Europarecht

Widerruf und Rückgabe einer sprengstoffrechtlichen Erlaubnis

Aktenzeichen  21 CS 18.658

Datum:
6.6.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 11875
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 80 Abs. 5, § 146 Abs. 4
SprengG § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 8a Abs. 2 Nr. 1 lit. a, § 27, § 34 Abs. 2 S. 1, Abs. 5
RL 2007/64/EG Art. 4 Nr. 3
ZAG § 8 Abs. 1 S. 1, § 31 Abs. 1 Nr. 2
BayVwVfG Art. 44 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Während der Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis aufgrund von Unzuverlässigkeit kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, gilt dies nicht für die im Regelfall damit verbundenen Nebenentscheidungen wie die Rückgabe der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis. (Rn. 9 – 10) (redaktioneller Leitsatz)
2 Das nach Erlass des vorliegend angefochtenen Bescheids ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs zur Auslegung des Begriffs „Zahlungsdienst“ im Sinne des Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/EG (EuGH BeckRS 2018, 3519) dürfte bei Beurteilung der sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen sein. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 7 S 17.3502, M 7 S 17.4504 2018-02-21 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 21. Februar 2018 wird die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers bzgl. der Nummer 2 des Bescheids des Landratsamts Fürstenfeldbruck vom 23. August 2017 wiederhergestellt.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 750,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller begehrt die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage, die er gegen den Widerruf seiner Erlaubnis gem. § 27 Abs. 1 SprengG (zum Erwerb und Umgang mit Schwarzpulver zum Schießen mit Vorderladerwaffen sowie Nitrocellulosepulver zum Laden/Wiederladen von Patronenhülsen) und die dazu ergangenen Nebenentscheidungen erhoben hat.
Mit seit 9. April 2014 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Landshut vom 21. März 2014 wurde gegen den Antragsteller wegen vorsätzlichen Erbringens von Zahlungsdiensten ohne Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz a.F. – ZAG a.F. – gem. § 31 Abs. 1 Nr. 2 ZAG a.F. eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen verhängt. Dem Antragsteller, einem Spielhallenbetreiber, wurde zur Last gelegt, in seiner Spielhalle zumindest in dem Zeitraum vom 19. Dezember 2012 bis April 2013 durch das Aufstellen und Betreiben eines ECTerminals mit PIN-Eingabe den Kunden der Spielhalle fortlaufend Barauszahlungen von einem Zahlungskonto ermöglicht zu haben und damit als Zahlungsdienstleister Auszahlungsgeschäfte erbracht zu haben. Dabei habe er gewusst, dass diese Auszahlungsgeschäfte einer Erlaubnis der zuständigen Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht bedurft hätten, die ihm nicht erteilt worden sei.
Nachdem das Landratsamt Fürstenfeldbruck davon Kenntnis erhielt, widerrief es mit Bescheid vom 23. August 2017 die dem Antragsteller erteilte sprengstoffrechtliche Erlaubnis Nr. 1/2016 (Nr. 1 des Bescheids). Gleichzeitig gab es dem Antragsteller auf, spätestens 2 Wochen nach Bestandskraft dieses Bescheids die sprengstoffrechtliche Erlaubnis dem Landratsamt zurückzugeben (Nr. 2). Unter Nr. 3 des Bescheids wurde die sofortige Vollziehung der Nr. 2 angeordnet. Unter Nr. 4 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld für den Fall der nicht fristgerechten Rückgabe der Erlaubnis angedroht.
Der Antragsteller hat gegen den sprengstoffrechtlichen Bescheid Klage erhoben und vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Das Verwaltungsgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 21. Februar 2018 (M 7 S 17.4504) abgelehnt.
Dagegen richtet sich die Beschwerde.
II.
1. Die zulässige (§ 146 Abs. 1 und 4, § 147 VwGO) Beschwerde hat nur teilweise Erfolg. Im Übrigen ist sie zurückzuweisen.
