Europarecht

Widerruf der Waffenbesitzkarte wegen Regelvermutung der Unzuverlässigkeit auf Grund strafrechtlicher Verurteilung

Aktenzeichen  M 7 K 16.2806

Datum:
8.6.2017
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG WaffG § 5 Abs. 2 Nr. 1, § 45 Abs. 2 S. 1, § 46 Abs. 2
StGB StGB § 267

 

Leitsatz

1 Die Waffenbehörde darf bei der Anwendung des Regeltatbestandes der Unzuverlässigkeit auf Grund strafrechtlicher Verurteilung (§ 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG) grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen. Etwas anderes gilt allenfalls, wenn für die Behörde ohne Weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (stRspr BVerwG BeckRS 1992, 31227444). (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit kommt nur in Betracht, wenn die Umstände der Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel beim Umgang mit Waffen nicht gerechtfertigt sind (BVerwG BeckRS 2008, 38049). Dies ist bei der wissentlichen Benutzung eines Fahrzeuges mit einer nicht auf dieses Fahrzeug ausgestellten Umweltplakette nicht der Fall. (Rn. 20 und 21) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Soweit die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Soweit die Hauptsache nach der Aufhebung der Zwangsgeldandrohung in Nr. 6 des streitgegenständlichen Bescheids in der mündlichen Verhandlung von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt wurde, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.
Im Übrigen ist die Anfechtungsklage zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 25. Mai 2016 ist im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der Behördenentscheidung (st. Rspr. des BVerwG, B.v. 21.12.2006 – 6 B 99/06 – juris Rn. 4 m.w.N.) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine waffenrechtliche Erlaubnis, hier die Waffen-besitzkarte und der Kleine Waffenschein, zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Letzteres ist dann der Fall, wenn die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis nicht (mehr) gegeben sind, unter anderem gem. § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG dann, wenn die Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers im Sinne von § 5 WaffG entfallen ist. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 a) WaffG besitzen Personen in der Regel die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wenn sie wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Geldstrafe von mindestens 60 Tagessätzen oder mindestens zweimal zu einer geringeren Geldstrafe rechtskräftig verurteilt worden sind und seit dem Eintritt der Rechtskraft der letzten Verurteilung fünf Jahre noch nicht verstrichen sind. Dies ist vorliegend erfüllt. Der Kläger wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 12. Dezember 2013 wegen Urkundenfälschung (rechtskräftig seit 14. Januar 2014) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Weiter liegt eine rechtskräftige Verurteilung des Amtsgerichts München vom 17. Mai 2013 zu 25 Tagessätzen wegen eines vom Kläger begangenen Diebstahls vor.
Den Einwänden des Klägers hinsichtlich der materiellen Unrichtigkeit des Strafbefehls ist nicht zu folgen, wenn er sich darauf beruft, dass die Verurteilung wegen Urkundenfälschung falsch sei, da keine der Tatbestandsvarianten des § 267 StGB erfüllt sei und keine Hinweise auf das vorsätzliche Handeln vorlägen.
