Europarecht

Zur Beihilfefähigkeit der Nahrungsergänzungsmittel Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs, Arzneimitteleigenschaft im Sinne des § 2 AMG als Voraussetzung für die Beihilfefähigkeit nach § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV, Beihilfeausschluss des § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, Vereinbarkeit des § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn

Aktenzeichen  AN 18 K 19.01600

Datum:
8.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 39906
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayBhV a.F § 18
AMG § 2
Art. 2 VO (EG) 178/2002
NemV § 1
BayBhV a.F. § 49 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheitsfällen richtetet sich nach Art. 96 BayBG iVm den Bestimmungen der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV). Für die rechtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird. Nach § 7 II 2 BayBhV gelten Aufwendungen als in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Aufwendungen für die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs erweisen sich als nicht beihilfefähig. Denn es handelt sich bei den betreffenden Präparaten nicht etwa um gem. § 18 S. 1 Nr. 1 BayBhV aF beihilfefähige apothekenpflichtige Arzneimittel nach § 2 AMG, sondern vielmehr um Lebensmittel in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, also um Mittel die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, und als solche nach § 18 S. 4 Nr. 2 BayBhV aF von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die Klage, über die das Gericht gemäß § 101 Abs. 2 VwGO mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, bleibt ohne Erfolg.
I.
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO) ist unbegründet. Die Versagung der Beihilfegewährung für die Aufwendungen aus der Beschaffung der Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs durch Bescheid des Landesamts für Finanzen vom 9. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Juli 2019 erweist sich als rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Der Klägerin steht nach den insoweit maßgeblichen Bestimmungen des bayerischen Beihilferechts kein Anspruch auf eine Beihilfegewährung durch den Beklagten zu.
Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheitsfällen richtetet sich nach Art. 96 BayBG i.V.m. den Bestimmungen der Bayerischen Beihilfeverordnung (BayBhV). Für die rechtliche Beurteilung ist dabei die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (BVerwG, U.v. 8.11.2012 – 5 C 4.12 – NVwZ-RR 2013, 192 Rn. 12; U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV gelten Aufwendungen als in dem Zeitpunkt entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Die streitgegenständlichen Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs (200 Stück) und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs (200 Stück) zu Kosten von insgesamt 88,02 EUR hat die Klägerin vorliegend am 1. Juli 2019 beschafft. Maßgeblich ist damit die Bayerische Beihilfeverordnung in der Fassung der Änderungsverordnung vom 12. Oktober 2018 (GVBl. S. 794), welche am 1. Januar 2019 in Kraft getreten ist (im Folgenden: alte Fassung – a.F.).
Hiernach erweisen sich die Aufwendungen der Klägerin für die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs als nicht beihilfefähig. Denn es handelt sich bei den betreffenden Präparaten nicht etwa um gemäß § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV a.F. beihilfefähige apothekenpflichtige Arzneimittel nach § 2 AMG, sondern vielmehr um Lebensmittel in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, also um Mittel die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, und als solche nach § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV a.F. von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen sind. Dieser Beihilfeausschluss begründet vorliegend auch keine besondere – mit der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht des Beklagten unvereinbare – Härte für die Klägerin.
1. Eine Beihilfefähigkeit der klägerischen Aufwendungen für die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs gemäß § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV a.F. kommt nicht in Betracht, denn es handelt sich nicht um Arzneimittel im Sinne der Begriffsbestimmung des § 2 AMG.
Beihilfefähig nach § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV a.F. sind die aus einer Anlass einer Krankheit bei ärztlichen und zahnärztlichen Leistungen oder Heilpraktikerleistungen nach §§ 8 bis 17 BayBhV verbrauchten oder nach Art und Umfang schriftlich verordneten apothekenpflichtigen Arzneimittel nach § 2 AMG. Schon der Wortlaut des § 18 Satz 1 Nr. 1 BayBhV a.F. betont damit deutlich die Maßgeblichkeit der Begriffsbestimmungen des § 2 AMG auch für das Beihilferecht (BayVGH, B.v. 29.1.2019 – 14 ZB 18.663 – PharmR 2019, 299/300).
