Europarecht

VW-Abgasskandal: Kein Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Kaufpreisrückzahlung nach erfolgter Nachbesserung in Form eines Updates

Aktenzeichen  31 O 729/18

Datum:
25.4.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 33853
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Deggendorf
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 241 Abs. 2, § 249, § 311 Abs. 2, Abs. 3, § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 826, § 831

 

Leitsatz

1. Der Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs hat gegen den Hersteller keinen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung nach erfolgter Nachbesserung in Form eines Updates. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein bestandskräftiger Verwaltungsakt des Kraftfahrtbundesamtes mit der Feststellung, dass das Software-Update geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs herzustellen, ist für die Zivilgerichte bindend (Rn. 20 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Für die von der Rechtsprechung für den grauen Kapitalmarkt entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung ist beim Autokauf neben dem Gewährleistungsrecht kein Raum. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert beträgt 33.701,90 €.

Gründe

A.
Die Klage ist insgesamt zulässig, insbesondere ist das Landgericht Deggendorf örtlich zuständig. Dies folgt jedenfalls aus der rügelosen Einlassung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25.04.2019 (§ 39 ZPO) und im Übrigen aus § 32 ZPO.
B.
Der Kläger ist entgegen dem nicht näher substantiierten Bestreiten der Beklagten aktivlegitimiert. Durch Vorlage der „Bestellung“ K 1 und der Zulassungsbescheinigungen Teil I und II (Anlage zu Bl. 78 d.A.) hat der Kläger nachgewiesen, dass er bei einem Vertragshändler der Beklagten das streitgegenständliche Fahrzeug gekauft und zu Eigentum erworben hat. Welch anderen Neuwagen der Kläger mit der Bestellung K 1 erworben haben sollte, trägt die Beklagte bezeichnenderweise nicht vor, obwohl ihr dies durch Rücksprache bei der ihr vertraglich verbundenen Verkäuferin ohne weiteres möglich wäre.
In der Sache hat die Klage aber keinen Erfolg. Das erkennende Gericht schließt sich in vollem Umfang der Rechtsauffassung des Landgerichts Braunschweig (U.v. 20.12.2017 – 3 O 2436/16) an.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch zu. Mangels Begründetheit der Hauptforderung konnten auch die Klageanträge Nummern 2 und 3 keinen Erfolg haben.
Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug nicht unmittelbar bei der Beklagten, die Herstellerin des Fahrzeugs ist, sondern bei einem Vertragshändler erworben.
Konsequent geht daher die Klägerseite auf kaufrechtliche Ansprüche, die zur Rückabwicklung des Kaufvertrags führen könnten, nicht ein Die klägerseits geltend gemachten Ansprüche bestehen aber gleichfalls nicht.
I.
Das Fahrzeug weist derzeit keinen Mangel auf; auch anderweit ist ein ersatzfähiger Schaden im Vermögen des Klägers iSd §§ 823, 249 BGB nicht festzustellen.
Zwar steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das streitgegenständliche Fahrzeug aufgrund einer im Hause der Beklagten bewussst vorgenommenen Softwaremanipulation bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet war, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgestattet war, womit dem Kläger die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB eröffnet worden waren. Jedoch ist dieser Mangel durch das unstreitig durchgeführte Update beseitigt worden. Der Kläger hat den angeblich durch das Update neu verursachten Mangel eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs, einer geringeren Haltbarkeit des Motors, eines höheren Schadstoffausstoßes und einer geringeren Leistung nicht substantiiert dargestellt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der das Gericht folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend. Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb (auch wenn sie fehlerhaft sein sollten) grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, d. h. ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zu Grunde zu legen.
a) Durch die zwar von keiner der beiden Parteien vorgelegten, in ihrer Existenz und in ihrem Inhalt aber unstreitigen (der Kläger hat den Beklagtenvortrag insoweit nicht bestritten) Bescheide des KBA vom 15.10.2015 und vom 01.06.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt,
– dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelte;
– dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet war, diese unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen war;
– dass für die betroffenen Fahrzeuge dieser Nachweis inzwischen geführt wurde und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen;
– dass das KBA dabei folgende Sachverhalte mit folgenden Ergebnissen überprüft hat:
… keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr,
… vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig,
… Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen eingehalten,
… ursprünglich vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauchswerte und CO₂-Emissionen in Prüfungen durch einen Technischen Dienst bestätigt.
b) Aus diesen Feststellungen und Regelungen ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung,
(1) dass es sich bei der unzulässigen und deshalb zu beseitigenden Abschalteinrichtung um einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB handelte und
(2) dass die vom KBA freigegebene technische Überarbeitung durch ein Software-Update geeignet ist, diesen Mangel gem. § 439 I 1. Alt. BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist,
(3) dass daher ein Rechtsmangel, erst recht ein nicht behebbarer Rechtsmangel, nicht vorliegt,
(4) dass durch das durchgeführte Update der einstmals bestandene Sachmangel beseitigt wurde.