Die Behörde darf bei der Anwendung des Regeltatbestandes grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen, wobei es wegen § 410 Abs. 3 StPO keine Rolle spielt, ob sie durch Strafbefehl oder Strafurteil erfolgt ist (BayVGH, B.v. 25.11.2008 – 21 CS 08.2753 – juris Rn. 6 m.w.N.; BVerwG, U.v. 13.12.1994 – 1 C 31/92 – juris Rn. 30). Etwas anderes gilt allenfalls in Sonderfällen, etwa wenn für die Behörde ohne weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht, oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (st. Rspr. des BVerwG, B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerwG, B.v. 22. 4.1992 – 1 B 61/92 – juris Rn. 6). Dabei gelten ähnliche Grundsätze, wie sie in der Rechtsprechung zu der vergleichbaren Problematik für Ausweisungen von Ausländern aufgrund strafgerichtlicher Verurteilung entwickelt worden sind (vgl. dazu BVerwG, B.v. 22.4.1992 – 1 B 61/92 – juris Rn. 6 unter Verweis auf BVerwG, B.v. 08.5.1989 – 1 B 77/89 – juris) Die Behörde ist nicht verpflichtet, das Strafverfahren gewissermaßen zu wiederholen, wenn der Betroffene geltend macht, zu Unrecht verurteilt worden zu sein (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1992 – 1 B 61/92 – juris Rn. 6).
Eine auf einem ohne weiteres erkennbaren Irrtum beruhende strafrechtliche Verurteilung liegt entgegen der Ansicht des Klägers bei Erlass des gegen ihn ergangenen Strafbefehls wegen Urkundenfälschung nicht vor. Die Behörde war daher nicht gehalten, die Vorwürfe eigenständig zu überprüfen, sondern durfte den Strafbefehl zu Grunde legen. Im Übrigen sind die vom Kläger vorgebrachten Überlegungen nicht tragfähig, soweit er unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Az. B.v. 5.7. 2012 – 5 StR 380/11) geltend macht, dass lediglich eine straflose schriftliche Lüge vorliege. Der vom Bundesgerichtshof entschiedene Fall betrifft einen gänzlich anderen Sachverhalt und behandelt rechtlich die Problematik der Veränderung einer Originalurkunde und Reproduktion durch eine Farbkopie. Bei einer an einem Fahrzeug angebrachten Feinstaubplakette handelt es sich im Unterschied dazu um eine zusammengesetzte Urkunde. Unerheblich ist deshalb, dass der Kläger an der Plakette selbst keine Manipulation vorgenommen hat, da es maßgeblich auf die Verbindung der Plakette mit einem Fahrzeug ankommt (vgl. Hertl, Tatort Umweltz…, SVR 2015, 121-126 zu Ordnungswidrigkeiten und Straften im Zusammenhang mit der sog. Feinstaubplakette). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) hat im Eilverfahren die diesbezüglichen Ausführungen des Gerichts im Verfahren M 7 S. 16.2807 bereits als zutreffend bestätigt (BayVGH, B. v. 4.11.2016 – 21 CS 16.1907 – juris Rn. 12). Den weiteren Ausführungen des BayVGH hierzu (vgl. Rn. 13 des zitierten Beschlusses) ist der Kläger ist der mündlichen Verhandlung nicht substantiiert entgegengetreten. Zwar hat er seine abweichende Meinung geäußert und auf eine weitere – aus Sicht des Gerichts ebenfalls nicht vergleichbare – Fallkonstellation des Einlegens eines roten Nummernschildes in ein anderes KFZ sowie Rechtsprechung zum Fahrerlaubnisrecht verwiesen. Selbst wenn die Rechtsprechung zu § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG herangezogen würde, wobei dort nicht auf ein Strafmaß Bezug genommen wird und ein Abweichen zugunsten des Betroffenen möglich ist, bedarf es jedoch gewichtiger Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit strafgerichtlicher Feststellungen; die strafgerichtliche Würdigung muss offensichtlich unrichtig sein (vgl. OVG Lüneburg, B. v. 2.12.2016 – 12 ME 142/16 – juris Rn. 11 f.). Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Weiter ist der Beklagte zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Kläger keine Ausnahme von der gesetzlichen Regelvermutung greift.
Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung kommt ein Abweichen von der Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit nur dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind (BVerwG, B.v. 21. 7.2008 – 3 B 12/08 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18.4.2011 – 21 CS 11.373 – juris Rn. 8). Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (BVerwG, a.a.O.). Dabei bestimmt sich die Frage, wann die Regelvermutung der Unzuverlässigkeit eingreift, nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers vorrangig nach der Höhe der verhängten Strafe (BT-Drs. 14/7758 S. 128) und nicht mehr nach der Art der begangenen Straftat, etwa danach, ob sie einen Waffenbezug hatte oder nicht (BVerwG, B.v. 21. 