Die somit heranzuziehende Arzneimitteldefinition des § 2 Abs. 1 AMG unterscheidet – in Anlehnung an Art. 1 Nr. 2 RL 2001/83/EG – zwei Arten von Arzneimitteln. Sogenannte Präsentationsarzneimittel nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen oder tierischen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher oder tierischer Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Den Begriff des sogenannten Funktionsarzneimittels definiert § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG als Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die im oder am menschlichen oder tierischen Körper angewendet werden und einem Menschen oder einem Tier verabreicht werden können, um entweder (a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder (b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.
Keine Arzneimittel sind gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG insbesondere Lebensmittel im Sinne des § 2 Abs. 2 LFGB, der wiederum auf die Lebensmitteldefinition des Art. 2 VO (EG) 178/2002 verweist. Nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 sind Lebensmittel alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Zu den Lebensmitteln nach Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002 zählen auch Nahrungsergänzungsmittel im Sinne der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV; vgl. Zipfel/Rathke, Lebensmittelrecht, 179. EL März 2021, § 1 NemV Rn. 5). So definiert § 1 Abs. 1 NemV den Begriff des Nahrungsergänzungsmittels als ein Lebensmittel, das (1.) dazu bestimmt ist, die allgemeine Ernährung zu ergänzen, (2.) ein Konzentrat von Nährstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung allein oder in Zusammensetzung darstellt und (3.) in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln, Pastillen, Tabletten, Pillen und anderen ähnlichen Darreichungsformen, Pulverbeuteln, Flüssigampullen, Flaschen mit Tropfeinsätzen und ähnlichen Darreichungsformen von Flüssigkeiten und Pulvern zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen, in den Verkehr gebracht wird. Zu den Nährstoffen in diesem Sinne zählen gemäß § 1 Abs. 2 NemV Vitamine und Mineralstoffe, einschließlich Spurenelemente.
Diese rechtlichen Maßstäbe zugrunde gelegt, handelt es sich bei den Präparaten Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs weder um Präsentationsarzneimittel noch um Funktionsarzneimittel, sondern vielmehr um Lebensmittel in Form von Nahrungsergänzungsmitteln.
In der Gesamtschau sind die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs zunächst nicht als Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG einzustufen. Zwar sind die betreffenden Produkte unzweifelhaft zur Anwendung im menschlichen Körper bestimmt. Es fehlt aber an der daneben erforderlichen Bestimmung als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden. Eine solche ist zunächst dann gegeben, wenn ein Erzeugnis – gegebenenfalls auf dem Etikett, dem Beipackzettel oder mündlich – ausdrücklich als solches Mittel bezeichnet oder empfohlen wird, sowie ferner dann, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass dieses Erzeugnis in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (EuGH, U.v. 21.3.1991 – C-60/89 – juris Rn. 23; U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – EuZW 2008, 56 Rn. 44 u. 46). Davon kann in Bezug auf die hier relevanten Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs nicht ausgegangen werden. Diese werden auf der Verpackung – je nach Aufmachung derselben – jeweils als „Nahrungsergänzungsmittel zur gezielten zusätzlichen Selenversorgung für Immunsystem, Schilddrüsenfunktion, Zellschutz, Haare, Nägel und Spermabildung“ bzw. als „Nahrungsergänzungsmittel mit hochdosiertem Selen für Immunsystem, Schilddrüsenfunktion, Zellschutz, Haare, Nägel und Spermabildung“ bezeichnet. In den zugehörigen Packungsbeilagen werden Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs als „Nahrungsergänzungsmittel mit 100 µg Selen“ bzw. als „Nahrungsergänzungsmittel mit 200 µg Selen“ bezeichnet. Dazu wird jeweils ausgeführt, Selen unterstütze die normale Funktion des Immunsystems und der Schilddrüse und trage bei zum Schutz