Europarecht

Wohnsitzerfordernis bei Erwerb einer tschechischen Fahrerlaubnis

Aktenzeichen  11 B 18.34

Datum:
4.3.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 3426
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
FeV § 28 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
AGVwGO Art. 15 Abs. 1 Nr. 6
VwGO § 130a

 

Leitsatz

1 Liegen unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vor, aus denen sich die Möglichkeit ergibt bzw. die darauf hinweisen, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten war, sind bei der Beurteilung dieser Frage alle Umstände des anhängigen Verfahrens zu berücksichtigen, also auch die „inländischen Umstände”. Daher kann das Gericht seine Entscheidung auch auf eigene Ermittlungen stützen (Anschluss EuGH BeckRS 2009, 71013, BeckRS 2012, 80440). (Rn. 22 und 26) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kein hinreichend nachgewiesener Auslandswohnsitz bei Meldung einer ungewöhnlich hohen Zahl (12 bzw. 57) deutscher Staatsangehöriger in einem älteren, stark renovierungsbedürftigen und unbewohnten Objekt, dessen Eigentümer gegenüber der Polizei eingeräumt hat, dass er vor Jahren einem Bekannten zur Unterbringung von Ausländern gegen Bezahlung auf nicht ausgefüllten Unterkunftslisten eine Blankounterschrift geleistet, er aber tatsächlich nie Ausländer in sein Haus aufgenommen habe. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 10 K 15.1222 2017-02-03 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Der Kläger wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.
Der Kläger wurde wegen der Teilnahme am Straßenverkehr in alkoholisiertem Zustand mehrfach strafgerichtlich verurteilt und ist nicht mehr Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis, seit ihm diese mit Urteil des Amtsgerichts Göppingen vom 12. März 1985 wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung entzogen wurde. Einen Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis zog er am 13. Juni 2000 zurück, nachdem das Landratsamt N- a.d. … (im Folgenden: Landratsamt) ihm einen Versagungsbescheid angekündigt hatte. Am 9. Januar 2013 wurde ihm in B./Tschechien eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt. Mit Wohnsitz ist er durchgehend seit dem 8. Dezember 2003 unter seiner derzeitigen Anschrift in Deutschland gemeldet. Im Übrigen machte er keine Angaben zu seinen Wohnverhältnissen vor Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis.
Am 6. Februar 2014 beantragte der Kläger beim Landratsamt, den tschechischen in einen deutschen Führerschein umzutauschen. Unter dem 12. März 2014 beantwortete das tschechische Verkehrsministerium eine Formularanfrage der Fahrerlaubnisbehörde dahingehend, dass dem Kläger am 9. Januar 2013 in B./Tschechien ein Führerschein der Klasse B ausgestellt worden sei. Unbekannt sei, wo sich der Kläger für mindestens 185 Tage im Jahr gewöhnlich aufgehalten habe, wo nahe Familienangehörige lebten, ob eine Unterkunft bestehe und wo ein Geschäftsbetrieb oder Vermögensinteressen oder administrative Kontakte zu Verwaltungsbehörden oder sozialen Dienstleistungsstellen (Ort, an dem Steuern gezahlt, Sozialleistungen bezogen würden, an dem ein Kfz zugelassen sei, etc.) bestünden.
Mit Bescheid vom 24. März 2015 stellte das Landratsamt fest, dass die in Tschechien erworbene Fahrerlaubnis nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland berechtige, und verpflichtete den Kläger unter Androhung eines Zwangsgelds seinen tschechischen Führerschein innerhalb von sieben Tagen seit Zustellung des Bescheids zum Eintrag eines Sperrvermerks vorzulegen. Weiter erklärte es diese Verfügungen für sofort vollziehbar.
Einen Antrag auf Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs und Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des vom Bevollmächtigten des Klägers hiergegen eingelegten Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 9. Juli 2015 (AN 10 S 15.00958) ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 8. September 2015 zurück (11 CS 15.1634).