7.2008- 3 B 12/08 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 18. 4.2011 – 21 CS 11.373 – juris Rn. 9). Dass der Betroffene zuvor und seither strafrechtlich nicht aufgefallen ist, entkräftet die Vermutung grundsätzlich nicht (BVerwG, a.a.O.; BayVGH, B.v. 14. 9.2009 – 21 CS 09.1430 – juris Rn. 8). Maßgeblich ist vielmehr der ordnungsrechtliche Zweck des § 5 Abs. 2 WaffG, das mit jedem Waffenbesitz verbundene Sicherheitsrisiko möglichst gering zu halten und nur bei Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten das Vertrauen verdienen, dass sie mit der Waffe stets und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BVerwG, U.v. 26. 3.1996 – 1 C 12/95 – juris Rn. 25). Daraus folgt, dass selbst bei geringer Schuld im strafrechtlichen Sinne eine Verfehlung ordnungsrechtlich als relevant gewertet werden kann (BVerwG, a.a.O.).
Dem Strafbefehl gegen den Kläger wegen Urkundenfälschung, auf den die Behörde maßgeblich abgestellt hat, liegt eine Verfehlung zugrunde, die weder in ihrer Begehungsweise noch bezüglich der Tatumstände einen Ausnahmefall im Sinne des § 5 Abs. 2 WaffG begründen kann. Bei der Würdigung der Umstände der Tat ist von dem im Strafbefehl festgestellten Sachverhalt auszugehen. Demnach ist der Kläger wissentlich mit einem Fahrzeug in die Umweltzone in der Münchner Innenstadt gefahren, an dem eine Umweltplakette angebracht war, die für ein anderes Fahrzeug ausgestellt war. Umstände, die die Tat in einem milden Licht erscheinen lassen könnten, sind daraus nicht ersichtlich.
Nachdem der Beklagte im Zeitpunkt des Bescheidserlasses zu Recht vom Vorliegen der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Klägers ausgegangen ist, war er nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG verpflichtet, die Waffenbesitzkarte und den Kleinen Waffenschein zu widerrufen, ohne dass ihm insoweit ein Entschließungsermessen zukam. Das Gesetz sieht bei diesem Stand des Verfahrens kein weniger einschneidendes Mittel vor. Angesichts der von Schusswaffen ausgehenden erhöhten Gefahr für die Allgemeinheit, hat der Kläger auch die damit verbundene Einschränkung seiner Grundrechte hinzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 16.10.1995 – 1 C 32/94 – juris Rn. 17 ff.).
Rechtsgrundlage für die dem Kläger in Nr. 2 des angefochtenen Bescheids aufgegebene Verpflichtung, seine Waffenbesitzkarte und den Kleinen Waffenschein beim Landratsamt abzugeben, ist § 46 Abs. 1 WaffG, wonach eine unverzügliche Rückgabeverpflichtung der Erlaubnisse nach deren Rücknahme bzw. Widerruf besteht. Für die Verpflichtung des Klägers in Nr. 3 des Bescheids, die in seinem Besitz befindlichen Waffen und Munition bis zum Ablauf von 4 Wochen seit Zustellung des Bescheids einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen und dies nachzuweisen, findet sich in § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG die entsprechende Rechtsgrundlage. § 46 Abs. 2 Satz 2 WaffG eröffnet die vom Beklagten in Nr. 4 angekündigte Möglichkeit zur Sicherstellung.
Die Klage war somit ohne Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 VwGO. Soweit die Klage die Zwangsgeldandrohung für den Fall unterbleibender Rückgabe der Urkunden in Nr. 6 des Bescheids betraf, hätte der Kläger im Verfahren zwar obsiegt (vgl. insoweit die Ausführungen des BayVGH im Beschwerdeverfahren, B. v. 4.11.2016, 21 CS 16.1907, juris – Rn. 8). Dieses klägerische Obsiegen fällt jedoch gegenüber dem Unterliegen nicht ins Gewicht, so dass im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO dem Kläger vollständig die Kostentragungspflicht auferlegt wurde.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


Ähnliche Artikel

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben