Europarecht

Zu den Anforderungen an ein Lebensmittelsicherheitskonzept für den Fall eines positiven Salmonellenbefunds

Aktenzeichen  Au 1 K 16.1531

Datum:
4.7.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 120304
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 43 Abs. 1
LMRStrafVO § 5 Abs. 2
VO (EG) Nr. 2073/2005 Art. 2 lit. c, lit. d, Art. 7 Abs. 2
VO (EG) Nr. 178/2002 Art. 3 Nr. 8, Art. 14. Abs. 2, Abs. 3 lit. b, Art. 17 Abs. 1,Art. 19
VO (EG) Nr. 852/2004 Art. 4 Abs. 2, Anhang II, Art. 5 Abs. 2 lit. a
GG Art. 3, Art. 12

 

Leitsatz

1 Aus Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 ergibt sich nicht die Pflicht, bei einem positiven Salmonellenbefund zwingend eine betroffene Charge an Fleischdrehspießen zurückzunehmen, wenn diese durch ein Etikett mit der Aufschrift „Vor Verzehr vollständig durchgaren!“ versehen und damit als hinreichend sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 und Abs. 3 lit. b VO (EG) Nr. 178/2002 zu qualifizieren sind. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2 Bei den bezüglich Salmonellen einzuhaltenden Anforderungen handelt es sich um ein so genanntes Lebensmittelsicherheitskriterium im Sinne von Art. 2 lit. c VO (EG) Nr. 2073/2005 (Anschluss an VG Gelsenkirchen BeckRS 2016, 119214). Dabei ist nicht auszuschließen, dass dieses Sicherheitskriterium aus einem Prozesshygienekriterium entstanden ist bzw. weiterhin (auch) ein Prozesshygienekriterium darstellt. (Rn. 21 ff.) (redaktioneller Leitsatz)
3 Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 führt nicht zu einem Rücknahmeautomatismus. Da die Norm eine Rechtsgrundverweisung enthält, ist zunächst zu prüfen, ob das Lebensmittel den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspricht. Das ist nur dann der Fall, wenn unter Berücksichtigung der in Art. 14 Abs. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 genannten Punkte das Lebensmittel gesundheitsschädlich oder für den Verzehr nicht geeignet ist. (Rn. 27,33 – 36 und 39) (redaktioneller Leitsatz)
4 Das verbleibende Restrisiko, dass sich einzelne Restaurantbesitzer nicht an den Verkehrshinweis halten könnten und rohes, eventuell salmonellenbelastetes Fleisch an den Verbraucher verkaufen, kann hier als rein hypothetische Gefahr außen vor gelassen werden (Verweis auf EuGH BeckEuRS 2010, 524818). Vielmehr ist eine Reduzierung von Gefahren auf ein akzeptables Maß ausreichend. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Es wird festgestellt, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, in jedem Fall zwingend bei einem Salmonellenbefall im Produktionsprozess die betroffene Charge zurückzunehmen bzw. dies im Hygienekonzept vorzuschreiben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg.
1. Gegenstand der Klage ist die Feststellung, ob die Klägerin verpflichtet ist, in jedem Fall zwingend bei einem positiven Salmonellenbefund im Produktionsprozess die betroffene Charge an Fleischdrehspießen zurückzunehmen bzw. dies in ihrem Hygienekonzept vorzuschreiben. Die Beteiligten stellten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend klar, dass es ihnen – entgegen anderslautender früherer Schriftsätze – lediglich um die Frage der zwingenden Erforderlichkeit einer Rücknahme geht. Sie sind sich dagegen einig, dass ein Rückruf in vorliegendem Fall nicht in Betracht kommt, da der Klägerin all ihre Abnehmer bekannt sind.
2. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft. Danach kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Frage, ob die Klägerin bei einem positiven Salmonellenbefund zwingend die Rücknahme der betroffenen Charge vorzusehen hat, stellt ein solches Rechtsverhältnis dar. Auch hat die Klägerin ein berechtigtes Interesse an der Feststellung (§ 43 Abs. 1 Hs 2 VwGO). Die Beteiligten streiten um die Frage, ob die Klägerin eine entsprechende Verfahrensanweisung in ihr HACCP-Konzept aufzunehmen hat. Das Landratsamt … hat mit Schreiben vom 15. Dezember 2014 und 26. Februar 2016 darauf hingewiesen, dass ab sofort bei positivem Salmonellenbefund gemäß Art. 7 der VO (EG) Nr. 2073/2005 zu verfahren sei. Das Erzeugnis sei vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen (Bl. 1ff. der Behördenakte). Mit Schreiben vom 14. Juli 2016 und 29. September 2016 kündigte das Landratsamt verwaltungs- bzw. ordnungsrechtliche Maßnahmen zur Durchsetzung der entsprechenden Normen an (Bl. 35f. und Bl. 50 der Behördenakte). Ein Verstoß gegen die Pflichten aus Art. 7 VO (EG) Nr. 2073/2005 erfüllt gemäß § 5 Abs. 2 der Lebensmittelrechtlichen Straf- und Bußgeldverordnung (LMRStrafVO) den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit. Die Klägerin hat deshalb ein berechtigtes Interesse daran, feststellen zu lassen, ob sie zur Aufnahme der genannten Verfahrensanweisung in ihr Hygienekonzept verpflichtet ist bzw. ob sie anderenfalls gegen Gesetze verstößt und ihre Vertreter sich damit strafbar machen.
3. Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin ist nach Ansicht der Kammer nicht verpflichtet, in jedem Fall zwingend bei einem positiven Salmonellenbefund im Produktionsprozess die betroffene Charge an Fleischdrehspießen zurückzunehmen und dies in ihrem Hygienekonzept vorzuschreiben. Das bestehende Hygienekonzept ohne eine solche Verfahrensanweisung verstößt dementsprechend nicht gegen Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005.
a) Mit der VO (EG) Nr. 2073/2005 werden mikrobiologische Kriterien sowie die Durchführungsbestimmungen festgelegt, die von Lebensmittelunternehmern bei der Durchführung von Hygienemaßnahmen gemäß Art. 4 VO (EG) Nr. 852/2004 einzuhalten sind (Art. 1 VO (EG) Nr. 2073/2005). Nach Art. 7 VO (EG) Nr. 2073/2005 sind für den Fall, dass eine Untersuchung der in Anhang I der Verordnung festgelegten Kriterien zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, bestimmte Maßnahmen nach dieser Vorschrift sowie dem HACCP-Konzept des Unternehmers zu ergreifen. Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 sieht demgemäß vor, dass das Lebensmittel gemäß Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen ist, sofern die Untersuchung anhand der Lebensmittelkriterien nach Anhang I Kapitel 1 unbefriedigende Ergebnisse liefert. Nach Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 ist ein Lebensmittel vom Markt zu nehmen, wenn es den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit im Sinne von Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 nicht entspricht.
b) Die von der Klagepartei aufgeworfene Frage nach dem Bestehen einer Eingriffsbefugnis des Landratsamts stellt sich in vorliegender Fallkonstellation nicht. Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass sie nicht verpflichtet ist, in jedem Fall bei einem Salmonellenbefund im Produktionsprozess die jeweilige Charge zurückzunehmen bzw. dies in ihrem Hygienekonzept vorzuschreiben. Sie wendet sich gerade nicht gegen einen bereits ergangenen Bescheid des Beklagten, welcher nur mit entsprechender Eingriffsbefugnis ergehen hätte dürfen. Dieser Prüfungspunkt kann hier somit dahinstehen.
c) Aus Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 ergibt sich für die Klägerin nicht die Pflicht, bei einem positiven Salmonellenbefund zwingend die betroffene Charge an Fleischdrehspießen zurückzunehmen, da die Drehspieße aufgrund des Etiketts „Vor Verzehr vollständig durchgaren!“ als hinreichend sicher im Sinne von Art. 14 Abs. 2 und Abs. 3 lit. b) VO (EG) Nr. 178/2002 zu qualifizieren sind.