Nach Hinweis des Verwaltungsgerichts, dass es sich bei der Feststellung gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV nicht um eine personenbezogene Prüfungsentscheidung im Sinne von Art. 15 Abs. 1 Nr. 6 AGVwGO handle, erhob der Kläger am 30. Juli 2015 Anfechtungsklage. Auf gerichtliche Anfrage antwortete das Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit mit Schreiben vom 29. Juli 2016, dass der Kläger seit dem 22. Juni 2012 zu vorübergehendem Aufenthalt (… je v CR prihlásen k prechodnému pobytu od…) in der Tschechischen Republik zugelassen und vom 14. Mai bis 11. November 2012 mit Wohnsitz in Ch. und vom 12. November 2012 bis 9. Februar 2013 in B. gemeldet gewesen sei. Mit Urteil vom 3. Februar 2017 wies das Verwaltungsgericht die Klage mit der Begründung ab, die unter Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis erteilte tschechische Fahrerlaubnis müsse nicht anerkannt werden. Es lägen unbestreitbare Informationen des tschechischen Verkehrsministeriums vor, die darauf hindeuteten, dass der Kläger zum maßgeblichen Zeitpunkt in Tschechien einen rein fiktiven Wohnsitz begründet habe, um der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Staat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen. Die Auskunft vom März 2014 mit der sechsmaligen Angabe „unbekannt“ sei nicht dahin zu verstehen, dass die tschechischen Behörden zu den Bestimmungselementen für einen Wohnsitz nichts wüssten, sondern dahin, dass ihre innerstaatlichen Verwaltungsquellen hierzu nichts enthielten.
Mit Beschluss vom 2. Januar 2018 ließ der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu.
Mit Schriftsatz vom 29. Januar 2018 beantragt der Kläger,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 3. Februar 2017 und den angefochtenen Bescheid vom 24. März 2015 aufzuheben.
Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, das Verwaltungsgericht habe abweichend von seiner eigenen Auffassung und vom Sach- und Streitstand zur Zeit der mündlichen Verhandlung einen falschen Sachverhalt zugrunde gelegt. Mit dem Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamts vom 18. März 2014 sei ein nicht in deutscher Sprache verfasstes Schreiben mit allgemeinen Ausführungen wie „unknown“ etc., aber ohne konkrete Feststellungen in Bezug auf den Kläger übersandt worden. Das Kraftfahrt-Bundesamt habe es als zu weitgehend erachtet, diese Informationen als unbestreitbare Tatsachen aus dem Ausstellerstaat zu werten. Aus dem Schreiben vom 29. Juli 2016 des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit ergäben sich lediglich die Meldezeiträume. Das Verwaltungsgericht habe dieses Schreiben und den Hinweis des Kraftfahrt-Bundesamts unterschlagen und damit offensichtlich den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs nicht beachtet. Schon der Tatbestand des angefochtenen Urteils sei unrichtig. Bei Berücksichtigung des tatsächlichen Sachverhalts, der eindeutigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und auch der neueren Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs hätte das Gericht von der Wirksamkeit des vorgelegten Führerscheins ausgehen müssen.
Der Beklagte beantragt unter Verweis auf das erstinstanzliche Urteil und den Beschluss des Senats vom 23. Januar 2017 (11 ZB 16.2458),
die Berufung zurückzuweisen.
Auf Anfrage des Senats teilte das Gemeinsame Zentrum der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit mit Schreiben vom 30. Oktober und 30. November 2018 mit, der Wohnsitz werde von der Polizei oder dem Zoll aus dem Einwohnermelderegister der Tschechischen Republik, einer zentralen Datei, oder – sofern es sich um einen Ausländer handle – aus dem System CIS, dem Ausländerinformationssystem, festgestellt. Die Polizei oder der Zoll könnten Informationen zu einem Gewerbe, der Fahrzeugregistratur oder zu Immobilien erlangen. Informationen zu Steuern oder Sozialleistungen könne die zuständige Behörde aus datenschutzrechtlichen Gründen nur nach gerichtlicher Entbindung von der Schweigepflicht herausgeben. Auf die beigefügten Schreiben der tschechischen Polizei vom 6. und 27. November 2018 mit den Ermittlungsergebnissen zu den vom Kläger angemeldeten Wohnanschriften wird Bezug genommen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen im Hauptsache- und Eilverfahren sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung des Klägers nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130a VwGO).