(5) Mit den Feststellungen des KBA („Kraftstoffverbrauchswerte … bestätigt“) stimmt das Vorbringen des Klägers betreffend einen erhöhten Kraftstoffverbrauch schon nicht überein. Es ist aber davon auszugehen, dass der Kläger zum Ausdruck bringen will, abweichend von den allgemeinen Testergebnissen des KBA sei im speziellen Fall eine Erhöhung festzustellen. Das Vorbringen des Klägers ist aber bei weitem zu unsubstantiiert, als dass hierzu – wie beantragt – ein Sachverständigengutachten eingeholt werden könnte. Der Kläger trägt nämlich nicht vor, wie hoch (in Zahlen, nämlich Liter pro 100 km) der Verbrauch vor und nach dem Update war bzw. ist. Der Vortrag zu einer geringeren Lebensdauer des Motors muss schon deshalb unbehelflich bleiben, weil der Kläger nicht vorträgt, welche Lebensdauer wie vereinbart worden sein soll und welche konkrete Abweichung von dieser Soll-Beschaffenheit nunmehr vorliegen soll. Der Vortrag zu höheren Emissionen ist durch den KBA-Bescheid widerlegt, wonach die „Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge“ wiederhergestellt wurde.
2. Der Kläger hat zum Vortrag der Beklagten, dass das Update durchgeführt wurde, keinen eigenen Vortrag gehalten. Prozessual ist daher unstreitig, dass das Update durchgeführt wurde.
3. Soweit der Kläger einen verbleibenden merkantilen Minderwert behauptet, wäre ein solcher zwar geeignet, einen Schaden im Vermögen des Klägers zu begründen. Das hätte aber ein entsprechend substantiiertes Vorbringen vorausgesetzt. Entsprechender Vortrag ist aber nicht erfolgt.
Soweit der Kläger überhaupt Diesel-Probleme auf dem Gebrauchtwagenmarkt schildert (das bloße Abschreiben fremder Urteile ersetzt den eigenen Sachvortrag nicht), lässt dies nicht erkennen, inwieweit ein etwaiger Preisrückgang auf das Software- bzw. Update-Problem oder aber auf den Umstand zurückzuführen ist, dass Diesel-PKW ganz allgemein „in Verruf geraten“ sind und deshalb schlechter verkäuflich sind als dies früher der Fall war. Die bekannte Rechtsprechung zum merkantilen Minderwert von Unfallwagen ist auf die vorliegende Fallkonstellation nicht übertragbar, weil es im Zusammenhang mit dem Abgasskandal an einer mit Unfallwagen vergleichbaren am Markt gewonnenen Erfahrung hinsichtlich eines Preisverfalls von Softwaremanipulationswagen fehlt. Der Kläger hätte deshalb einen Preisverfall, der gerade auf die unzulässige Abschalteinrichtung – und nicht auf die allgemein ins Negative gedrehte Einstellung zu Dieselfahrzeugen – zurückzuführen ist, konkret darlegen müssen.
II.
Eine deliktische Haftung der Beklagten oder eine Haftung aus §§ 241 II, 311 II, III BGB besteht daneben schon dem Grunde nach nicht.
