Aktenzeichen RN 5 K 16.1989
VO (EU) Nr. 639/14 Art. 14 Nr. 3
VO (EU) Nr. 1306/2013 Art. 2 Abs. 2
Leitsatz
1 Ein Betriebszusammenschluss im Sinne von Art. 14 Nr. 3 VO (EU) Nr. 639/14 liegt nicht vor, wenn ein völlig neuer Betrieb gegründet wird (Anschluss an OVG Lüneburg BeckRS 2012, 56457). (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ein Antrag auf Zuweisung von Zahlungsansprüchen (ZA) kann nicht ohne Weiteres so umgedeutet werden, dass er auch auf das Vorliegen höherer Gewalt oder besonderer Umstände gestützt ist. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
3 Die Fallgruppen des Art. 2 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1306/13 sind auch auf Konstellationen im Rahmen der VO (EU) Nr. 1307/2013 anwendbar. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4 Ein sonstiger Fall höherer Gewalt bezeichnet einen ungewöhnlichen, vom Willen des Betroffenen unabhängigen und unvorhersehbaren Umstand, der trotz äußerster, nach den Umständen erforderlicher und zumutbarer Sorgfalt von den Beteiligten nicht zu vermeiden war (Anschluss an EuGH BeckEuRS 2015, 468459); die zeitweilige Nichtbewirtschaftung landwirtschaftlicher Flächen oder eine Ehescheidung des Betriebsinhabers fallen hierunter nicht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
5 Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände ist eng auszulegen. Solche liegen nur vor, wenn sie nicht Teil der normalen Tätigkeitsausübung sind und tatsächlich nicht beherrschbar sind. Eine Ehescheidung fällt auch bei Unternehmen, welche von Ehegatten gemeinsam geführt werden, nicht hierunter. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
6 Der EU-Verordnungsgeber it nicht verpflichtet, aufgrund der Möglichkeit ZA zu erwerben jegliche Härtefälle auszugleichen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens
III. Das Urteil ist in Ziffer II vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Das Gericht konnte mit Einverständnis der Parteien ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der angefochtene Widerspruchsbescheid der Staatlichen Führungsakademie für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 29.11.2016 und der Ausgangsbescheid des Bescheides des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) … vom 7.12.2015 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Zuweisung von Zahlungsansprüche zu.
1. Nach Art. 24 Abs. 1 VO (EU) Nr. 1307/2013 erfolgt die Zuweisung von ZA im Jahr 2015 an Betriebsinhaber, die aufgrund des MFA 2013 zum Empfang der Betriebsprämie 2013 – vor Anwendung von Kürzungen und Ausschlüssen – berechtigt waren (siehe Art. 24 Abs. 1 Buchst. a bis c). Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Die Klägerin hat keine Zahlungen für 2013 erhalten. Die in der VO vorgesehenen Ausnahmen, z.B. Bewirtschaftung von Rebflächen im Jahr 2013 liegen nicht vor. Ein Betriebszusammenschluss des früheren mit der geschieden Ehefrau geführten Betriebs nach Art. 14 Nr. 3 der Delegierten VO (EU) Nr. 639/14 der Kommission vom 11.3.2014 liegt ebenfalls nicht vor. Der frühere Betrieb ist nicht Teil des neuen Betriebs der Klägerin. Die Klägerin hat im Jahr 2013 einen völlig neuen Betrieb gegründet. Es handelt sich auch nicht um eine bloße Rechtstatusänderung(vgl. dazu OVG Lüneburg vom 29.08.2012 -10 LB 83/10 u.VG Göttingen vom 10.11.2016 – 2 A4/16 – juris).
2. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 Buchst. cvor, dass die Klägerin niemals eigene oder gepachtete Zahlungsansprüche gemäß der VO (EG) Nr. 73/2009 oder VO (EG) Nr. 1782/2003 innehatte. Denn die Klägerin hat im Jahr 2014 ZA käuflich erworben.
3. Darüber hinaus ergibt sich der Anspruch auch nicht aus Art. 30 Abs. 6 und Abs. 11 b) VO (EU) Nr. 1307/2013. Gemäß Art. 30 Abs. 11 b) VO (EU) Nr. 1307/2013 werden nur solche Betriebsinhaber als Neueinsteiger betrachtet, die in den fünf Jahren vor Aufnahme der landwirtschaftlichen Tätigkeit keine landwirtschaftliche Tätigkeit im eigenen Namen oder auf eigene Rechnung ausgeübt haben und nicht die Kontrolle über eine juristische Person oder Personenvereinigung innehatten, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Der Geschäftsführer der Klägerin war bereits im Jahr 2011 Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebs, weil er zu dieser Zeit einen landwirtschaftlichen Betrieb zusammen mit seiner damaligen Ehegattin führte.