Die zulässige Berufung ist unbegründet, da der Bescheid des Beklagten vom 24. März 2015 rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die am 9. Januar 2013 in Tschechien erteilte Fahrerlaubnis berechtigt den Kläger nicht gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV) vom 13. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 3. Mai 2018 (BGBl I S. 566), Kraftfahrzeuge in Deutschland zu führen. Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 FeV gilt die Berechtigung nach § 28 Abs. 1 FeV nicht für Inhaber einer EU- oder EWR-Fahrerlaubnis, die ausweislich des Führerscheins oder vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührender unbestreitbarer Informationen zum Zeitpunkt der Erteilung ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hatten, es sei denn, dass sie als Studierende oder Schüler im Sinne des § 7 Abs. 2 FeV die Fahrerlaubnis während eines mindestens sechsmonatigen Aufenthalts erworben haben.
Ein ordentlicher Wohnsitz im Inland wird nach § 7 Abs. 1 Satz 2 FeV angenommen, wenn der Betroffene wegen persönlicher und beruflicher Bindungen oder – bei fehlenden beruflichen Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehungen zwischen ihm und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d.h. während mindestens 185 Tagen im Jahr, im Inland wohnt. Eine Person, deren persönliche Bindungen im Inland liegen, die sich aber aus beruflichen Gründen in einem oder mehreren anderen Mitgliedstaaten der EU (oder EWR) aufhält, hat ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland, sofern sie regelmäßig dorthin zurückkehrt (§ 7 Abs. 1 Satz 3 FeV). Die Voraussetzung entfällt, wenn sie sich zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer in einem solchen Staat aufhält (§ 7 Abs. 1 Satz 4 FeV).
Diese Bestimmungen stehen mit Art. 2 Abs. 1, Art. 7 und Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (Neufassung, ABl EG Nr. L 403 S.18) in Einklang (vgl. BayVGH, B.v. 13.6.2017 – 11 CS 17.1022 – juris Rn. 14). Voraussetzung für die Anerkennung einer EU-Fahrerlaubnis, die ein Mitgliedstaat ausgestellt hat, ist gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/126/EG ein Wohnsitz im Ausstellungsmitgliedstaat im Sinne des Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG. Die Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung von durch EU-Mitgliedstaaten erteilten Fahrerlaubnissen gemäß Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126/EG gilt nicht, wenn entweder Angaben im zugehörigen Führerschein oder andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen vorliegen, nach denen das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten wurde (vgl. EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10, Akyüz – NJW 2012, 1341 Rn. 62).
Hieraus folgt zunächst, dass es dem Beklagten nicht verwehrt war, der Frage nachzugehen, ob der Kläger bei der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis tatsächlich seinen ordentlichen Wohnsitz in Tschechien hatte (vgl. EuGH, U.v. 26.4.2012 – C-419/10, Hofmann – juris Rn. 90). Durch den Eintrag eines im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats liegenden Wohnorts im Führerschein wird das tatsächliche Innehaben eines Wohnsitzes an diesem Ort nicht positiv und in einer Weise bewiesen, dass die Behörden und Gerichte anderer EU-Mitgliedstaaten dies als nicht zu hinterfragende Tatsache hinzunehmen hätten (vgl. BayVGH, U.v. 25.9.2012 – 11 B 10.2427 – NZV 2013, 259). Die Verpflichtung zu gegenseitiger Amtshilfe nach Art. 15 Satz 1 der Richtlinie 2006/126/EG vermittelt dem Aufnahmemitgliedstaat vielmehr das Recht, sich bei den Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats über das tatsächliche Bestehen eines ordentlichen Wohnsitzes zu erkundigen; dem steht die Verpflichtung dieses Staats gegenüber, einschlägige Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. BayVGH, U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 33). Dass ggf. auch widersprüchliche behördliche Informationen aus dem Ausstellungsstaat von der Fahrerlaubnisbehörde des Aufnahmemitgliedstaats als Hinweis auf einen Scheinwohnsitz gewertet werden dürfen (vgl. BayVGH, B.v. 18.6.2018 – 11 ZB 17.1696 – juris Rn. 25), ergibt sich schon daraus, dass Angaben im Führerschein wie auch andere vom Ausstellungsmitgliedstaat herrührende Informationen gleichrangig („oder“) als Erkenntnisquellen genutzt werden dürfen (vgl. EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08 – EuZW 2009, 735 Rn. 51).