1. Für die von der Rechtsprechung für den nicht gesetzlich regulierten und organisierten Grauen Kapitalmarkt entwickelten Grundsätze der Prospekthaftung ist beim Autokauf neben dem Gewährleistungsrecht, das ohnehin schon durch § 434 I 3 BGB Prospektangaben zur Beschaffenheit zählt, kein Raum. Die Prospekthaftung geht davon aus, dass der Emissionsprospekt in der Regel die einzige Informationsquelle des Anlegers ist. Nur unter der Voraussetzung, dass die durch den Prospekt vermittelte Information vollständig und richtig ist, kann der Kunde die ihm angebotene Kapitalanlage objektiv beurteilen und sein Anlagerisiko, das ihm ohnehin verbleibt, richtig einschätzen. Anders als bei Kapitalanlagen steht aber für die Entscheidung über den Erwerb eines bestimmten Fahrzeugs eine Vielzahl verschiedener Informationsquellen zur Verfügung. Der Kaufinteressent kann sich etwa in diversen Autotest- und Fachzeitschriften sowie im Internet über das jeweilige Fahrzeug informieren und ein ihn interessierendes Fahrzeug anschauen und sogar probefahren. Neben dem speziellen Kaufrecht das weitaus allgemeinere Prospekthaftungsrecht anzuwenden, ist daher nicht veranlasst. Vielmehr hat es hier beim dem Grundsatz zu verbleiben, dass nach dem Gefahrübergang – wie hier – ein Rückgriff auf §§ 241 II, 311 II, III BGB nicht in Betracht kommt.
2. Der Kläger kann seine Schadensersatzforderung gegen die Beklagte aber auch nicht
– aus Vertrauens- bzw. Garantiehaftung im Hinblick auf die EG-Übereinstimmungsbescheinigung
– aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB
– i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV
– i.V.m. § 16 UWG
– i.V.m. § 4 Nr. 11 UWG
– aus § 826 BGB
– oder § 831 BGB
herleiten:
3. Aus der ausgestellten EG-Übereinstimmungsbescheinigung ergibt sich keine Haftung aus §§ 311 III, 241 II BGB. Ihrem Wortlaut nach wird in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung, die nicht einmal an den Kläger adressiert ist, sondern gem. § 6 I 1 EG-FGV lediglich dem Fahrzeug beizufügen ist, nur „bestätigt“, dass der streitgegenständliche PKW mit dem in der Genehmigung beschriebenen Typ übereinstimmt. Der Zweck der Übereinstimmungsbescheinigung besteht in der Vereinfachung und Formalisierung des Zulassungsverfahrens: Die Zulassungsbehörden sollen allein aufgrund der vorgelegten Übereinstimmungsbescheinigung das jeweilige Fahrzeug zulassen (§ 6 III 1 FZV), d. h. ohne die von dem KBA im Genehmigungsverfahren geprüften materiellen Anforderungen erneut prüfen zu müssen. Die Übereinstimmungsbescheinigung dient also allein dazu, die problemlose Zulassung des jeweiligen Fahrzeugs zu gewährleisten. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die Beklagte mit der Ausstellung der Übereinstimmungsbescheinigung im Sinne einer selbständigen Garantie zu einer über die gesetzliche Mängelgewährleistung des jeweiligen Verkäufers hinausgehenden Haftung verpflichten wollte.
4. Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB i.V.m. § 263 StGB wäre zunächst eine Täuschung des Klägers durch die Beklagte. Hinreichend dargetan hat der Kläger eine Täuschung über das streitgegenständliche Fahrzeug allein hinsichtlich der verwendeten unzulässigen Abschalteinrichtung. Insoweit ist aber keine aktive Täuschungshandlung der Beklagten ersichtlich, sondern allenfalls eine Täuschung durch Unterlassen der Aufklärung über die unzulässige Abschalteinrichtung.
Eine solche Täuschung durch Unterlassen setzt eine Garantenstellung gem. § 13 I StGB voraus, d.h. dass der Täter als „Garant“ für die Abwendung des Erfolgs einzustehen hat. Soweit es – wie hier – um Aufklärungspflichten im Zusammenhang mit einem Kaufvertrag geht, wird eine solche Aufklärungspflicht beim Verkäufer erst dann gesehen, wenn es um wertbildende Faktoren der Kaufsache von ganz besonderem Gewicht geht. Davon ist hier angesichts des Umstandes, dass der Mangel durch ein einfaches Software-Update erfolgreich beseitigt werden konnte, gerade nicht auszugehen.