4. Ein Anspruch auf Zuweisung von ZA ergibt sich auch nicht aus Art. 30 Abs. 7 c) VO (EU) Nr. 1307/2013. Danach können Betriebsinhaber ZA zugewiesen werden, denen infolge höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände keine ZA nach diesem Kapitel zugewiesen werden können. Es liegt bereits kein tauglicher Antrag i. S. d. Art. 30 Abs. 7 c) VO (EU) Nr. 1307/2013 seitens der Klägerin vor. Auch unter Anwendung der Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB kann der Antrag der Klägerin auf Zuweisung von ZA vorliegend nicht so umgedeutet werden, dass diese den Antrag auf das Vorliegen höherer Gewalt oder besondere Umstände gestützt hat. Selbst wenn man alle äußeren Umstände zu Hilfe nimmt, sich vom bloßen Wortlaut des Antrags auf Zuweisung von ZA löst und den wirklichen Willen der Klägerin erforscht, ist vorliegend nicht ohne Weiteres ersichtlich, dass höhere Gewalt oder besondere Umstände als Grundlage für den Zuweisungsantrag gelten sollten. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass die Klägerin das notwendige Formblatt „ZA Höhere Gewalt“ nicht mit eingereicht hat, welches für einen solchen Antrag notwendig gewesen wäre, und auch sonst keine Anhaltspunkte für derartige Umstände vorlagen. Zum anderen würde die Bejahung einer Umdeutungsverpflichtung der Behörde hinsichtlich des Vorliegens von höherer Gewalt oder besonderer Umstände in derartig gelagerten Fällen in letzter Konsequenz dazu führen, dass die erkennenden Behörden stets davon ausgehen müssten, der Antragssteller meine nicht das, was er vorgetragen hat, sondern stütze sich auf andere Aspekte (wie etwa hier höhere Gewalt oder besondere Umstände), was eine starke Überdehnung der anerkannten Auslegungsregeln zugunsten von solchen Antragsstellern bedeuten würde, welche einen unpräzisen Antrag stellen. Im Umkehrschluss wären so diejenigen Antragssteller benachteiligt, welche „sorgfältiger“ vorgehen und einen präzisen Antrag stellen, da hier eine Umdeutung und Auslegung i. S. d. §§ 133, 157 BGB regelmäßig ausscheidet oder nur eingeschränkt möglich ist. Dennoch hat sich das AELF … mit dem Vorliegen von höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände beschäftigt, was sich aus der E-Mail von Frau … vom 13.04.2015, sowie dem Widerspruchsbescheid vom 29.11.2016 ergibt. Unabhängig davon ist das Gericht der Auffassung, dass vorliegend kein Fall von höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände vorliegt. Es liegt kein Fall von höherer Gewalt i. S. d. Fallgruppen von Art. 2 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1306/2013 vor. Darunter fallen u.a. der Tod des Begünstigten, länger andauernde Berufsunfähigkeit des Begünstigten, eine schwere Naturkatastrophe, die den Betrieb erheblich in Mitleidenschaft zieht, unfallbedingte Zerstörung von Stallgebäuden des Betriebs, eine Seuche oder Pflanzenkrankheit, die den ganzen Tierbzw. Pflanzenbestand des Begünstigten oder einen Teil davon befällt oder die Enteignung des gesamten Betriebes oder eines wesentlichen Teils davon, soweit diese Enteignung am Tag des Eingangs der Verpflichtung nicht vorherzusehen war. Diese Fallgruppen sind aufgrund der Einheitlichkeit der Rechtsordnung ohne Weiteres auch auf Konstellationen wie der Vorliegenden im Rahmen der VO (EU) Nr. 1307/2013 anwendbar. Auch liegt kein sonstiger Fall von höherer Gewalt vor, den der EuGH in Anlehnung an die gerade genannten Fallgruppen als ungewöhnlichen, vom Willen des Betroffenen unabhängigen und unvorhersehbaren Umstand, der trotz äußerster, nach den Umständen erforderlicher und zumutbarer Sorgfalt von den Beteiligten nicht zu vermeiden war, bezeichnet (vgl. EuGH vom 17.12.2015 – C – 330/14 Rn. 58 – juris). Hierunter fallen also weder die Scheidung des Geschäftsführers der Klägerin, da eine Scheidung weder ein ungewöhnlicher Umstand ist, noch vom Willen der Betroffenen völlig unabhängig ist, noch die Entscheidung der Klägerin im Jahr 2013 keinen MFA zu stellen, da diese alleine im Verantwortungsbereich der Klägerin liegt und daher von ihrem Willen abhängig ist. Dies trifft auch auf die Nichtbewirtschaftung der Flächen im Jahr 2013 zu. Auch liegen keine außergewöhnlichen Umstände i. S. v. Art. 2 Abs. 2 VO (EU) Nr. 1306/2013 vor. Es handelt sich hierbei um Umstände, die mit möglichen institutionellen und strukturellen Hindernissen zusammenhängen und solche, die die persönliche Situation des Antragsstellers betreffen. Ein