Im Beschwerdeverfahren ist der Senat im Grundsatz auf die Prüfung der fristgerecht dargelegten Gründe beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO). Unabhängig von dem nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO ordnungsgemäß Dargelegten hat die Beschwerde aber auch Erfolg, wenn die angefochtene Entscheidung offensichtlich unzutreffend ist und sich die Mängel daher unabhängig von einer Darlegung aufdrängen (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 146 Rn. 27, § 124a Rn. 54).
1.1 Die Beschwerde hat insoweit Erfolg als sie sich gegen die in Nr. 3 des Bescheids angeordnete sofortige Vollziehung der Nr. 2 (Rückgabe der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis) des Bescheids richtet.
Während der der unter Nr. 1 des Bescheids verfügte Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis aufgrund von Unzuverlässigkeit kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist (§ 80 Abs. 5 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 34 Abs. 5 SprengG, § 8 Abs. 1 Nr. 1 SprengG, § 8a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SprengG), gilt dies nicht für die im Regelfall damit verbundenen Nebenentscheidungen wie die Rückgabe der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis (Nr. 2).
Im Hinblick auf diese Nebenverfügung entfaltet die vom Antragsteller erhobene Anfechtungsklage auf der Grundlage von § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Diese aufschiebende Wirkung ist nicht durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung (Nr. 3 des Bescheids) entfallen, denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung geht wegen der in der Grundverfügung an die Bestandskraft des Bescheids gekoppelte Fristsetzung zur Erfüllung der dem Antragsteller auferlegten Verpflichtung ins Leere. Der unter Nr. 2 des Bescheids getroffenen Verfügung, auf deren Vollziehung die Anordnung der sofortigen Vollziehung abzielt, fehlt es an einem der Vollziehung vor Eintritt der Bestandskraft zugänglichen Inhalt. Nach dem Wortlaut des Bescheids ist die genannte Verpflichtung „bis spätestens 2 Wochen nach Bestandskraft dieses Bescheids“ (vgl. Nr. 2) zu erfüllen. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung bewirkt nicht, dass die Anordnung unter Nr. 2 des Bescheids vor rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens vollstreckt werden kann und macht somit keinen Sinn. Im Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft der Verfügung unter Nr. 2 (hier Unanfechtbarkeit mit rechtskräftigem für den Antragsteller negativen Abschluss des Klageverfahrens) fällt zugleich die aufschiebende Wirkung der Klage weg und geht die Anordnung der sofortigen Vollziehung für die Folgezeit ins Leere (vgl. OVG NW, B.v. 22.11.2012 – 20 B 349/12 – juris). Da die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorliegend demnach unter einem schweren und offensichtlichen Mangel leidet, ist analog Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG von deren Nichtigkeit auszugehen. Das Gericht hat wegen des immerhin erzeugten Rechtsscheins analog zur Situation bei Nichtigkeit eines angefochtenen Verwaltungsakts die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen (Kopp/Schenke, VwGO, 23. Aufl. 2017, § 80 Rn. 150).
1.2 Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg, soweit der Antragsteller damit erreichen will, dass die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 23. August 2017 bezüglich der Nr. 1 (Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis) und Nr. 4 (Zwangsgeldandrohung) angeordnet wird.
Das Verwaltungsgericht hat dem Antragsteller insoweit im Ergebnis zu Recht keinen vorläufigen Rechtsschutz gewährt. Nach der gebotenen summarischen Prüfung fällt die nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung zugunsten des öffentlichen Interesses aus. Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen den Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) sind nach derzeitiger Aktenlage als offen zu bewerten. Im Eilverfahren kann nicht mit der erforderlichen Sicherheit eine Aussage über die Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts getroffen werden (1.2.2). Ausgehend von einem offenen Verfahrensausgang geht die vorzunehmende Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers (1.2.3).
1.2.1 Entgegen dem Beschwerdevorbringen ist vorliegend die Regelvermutung nicht durch den Umstand widerlegt, dass zwar seit Rechtskrafteintritt des Strafbefehls im April 2014 bis zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses im Juni 2017 fünf Jahre noch nicht verstrichen gewesen sind (§ 8a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SprengG), der strafrechtliche Unrechtsgehalt der abgeurteilten Tat aber bereits zuletzt im April 2013 begründet worden war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 24.4.1990 – 1 C 56/89 – juris) kann ein Abweichen von der Regelvermutung allenfalls erwogen werden, wenn der Zeitpunkt der Begehung der Straftat sehr lange, d.h. mindestens 10 Jahre, zurückliegt und der Betroffene sich bisher straffrei geführt hat. Hier liegt die abgeurteilte Tat etwa 4 Jahre vor dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses.
1.2.2 Die Erfolgsaussichten der Klage des Antragstellers gegen den Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis (Nr. 1 des Bescheids) sind als offen zu bewerten. Es entzieht sich einer summarischen Prüfung im Eilverfahren, ob als Konsequenz der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 22.3.2018 – C-568/16 – juris) zur Auslegung des Begriffs „Zahlungsdienst“ im Sinne des Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2007/64/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl EG Nr. L 319 S. 1), die Regelvermutung im vorliegenden Einzelfall widerlegt ist.
1.2.2.1 Das Beschwerdevorbringen rügt im Wesentlichen, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht wegen der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers vom Vorliegen seiner sprengstoffrechtlichen Regelunzuverlässigkeit gem. § 8a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SprengG ausgegangen. Im Fall des Antragstellers sei diese Regelvermutung vielmehr aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles widerlegt. Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (a.a.O.) zur Bargeldabhebung in Spielhallen sei die Zahlungsdiensterichtlinie (Art. 4 Nr. 3 der RL 2007/64/EG) dahingehend auszulegen, dass ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, unter den dort genannten Voraussetzungen kein „Zahlungsdienst“ im Sinne dieser Richtlinie ist. Entgegen der Auffassung des verurteilenden Strafgerichts habe beim kritisierten Verhalten des Antragstellers kein „Zahlungsdienst“ vorgelegen und er habe nach der neuesten Rechtsprechung tatbestandslos gehandelt. Ihm dürfe demnach auch keine Charakterschwäche unterstellt werden, die ihn sprengstoffrechtlich disqualifiziere.
1.2.2.2 Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Antragstellers wegen einer vorsätzlichen Straftat zu 70 Tagessätzen sind die tatbestandlichen Voraussetzungen gem. § 8a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SprengG für den Eintritt der Regelunzuverlässigkeitsvermutung erfüllt. Dem rechtskräftigen Strafbefehl lag zugrunde, dass der Antragsteller nach Wertung des Strafgerichts durch das „Aufstellen und Betreiben“ eines Terminals den Kunden seiner Spielhalle Bargeldauszahlungen und damit als „Zahlungsdienstleister“ ein Auszahlungsgeschäft ermöglicht hat (§ 8 Abs. 1 Satz 1, § 31 Abs. 1 Nr. 2 ZAG a.F.). Die Richtlinie 2007/64/EG wurde u.a. durch das Gesetz über die Beaufsichtigung von Zahlungsdiensten (Zahlungsdiensteaufsichtsgesetz – ZAG) vom 25. Juni 2009 in das deutsche Recht umgesetzt. Gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 2 ZAG a.F. macht sich strafbar, wer ohne Erlaubnis nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ZAG a.F. Zahlungsdienste erbringt. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner zitierten Entscheidung die Auslegung des Begriffs „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie geklärt. Danach ist ein Bargeldabhebungsdienst, den ein Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals anbietet, kein „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie, wenn der Betreiber keine die Zahlungskonten dieser Kunden betreffenden Vorgänge abwickelt und sich die dabei von ihm ausgeübten Tätigkeiten darauf beschränken, die Terminals zur Verfügung zu stellen und mit Bargeld zu befüllen (U.v. 22.3.2018 – C-568/16 – juris).
Entgegen der Auffassung des Antragstellers kann für den Fall der Änderung der Rechtsprechung zu den tatbestandlichen Voraussetzungen eines Straftatbestands zugunsten eines Verurteilten nach Rechtskrafteintritt einer strafgerichtlichen Verurteilung die Wiederaufnahme des rechtskräftig abgeschlossenen Strafverfahrens mangels eines Wiederaufnahmegrundes (§ 359 StPO, § 79 Abs. 1 BVerfGG) nicht erreicht werden.