Eine Aufklärungspflicht der Beklagten würde gleichwohl dann bestehen, wenn infolge der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung die EG-Typgenehmigung für das Fahrzeug erloschen wäre. Das ist aber nicht der Fall. Nach § 19 II, VII StVZO erlischt die Betriebserlaubnis in Form der Wirksamkeit der EG-Typgenehmigung für das einzelne Fahrzeug zwar dann, wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird. Hiermit sind jedoch nur Veränderungen gemeint, die nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden. Hierfür spricht nicht nur der Wortlaut, sondern auch die historische Auslegung der Vorschrift. Der Gesetzgeber hat nämlich in der Bundesrats-Drucksache 629/93 zur 16. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften, mit dem unter anderem § 19 II StVZO geändert wurde und ihre im Wesentlichen bis heute geltende Fassung erhielt, ausgeführt, dass „die bisherigen EWG-Vorschriften keine Aussagen über Veränderungen an bereits zugelassenen Fahrzeugen treffen“ und daher „gegenwärtig der Schluss gezogen werden [kann], dass den EG-Mitgliedstaaten die Regelungen von Veränderungen an bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeugen überlassen ist“.
Auch droht keine Entziehung der EG-Typgenehmigung insgesamt, weil das KBA ausweislich seines Bescheids gerade nicht eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Die Behörde hat vielmehr Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet. Doch selbst eine Entziehung der Typgenehmigung hätte erst dann die Nichtnutzbarkeit des klägerischen Fahrzeugs zur Folge, wenn die zuständige Landesbehörde daraufhin wiederum von dem ihr gem. § 5 FZV zustehenden Ermessen Gebrauch machen würde, die Nutzung des Fahrzeugs dauerhaft zu untersagen, was eine Entziehung der Zulassung beinhalten würde.
Dass die Verwendung der zwar unzulässigen, aber allein durch ein freigegebenes Software-Update zu beseitigenden Abschalteinrichtung auf andere Weise einen wertbildenden Faktor darstellt, dem der Markt ein ganz besonderes Gewicht beimisst, ist weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich. Das gilt insbesondere für den von dem Kläger behaupteten Verbleib eines merkantilen Minderwerts. Auch hier gilt nämlich, dass ein etwaiger Wertverfall von Dieselfahrzeugen ganz oder überwiegend darin begründet ist, dass der Verbraucher unabhängig von konkreten Vorfällen oder Mängeln diesen Fahrzeugen Vorbehalte entgegenbringt – und zwar markenübergreifend -, die sich in niedrigeren Verkaufszahlen und damit einhergehend in niedrigeren Marktpreisen niederschlagen.
Eine Garantenpflicht der Beklagten zugunsten des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht aus pflichtwidrigem Vorverhalten (Ingerenz). Die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung stellt zwar ein pflichtwidriges Vorverhalten dar. Eine Pflichtwidrigkeit löst im Einzelfall aber nur dann eine Garantenpflicht aus, wenn die verletzte Norm gerade dem Schutz des fraglichen Rechtsgutes zu dienen bestimmt ist.
Den Erwägungsgründen (1) bis (6) und (27) der verletzten Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ist aber zu entnehmen, dass diese nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen dient, sondern der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich ihrer Emissionen, insbesondere mit dem Ziel der erheblichen Minderung der Stickstoffoxidemissionen bei Dieselfahrzeugen zur Verbesserung der Luftqualität und zur Einhaltung der Luftverschmutzungsgrenzwerte. Der von dem Kläger geltend gemachte Vermögensschaden fällt daher nicht in den Schutzbereich dieser Norm.
Damit scheidet ein Schadensersatzanspruch wegen Betruges aus.
5. Entsprechendes gilt für § 823 II BGB iVm §§ 6, 27 EG-FGV. Denn unabhängig davon, ob die Beklagte diese Vorschriften verletzt hat, fehlt ihnen der von § 823 II BGB vorausgesetzte Schutzgesetzcharakter. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Norm als Schutzgesetz anzusehen, wenn sie nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsguts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf den Inhalt und den Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zu Gunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Bei Vorschriften, die – wie hier die EG-FGV – Richtlinien umsetzen, kommt es nach der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung insoweit maßgeblich auf den Inhalt und Zweck der Richtlinie – hier der Richtlinie 2007/46/EG – an. Den Erwägungsgründen (2), (4) und (23) zufolge bezweckt die Richtlinie 2007/46/EG die Vollendung des Binnenmarkts und dessen ordnungsgemäßes Funktionieren. Darüber hinaus sollen die technischen Anforderungen in Rechtsakten harmonisiert und spezifiziert werden, wobei die Rechtsakte vor allem auf eine hohe Verkehrssicherheit, hohen Gesundheits- und Umweltschutz, rationelle Energienutzung und wirksamen Schutz gegen unbefugte Benutzung abzielen. An keiner Stelle lässt sich hingegen ein Hinweis dafür finden, dass der Richtliniengeber darüber hinaus den Schutz des einzelnen Fahrzeugerwerbers bzw. -besitzers gegen Vermögensbeeinträchtigungen im Blick hatte. Auch der nationale Gesetzgeber hat in der Begründung zur EG-FGV (S. 36 der BR-Drucks. 190/09) in Übereinstimmung damit ausführt, dass die Richtlinie dem Abbau von Handelshemmnissen und der Verwirklichung des Binnenmarktes der Gemeinschaft dienen und die EG-FGV darüber hinaus zur Rechtsvereinfachung und zum Bürokratieabbau beitragen soll.
