Europarecht

Widerruf des Waffenscheins eines Reichsbürgers

Aktenzeichen  24 ZB 19.1554

Datum:
30.9.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26769
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WaffG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Abs. 4 S. 4

 

Leitsatz

Ein Waffenbesitzer, der durch sein Verhalten eine ideologische Nähe zu Reichsbürgerbewegung erkennen lässt und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit weckt, muss diese Zweifel selbst entkräften.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 K 17.1385 2019-05-08 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000, … Euro festgesetzt.

Gründe

I.
Die Klägerin wendet sich gegen den Widerruf ihres Kleinen Waffenscheins (§ 10 Abs. 4 Satz 4 WaffG) und die hierzu ergangenen Folgemaßnahmen.
Das Verwaltungsgericht hat ihre entsprechende Klage mit Urteil vom 8. Mai 2019 abgewiesen. Die im angefochtenen Bescheid des Beklagten vom 10. März 2017 getroffenen Anordnungen seien rechtmäßig, weil die Klägerin waffenrechtlich unzuverlässig geworden sei. Es lägen Tatsachen vor, die die Prognose der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit der Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigten, da deren Verhaltensweisen und Einlassungen in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme begründeten, dass sie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnen sei bzw. sie sich deren Ideologie zu eigen gemacht habe. Es bestünden keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die nach außen getätigten Äußerungen und Verhaltensweisen auch ihre innere Einstellung widerspiegelten. Eine glaubhafte Distanzierung der Klägerin von der Ideologie der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“ habe nicht festgestellt werde können.
Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte ihr Rechtsschutzziel weiter. Ohne ausdrücklich einen bestimmten Zulassungsgrund im Sinne des § 124 Abs. 2 VwGO zu benennen, führt die Klägerin aus, dem erstinstanzlichen Urteil fehle es an einer Würdigung des Einzelfalles. Die in Bezug genommenen Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien mit dem hiesigen Fall nicht vergleichbar. Zudem fehle diesen die Begründungsdichte einer Endentscheidung; das Gericht habe die „laxeren Anforderungen der Eil- bzw. Prozesskostenhilfeverfahren“ auf die Überzeugungsbildung im Hauptsacheverfahren übertragen. Die Begründung, die Klägerin sei Reichsbürgerin und damit waffenrechtlich unzuverlässig, halte einer Nachprüfung nicht stand. Es sei von Anfang an eingeräumt worden, dass manche Formulierungen der Klägerin ungeschickt gewesen seien. Sie habe diese während der einsetzenden Flüchtlingskrise 2015 im Internet gefunden und in dieser Situation ebenso wie zahlreiche andere Bürger Angst gehabt. Diese Angst sei von interessierten Kreisen instrumentalisiert worden. Der „einfache Geist“ habe „mangels Fähigkeit zur Differenzierung“ die Lösung in „möglichst martialisch klingenden Schlagworten abseits jeder vernünftigen juristischen Betrachtung“ gesucht. Die Klägerin könne nicht leugnen, von Teilen des Gedankengutes angesprochen worden zu sein, dennoch habe sie alsbald erkannt, dass Kündigungen der Staatsangehörigkeit und ein „Austritt aus der Firma BRD“ schlicht Unsinn seien. Dass sie in ihrem Antrag als Staatsangehörigkeit das „Königreich Bayern“ angegeben habe, erkläre sich aus ihrem angeborenen bayerischen Patriotismus, der sich in ihrer Affinität zu den Königstreuen und zur Bayernpartei äußere, die den Standpunkt vertreten, es gebe eine bayerische Staatsangehörigkeit. Schließlich sei in dem Urteil nicht berücksichtigt worden, dass es lediglich um den Kleinen Waffenschein gehe, von dem nicht das Gefährdungspotenzial ausgehe, das dem „großen“ Waffenschein anhafte.