(1) Entgegen den Ausführungen des Bevollmächtigten der Klägerin ist nach Ansicht der Kammer der Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 eröffnet, da es sich bei den bezüglich Salmonellen einzuhaltenden Anforderungen um ein sog. Lebensmittelsicherheitskriterium im Sinne von Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005 handelt.
Gemäß der Legaldefinition in Art. 2 lit. c) VO (EG) Nr. 2073/2005 ist ein Lebensmittelsicherheitskriterium ein Kriterium, mit dem die Akzeptabilität eines Erzeugnisses oder einer Partie Lebensmittel festgelegt wird und das für im Handel befindliche Erzeugnisse gilt. Dagegen liegt ein sog. Prozesshygienekriterium vor, wenn die akzeptable Funktionsweise des Herstellungsprozesses angegeben wird. Ein solches Kriterium gilt nicht für im Handel befindliche Erzeugnisse (Art. 2 lit d) VO (EG) Nr. 2073/2005). Lediglich bei Vorliegen eines Lebensmittelsicherheitskriteriums sind die in Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 genannten Maßnahmen zu ergreifen. Für Prozesshygienekriterien gilt dagegen Art. 7 Abs. 4 VO (EG) Nr. 2073/2005, welcher auf die in Anhang I Kapitel 2 der Verordnung aufgeführten Maßnahmen verweist.
Nach Ansicht des Gerichts ist bei einem positiven Salmonellenbefund in Fleischdrehspießen von einem Lebensmittelsicherheitskriterium, also einem Kriterium, mit dem die Akzeptabilität eines Lebensmittels festgelegt wird, auszugehen (so auch VG Gelsenkirchen, U.v. 24.11.2016 – 17 K 1799/13 – juris Rn. 114ff.). Dabei ist nicht auszuschließen, dass dieses Sicherheitskriterium aus einem Prozesshygienekriterium entstanden ist bzw. weiterhin (auch) ein Prozesshygienekriterium darstellt. Es ist vielmehr sogar wahrscheinlich, dass ein etwaiger positiver Salmonellenbefund auf einer Unzulänglichkeit im Produktionsprozess und somit auf einem Prozesshygienekriterium beruhen kann. In vorliegendem Fall handelt es sich jedoch eindeutig zumindest auch um ein Lebensmittelsicherheitskriterium, nämlich um ein Kriterium, welches die Akzeptabilität eines sich bereits im Handel befindlichen Erzeugnisses betrifft. Genau um diese Akzeptabilität geht es bei der Frage, ob und in welchem Umfang ein Lebensmittel Salmonellen enthalten darf. Im ersten Kapitel des Anhangs I der VO (EG) Nr. 2073/2005 werden unter Nr. 1.5 bzw. Nr. 1.6 die Lebensmittelsicherheitskriterien für Hackfleisch/Faschiertes und Fleischzubereitungen aus Geflügelfleisch bzw. aus anderen Fleischarten als Geflügel, die zum Verzehr in durcherhitztem Zustand bestimmt sind, dahingehend festgelegt, dass bei in Verkehr gebrachten Erzeugnissen während der Haltbarkeitsdauer in einer Probe von 25 g bzw. 10 g Hackfleisch Salmonellen nicht nachweisbar sein dürfen. Nach Art. 3 Nr. 8 VO (EG) Nr. 178/2002 bezeichnet der Begriff „Inverkehrbringen“ unter anderem das Bereithalten von Lebensmitteln für Verkaufszwecke einschließlich des Anbietens zum Verkauf sowie den Verkauf, den Vertrieb oder andere Formen der Weitergabe selbst. Mit der Auslieferung in den Einzelhandel bringt die Klägerin die Fleischdrehspieße demnach in den Verkehr. Das Lebensmittel befindet sich dann im Handel, sodass die genannten Kriterien eingehalten werden müssen.