der Zellen vor oxidativem Stress, zur Erhaltung normaler Haare und Nägel sowie zur normalen Spermabildung. Des Weiteren findet sich dort jeweils eine Auflistung der „Zutaten“ der betreffenden Präparate sowie die Angabe, diese seien zu 100% vegan, glutenfrei sowie ohne Zusatz von Lactose, Gelatine, Farbstoffen, Allergenen, Aroma und Hefe. Enthalten ist ferner der Hinweis, dass Nahrungsergänzungsmittel nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung und eine gesunde Lebensweise verwendet werden sollten (vgl. https://www.ce-fak.com/fileadmin/user_upload/pdf_packungsbeilagen/gi_cefasel_100_nutri_tabl_de_caj.pdf [Packungsbeilage zu Cefasel 100 nutri Selen-Tabs] bzw. https://www.cefak.com/fileadmin/user_upload/pdf_packungsbeilagen/gi_cefasel_200_nutri_de_caj.pdf [Packungsbeilage zu Cefasel 200 nutri Selen-Tabs], zuletzt jeweils abgerufen am 8.12.2021). Nach alledem stellt die durch den Hersteller gewählte Aufmachung der Produkte Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs deren Beschaffenheit als die natürliche Ernährung ergänzende Lebensmittel in den Vordergrund. Hierfür sprechen zum einen die wiederholte Bezeichnung als Nahrungsergänzungsmittel sowie die Nennung von „Zutaten“ und anderen vor allem von Lebensmitteln bekannten Angaben (Bezeichnung als zu 100% vegan und glutenfrei, Verzicht auf verschiedene Zusatzstoffe). Zum anderen hebt auch der Hinweis, wonach die betreffenden Präparate nicht als Ersatz für eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung geeignet seien, gerade die Zweckbestimmung zur Nahrungsergänzung hervor. Auch bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher wird daher regelmäßig nicht der Eindruck erzeugt werden, es könne sich bei den Produkten Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs um Mittel zur Beseitigung oder Linderung von Erkrankungen – etwa des Immunsystems oder der Schilddrüse – handeln. Vielmehr wird in den zugehörigen Packungsbeilagen gerade hervorgehoben, dass die betreffenden Produkte lediglich der Unterstützung der normalen Funktion des Immunsystems und der Schilddrüse, der Erhaltung normaler Haare und Nägel sowie der normalen Spermabildung zu dienen bestimmt sind. Ihr Anwendungsbereich erstreckt sich damit auf die Erhaltung eines insoweit bestehenden Normalzustands, nicht aber auf die Heilung oder Linderung eines hiervon abweichenden Krankheitszustands.
Daneben können die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs auch nicht als Funktionsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG eingestuft werden. Da die betreffenden Produkte nicht der Erstellung einer medizinischen Diagnose dienen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AMG), kommt es für die Funktionsarzneimitteleigenschaft maßgeblich darauf an, inwieweit sie zur Herstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung geeignet sind (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG). Die Entscheidung hierüber ist von Fall zu Fall zu treffen und hat alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen und metabolischen Eigenschaften – wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen -, die Modalitäten seines Gebrauchs, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann (EuGH, U.v. 15.1.2009 – C-140/07 – NVwZ 2009, 439 Rn. 39; U.v. 30.4.2009 – C-27/08 – NVwZ 2009, 967 Rn. 18). In Abgrenzung zum Präsentationsarzneimittel soll der Begriff des Funktionsarzneimittels damit diejenigen Erzeugnisse erfassen, deren pharmakologische Eigenschaften wissenschaftlich festgestellt wurden und die tatsächlich dazu bestimmt sind, physiologische Funktionen wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen (EuGH, U.v. 15.11.2007 – C-319/05 – EuZW 2008, 56 Rn. 61; U.v. 15.1.2009 – C-140/07 – NVwZ 2009, 439 Rn. 25). Bei dieser Beurteilung ist auf den normalen Gebrauch des fraglichen Erzeugnisses abzustellen, wobei es ohne Belang ist, dass das Erzeugnis in einer höheren als der auf dem Beipackzettel oder in der Verzehrempfehlung auf der Verpackung angegebenen Dosierung eine nennenswerte physiologische Wirkung haben kann (EuGH, U.v. 30.4.2009 – C-27/08 – NVwZ 2009, 967 Rn. 22). Ausgehend von diesem