solcher Grund ist aber gerade nicht gegeben, wenn die Klägerin aufgrund des ZA-Kaufs im Jahr 2014 sodann im Jahr 2015 keine ZA zugewiesen bekommt, weil diese Fallkonstellation nicht das nötige Gewicht besitzt um einen außergewöhnlichen Umstand i. S. d. oben genannten Definition darzustellen. Dies gilt auch für die Scheidung des Geschäftsführers der Klägerin. Der Begriff der außergewöhnlichen Umstände ist bereits seinem Wortlaut nach restriktiv auszulegen. Eine Scheidung stellt dabei lediglich ein allgemeines Lebensrisiko dar. Etwas anderes ergibt sich auch nicht, wenn man die Entscheidung des EuGH vom 4.5.2017 – C – 315/15) hinsichtlich des Begriffs der außergewöhnlichen Umstände im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung 261/2004 hinzuzieht. Diese Entscheidung qualifiziert außergewöhnliche Umstände i. S. d. genannten Verordnung als „Vorkommnisse, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind“. Dieser Definition ist der verallgemeinerbare und auch für die vorliegende Konstellation anwendbare Grundsatz zu entnehmen, dass außergewöhnliche Umstände dann vorliegen, wenn sie nicht Teil der normalen Tätigkeitsausübung sind und tatsächlich nicht beherrschbar sind. Die Ableitung solcher allgemein relevanter Gesichtspunkte ist schon aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht nur möglich, sondern sogar geboten. Die Entscheidung der Klägerin im Jahr 2014 ZA zu erwerben, was zu einer Versagung von ZA im Jahr 2015 geführt hat, ist aber gerade ein Teil der normalen Tätigkeitsausübung der Klägerin, da es sich hier um eine freie unternehmerische Entscheidung handelt, welche der Klägerin zuzurechnen ist. Sie muss – wie jeder andere Unternehmer auch – die Konsequenzen ihrer eigenen Entscheidungen tragen. Die Entscheidung der Klägerin war auch von ihr beherrschbar. Etwas anderes gilt auch nicht für die Scheidung des Geschäftsführers der Klägerin. Auch wenn eine Scheidung in gewissen Fällen in subjektiver Hinsicht als unvermeidlich wahrgenommen wird, so ist eine solche dennoch der normalen Tätigkeitsausübung zuzuordnen. Es besteht bei Unternehmen, welche von Ehegatten gemeinsam geführt werden, stets ein gewisses Risiko, dass sich diese trennen und dadurch auch das gemeinsame Unternehmen betroffen ist. Auch kann eine Scheidung nicht als „unbeherrschbar“ angesehen werden.
Auch liegt keine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes vor, weil der vorliegende Fall wie alle anderen Fälle behandelt wurde, in denen der Antragssteller zum 15.05.2013 landwirtschaftlich tätig gewesen ist, jedoch zuvor oder danach eigene ZA besessen haben. Die zu vergleichende Gruppe sind vorliegend die Antragssteller, die zum 15.05.2013 landwirtschaftlich tätig waren. Das Gericht ist der Auffassung, dass das entscheidende Differenzierungsmerkmal der VO (EU) 1307/2013 ist, ob der oben genannte Antragssteller niemals eigene oder gepachtete ZA inne hatte. Daraus ist zu folgern, dass diejenigen Antragssteller, welche ZA besessen haben gleich zu behandeln sind und diejenigen, welche keine ZA innehatten, ebenfalls gleich zu behandeln sind. Vielmehr würde ja gerade eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes vorliegen, wenn der Antrag der Klägerin genehmigt werden würde, obwohl die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.
Eine Vorlage – wie von der Klägerseite angeregt – an den EUGH ist nicht erforderlich. Das Gericht sieht keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Zuweisung von ZA erfolgt aufgrund eines Stichtagsprinzips. Durch die Zuweisung von ZA wurde die produktbezogene Förderung auf nicht produktbezogene Förderung umgestellt zu einem bestimmten Stichtag („Erstkoppelung“). Von Anfang an war aber in den europäischen Regelungen als Ausgleich zu der Stichtagsregelung vorgesehen, dass ZA rechtsgeschäftlich zusätzlich erworben werden können (vgl. BMEL, Umsetzung der EU-Agrarreform, Ausgabe 2006, unter Nr. 3.2.4 Neueinsteiger). Deshalb kann im vorliegenden Fall zu Recht darauf abgestellt werden, dass der Kläger im Jahr 2014 ZA erworben hat. Der EU-Verordnungsgeber kann zwar noch andere Härtefälle berücksichtigen, wie hier die Fallgruppe Junglandwirte, Neueinsteiger. Er ist aber nicht verpflichtet, aufgrund der Möglichkeit ZA zu erwerben, jegliche Härtefälle auszugleichen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 173 S. 1 VwGO i. V. m §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.