Die Klägerseite geht dagegen von einem Prozesshygienekriterium aus. Der Bevollmächtigte der Klägerin beruft sich in dem Zusammenhang insbesondere auf die Aussage des staatlichen Untersuchungsamtes CVUA Rhein-Ruhr-Wupper, wonach Salmonellen je nach Produkt ein Lebensmittelsicherheitskriterium oder ein Prozesshygienekriterium darstellen könnten bzw. sich ein Sicherheitskriterium zu einem Prozesshygienekriterium wandeln könne. Aus der mit Anlage K10 zur Klage vorgelegten Darstellung des CVUA ergibt sich jedoch gerade nicht, dass bei Salmonellen in Fleischdrehspießen generell nur von einem Prozesshygienekriterium auszugehen ist. Aus dem Schaubild geht lediglich hervor, dass Salmonellen in beide Kategorien fallen können. Dies wird jedoch auch nicht bestritten.
Weiter beruft sich die Klägerseite darauf, dass es vorliegend um die nach Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anhang II VO (EG) Nr. 852/2004 zu ergreifenden Maßnahmen der Personal-, Produkt- und Betriebshygiene im Rahmen der Produktion gehe. Außerdem sehe Art. 17 Abs. 1 VO (EG) Nr. 178/2002 vor, dass Unternehmer nur für die Tätigkeiten unter ihrer Kontrolle zuständig sind. Die Klägerin als Herstellerin der Drehspieße sei demnach nur für die Einhaltung der Hygieneanforderungen i.S.v. Art. 4 Abs. 2 i.V.m. Anlage II VO (EG) Nr. 852/2004 verantwortlich und müsse nicht für ein etwaiges Fehlverhalten der in der Lebensmittelkette nachgelagerten Gastronomen einstehen. Diese Ausführungen betreffen jedoch die im Anschluss zu klärende Frage, welche Maßnahmen von den Lebensmittelunternehmern zu ergreifen sind, nicht jedoch die Frage nach der Abgrenzung von Lebensmittesicherheits- und Prozesshygienekriterien.
Schließlich wird vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgebracht, auch in der Leitlinie des Deutschen Fleischer-Verbandes (s. Bl. 26 ff. der Behördenakte) werde ausschließlich auf Prozesshygienekriterien Bezug genommen. Diesem Argument kann jedoch – unabhängig von der Frage nach der Rechtsverbindlichkeit dieser Leitlinie, welche hier dahinstehen kann – ebenfalls nicht gefolgt werden. Auf Seite 98 der Leitlinie heißt es unter der Überschrift „Maßnahmen bei Positiv-Befunden“, dass bei unbefriedigenden Ergebnissen (z.B. einem Salmonellenbefund) „zunächst“ zeitnah folgende Maßnahmen erforderlich sind. Es folgt eine Aufzählung von Maßnahmen der Prozesshygiene. Im Anschluss wird jedoch explizit auf die Möglichkeit von Maßnahmen nach Art. 7 VO (EG) Nr. 2073/2005 und Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 hingewiesen. Gerade aus der Nennung des Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 folgt, dass auch nach der Leitlinie des Fleischer-Verbands bei Positivbefunden nicht zwingend von einem bloßen Prozesshygienekriterium auszugehen ist.
(2) Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 führt jedoch nicht zu einem Rücknahmeautomatismus. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, bei einem positiven Salmonellenbefund zwingend die betroffene Charge an Fleischdrehspießen zurückzunehmen.
Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 verweist im Falle eines positiven Salmonellenbefunds auf Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002: „Sofern die Untersuchung anhand der Lebensmittelsicherheitskriterien nach Anhang I Kapitel 1 unbefriedigende Ergebnisse liefert, ist das Erzeugnis (…) gemäß Art. 19 der VO (EG) Nr. 178/2002 vom Markt zu nehmen oder zurückzurufen.“ Für die Frage, ob eine automatische Rücknahme vorgesehen ist, kommt es somit maßgeblich darauf an, ob dieser Verweis im Sinne eines „Rechtsgrundverweises“ oder eines „Rechtsfolgenverweises“ zu lesen ist.