Ferner lassen sich der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – a.a.O. Rn. 67 ff.) keine mit dem Begriff „unbestreitbar“ verknüpften Mindestanforderungen an die qualitative Beweis- bzw. Aussagekraft entnehmen. Vielmehr wird insoweit zunächst vorausgesetzt, dass die Informationen von einer Behörde des Ausstellungsmitgliedstaats stammen, selbst wenn sie nur indirekt in Form einer Mitteilung Dritter übermittelt worden sind (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 67, 71 f.). Die entsprechende Prüfung obliegt den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 73). Weiter setzt die Heranziehung der Informationen nicht voraus, dass sich aus ihnen ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis zweifelsfrei ergibt bzw. dass sie insoweit als abschließender Beweis angesehen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 29.3.2018 – 11 CS 17.1817 – juris Rn. 13). Es genügt, wenn sie darauf „hinweisen“, dass der Inhaber des Führerscheins im Gebiet des Ausstellungsmitgliedstaats einen rein fiktiven Wohnsitz allein zu dem Zweck begründet hat, der Anwendung der strengeren Bedingungen für die Ausstellung eines Führerscheins im Mitgliedstaat seines tatsächlichen Wohnsitzes zu entgehen (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 74 f.; BVerwG, U.v. 30.5.2013 – 3 C 18.12 – BVerwGE 146, 377 = juris Rn. 21). Auch insofern obliegt die Bewertung den Behörden und Gerichten des Aufnahmemitgliedstaats (vgl. EuGH, a.a.O. Rn. 74).
Liegen unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vor, aus denen sich die Möglichkeit ergibt bzw. die darauf hinweisen, dass das Wohnsitzerfordernis nicht eingehalten war, sind bei der Beurteilung dieser Frage alle Umstände des anhängigen Verfahrens zu berücksichtigen, also auch die „inländischen Umstände“ (EuGH, U.v. 1.3.2012 – C-467/10 – a.a.O. Rn. 75; stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 10; B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 12 m.w.N.; OVG NW, B.v. 9.1.2018 – 16 B 534/17 – juris Rn. 14 ff.).
Gemessen an diesen rechtlichen Vorgaben liegen im Fall des Klägers unbestreitbare Informationen des Ausstellungsmitgliedstaats vor, die darauf hinweisen, dass es sich bei den Wohnadressen, unter denen der Kläger vom 14. Mai 2012 bis 9. Februar 2013 in der Tschechischen Republik gemeldet war, um Scheinwohnsitze gehandelt hat. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass auch eine Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit das Kriterium einer aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührenden Information erfüllt, wenn die vom Gemeinsamen Zentrum an deutsche Stellen weitergegebenen Erkenntnisse ihrerseits auf Informationen beruhen, die von Behörden des Ausstellermitgliedstaates, wie hier der tschechischen Polizei, stammen (vgl. BVerwG, B.v. 15.8.2013 – 3 B 38.13 – DAR 2013, 594 = juris Rn. 15 m.w.N.). Nach deren Ermittlungsergebnissen hatte sich in den Jahren 2012 und 2013 unter beiden Wohnadressen des Klägers jeweils eine ungewöhnlich hohe Zahl (12 bzw. 57) deutscher Staatsangehöriger angemeldet, obwohl es sich bei dem Anwesen in Chomutov im fraglichen Zeitraum um ein älteres, offenbar stark renovierungsbedürftiges Wohnhaus gehandelt hat, das während der damals beginnenden fünf- bis sechsjährigen Renovierungsphase bis Juli 2018 unbewohnt war, und bei dem Anwesen in Bilina um ein allein von der Eigentümerfamilie bewohntes Reihenwohnhaus. Der Eigentümer dieses Wohnhauses hat gegenüber der Polizei eingeräumt, dass er vor Jahren einem Bekannten zur Unterbringung von Ausländern gegen Bezahlung auf nicht ausgefüllten Unterkunftslisten eine Blankounterschrift geleistet, er aber tatsächlich nie Ausländer in sein Haus aufgenommen habe. Als ihn vor etwa fünf Jahren wiederholt die Polizei kontaktiert habe, habe er erfahren, dass die von ihm unterschriebenen bzw. mit seinen Initialen versehenen Schriftstücke durch fremde Hand mit den Daten von dutzenden Ausländern, vorwiegend Deutschen, ausgefüllt gewesen seien. Hiernach ist auszuschließen, dass der Kläger vom 12. November 2012 bis 9. Februar 2013, als er seine Fahrerlaubnis erworben hat, mit angeblich 57 anderen Deutschen in diesem Einfamilienhaus gewohnt hat. Hinzu kommt, dass er bereits einen Monat nach Erwerb der tschechischen Fahrerlaubnis seinen Wohnsitz in Tschechien aufgegeben hat, was ebenfalls für einen lediglich zum Zweck der Erlangung der Fahrerlaubnis gemeldeten Scheinaufenthalt spricht.