6. § 16 UWG, der über § 823 II BGB zugunsten des Klägers fruchtbar gemacht werden könnte, dient zwar dem Schutz des Verbrauchers. Es ist aber nicht ersichtlich, dass die Beklagte i.S.v. § 16 I UWG den Anschein eines besonders günstigen Angebots hervorrufen wollte. Die Beklagte hat mit der Einhaltung der Grenzwerte der Euro 5-Norm geworben. Diese mussten aber alle vergleichbaren Fahrzeuge am Markt einhalten. Damit wäre also kein besonderer Vorteil angepriesen.
7. Ob § 4 Nr. 11 UWG in der Fassung vom 03.03.2010 auch ein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB darstellt, kann hier dahinstehen, weil die Beklagte jedenfalls nicht gegen Vorschriften verstoßen hat, deren Einhaltung § 4 Nr. 11 a. F. UWG schützt. §§ 1, 4, 5 Pkw-EnVKV gebieten lediglich, dass die im Typgenehmigungsverfahren erzielten Kraftstoffverbrauchs- und Emissionswerte zu nennen sind (vgl. Begriffsbestimmungen in § 2 Nr. 5 u. 6 Pkw-EnVKV). Der Kläger bezweifelt aber selbst nicht (im Gegenteil ist dies wesentlicher Bestandteil des vom Kläger erhobenen Betrugsvorwurfs), dass die genannten Werte im Typgenehmigungsverfahren (Fahrkurven des NEFZ) erzielt wurden.
8. a) Für eine Haftung aus § 826 reicht allein der – feststehende – Verstoß gegen die Verordnung (EG) Nr. 715/2007 nicht aus. Der Bundesgerichtshof hat vielmehr schon 1985 entschieden (Urteil vom 11.11.1985 – II ZR 109/84, juris Rn. 15 m. w. N.), dass für Ansprüche aus unerlaubter Handlung allgemein gilt, dass die Ersatzpflicht auf solche Schäden begrenzt ist, die in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen, und dass auf eine derartige Eingrenzung der Haftung, um das Haftungsrisiko in angemessenen und zumutbaren Grenzen zu halten, auch im Rahmen des § 826 nicht verzichtet werden kann. Wie bereits ausgeführt, dient die EG-Verordnung aber nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen.
Damit verbleibt auch insoweit allenfalls eine Täuschung durch Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung. Das Verschweigen eines Umstandes rechtfertigt aber nicht ohne Weiteres den Vorwurf eines Sittenverstoßes, sondern nur dann, wenn eine Seite der anderen zu entsprechender Offenbarung verpflichtet ist. Eine Offenbarungspflicht entsteht, wenn die andere Seite nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte eine Mitteilung erwarten durfte. Auch innerhalb einer vertraglichen Beziehung darf der Vertragspartner nach Treu und Glauben nicht eine vollumfängliche Information über alle Belange des Geschäftes erwarten. Es besteht keine allgemeine Offenbarungspflicht, weil im Vertragsrecht zunächst jedes Privatrechtssubjekt für die Verteidigung seiner Interessen selbst verantwortlich ist. Das gilt insbesondere für den Kaufvertrag, der von gegensätzlichen Interessen geprägt ist. Die Grenze des nach der Verkehrsauffassung Hinnehmbaren ist auch im Rahmen von § 826 BGB erst dann überschritten, wenn es um erhebliche wertbildende Umstände beim Kaufvertragsabschluss geht. Wie bereits im Zusammenhang mit der Garantenstellung (§ 823 II BGB iVm § 263 StGB) ausgeführt, trifft das auf die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zu.