Geht man – wie die Klägerseite – von einem „Rechtsgrundverweis“ aus, ist eine Rücknahme nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 erforderlich. Wesentliche Voraussetzung ist danach, dass ein Lebensmittel „den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit nicht entspricht“. Diese Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit sind in Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 geregelt. Nach Abs. 2 der Vorschrift gelten Lebensmittel als nicht sicher, wenn davon auszugehen ist, dass sie entweder gesundheitsschädlich oder für den Verzehr durch den Menschen ungeeignet sind. Hier gilt die sog. Chargenvermutung gemäß Art. 14 Abs. 6 VO (EG) Nr. 178/2002, wonach im Falle eines nicht sicheren Lebensmittels, welches zu einer Charge gehört, in der Regel davon auszugehen ist, dass sämtliche Lebensmittel in dieser Charge ebenfalls nicht sicher sind.
Im Rahmen der Sicherheitsbewertung sind unter anderem gemäß Art. 14 Abs. 3 lit a) VO (EG) Nr. 178/2002 die normalen Bedingungen der Verwendung des Lebensmittels sowie gemäß Abs. 3 lit. b) die dem Verbraucher vermittelten Informationen einschließlich der Angaben auf dem Etikett oder sonstige ihm normalerweise zugängliche Informationen über die Vermeidung bestimmter die Gesundheit beeinträchtigender Wirkungen eines bestimmten Lebensmittels zu berücksichtigen. Vorliegend ist davon auszugehen, dass unter Gastronomen bekannt ist, dass eine normale Verwendung der Fleischdrehspieße beinhaltet, dass diese zunächst durcherhitzt werden, bevor sie sicher verzehrt werden können. Außerdem enthalten alle ausgelieferten Fleischdrehspieße ein Etikett mit dem Hinweis „Vor Verzehr vollständig durchgaren!“. Die Restaurantbesitzer werden somit zusätzlich darauf hingewiesen, dass der Drehspieß in rohem Zustand nicht verzehrfähig ist und erst durch vollständiges Erhitzen zu einem sicheren Lebensmittel wird. Nach alldem entspräche der Fleischdrehspieß – trotz etwaigem positivem Salmonellenbefund – den Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit, sodass Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 bereits tatbestandlich nicht einschlägig und somit ein Rückruf nicht angezeigt ist.
Folgt man dagegen der Ansicht des Beklagten, wonach der Verweis in Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 wie ein „Rechtsfolgenverweis“ zu lesen ist, kommt es auf die tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 nicht an. Jedes nach Anhang I Kapitel 1 unbefriedigende Ergebnis und somit jeder positive Salmonellenbefund würde automatisch zur Rücknahme (bzw. zum Rückruf) führen. Die Tatsache, dass die Fleischdrehspieße entsprechende Verzehrhinweise enthalten, wäre vielmehr nur im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, z.B. bei der Frage, ob ein Rückruf erforderlich ist oder eine Rücknahme ausreicht, zu berücksichtigen.
Die im nationalen Recht anerkannte Differenzierung zwischen Rechtsgrund- und Rechtsfolgenverweis ist dem europäischen Recht zumindest begrifflich fremd. Nichtsdestotrotz ist im Wege der Auslegung von Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 zu ermitteln, ob hier von einem Rücknahmeautomatismus oder einer expliziten Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen der Art. 19 und Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 auszugehen ist.
Das Gericht folgt aus nachfolgenden Gründen der Ansicht der Klägerpartei und geht von einer bereits tatbestandlichen Berücksichtigung des Verzehrhinweises aus (so auch Wallau in Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, Stand: 163. EL März 2016, LMRStrafVO Rn. 16; Weyland, ZLR 2015, 72 ff.):
Die Auslegung im Sinne einer Rechtsgrundverweisung ergibt sich zunächst aus dem Wortlaut der Norm. Danach ist das Lebensmittel „gemäß Art. 19 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002“ vom Markt zu nehmen oder zurückzunehmen. Daraus geht hervor, dass der Rücknahmeprozess entsprechend dem Fall einer direkten Anwendung des Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 erfolgen soll. Der Verordnungsgeber hätte genauso gut lediglich die Rücknahme oder den Rückruf als Rechtsfolge anordnen können, hier ist allerdings Art. 19 VO (EG) Nr. 178/2002 explizit genannt.