Begriffsverständnis können die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs auch nicht als Funktionsarzneimittel eingestuft werden. Zwar werden die betreffenden Produkte vorliegend als Ersatz für das nach unbestrittenen Angaben der Klägerseite zum Beschaffungszeitpunkt nicht verfügbare Medikament Cefasel 300 µg herangezogen, welches wiederum als Schilddrüsenmedikament zur Behandlung der Hashimoto-Thyreoiditis der Klägerin und damit zur Wiederherstellung bzw. positiven Beeinflussung der krankheitsbedingt beeinträchtigten Schilddrüsenfunktion zum Einsatz gelangt. Diese physiologische Wirkung wird jedoch nicht durch den normalen Gebrauch der Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs, sondern vielmehr (nur) dadurch erreicht, dass die Klägerin – anstelle des eigentlich vorgesehenen Medikaments Cefasel 300 µg – täglich eine Tablette des Präparats Cefasel 100 nutri Selen-Tabs zusammen mit einer weiteren Tablette des Präparats Cefasel 200 nutri Selen-Tabs einnimmt. Eine derartige Anwendung entspricht jedoch nicht der in der jeweiligen Packungsbeilage vorgegebenen Verzehrempfehlung, welche jeweils eine Tagesdosis von einer Tablette des Präparats Cefasel 100 nutri Selen-Tabs bzw. einer Tablette des Präparats Cefasel 200 nutri Selen-Tabs vorgibt und insbesondere nicht von einer kombinierten Anwendung beider Produkte ausgeht. Demgegenüber ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass die von der Klägerin gewünschte physiologische Wirkung auch bei bestimmungsgemäßer Anwendung der betreffenden Präparate erreicht worden wäre.
Stattdessen handelt es sich bei den Präparaten Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs jeweils um Lebensmittel im Sinne der Definition des § 2 Abs. 2 LFGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 178/2002, was gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 AMG wiederum die Arzneimitteleigenschaft ausschließt. Die betreffenden Produkte sind ausweislich den in den zugehörigen Packungsbeilagen angegebenen Verzehrempfehlungen dazu bestimmt, durch Menschen aufgenommen zu werden. Sie erfüllen des Weiteren die Begriffsmerkmale von Nahrungsergänzungsmitteln im Sinne des § 1 Abs. 1 NemV. So handelt es sich jeweils um Lebensmittel, die nach den Angaben in den Packungsbeilagen dazu bestimmt sind, die allgemeine Ernährung zu ergänzen, ein Konzentrat von Nährstoffen im Sinne des § 1 Abs. 2 NemV – nämlich des Spurenelements Selen – darstellen und in dosierter Form, vorliegend in Form von Tabletten, zur Aufnahme in abgemessenen kleinen Mengen – hier jeweils mit einer Dosierung von 100 µg bzw. 200 µg Selen pro Tablette – in den Verkehr gebracht werden. Der Lebensmitteleigenschaft steht auch das Ausschlusskriterium des Art. 2 Abs. 3 Buchst. d VO (EG) 178/2002 nicht entgegen, wonach insbesondere Arzneimittel nicht zu den Lebensmitteln zählen. Wie vorstehend dargelegt, stellen die betreffenden Präparate gerade keine Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 AMG und Art. 1 Nr. 2 RL 2001/83/EG dar.
2. Als Lebensmittel in Form von Nahrungsergänzungsmitteln sind die Präparate Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs gemäß § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV a.F. von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossen.
Gemäß § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV a.F. sind Aufwendungen für Mittel, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, nicht beihilfefähig. Hierbei handelt es sich um Aufwendungen, die dem Grunde nach unabhängig von einer Erkrankung bei jedermann anfallen und insoweit aus den Bezügen zu bestreiten sind (Mildenberger, Beihilferecht, 171. AL November 2017, § 18 BayBhV Anm. 5 [1]). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Mittel geeignet ist, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, kommt es dabei auf die objektive Eigenart und Beschaffenheit des Gegenstands an; es ist nicht entscheidend, ob im Einzelfall der Gegenstand auch ohne Erkrankung beschafft worden wäre oder im Einzelfall ein therapeutischer Zweck verfolgt wird (NdsOVG, B.v. 9.9.2008 – 5 LA 329/06 – juris Rn. 8; OVG NRW, B.v. 16.12.2008 – 6 A 4509/05 – juris Rn. 8).