Im Hinblick auf den eindeutigen Aussagegehalt dieser Informationen kann offen bleiben, ob das Verwaltungsgericht die negative Formularantwort des tschechischen Verkehrsministeriums vom 12. März 2014, wonach der gewöhnliche Aufenthaltsort des Klägers und naher Familienangehöriger während mindestens 185 Tage im Jahr, das Bestehen einer Unterkunft und der Ort eines Geschäftsbetriebs oder von Vermögensinteressen oder administrativen Kontakten zu Verwaltungsbehörden oder sozialen Dienstleistungsstellen (Ort, an dem Steuern gezahlt, Sozialleistungen bezogen würden, an dem ein Kfz zugelassen sei, etc.) unbekannt („unknown“) seien, zu Recht als Indiz für einen Scheinwohnsitz gewertet hat. Hierfür spricht freilich vieles. Da ein ordentlicher Wohnsitz im Sinne von Art. 12 der Richtlinie 2006/126/EG neben einer bestimmten Aufenthaltsdauer und dem Vorhandensein einer Unterkunft berufliche und/oder persönliche Bindungen voraussetzt, wäre zu erwarten gewesen, dass im Falle eines gewöhnlichen Aufenthalts in Tschechien den dortigen Behörden auch Vermögensinteressen oder administrative Kontakte zu Verwaltungsbehörden oder sozialen Dienstleistungsstellen bekannt werden. Vor diesem Hintergrund sind auch entsprechende behördliche Negativauskünfte grundsätzlich geeignet, Zweifel am Vorhandensein eines tatsächlichen Wohnsitzes zu wecken (vgl. BayVGH, B.v. 23.1.2017 – 11 ZB 16.2458 – juris Rn. 14; B.v. 12.1.2018 – 11 CS 17.1257 – juris Rn. 11; NdsOVG, B.v. 20.3.2018 – 12 ME 15/18 – ZfS 2018, 296/298 = juris Rn. 17; OVG RhPf, U.v. 31.3.2016 – 10 A 10231/16 – VD 2016, 247 = juris Rn. 8). Demgegenüber belegt eine behördliche Auskunft über einen bestimmten gemeldeten Wohnsitz oder über eine Zulassung zum vorübergehenden Aufenthalt (ausländerbehördliche Erfassung), wie hier das Schreiben des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit vom 29. Juli 2016, noch nicht das Vorhandensein eines tatsächlichen Wohnsitzes, da sie regelmäßig auf einer entsprechenden Erklärung des Betreffenden beruht und damit kein unwiderlegbares Indiz darstellt (vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2013 – 11 CE 13.738 – juris Rn. 5; U.v. 7.5.2015 – 11 B 14.654 – juris Rn. 38 f.; B.v. 12.1.2018 a.a.O.; B.v. 11.7.2018 – 11 CS 18.66 – juris Rn. 17). Ferner kann auch nicht ohne besonderen Anhalt unterstellt werden, dass eine europäische Behörde die in einem auf europäischer Ebene abgestimmten Formular gestellten Fragen jeweils ohne Ermittlungen mit „unknown“ beantwortet und damit der Sache nach keine Auskünfte erteilt. Der Frage, wie die insoweit unklare Auskunft des Gemeinsamen Zentrums der deutsch-tschechischen Polizei- und Zollzusammenarbeit vom 30. Oktober 2018 hinsichtlich von Auskünften zu Steuern oder Sozialleistungen zu verstehen ist, brauchte mangels Entscheidungserheblichkeit nicht weiter nachgegangen werden.