Für eine solche Auslegung spricht auch das Gebot von der Einheit des Unionsrechts. Einzelne Verordnungen sollen sich widerspruchsfrei zueinander verhalten. Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002, der die Anforderungen an die Lebensmittelsicherheit regelt, findet sich im Abschnitt 4 der Verordnung unter der Überschrift „Allgemeine Anforderungen des Lebensmittelrechts“. Es ist davon auszugehen, dass durch diese Norm vollumfänglich und vor allem einheitlich die Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln geregelt werden soll. Es wäre zudem auch nicht nachvollziehbar, warum für die von der VO (EG) Nr. 2073/2005 erfassten mikrobiologischen Kriterien diesbezüglich ein anderer Maßstab gelten sollte als für sonstige Kriterien. Die von der Klägerin hergestellten Fleischdrehspieße fallen als Lebensmittel im Sinne der Definition in Art. 2 VO (EG) Nr. 178/2002 unter die Verordnung, sodass auch aus diesem Grund von einer Anwendbarkeit des Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 auszugehen ist.
Auch der Sinn und Zweck des Lebensmittelrechts führt zu keinem anderen Ergebnis. Hier ist zwar zu berücksichtigen, dass – wie von der Beklagtenpartei vorgebracht – ausweislich des Erwägungsgrundes Nr. 1 der VO (EG) Nr. 2073/2005 ein hohes Schutzniveau der Gesundheit der Bevölkerung zu den grundlegenden Zielen des Lebensmittelrechts gehört. Dieser Erwägungsgrund verweist jedoch selbst bereits wieder auf die VO (EG) Nr. 178/2002 und damit auf deren Grundsätze und Erfordernisse. Auch aus dem Erwägungsgrund Nr. 3 VO (EG) Nr. 2073/2005 ergibt sich, dass die VO (EG) Nr. 2073/2005 dem Wertungsmodell der VO (EG) Nr. 178/2002 folgen soll. Zudem wird durch die genannte Vorgehensweise die Gesundheit der Bevölkerung gerade nicht gefährdet. Bei ordnungsgemäßem Durcherhitzen der Drehspieße ist ein gesundheitliches Risiko durch Salmonellen für den Verbraucher ausgeschlossen, da Salmonellen bei 190°C nicht überleben.
Das verbleibende Restrisiko, dass sich einzelne Restaurantbesitzer nicht an den Verkehrshinweis halten könnten und rohes, eventuell salmonellenbelastetes Fleisch an den Verbraucher verkaufen, kann hier als rein hypothetische Gefahr außen vor gelassen werden (vgl. EuGH, U.v. 6.10.2011 – C-382/10 – juris Rn. 22 zur Frage, ob Ungeeignetheit bereits dann vorliegt, wenn ein feilgebotenes Lebensmittel denkmöglich durch einen potenziellen Käufer berührt bzw. angeniest werden kann; VG München, U.v. 26.9.2012 – M 18 K 11.5138 – juris Rn. 81). Auch andere Lebensmittel, die in rohem Zustand gesundheitsschädlich sein können, wie zum Beispiel grüne Bohnen (vgl. Weyland, ZLR 2015, 72 ff.), werden nicht per se als nicht sicher eingestuft, nur weil ein gewisses Restrisiko besteht, dass der Verbraucher das Lebensmittel roh zu sich nehmen könnte. Dieser Grundsatz muss in vorliegender Fallkonstellation umso mehr gelten, da hier in der Lebensmittelkette durch die Restaurantbesitzer weitere Lebensmittelunternehmer, die sich ebenfalls an lebensmittelrechtliche Hygienevorschriften halten müssen, dazwischengeschaltet sind, bevor das Lebensmittel beim Verbraucher ankommt. Absolute Risikofreiheit kann auch im Lebensmittelrecht nicht erreicht werden und wird weder von der Rechtsprechung noch vom Verordnungsgeber gefordert. Nach der oben angeführten Entscheidung des EuGH ist es gerade nicht erforderlich, jedes denkmögliche Risiko auszuschließen. Zudem ist ausweislich von Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 852/2004 auch eine Reduzierung von Gefahren auf ein akzeptables Maß ausreichend. Vorliegend minimiert das bestehende Hygienekonzept der Klägerin die durch Salmonellen auftretende Gefahr bereits auf einen im Sinne von Art. 5 Abs. 2 lit. a) VO (EG) Nr. 852/2004 akzeptablen Umfang.