1.2.2.3 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s. zum Waffenrecht z.B. B.v. 21.7.2008 – 3 B 12/08 – juris m.w.N) gelten im Hinblick auf Ausnahmen von der Regelvermutung folgende Grundsätze (vgl. die im Wortlaut übereinstimmenden Vorschriften des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a WaffG und des § 8a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a SprengG):
Die Regelvermutung der waffenbzw. sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit aufgrund Verurteilung knüpft nicht an bestimmte Delikte an, sondern an das Vorliegen einer Vorsatztat und an die Art und Höhe der rechtkräftig verhängten Sanktion. Die Anwendung des gesetzlichen Tatbestands erfordert daher keine Prüfung der Behörde, ob der Betroffene tatsächlich eine Straftat begangen hat. Indem es eine rechtskräftige Verurteilung voraussetzt, will das Gesetz sichern, dass die behördliche Beurteilung der waffenbzw. sprengstoffrechtlichen Zuverlässigkeit auf tragfähiger Grundlage erfolgt. Das gerichtliche Strafverfahren, in dem der Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und im Zweifel zugunsten des Betroffenen zu entscheiden ist, bietet dafür eine besondere Gewähr. Daraus folgt, dass sich die Behörde auch auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen darf. Sie darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme waffenbzw. sprengstoffrechtlicher Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder ob die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG bzw. des § 8a Abs. 2 SprengG aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Sinn und Zweck des Gesetzes ergeben danach, dass die Behörde allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen darf, etwa dann, wenn für sie ohne Weiteres erkennbar ist, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruht oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage ist, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären (vgl. BVerwG, B.v. 22.4.1992 –1 B 61/92 – juris Rn. 6). Bei der Beurteilung, ob eine Ausnahme von der Regelvermutung vorliegt, ist zu berücksichtigen, ob die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlungen des Antragstellers ausnahmsweise derart in einem milden Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der waffenbzw. sprengstoffrechtlichen Zuverlässigkeit nicht gerechtfertigt sind (vgl. Nr. 5.3 WaffVwV). Erforderlich ist danach eine tatbezogene Prüfung in Gestalt einer Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt
1.2.2.4 Im vorliegenden Fall ist von Folgendem auszugehen:
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Widerrufsverfügung ist die im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung bestehende Sach- und Rechtslage – hier der Zeitpunkt des Bescheidserlasses – maßgeblich. Danach liegende Umstände sind daher nicht für die Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidung maßgebend, sondern können sich gegebenenfalls erst in einem neuen Verfahren auf Erteilung der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis auswirken (vgl. BayVGH, B.v. 15.8.2016 – 21 CS 16.1247 – juris Rn. 17). Eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung bedeutet in der Regel nur, dass das Recht bisher nicht richtig erkannt worden ist. Anderes gilt auch nicht für Entscheidungen von herausragender Bedeutung. Denn ungeachtet ihrer praktischen Relevanz sind auch diese gerichtlichen Entscheidungen ihrer Natur entsprechend auf die Erkenntnis der geltenden Rechtslage, nicht auf ihre konstitutive Änderung ausgerichtet. Auch Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs bewirken keine Änderung der Rechtslage (vgl. Stelkens/Bonk/Sachs/Sachs VwVfG § 51 Rn. 96-110, beck-online).
Es dürfte entgegen der Auffassung des Antragsgegners davon auszugehen sein, dass die aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.), die nach dem Zeitpunkt des Bescheidserlasses ergangen ist, bei Beurteilung der sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers zu berücksichtigen ist, da sie die Sach- und Rechtslage nicht nachträglich ändert, sondern für die Auslegung des zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses geltenden Rechts auf der Grundlage der bestehenden Sachlage maßgeblich ist. Demnach ist zu prüfen, ob die sich aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergebenden Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs „Zahlungsdienst“ i.S. der Richtlinie und des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes (a.F.) im konkreten Fall des Antragstellers einen atypischen Einzelfall im Rahmen der Regel-Ausnahme-Entscheidung begründen. Nach den allgemeinen Grundsätzen (s.o.) darf die zuständige Behörde grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist. Für den Fall, dass sich aus der Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach Rechtskrafteintritt der Verurteilung eindeutig ergibt, dass das die Verurteilung begründende Verhalten offensichtlich, d.h. für die Behörde ohne weiteres erkennbar, die objektiven Tatbestandsvoraussetzungen des zugrunde gelegten Straftatbestandes nicht erfüllt, kann ein atypischer Sonderfall vorliegen, der ein Abweichen von der Regelvermutung rechtfertigt.