Ausgehend von diesem Begriffsverständnis stellen auch die Nahrungsergänzungsmittel Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs zur Ersetzung von Gütern des täglichen Bedarfs geeignete – und damit von der Beihilfefähigkeit ausgeschlossene – Mittel dar. Entsprechende Aufwendungen für selenhaltige Nahrungsergänzungsmittel, welche ausweislich der Packungsbeilage der Unterstützung der normalen Funktion des Immunsystems und der Schilddrüse, dem Schutz der Zellen vor oxidativem Stress, der Erhaltung normaler Haare und Nägel sowie der normalen Spermabildung zu dienen bestimmt sind, können bei objektiver Betrachtungsweise grundsätzlich bei allen Beamten anfallen und sind damit im Ausgangspunkt aus den Dienstbezügen zu bestreiten. Dass die betreffenden Präparate im konkreten Einzelfall der Klägerin gegebenenfalls ausschließlich aufgrund der Erkrankung an Hashimoto-Thyreoiditis und als Ersatz für das eigentlich benötigte, zum Beschaffungszeitpunkt jedoch nicht im (Groß-) Handel erhältliche Medikament Cefasel 300 µg erworben wurden, vermag hieran nichts zu ändern. Wie vorstehend dargelegt, besitzen derartige subjektive Beweggründe für die Beschaffung von nach objektiven Maßstäben zur Ersetzung von Gütern des täglichen Bedarfs geeigneten Nahrungsergänzungsmitteln im Rahmen des § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV a.F. keine Bedeutung.
3. Der in § 18 Satz 4 Nr. 2 BayBhV a.F. vorgesehene Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Mitteln, die geeignet sind, Güter des täglichen Bedarfs zu ersetzen, ist schließlich mit höherrangigem Recht – insbesondere der verfassungsmäßig in Art. 33 Abs. 5 GG verankerten und einfachgesetzlich durch § 45 BeamtStG ausgestalteten Fürsorgepflicht – vereinbar, wobei vorliegend auch kein besonderer Ausnahme- bzw. Härtefall gegeben ist, in dem der Beklagte nach § 49 Abs. 2 BayBhV a.F. gleichwohl zu einer Beihilfegewährung an die Klägerin verpflichtet wäre.
Die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht hindert den Dienstherrn grundsätzlich nicht, die Aufwendungen für eine Gruppe von (Arznei-)Mitteln generell von der Beihilfefähigkeit auszuschließen. Sie verlangt weder, dass die aus Anlass von Krankheitsfällen entstandenen Aufwendungen der Beamten durch Leistungen einer beihilfekonformen Krankenversicherung und einer ergänzenden Beihilfe vollständig gedeckt werden, noch, dass die von der Beihilfe nicht erfassten Kosten in vollem Umfang versicherbar sind. Der Dienstherr muss aber, wenn er sich – wie nach dem gegenwärtig praktizierten System – entscheidet, seiner Fürsorgepflicht im Krankheitsfall durch die Zahlung einer Beihilfe nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutritt, bei einem solchen Leistungsausschluss normative Vorkehrungen treffen, damit den Beamten infolgedessen im Einzelfall, z.B. bei einer chronischen Erkrankung, keine erheblichen Aufwendungen verbleiben, die im Hinblick auf die Höhe der Alimentation nicht mehr zumutbar sind (BVerwG, U.v. 23.11.2017 – 5 C 6.16 – NVwZ-RR 2018, 392 Rn. 12 m.w.N.).
