Europarecht

Zulassung der Rechtsbeschwerde in Kartellsachen: Zulässigkeit sog. Bestpreisklauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Internet-Hotelbuchungsportals als klärungsbedürftige Rechtsfrage

Aktenzeichen  KVZ 56/19

Datum:
14.7.2020
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2020:140720BKVZ56.19.0
Normen:
Art 101 Abs 1 AEUV
§ 1 GWB
§ 2 GWB
§ 76 Abs 1 GWB
Spruchkörper:
Kartellsenat

Verfahrensgang

vorgehend OLG Düsseldorf, 4. Juni 2019, Az: VI-Kart 2/16 (V), Beschlussvorgehend BKartA Bonn, 22. Dezember 2015, Az: B 9 – 121/13, Beschluss

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 1. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 4. Juni 2019 wird zugelassen.

Gründe

1
I. Die Betroffenen betreiben das Hotelbuchungsportal “b.    .com”, das Hotelkunden kostenfreie Direktbuchungen ermöglicht. Für ihre Vermittlungsleistung erhalten sie von den Hotelunternehmen eine erfolgsabhängige Provision.
2
Seit dem 1. Juli 2015 sehen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Betroffenen (b.     -AGB) für die Verträge mit den Hotelunternehmen “enge Bestpreisklauseln” vor. Danach dürfen die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Webseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf der Plattform der Betroffenen. Hingegen können die Hotelzimmer auf anderen Online-Reservierungsportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch “offline” günstiger angeboten werden. Ein Verstoß gegen die Raten- und Bedingungsparität berechtigt die Betroffenen zur fristlosen Kündigung des Vertrags mit dem Hotelunternehmen.
3
Das Bundeskartellamt hat mit Beschluss vom 22. Dezember 2015 festgestellt, dass die Klauseln zur Raten- und Bindungsparität kartellrechtswidrig sind, und ihre weitere Durchführung untersagt.
4
Die Betroffenen verwenden die enge Bestpreisklausel seit Februar 2016 nicht mehr.
5
Auf die Beschwerde der Betroffenen hat das Beschwerdegericht den Beschluss des Bundeskartellamts aufgehoben. Es hat angenommen, die enge Bestpreisklausel beeinträchtige zwar den Wettbewerb, sie sei aber als notwendige Nebenabrede des Dienstleistungsvertrags der Betroffenen mit den Hotelunternehmen kartellrechtlich unbedenklich.
6
II. Die nach § 76 Abs. 1 GWB statthafte und auch sonst zulässige Nichtzulassungsbeschwerde ist begründet. Die Rechtsbeschwerde ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
7
Die Rechtsfrage, ob enge Bestpreisklauseln als notwendige Nebenabreden zu einem Hotelplattformvertrag schon nicht von Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB erfasst werden, ist eine entscheidungserhebliche und klärungsfähige Rechtsfrage, die auch klärungsbedürftig ist.
8
1. Die Beschwerde macht zu Recht geltend, die den angefochtenen Beschluss tragende Begründung des Beschwerdegerichts, die enge Bestpreisklausel sei als notwendige Nebenabrede vom Anwendungsbereich der Art. 101 Abs. 1 AEUV und § 1 GWB ausgenommen, sei bislang in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Bundesgerichtshofs nicht anerkannt.
9
Bei der engen Bestpreisklausel handelt es sich um eine preisbezogene Vereinbarung. Ihre Wirkung ist vergleichbar mit einer Mindestpreisvorgabe, die als Kernbeschränkung qualifiziert wird (vgl. etwa Art. 4a Vertikal-GVO). Im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Wettbewerbsparameters Preis ist die enge Bestpreisklausel qualitativ mit keinem der vom Beschwerdegericht angeführten Beispiele vergleichbar, in denen eine Tatbestandrestriktion des Kartellverbots unter dem Aspekt der notwendigen Nebenabrede bisher im Ausnahmefall für eng begrenzte Fallgruppen anerkannt worden ist.
10
2. Soweit ersichtlich, sind preisbezogene vertikale Wettbewerbsbeschränkungen zur Lösung von Trittbrettfahrerproblemen bisher allein im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB erörtert worden (vgl. etwa Nolte in Langen/Bunte, GWB, 13. Aufl., nach Art. 101 AEUV Rn. 827 f.; MünchKomm.EUWettbR/Zöttel, 3. Aufl., Art. 4 Vertikal-GVO Rn. 55; MünchKomm.EUWettbR/Wolf aaO, Art. 101 AEUV Rn. 498). Die Auffassung des Beschwerdegerichts, stattdessen bereits den Tatbestand des Art. 101 AEUV unter dem Aspekt der notwendigen Nebenabrede auszuschließen, ist in der Literatur überwiegend abgelehnt worden (Augenhofer, NZKart 2019, 415, 417; Bernhard NZKart 2019, 577, 580 f.; Mörsdorf/Schäfer, NZKart 2019, 659, 664 bis 666; dagegen grundsätzlich zustimmend Santos Goncalves/Carsten, WuW 2019, 454, 457).
11
3. Die Frage, wie enge Bestpreisklauseln kartellrechtlich zu beurteilen sind, ist für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen relevant. Über den Kreis der Betreiber von Online-Hotelplattformen hinaus besteht ein erhebliches Interesse an der Klärung dieser Rechtsfrage auch im Hinblick auf Online-Plattformen aus anderen Branchen. Die Beschwerde verweist dazu unter anderem auf die Verwendung von Bestpreisklauseln auf Amazon-Marketplace (vgl. Bundeskartellamt, Fallbericht vom 9. Dezember 2013 – B 6-46/12).
Meier-Beck     
        
Kirchhoff     
        
Tolkmitt
        
Picker     
        
Linder     
        
Rechtsmittelbelehrung:
Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, schriftlich bei dem Beschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von zwei Monaten, die mit der Zustellung des vorliegenden Beschlusses beginnt, zu begründen. Diese Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden des Rechtsbeschwerdegerichts verlängert werden. Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss die Erklärung enthalten, inwieweit der Beschluss des Beschwerdegerichts angefochten und seine Abänderung oder Aufhebung beantragt wird.


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