Familienrecht

Antrag auf Vollstreckbarerklärung, Antragsgegner, Begründung der Rechtsbeschwerde, Rechtsbeschwerdegrund, Brüssel IIa-VO, Vollstreckbarkeit, Außergerichtliche Auslagen, Rechtliches Gehör, Einstweilige Anordnung, Gerichtskosten, Beschwerdeverfahren, Elektronischer Rechtsverkehr, Internationales Zivilprozeßrecht, Elektronisches Dokument, Sorgerechtsentscheidungen, Beschwerdewert, Berichtigung Beschlüsse, Übereinstimmende Erledigungserklärung, Herausgabeverpflichtung, Verfahrenskosten

Aktenzeichen  12 UF 225/20

Datum:
16.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2021, 875
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

567 F 12365/19 — AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Nach übereinstimmender Erledigterklärung werden die Verfahrenskosten der  Beschwerdeinstanz dem Antragsteller auferlegt.
Die Gerichtskosten für das Verfahren in der ersten Instanz werden zur Hälfte nicht erhoben. Im übrigen trägt sie gemäß der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Amtsgerichts München vom 02.01.2020 die Antragsgegnerin 1).
Außergerichtliche Auslagen des Verfahrens erster Instanz werden nicht erstattet.
2. Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Vollstreckbarerklärung einer Sorgerechtsentscheidung des High Court of Justice – Familiengericht – in London/England vom 10.12.2019 (Az. FD19P00681) bezüglich einer Anordnung der Herausgabe des Kindes J. B., geb. …2018, an den rückgabeberechtigten Vater.
Während eines durch den Großvater ms., den Antragsgegner 2) /Beschwerdeführer, am Wochenende ab 30.11.2019 begleiteten Umganges der Kindsmutter (Antragsgegnerin 1)) mit dem Kind in London tauchte die Kindsmutter mit dem Kind mit in der Folge zunächst unbekanntem Aufenthalt unter. Nachdem bekannt geworden war, dass sowohl die Antragsgegnerin 1) mit dem Kind wie auch der Antragsgegner 2) England verlassen hatten, erließ der High Court of Justice in London mit Beschluss vom 10.12.2019 auf Antrag des Vaters gegenüber beiden Antragsgegnern die Anordnung, das Kind nach England zum rückgabeberechtigten Antragsteller zurückzuführen.
Auf Antrag des rückgabeberechtigten Antragstellers erklärte das Amtsgericht – Familiengericht – München mit Beschluss vom 02.01.2020 i.V.m. einem Berichtigungsbeschluss vom 10.01.2020 (Az. 567 F 12365/19) als nach Art. 28 Brüssel IIa-VO, § 12 IntFamRVG zuständiges Gericht die Herausgabeverpflichtung gegenüber beiden Antragsgegnern für vollstreckbar. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners 2).
Er machte mit der Beschwerde geltend, er habe mit der Entführung seines Enkels nichts zu tun gehabt. Er wisse auch nichts über den Verbleib seiner Tochter und des Enkels. Im Verfahren vor dem englischen Gericht sei er unter Verletzung seines Rechts auf rechtliches Gehör nicht angehört worden, weshalb die Vollstreckbarerklärung nicht hätte erfolgen dürfen.
Der Antragsteller behauptet dagegen, ohne dies jedoch unter Beweis stellen zu können, alle Indizien sprächen dafür, dass der Antragsgegner 2) in die Entführung seines Sohnes aus England involviert gewesen sei. Die vom englischen Gericht ausgestellte Bescheinigung ergebe, dass der zu vollstreckende Beschluss dem Antragsgegner zugestellt worden sei und er sei auch in das Verfahren einbezogen worden. Dies ergäbe sich aus im Jahr 2020 in England durchgeführten Gerichtsterminen, zu denen auch der Antragsgegner 2) neben weiteren vom englischen Gericht einbezogenen Verwandten des Antragsgegners 2) anwesend gewesen sei.
Im Beschwerdeverfahren legte der Antragsteller auf Aufforderung des Beschwerdesenats für den Antragsgegner 2) eine bis dahin nicht vorhandene Bescheinigung nach Art.39 Brüssel IIa-VO vor. Wegen Unklarheiten im Zusammenhang mit der Ausstellung der Bescheinigung sowie deren Inhalt holte der Senat über das Europäische Justizielle Netz eine Stellungnahme des zuständigen Richters am High Court of Justice in London ein, die beiden Beteiligten nebst Übersetzung übersandt wurde. Auf die Stellungnahme wird Bezug genommen.