Der Beklagte – Landesanwaltschaft Bayern – verteidigt das angegriffene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen und auf die vorgelegten Akten des Beklagten Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Die Ausführungen der Bevollmächtigten der Klägerin in der Zulassungsbegründung zielen auf den Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Solche liegen nicht vor.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils sind anzunehmen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden können (vgl. etwa BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl. 2004, 838/839). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen dann vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546/548). Für die Darlegung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel genügt keine unspezifizierte Behauptung der Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung.
In Ansehung des Vortrags in der Zulassungsbegründung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung. Der Bescheid des Beklagten vom 10. März 2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO). Der Senat folgt den zutreffenden Gründen des angefochtenen Urteils und nimmt gem. § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO darauf Bezug. Lediglich ergänzend bleibt folgendes anzumerken:
1.1. Soweit die Klägerin ausführt, das Erstgericht habe den Einzelfall der Klägerin nicht hinreichend gewürdigt, führt dies nicht zum Erfolg des Zulassungsantrages.
Das erstinstanzliche Urteil enthält zwar – wie von der Klägerin zu Recht ausgeführt – zunächst allgemeine Ausführungen zur Szene der Reichsbürger und der von ihr vertretenen Ideologie und Verhaltensweisen, um hierauf aufbauend die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze darzustellen, wann eine der sog. „Reichsbürgerbewegung“ zuzuordnende Person die waffenrechtliche Zuverlässigkeit abgesprochen wird (UA Rn. 23 f.). Im Anschluss hieran würdigte das Verwaltungsgericht aber den konkreten Einzelfall der Klägerin, insbesondere ihre schriftlichen Äußerungen gegenüber dem Beklagten und ihre Einlassungen im Anhörungs- und im gerichtlichen Verfahren, und kam hierbei zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die Verhaltensweisen und Einlassungen der Klägerin in ihrer Gesamtwürdigung die Annahme rechtfertigten, dass sie der sogenannten Reichsbürgerbewegung zuzuordnen sei und sich die Ideologie der Reichsbürger zu eigen gemacht habe (UA Rn. 25). Die Beweiswürdigung des Erstgerichts, die sich der Senat zu eigen macht und die ergeben hat, dass die Klägerin diesem Personenkreis zuzurechnen ist, ist auch unter Berücksichtigung der Ausführungen im Zulassungsverfahren nicht zu beanstanden. Das Erstgericht ordnete die Klägerin vor allem deswegen der Szene der Reichsbürger zu, da sie mehrfach eine für die sog. „Reichsbürgerbewegung“ typische Verhaltens- und Ausdrucksweise sowie deren typische Argumentationslinie verwendet habe. So wertete das Erstgericht zu Recht die Rückgabe amtlicher Ausweisdokumente an die Behörde, die erklärte Kündigung der Staatszugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland sowie ihren Hinweis auf eine neue Staatsangehörigkeit (RuStAG von 1913) als „reichsbürgertypisch“, da „Reichsbürger“ die rechtmäßige Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Staat bestreiten würden und der Auffassung seien, dass sie nicht die Staatsangehörigkeit der Bundesrepublik Deutschland besäßen bzw. aus dieser austreten könnten. In diesem Kontext sei nach Ansicht des Verwaltungsgerichts auch die Stellung eines Antrags auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit unter Hinweis auf das RuStAG 1913 vom 13. Juli 2016 zu sehen, in dem sie zudem als weitere Staatsangehörigkeit „in Preußen seit Geburt erworben durch Abstammung gemäß § 4 Abs. 1 RuStAG 1913“ angegeben habe. Auch dies lege grundsätzlich „reichsbürgertypisch“ nahe, dass sich die Klägerin nicht als zur Bundesrepublik Deutschland zugehörig ansehe, denn Reichsbürger leugneten die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und würden sich hierzu auf das „historische Deutsche Reich“ berufen (UA Rn. 26).