Nach alledem durfte das Verwaltungsgericht auch berücksichtigen, dass der Kläger seit Ende 2003 durchgehend unter seiner gegenwärtigen Anschrift in Deutschland gemeldet ist und während des Verwaltungs- und Klageverfahrens keinerlei Angaben zu seinen Wohnverhältnissen gemacht hat, d.h. nicht hinreichend an der Aufklärung der Dauer seines Aufenthalts im Ausstellungsmitgliedstaat sowie den beruflichen und/oder persönlichen Bindungen, die im maßgeblichen Zeitraum zu dem im Führerschein angegebenen Wohnort bestanden, mitgewirkt hat. Wenn wie hier aus dem Ausstellermitgliedstaat herrührende unbestreitbare Informationen darauf hinweisen, dass die im Führerschein eingetragene Angabe zum Wohnsitz unzutreffend ist, obliegt es dem Fahrerlaubnisinhaber, hierzu substantiierte und verifizierbare Angaben zu machen, wenn er daran festhält, dass er das Wohnsitzerfordernis erfüllt (BVerwG, B.v. 28.1.2015 – 3 B 48.14 – juris Rn. 6; BayVGH, B.v. 3.6.2013 – 11 CE 13.738 – juris Rn. 8 ff., B.v. 22.5.2017 – 11 CE 17.718 – juris Rn. 20 jeweils m.w.N.).
Schließlich ist der Senat auch nicht daran gehindert, seine Entscheidung auf eigenständige Ermittlungen zum Wohnsitz des Klägers im fraglichen Zeitraum zu stützen (vgl. EuGH, B.v. 9.7.2009 – C-445/08, Wierer – NJW 2010, 217 Rn. 58; BVerwG, U.v. 25.8.2011 – 3 C 9.11 – Blutalkohol 49, 53 = juris Rn. 17; U.v. 25.2.2010 – 3 C 15.09 – BVerwGE 136, 149 = juris Rn. 21 f.; U.v. 25.2.2010 – 3 C 16.09 – VRS 119, 58 = juris Rn. 20 ff.; OVG NW, U.v. 22.2.2012 – 16 A 2527/07 – NWVBl 2012, 318 = juris Rn. 39 ff.). Nach Wortlaut und Systematik von § 28 Abs. 4 Satz 1 FeV genügt es, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen einer der dort aufgeführten Fallgruppen erfüllt sind, um die angeordnete Rechtsfolge – die Nichtgeltung der Fahrerlaubnis in Deutschland – ipso jure herbeizuführen (BVerwG, U.v. 25.8.2011 – 3 C 25.10 – BVerwGE 140, 256 = juris Rn. 15). Bei der Feststellung der Nichtberechtigung gemäß § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV handelt es sich um einen deklaratorischen Verwaltungsakt, bei dem die Ermessensausübung intendiert ist und der deshalb keiner weiteren Begründung bedarf bzw. bei dem die Begründung ausgewechselt werden kann (vgl. Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, Stand: 17.12.2018, § 28 FeV Rn. 95, 98; BayVGH, U.v. 20.2.2014 – 11 BV 13.1189 – juris Rn. 27; U.v. 11.11.2013 – 11 B 12.1326 – juris Rn. 19; U.v. 25.3.2013 – 11 B 12.1068 – juris Rn. 22; U.v. 6.7.2011 – 11 BV 11.1610 – BayVBl 2012, 21 = juris Rn. 31; OVG NW, U.v. 17.1.2014 – 16 A 1292/10 – ZfSch 2015, 55 = juris Rn. 16).
Damit ist auch die auf § 47 Abs. 2 Satz 1 FeV gestützte Verpflichtung zur Vorlage des ausländischen Führerscheins rechtmäßig.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


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