Am 14.12.2020 wurde die Antragsgegnerin 1) mit dem betroffenen Kind in Leipzig aufgegriffen und das Kind wurde zum herausgabeberechtigten Vater nach England zurückgeführt. Die Beteiligten erklärten daraufhin übereinstimmend das Verfahren für erledigt und beantragten, dem jeweils anderen Beteiligten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
II.
Nach dieser übereinstimmenden Erledigungserklärung mit widersprechenden Kostenanträgen, ist vom Senat nach summarischer Prüfung nur noch über die Verfahrenskosten der ersten und zweiten Instanz eine Entscheidung zu treffen (Zöller/Feskorn, ZPO, 33.Aufl, 2020, § 84 FamFG, Rn.8, BGH vom 27.06.2019, V ZB 51/19).
Die Entscheidung über die Kosten ist gemäß §§ 20 Abs. 2 IntFamRVG, 81 Abs. 1 Satz 1, 83 Abs. 2 FamFG nach billigem Ermessen zu treffen. Dabei hat sich das Gericht auch am Erfolg eines Antrags/Rechtsmittels zu orientieren (Zöller/Feskorn, ZPO, 33.Auf. 2020, Rn.6 zu § 81 FamFG).
1. Die Verfahrenskosten des Beschwerdeverfahrens sind dem Antragsteller aufzuerlegen, weil der Antragsgegner 2) mit seiner Beschwerde ohne das erledigende Ereignis erfolgreich gewesen wäre.
1.1 Die Beschwerde des Antragsgegners 2) war gemäß Art. 33 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2203 (sog. Brüssel IIa-VO), §§ 24 Abs. 1 Satz 1, 1 Nr.1 Internationales Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG) statthaft und wurde auch in zulässiger Form, insbesondere fristgerecht eingelegt. Gemäß § 24 Abs. 3 Nr.1 IntFamRVG ist die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung der Ausgangsentscheidung beim Oberlandesgericht einzulegen. Der angefochtene Beschluss wurde dem Beschwerdeführer am 14.01.2020 zugestellt. Seine Beschwerde ist am 12.02.2020 – und somit rechtzeitig – beim Oberlandesgericht eingegangen.
1.2 Die Beschwerde wäre auch in der Sache erfolgreich gewesen. Das Amtsgericht hätte wegen Art. 31 Abs. 2, 23a und c Brüssel IIa-VO den Beschluss des High Court of Justice in London vom 10.12.2019 nicht für vollstreckbar erklären dürfen, sodass ohne die übereinstimmende Erledigterklärung der Beschluss des Erstgerichts auf die Beschwerde des Antragsgegners 2) hin hätte aufgehoben werden müssen.
Die Vollstreckbarerklärung richtet sich nicht nach Art. 40 Abs. 1 b, 42 Brüssel IIa-VO, weil die Herausgabeverpflichtung nicht auf Art.11 Abs. 8 Brüssel IIa-VO beruht, sondern nach Art. 28 ff Brüssel IIa-VO.
Gegenstand der Vollstreckbarerklärung war eine sorgerechtliche Entscheidung des englischen Gerichtes. Dabei kann es dahinstehen, ob es sich bei der Herausgabeanordnung um eine Hauptsacheentscheidung oder eine einstweilige Anordnung handelt. Auch einstweilige Anordnungen sind nach Art. 28 ff Brüssel IIa-VO für vollstreckbar zu erklären, wenn das Gericht eines EU-Mitgliedstaates seine Zuständigkeit auf Art. 8 ff Brüssel IIa-VO gestützt hat (Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2020, Rn.15.340 m.w.Nachw.). Dies war vorliegend ausdrücklich der Fall, wie sich aus Ziffer 7 des zu vollstreckenden englischen Beschlusses ergibt.
Nach Art. 31 Abs. 2 Brüssel IIa-VO darf ein Antrag auf Vollstreckbarerklärung einer sorgerechtlichen Entscheidung, für die eine Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO vorgelegt wurde, nur aus einem der in Art. 23 Brüssel IIa-VO aufgeführten Gründe abgelehnt werden.
