende Gleichstellung, wie sie in Nr. 1.2 der AV Testnachweis für Einreisende für die gesamten Grenzregionen des Freistaats Bayern vorgenommen worden ist, bleibt hingegen ohne Berücksichtigung der spezifischen infektiologischen Situation in den betroffenen grenznahen Landkreisen nicht von der Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 1 Satz 1 CoronaEinreiseV gedeckt und ist insoweit voraussichtlich unwirksam.
Überdies lässt sich der infektiologische Nutzen der lediglich kalenderwöchentlichen Testpflicht für Grenzgänger nicht mit hinreichender Sicherheit bewerten bzw. ist dieser in der aktuellen gesetzlichen Ausgestaltung tatsächlich zu bezweifeln. Während in der Vorgängerregelung des § 4 Abs. 1 der Einreisequarantäne-Verordnung (EQV), die mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 24. November 2020 (Az. 20 NE 20.2605 – juris) vorläufig außer Vollzug gesetzt wurde, noch eine wöchentliche Testpflicht für Grenzgänger vorgesehen war, verlangt Nr. 1.2 der AV Testnachweis für Einreisende nur mehr eine kalenderwöchentliche Testung. Zutreffend hat der Antragsteller darauf hingewiesen, dass damit zwischen den einzelnen Testungen auch ein Zeitraum von nahezu zwei Wochen liegen kann. Dies stellt den Nutzen der Testung, an dem der Bayerische Verwaltungsgerichtshof auch bereits unter der Vorgängerregelung Zweifel angebracht hat, nochmals stärker in Frage. Da die mit dem Antrag angegriffene Regelung in Nr. 1.2 jedoch nach Auffassung der Kammer bereits nicht von der Ermächtigungsgrundlage in § 4 Abs. 1 Satz 2 CoronaEinreiseV gedeckt ist, bedarf dies vorliegend keiner abschließenden Klärung. Gleiches gilt für die ebenfalls vom Antragsteller aufgeworfene Rechtsfrage, ob die angegriffene Regelung gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 Abs. 2 AEUV verstößt. Auch dies bedarf vorliegend keiner Klärung im Eilverfahren.
4. Nach allem war dem Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Als im Verfahren unterlegen hat der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Da die vom Antragsteller angegriffene Bestimmung nach Nr. 7 AV Testnachweis für Einreisende bereits am 26. Februar 2021 außer Kraft tritt, entspricht der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes festzusetzende Streitwert demjenigen, der in einer eventuellen Hauptsache geboten wäre. Die Kammer hat daher von der Möglichkeit in Nr. 1.5 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtbarkeit 2013 (BayVBl. Sonderbeilage Januar 2014), eine Halbierung des Streitwerts in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes vorzunehmen, abgesehen.


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