b) Die deliktische Haftung aus § 826 BGB scheidet im Übrigen schon deshalb aus, weil der Kläger nicht annähernd substantiiert dargestellt hat, dass im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses Vorstandsmitglieder der Beklagten von der verbauten Manipulationssoftware Kenntnis hatten.
aa) Dies wäre aber erforderlich gewesen, um eine Haftung der Beklagten begründen zu können. Sie haftet nämlich gem. § 31 BGB nur für das Verhalten von Vorstandsmitgliedern. Substantiiertes und mit Beweisangeboten unterlegtes Vorbringen der Klagepartei, welches (namentlich zu benennende) Vorstandsmitglied zu welchem Zeitpunkt von welchen Vorgängen Kenntnis gehabt haben soll, ist aber nicht erfolgt. Dies ist indes unverzichtbar, weil nicht auf die Feststellung verzichtet werden kann, ob der damalige Vorstand der Beklagten (oder ein sonstiger verfassungsmäßiger Vertreter iSd § 31 BGB) die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH v. 28.06.2016, VI ZR 536/15 – NJW 2017, 250 Rn. 27).
bb) Die Ausführung auf S. 3 und 4 der Klageschrift erfüllen nicht die Anforderungen an einen substantiierten Klägervortrag. Zwar wird dort der Zeuge W., der immerhin im fraglichen Zeitraum Mitglied des Vorstands der Beklagten war, mehrfach zum Beweis angeboten. Dies erfolgt allerdings zum einen für den Umstand, dass der Zeuge eine merkantile Wertminderung der betroffenen Fahrzeug von bis zu 30% in Kauf genommen hätte. Dieser Vortrag ist sichtlich ins Blaue hinein erfolgt. Zwar führt der Kläger zunächst aus, die Manipulationssoftware „sei nicht ohne Kenntnis des Vorstandes“ verbaut worden. Es ist aber nicht nachvollziehbar, was das „Inkaufnehmen“ eines merkantilen Minderwerts durch W. mit der „Nicht-ohne-Kenntnis“ der Softwareverwendung seitens eines nicht namentlich benannten Mitglieds „des Vorstandes“, der aber doch aus mehreren Personen besteht, zu tun hat. Dass der Zeuge W. (also nicht etwaige Mitarbeiter, sondern W. selbst) zum anderen die „Schummelsoftware“ weiterentwickelt hat, würde – wenn es zuträfe – kein Beleg dafür sein, dass sie auch zum Einsatz gebracht wurde, und vor allem nicht dafür, dass dies mit Wissen eines Vorstandsmitglieds geschehen ist. Insgesamt fehlt daher dem Vorbringen des Klägers jegliche Substantiierung nach Inhalt, Ort und Zeit der behaupteten Vorgänge. Vor diesem Hintergrund liefe eine Vernehmung des Zeugen W. auf eine bloße Ausforschung hinaus.
9. Auch eine Haftung der Beklagten aus § 831 BGB kommt nicht in Betracht. Zwar stellt § 831 BGB eine eigenständige Haftungsgrundlage dar, die neben andere deliktische Haftungstatbestände tritt (Palandt/Sprau, BGB, 77., Aufl., § 831 Rn. 2). Die Beklagte wendet aber auch insoweit zutreffend ein, dass der Kläger keinen relevanten Vortrag dazu gehalten, welcher exakt zu benennende Mitarbeiter auf Weisung exakt welchen Vorstandsmitgliedes exakt welche unerlaubte Handlung zum Nachteil des Klägers begangen haben soll; erforderlich wäre weiterhin gewesen, hinsichtlich des zu benennenden Mitarbeiters in dessen Person die Verwirklichung sämtlicher objektiver und subjektiver Tatbestandsmerkmale einer unerlaubten Handlung vorzutragen. Dies ist nicht geschehen.
C.
Eine Haftung der Beklagten scheidet daher schon dem Grunde nach aus, so dass auch die Ansprüche gem. Ziffern 2 und 3 der Klageanträge abzuweisen waren.
Kosten: § 91 ZPO
Vorläufige Vollstreckbarkeit: § 709 ZPO
Streitwert: Klageanträge…
Ziff. 1 33.701,90 €
Ziff. 2 kein gesonderter Wert (BGH XI ZB 40/09)
Ziff. 3 kein Streitwert, au0ergerichtliche Anwaltskosten Summe daher 33.701,90 €.
Verkündet am 25.04.2019


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