Schließlich ergibt sich auch aus den Auslegungs- und Anwendungshinweisen des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) vom 20. November 2007 nichts anders. Nach deren Nr. 1 ist Art. 7 VO (EG) Nr. 178/2002 zwar als Rechtsfolgenverweis auszulegen und eine gesonderte Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 19 der VO (EG) Nr. 178/2002 somit gesperrt. Zum einen hat sich aber in der Zwischenzeit die Arbeitsgruppe für Fleisch- und Geflügelfleischhygiene und fachspezifische Fragen von Lebensmitteln tierischer Herkunft (AFFL) in ihrer 18. Sitzung am 8. und 9. November 2011 mit diesem Thema befasst. Ausweislich des von der Klagepartei mit Anlage K 14 vorgelegten Berichts der Projektgruppe „Kennzeichnungsoptionen bei riskanten Lebensmitteln unter Berücksichtigung von allgemein zugänglichen Informationen“ dient der Durcherhitzungshinweis der Senkung des Risikos auf ein akzeptables Niveau. Da die entsprechenden Hinweise u.a. auf Fleischerzeugnissen nach dieser Stellungnahme im Rahmen von Art. 14 Abs. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 zu berücksichtigen sind, ist aus denklogischen Gründen von einer Auslegung im Sinne einer Rechtsgrundverweisung auszugehen, da eine reine Berücksichtigung des Hinweises bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht umfassend und angemessen erfolgen könnte. Zum anderen sind die Auslegungs- und Anwendungshinweise des BMELV selbst nicht ganz widerspruchsfrei, da unter Nr. 3 ausgeführt ist, dass im Rahmen der amtlichen Überwachung jeweils „am Maßstab des Artikels 14 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 im Einzelfall zu überprüfen [ist], ob das in Frage stehende Lebensmittel sicher ist“.
Damit ist vorliegend Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 anzuwenden mit der Folge, dass nur dann ein nicht sicheres Lebensmittel vorliegt, wenn unter Berücksichtigung der in Art. 14 Abs. 3 VO (EG) Nr. 178/2002 genannten Punkte das Lebensmittel gesundheitsschädlich oder für den Verzehr nicht geeignet ist. Dies bedeutet, dass bei den von der Klägerin in den Verkehr gebrachten Fleischdrehspießen davon auszugehen ist, dass sie gemäß den Hinweisen und entsprechend der üblichen Verfahrensweise durcherhitzt werden. Eine Gefahr durch Salmonellen ist in diesem Fall ausgeschlossen und eine Rücknahme somit nicht angezeigt.
d) Auf die Frage, ob die streitgegenständliche Verpflichtung gegen die Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 GG, den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG oder den Vertrauensschutzgrundsatz verstoßen würde, kommt es vorliegend somit nicht mehr entscheidungserheblich an.
4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Beklagte hat als unterlegener Teil die Kosten des Verfahrens zu tragen.
5. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
6. Die Berufung war gemäß § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen, da der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne weist eine Rechtsstreitigkeit dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist, über den zu entscheidenden Einzelfall hinausgeht und im Sinne der Rechtseinheit einer Klärung bedarf (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Auflage 2016, § 124 Rn. 10).
Vorliegend besteht ein Bedürfnis, obergerichtlich zu klären, ob aus Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 2073/2005 in jedem Fall zwingend die Pflicht folgt, bei einem positiven Salmonellenbefund die betroffene Charge zurückzunehmen, auch wenn das Lebensmittel – z.B. aufgrund eines entsprechenden Verzehrhinweises – als sicher im Sinne von Art. 14 VO (EG) Nr. 178/2002 gilt. Eine entsprechende Verpflichtung wäre für die betroffenen Lebensmittelunternehmer mit einer enormen Umstellung im Betriebsablauf verbunden. Es bedarf somit einer obergerichtlichen Klärung, um diesen Zustand der Rechtsunsicherheit zu beseitigen.

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