Diese Frage, ob vorliegend von einem solchen atypischen Sonderfall auszugehen ist, kann im Rahmen der summarischen Prüfung im Eilverfahren nicht geklärt werden. Der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt insbesondere, ob der Bargeldabhebungsdienst, den der Antragsteller als Spielhallenbetreiber seinen Kunden mittels in den Spielhallen aufgestellter multifunktionaler Terminals angeboten hat, den von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (a.a.O.) genannten Kriterien entsprach, so dass kein „Zahlungsdienst“ im Sinne der Richtlinie und des Zahlungsdiensteaufsichtsgesetzes vorliegt und der Antragsteller demzufolge „offensichtlich“ tatbestandslos gehandelt hat. Verbleiben insoweit Zweifel im Hinblick auf die zugrunde zu legenden tatsächlichen Feststellungen oder die strafrechtliche Bewertung des Straftatbestandes ist nach den allgemeinen Grundsätzen von der Richtigkeit des Strafbefehls auszugehen.
Nach alldem entzieht sich die Aufklärung, Prüfung und Bewertung der Umstände im Einzelnen einer summarischen Prüfung im Eilverfahren. Die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind als offen zu bewerten.
1.2.3 Da somit keine zuverlässige Prognose über den Verfahrensausgang im Hinblick auf den verfügten Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis getroffen werden kann, ist eine reine Interessenabwägung erforderlich.
§ 34 Abs. 5 SprengG (eingefügt durch Art. 1 des 4. SprengÄndG vom 17. Juli 2009, BGBl I 2062) schließt die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage gegen den Widerruf einer sprengstoffrechtlichen Erlaubnis bei fehlender Zuverlässigkeit oder fehlender persönlicher Eignung aus. Die Unverzichtbarkeit dieser Eigenschaften für den Umgang und Verkehr mit explosionsgefährlichen Stoffen ist in den parlamentarischen Beratungen betont worden (Apel/Keusgen, SprengG, Bd. 2, 2. Aufl., Stand 7/2017, § 34 Rn. 13).
In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung unterscheidet sich die Interessenabwägung von derjenigen, die in den Fällen einer behördlichen Anordnung stattfindet. Während im Anwendungsbereich von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO bei der Interessenabwägung die Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers für die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen bedeutsam wird, ist in Fällen der Nummern 1 bis 3 zu beachten, dass hier der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollziehungsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, um eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Hat sich schon der Gesetzgeber für den Sofortvollzug entschieden, sind die Gerichte – neben der Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache – zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden und die Annahme rechtfertigen können, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2003 – 1 BvR 2025/03 – juris Rn. 21 f.).
Der Antragsteller hat insoweit keine Gründe vorgetragen, die auf besondere, über die im Regelfall mit der Anordnung sofortiger Vollziehung verbundenen Umstände hingewiesen hätten, aufgrund derer eine Abwägung zugunsten seiner privaten Interessen ausfallen müsste. Der im streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners verfügte Widerruf der sprengstoffrechtlichen Erlaubnis dient dem besonderen Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit an einem sicheren und zuverlässigen Umgang mit explosionsgefährlichen Stoffen und daher dem Schutz überragender Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Bevölkerung. Gegenüber diesem gewichtigen öffentlichen Interesse hat das rein private Interesse des Antragstellers an einer Aussetzung der Vollziehung, das er nicht gesondert begründet hat, weniger Gewicht.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Kostenlast für das Beschwerdeverfahren war allein dem Antragsteller zu überbürden, weil die Beschwerde nur zu einem geringen Teil Erfolg hatte. Eine Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung war angesichts des geringen weiteren Obsiegens nicht veranlasst.
3. Die Streitwertentscheidung folgt aus § 47, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG unter Berücksichtigung der Nrn. 50.3 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 18. Juli 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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