Entsprechende normative Vorkehrungen, die verhindern, dass die mit dem Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Mitteln, die zum Ersatz von Gütern des täglichen Bedarfs geeignet sind, einhergehende Belastung im Einzelfall – insbesondere bei chronischen Erkrankungen – die finanziellen Mittel der Beamten erheblich übersteigt und sich damit im Hinblick auf ihre amtsangemessene Alimentation als unzumutbar erweist, hat der Verordnungsgeber in § 49 Abs. 2 BayBhV a.F. getroffen. Danach kann die oberste Dienstbehörde – im staatlichen Bereich das Staatsministerium – in besonders begründeten Ausnahmefällen, die nur bei Anlegung des strengsten Maßstabs anzunehmen sind, über die Bestimmungen der BayBhV hinaus die Gewährung von Beihilfen zulassen. Von der Vorschrift sollen dabei besondere Ausnahmesituationen erfasst werden, die aufgrund ihrer außergewöhnlichen Form zu einer existenziellen Belastung für den Beamten und seine Familie führen können (vgl. Mildenberger, Beihilferecht, 125. AL Mai 2008, § 49 BayBhV Anm. 4 [1]).
Eine durch den Ausschluss der Beihilfefähigkeit der Nahrungsergänzungsmittel Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs begründete existenzielle Belastung der Klägerin, die ihre finanziellen Mittel so erheblich übersteigen würde, dass dadurch der Wesenskern der Fürsorgepflicht verletzt würde, ist vorliegend nicht zu erkennen. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Nichterstattung der Aufwendungen zu Belastungen für den Beamten führt, die sich im Hinblick auf die Höhe seiner Alimentation für ihn als unzumutbar darstellen und insbesondere geeignet sind, den amtsangemessenen Lebensunterhalt des Beamten und seiner Familie zu gefährden (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 5 C 9.14 – BVerwGE 151, 386 Rn. 39). Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben. Nach eigenen Angaben hat die Klägerin lediglich deshalb auf die betreffenden Präparate zurückgreifen müssen, weil das mit ärztlichem Rezept vom 20. Mai 2019 eigentlich verordnete Medikament Cefasel 300 µg zum damaligen Zeitpunkt im (Groß-)Handel nicht beschafft werden konnte. Dass diese Lieferschwierigkeiten des Medikaments Cefasel 300 µg über einen längeren Zeitraum hinweg angedauert hätten und die Klägerin deshalb zur Behandlung ihres Schilddrüsenleidens mehr als einmal auf die – nicht beihilfefähigen – Nahrungsergänzungsmittel Cefasel 100 nutri Selen-Tabs und Cefasel 200 nutri Selen-Tabs hätte zurückgreifen müssen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Klägerin seither – wie bereits in der Vergangenheit – wieder mit dem Medikament Cefasel 300 µg versorgt werden konnte. Zu den Aufwendungen aus der Beschaffung des letzteren jedoch soll der Beklagte nach Aussage der Klägerin stets Beihilfeleistungen gewährt haben. Aus Anlass ihrer Erkrankung an Hashimoto-Thyreoiditis sind der Klägerin somit einmalige Aufwendungen in Höhe von 88,02 EUR (31,41 EUR + 56,61 EUR) entstanden, die sie mangels – im Hinblick auf ihren persönlichen Bemessungssatz ohnehin nur hälftiger – Beihilfefähigkeit aus ihren allgemeinen Dienstbezügen der Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage zu bestreiten hatte. Eine aus dieser singulären Belastung in überschaubarer Höhe resultierende Gefährdung des amtsangemessenen Lebensunterhalts der Klägerin und gegebenenfalls ihrer Familie hat diese weder geltend gemacht, noch sind entsprechende Anhaltspunkte anderweitig zu ersehen. Der bloße Umstand, dass die betreffenden Nahrungsergänzungsmittel vorliegend als Ersatz für das von der Klägerin krankheitsbedingt benötigte und dieser ärztlich verordnete, seinerzeit jedoch nicht verfügbare Medikament Cefasel 300 µg beschafft wurden, vermag für sich genommen keine derartige existenzielle Belastung zu begründen.
4. Da der Klägerin nach alledem kein Anspruch auf die Gewährung weiterer Beihilfeleistungen in Höhe des begehrten Betrags von 38,01 EUR durch den Beklagten zusteht, muss auch ein Anspruch auf Prozesszinsen entsprechend §§ 291, 288 BGB ausschieden.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.


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