1.2 Auch der Einwand der Klägerin, die vom Erstgericht zitierten Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs seien zum einen keine Endentscheidungen und zum anderen mit ihrem Fall nicht vergleichbar, da sie sich erkennbar von den „verqueren Persönlichkeiten“ unterscheide, über deren Verfahren der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in den in Bezug genommen Fällen entschieden habe, geht fehl.
Der erkennende Senat hat zuletzt in Übereinstimmung mit seiner bisherigen Rechtsprechung mit Urteil vom 30. Juli 2020 (Az. 24 BV 18.2500), also einer Endentscheidung, ausgesprochen, dass es Personen, die der Reichsbürgerbewegung zuzurechnen sind oder die sich deren ideologisches Gedankengut zu eigen gemacht und die sich später hiervon nicht glaubwürdig distanziert haben, an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit fehle; ein Waffenbesitzer, der durch sein von außen wahrnehmbares Verhalten eine ideologische Nähe zu Reichsbürgerbewegung erkennen lasse und dadurch berechtigte Zweifel an seiner waffenrechtlichen Zuverlässigkeit wecke, müsse diese Zweifel selbst entkräften. Die vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidungen stehen im Einklang mit dieser Rechtsprechung, auch wenn sie nur im Eil- oder im Prozesskostenhilfeverfahren ergangen sind. Der der genannten Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zugrundeliegende Sachverhalt hat im Übrigen viele Gemeinsamkeiten mit dem hiesigen Sachverhalt: Auch der dortige Kläger beantragte die Erteilung eines Staatsangehörigkeitsausweises, ohne eine nachvollziehbare und plausible Erklärung anzugeben, wofür er diesen benötige, gab in dem Antrag als Geburtsort „Königreich Bayern“ an und berief sich hinsichtlich seiner Abstammung auf § 4 Abs. 1 RuStAG Stand 1913.
1.3. Eine glaubhafte Distanzierung der Klägerin von der Ideologie der Reichsbürger lässt sich der Zulassungsbegründung nicht entnehmen. Soweit sie einräumt, sie habe gegenüber der Ausgangsbehörde Wendungen, die sie im Internet gefunden habe, ungeschickt verwendet, überzeugt ihr Vortrag nicht. Das insgesamt aggressive und bestimmende Verhalten der Klägerin im behördlichen und verwaltungsgerichtlichen Verfahren entsprach in keiner Weise dem einer verunsicherten Bürgerin, die sich versehentlich ungeschickt gegenüber einer Behörde verhält. Gleiches gilt für den Vortrag der Klägerin, ihr Verhalten sei ihrer mit der Flüchtlingskrise 2015 einhergehenden Angst geschuldet. Schließlich lässt sich auch mit dem „angeborenen bayerischen Patriotismus“ der Klägerin weder ihr Verzicht auf die Staatszugehörigkeit zur Bundesrepublik Deutschland noch ihre Berufung auf das RuStAG 1913 erklären.
1.4. Soweit die Klägerin ausführen lässt, das erstinstanzliche Urteil habe nicht berücksichtigt, dass streitgegenständlich der Widerruf eines Kleinen Waffenscheins sei, von dem eine geringeres Gefährdungspotenzial ausgehe als von einem „großen“ Waffenschein, verkennt sie, dass bei der Prüfung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG i.V.m. § 5 WaffG nicht zu berücksichtigen ist, für welche Art der Waffe eine Erlaubnis erteilt wird; es findet eine ausschließlich personenbezogene Prüfung statt. Auch § 10 Abs. 4 WaffG ändert diesen Prüfungsmaßstab nicht. Aus dieser den Kleinen Waffenschein regelnden Vorschrift ergibt sich, dass eine entsprechende Erlaubnis ohne Sachkunde-, Bedürfnis- und Haftpflichtversicherungsnachweis (§ 4 Abs. 1 Nr. 3 bis 5 WaffG) erteilt wird; das Prüfprogramm enthält aber weiterhin (und uneingeschränkt) die Zuverlässigkeitsprüfung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 52 Abs. 2 GKG und entspricht der Streitwertfestsetzung im erstinstanzlichen Verfahren.
3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).


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