Vorliegend widerspricht das Zustandekommen der zu vollstreckenden Entscheidung des englischen Gerichts der deutschen öffentlichen Ordnung, dem sog. „ordre public“ (Art. 23 lit.a Brüssel IIa-VO).
Art. 103 Abs. 1 der deutschen Verfassung (Grundgesetz) normiert als wesentliches Verfahrensgrundrecht den Anspruch auf rechtliches Gehör. Gegen dieses in Deutschland grundlegende Verfahrensrecht verstößt die englische Herausgabeentscheidung.
Bereits aus der zu vollstreckenden Entscheidung selbst (dort Ziffer 5) ergibt sich, dass die Entscheidung ohne Benachrichtigung der Beklagten (Antragsgegner) erlassen wurde. Der Beschwerdeführer konnte daher gar nicht entscheiden, ob er sich i.S.d. Art. 23 lit.c Brüssel IIa-VO zur Sache einlässt oder nicht. Er wurde ohne jegliches rechtliches Gehör und ohne jegliche Verteidigungsmöglichkeit mit der erlassenen Entscheidung konfrontiert. Dies bestätigt auch der zuständige Richter C2. vom High Court of Justice, der den zu vollstreckenden Beschluss erlassen hat, mit seiner persönlichen Stellungnahme vom 09.12.2020. Ausdrücklich erklärt er: „Der/die Beklagte war nicht persönlich in dem Verfahren vor dem High Court im Dezember 2019 beteiligt. Der/die Beklagte wurde nicht angehört und hat nicht interveniert. Das Urteil ist streng genommen nicht wegen Nichterscheinens ergangen, weil (wie sich der Richter erinnert) zu der Zeit der Anhörung dem/der Beklagten nicht das Verfahren zugestellt wurde und dieser/diese daher nichts von der Notwendigkeit seines/ihres Erscheinens wissen konnte.“
Die Vorschrift des Art. 23 lit.c Brüssel IIa-VO ist deswegen zwar nicht unmittelbar anwendbar, weil sie eine Säumnislage voraussetzt. In Zusammenschau mit Art. 23 lit.a Brüssel IIa-VO und dem Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG normiert die Vorschrift aber den Rechtsgedanken, dass gegen einen Abwesenden keine Entscheidung ergehen soll, wenn dieser vom Verfahren überhaupt keine Kenntnis hat. Die zu vollstreckende Entscheidung verstößt daher gegen den „ordre public“ der Bundesrepublik Deutschland und durfte vom Amtsgericht nicht für vollstreckbar erklärt werden.
2. 2.1 Die hälftigen Gerichtskosten des Verfahrens vor dem Amtsgericht werden gemäß §§ 20 Abs. 2 IntFamRVG, 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 20 Abs. 1 Satz 1 FamGKG nicht erhoben.
Bei richtiger Behandlung hätte das Amtsgericht die Vollstreckbarerklärung gegenüber dem Antragsgegner 2) bereits deswegen nicht aussprechen dürfen, weil zum Zeitpunkt seiner Entscheidung für den Antragsgegner 2) noch gar keine Bescheinigung nach Art. 39 Brüssel IIa-VO vorgelegt worden war. Es war daher billig, von der Erhebung der auf den Antragsgegner 2) entfallenden hälftigen Gerichtskosten abzusehen, da wegen der Rechtskraft der amtsgerichtlichen Entscheidung gegenüber der Antragsgegnerin 1) diese nur die hälftigen Gerichtskosten zu tragen hat, die sie bei richtiger Sachbehandlung ganz zu tragen gehabt hätte.
2.2 Außergerichtliche Auslagen sind dem Antragsgegner 2) im Verfahren vor dem Amtsgericht nicht entstanden, da die Entscheidung ohne seine Mitwirkung ergangen ist (Art. 31 Abs. 1 Brüssel IIa-VO). Da auch der Antragsteller die Kostenentscheidung nicht angegriffen hat, bleibt es dabei, dass außergerichtliche Auslagen der Beteiligten nicht erstattet werden.
3. Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40 Abs. 1 und 2, 45 Abs. 1 Nr.4 FamGKG.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben