Europarecht

Zweitantrag nach Durchführung eines Asylverfahrens in Frankreich

Aktenzeichen  AN 17 K 20.50046

Datum:
15.6.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 13915
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EU) Nr. 604/2013 Art. 17 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1d
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1, § 71a
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1

 

Leitsatz

Die aktuelle Corona-Pandemie-Situation lässt eine Überstellung nach Frankreich nicht tatsächlich und rechtlich unmöglich erscheinen. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der zuständige Einzelrichter (§ 76 Abs. 1 AsylG) konnte trotz Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung über die Rechtssache verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten auf diesen Umstand mit der ordnungsgemäßen Ladung hingewiesen worden waren (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die Klagen sind zulässig erhoben worden, inhaltlich aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Klagen waren daher abzuweisen.
Der Einzelrichter macht zunächst von der ihm nach § 77 Abs. 2 AsylG eingeräumten Befugnis Gebrauch und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da er dem angegriffenen Bescheid inhaltlich folgt. Die Kläger haben im bisherigen gerichtlichen Verfahren gegenüber ihren Erklärungen vor dem Bundesamt keine neuen Tatsachen vorgetragen und auch nicht die mündliche Verhandlung zu einer Konkretisierung ihrer Klagen genutzt.
Ergänzend ist auszuführen, dass der hier streitgegenständliche Bescheid sich nach Überzeugung des Einzelrichters auch nicht vor dem Hintergrund der vormals durch die Beklagte getroffenen Entscheidung im nationalen Verfahren mit der Ablehnung der Anträge auf Asylanerkennung und Zuerkennung subsidiären Schutzes als rechtswidrig erweist. Zwar führte der unanfechtbare Abschluss jenes Vorgängerverfahrens dazu, dass die Zuständigkeitsfrage nach der Dublin III-VO nicht mehr aufgeworfen wird, da die Kläger – unwiderlegt – nach eigenen Angaben das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten der Dublin III-VO seitdem nicht für eine Dauer von mehr als drei Monaten verlassen haben (vgl. Art. 18 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO). Die von den Klägern vorgenommene freiwillige Ausreise nach Fr. und dortige erneute Asylantragstellung hätte vielmehr der Republik Fr. Anlass geben können, die Beklagte um Wiederaufnahme der Kläger nach Art. 23 Abs. 1 Dublin III-VO zu ersuchen. Auch soll im europäischen gemeinsamen Asylverbund im Anwendungsbereich der Dublin III-VO die Zuständigkeitsfrage grundsätzlich nur einmal aufgeworfen und abschließend behandelt werden, insbesondere, um sog. „Ping-Pong“-Zuständigkeiten zu vermeiden (vgl. ausführlich: VG München, B.v. 16.5.2019 – M 9 S 18.52510 – BeckRS 2019, 9566). Damit handelte es sich bei allen weiteren Asylanträgen der Kläger um sog. Folgeanträge im Sinne des Art. 33 Abs. 2 lit. d) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Asylverfahrens-RL), hinsichtlich derer das deutsche Asylverfahrensrecht wiederum zwischen Folge- und Zweitantrag unterscheidet (§§ 71, 71a AsylG).
Die vorliegende Konstellation eines „europäischen“ Folgeantrages zeichnet sich jedoch durch den Umstand aus, dass die Republik Fr. kein Wiederaufnahmeersuchen an die Beklagte gerichtet hatte, sondern – auch insoweit werden die unwidersprochenen Ausführungen der Kläger zugrunde gelegt – eine eigene Entscheidung über die Asylanträge der Kläger, die diese in Fr. gestellt hatten, getroffen hat. Zwar sind die näheren Umstände dieses Entscheidungsprozesses und auch der Inhalt der Entscheidung der französischen Behörden nicht näher bekannt und auch durch das Bundesamt nicht näher aufgeklärt worden. Ungeachtet dessen ist unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags anzunehmen, dass den französischen Behörden gleichwohl die ursprüngliche Zuständigkeit der Bundesrepublik D. bekannt war, da sie die Kläger auf die Rückkehr nach D. verwiesen haben. Dass insoweit dann durch die französischen Behörden trotzdem eine Entscheidung über die Asylanträge getroffen wurde, ohne, dass es zu einem Wiederaufnahmegesuch gegenüber der Beklagten gekommen war, ist insoweit nur mit einem Selbsteintritt Fr.s (Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO) erklärbar, auch, wenn sich ein solcher Selbsteintritt entgegen Art. 17 Abs. 1 UAbs. 3 Dublin III-VO nicht im EURODAC-Datenbanksatz für die Kläger abgebildet hat. Dafür spricht letztlich auch die von den französischen Behörden in ihrer Antwort an das Bundesamt auf dessen Wiederaufnahmegesuch angegebene Vorschrift des Art. 18 Abs. 1 d) Dublin III-VO, wonach der zuständige Staat verpflichtet ist, einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Asylantrag abgelehnt wurde, unter den dort weiter bezeichneten Voraussetzungen wiederaufzunehmen. Damit hat die Republik Fr. ihrerseits die Verantwortlichkeit für die abschließende Entscheidung über den Folgeantrag der Kläger übernommen, so dass sich nach Überzeugung des Gerichts hieran auch ein neues Wiederaufnahme-Verfahren nach der Dublin III-VO anschließen konnte. Der dann von den Klägern nach ihrer Wiedereinreise in die Bundesrepublik D. gestellte weitere Asylantrag, über den das Bundesamt mit hier klagegegenständlichem Bescheid im Sinne einer Unzulässigkeit befunden hat, wäre demnach nicht mehr als Folgeantrag im Sinne de§ 71 AsylG – bezogen auf den unanfechtbaren Abschluss ihres ersten Asylverfahrens in den Jahren 2016/2017 -, sondern als Zweitantrag nach § 71a Abs. 1 AsylG zu behandeln, für den sich ausweislich des Gesetzeswortlauts zunächst die Zuständigkeitsfrage für die Beklage richtigerweise erneut stellte (vgl. auch: BVerwG, U.v. 14.12.2016 – 1 C 4.16 – ZAR 2017, 236).
Fr. hat sich zur Wiederaufnahme der Kläger auch bereit erklärt.
Auch die aktuelle Corona-Pandemie-Situation lässt eine Überstellung der Kläger nach Fr. nicht tatsächlich und rechtlich unmöglich erscheinen. Zwar war die Republik Fr. innerhalb der Europäischen Union mit am stärksten von der Corona-Pandemie betroffen und hatte nach offizieller Zählung immerhin 29.410 Todesfälle bei 194.153 gemeldeten Infiziertenfällen im direkten Zusammenhang mit dem SARS-CoV2- Virus zu verzeichnen (John-Hopkins-Universität, https:// … Stand: 15.06.2020). Zwischenzeitlich wurde das öffentliche Leben in Fr. jedoch wieder weitgehend normalisiert und sind insbesondere Grenzübertritte von D. nach Fr. ohne größere Besonderheiten möglich (vgl. Auswärtiges Amt, Reise- und Sicherheitshinweise zu Fr., abrufbar unter: https:// … Stand: 15.06.2020). Überdies ist die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung mit dem Corona-Virus in Fr. bei weitem nicht im Bereich eines „real risk“ bzw. einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit anzusiedeln. Die Ansteckungsgefahr unterscheidet sich allenfalls unwesentlich von der in D.. Auch in Fr. ist unter Zugrundelegung der Zahlen der John-Hopkins-Universität insgesamt nur ein geringer Bevölkerungsanteil Virusträger und damit potentiell ansteckend. Für eine Ansteckung besteht bei Einhaltung der in Fr. angeordneten Einschränkungen nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, jedenfalls eine kaum höhere Wahrscheinlichkeit als in D.. Im Übrigen ist auch im Falle einer Infizierung des Klägers zu 5. mit dem Virus die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs angesichts seines Alters und unter Zugrundelegung des Ergebnisses des ärztlichen Entlassungsberichtes des Klinikums … zu Art und Verlauf der mitgeteilten Erkrankung und der Besserung des Allgemein- und Gesundheitszustandes nicht besonders hoch, so dass die Gefahrenschwelle des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG („erhebliche konkrete Gefahr“) bei weitem nicht erreicht ist. Im Übrigen steht einem Abschiebungshindernis die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 5 AufenthG entgegen. Bei allgemeinen Gefahren kann ein Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG grundsätzlich nicht angenommen werden, sondern ist gegebenenfalls eine Aussetzung der obersten Landesbehörde nach § 60a Abs. 1 AufenthG notwendig. Ein Ausnahmefall im Sinne einer verfassungswidrigen Schutzlücke (vgl. BVerwG, U.v. 24.6.2008 – 10 C 43.07 – juris Rn. 32 m.w.N.) liegt nicht vor. Eine hohe Wahrscheinlichkeit bei Vorliegen einer extremen Gefahrenlage ist in Fr. – wie dargelegt – nicht gegeben.
Die Erklärung des Bundesamts im Schriftsatz vom 14. April 2020, dass derzeit keine Überstellungen durchgeführt werden bzw. nicht vertretbar erscheinen und die Vollziehung der Abschiebungsanordnung deshalb ausgesetzt werde, begründet selbst auch keine Unmöglichkeit der Abschiebung, da die Aussetzung jederzeit widerrufen bzw. beendet werden kann, was sich die Beklagte ja auch ausdrücklich vorbehalten hat. Für den vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob die behördliche Aussetzung der Vollziehung zu einer Verlängerung des vom Gericht zugrunde gelegten Prognosezeitraums von sechs Monaten, innerhalb derer die Überstellung nach Fr. voraussichtlich erfolgen wird (vgl. grundlegend dazu die Kammerrechtsprechung: VG Ansbach, B.v. 25.5.2020 – 17 S 20.50147 – BeckRS 2020, 11994 dort. Rn. 39 f.), führt, weil eine behördliche Aussetzung die Unterbrechung der Überstellungsfrist bewirken kann (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 8.1.2019 – 1 C 16/18 – juris) und es damit im Falle einer rechtmäßigen Aussetzung gerechtfertigt sein könnte, für die Prognose sogar den so verlängerten Überstellungszeitraum heranzuziehen. Im hier zu entscheidenden Fall ist die sechsmonatige Überstellungsfrist seit der Zustellung des Beschlusses des Gerichts im Verfahren AN 17 S 20.50045 bei weitem noch nicht abgelaufen, so dass es auf Fristunterbrechungen nicht ankommt. Die Überstellung der Kläger steht im Zeitpunkt nach § 77 Abs. 1 AsylG damit fest im Sinne von § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG.
Die Klage war im Ergebnis mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen, wobei Gerichtskosten nach § 83b AsylG nicht erhoben werden.


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