Familienrecht

Antragsgegner, Kosten des Beschwerdeverfahrens, Beschwerdebegründung, Wesentlicher Verfahrensmangel, Elterliche Sorge, Verfahrenswert, Gewaltanwendung, Rechtsschutzbedürfnis, Entziehung des Sorgerechts, Video-Aufnahmen, Beweismittel, OLG Brandenburg, Familiengerichtliches Verfahren, Beschlüsse des Amtsgerichts, Aufhebung und Zurückverweisung, Beweisverwertungsverbot, Verletzung des Persönlichkeitsrechts, Bild- und Tonaufnahme, Amtsgerichte, Persönliche Anhörung

Aktenzeichen  26 UF 82/21

Datum:
30.3.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2021, 1716
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

551 F 9129/20 2020-12-15 Bes AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 15.12.2020 einschließlich des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Amtsgericht München zurückverwiesen.
2. Der Verfahrenswert wird für das Beschwerdeverfahren auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
Ergänzend wird Folgendes ausgeführt:
Das Amtsgericht München hat mit Beschluss vom 15.12.2020 der Antragstellerin die alleinige elterliche Sorge für alle drei Kinder übertragen, den Umgang des Antragsgegners mit den Kindern vorläufig bis zum 14.06.2021 ausgesetzt, dem Antragsgegner – befristet bis zum 14.06.2021 – untersagt, die Wohnung J.-Str. 10 in M. zu betreten, sich im Umkreis von 50 m von dieser Wohnung aufzuhalten und in irgendeiner Form Kontakt zu den Kindern aufzunehmen, sowie dem Antragsgegner bis zum 14.12.2021 untersagt, die Kinder ins Ausland zu verbringen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners, mit der er eine Aufhebung des Beschlusses begehrt.
Der Senat hat die Beteiligten mit Hinweisbeschluss von 23.02.2021 darauf hingewiesen, dass das Verfahren des Amtsgerichts erheblich mangelhaft war, und hat angefragt, ob ein Antrag auf Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht gestellt wird.
Einen solchen Antrag haben sowohl Antragstellerin als auch Antragsgegner gestellt. Der Verfahrensbeistand hat sich dem angeschlossen.
II.
Auf die Beschwerde des Antragsgegners war der Beschluss des Amtsgerichts München vom 15.12.2020 gemäß § 69 Abs. 1 Satz 3 FamFG aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Amtsgericht München zurückzuverweisen, da ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt und der Antragsgegner die Aufhebung und Zurückverweisung beantragt hat.
1. Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 15.12.2020 leidet bereits deshalb an einem erheblichen Verfahrensmangel, weil das Amtsgericht die Kinder nicht persönlich angehört hat. Die Anhörung eines Kindes unter 14 Jahren ist nach § 159 Abs. 2 FamFG dann erforderlich, wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind oder wenn eine persönliche Anhörung aus sonstigen Gründen angezeigt ist. Die Neigungen, Bindungen und der Kindeswille sind gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls, sodass in allen Verfahren betreffend das Sorgerecht und den Umgang regelmäßig eine Anhörung auch des unter 14 Jahre alten Kindes erforderlich ist, und zwar grundsätzlich bereits ab einem Alter von 3 Jahren (BGH FamRZ 2016, 1439).
Eine Anhörung der Kinder konnte nicht allein unter Berufung auf die Corona-Pandemie unterbleiben. Soweit räumliche Möglichkeiten bestehen, die betreffenden Kinder in größeren Räumen, notfalls im Sitzungssaal, anzuhören, und dadurch das Infektionsrisiko auf ein Minimum verringert wird, bietet die Corona-Pandemie keinen Anlass, auf eine Anhörung der Kinder zu verzichten (Dürbeck in: Staudinger/Dürbeck, BGB, Neubearbeitung 2019, Rn. 430.1 zu § 1684 BGB). Soweit teilweise angenommen wird, eine Anhörung von Kindern könne während der Corona-Pandemie unterbleiben, bezieht sich dies lediglich auf Kinder unter 6 Jahre (OLG Brandenburg NJ 2021, 27). Danach wären vorliegend aber zumindest die Kinder Alina und Luisa anzuhören gewesen.
2. Das Amtsgericht hat zudem nicht geprüft, ob hinsichtlich beider Elternteile eine Entziehung des Sorgerechts nach § 1666 BGB in Betracht kommt.
Der Antragsgegner hat bereits vor dem Amtsgericht angegeben, Anfang des Jahres 2020 in der gemeinsamen Ehewohnung ohne Wissen der Antragstellerin eine Videokamera installiert zu haben. Er hat vorgebracht, auf den Aufnahmen dieser Videokamera sei zu sehen, wie die Antragstellerin die Kinder immer wieder misshandelt habe. Im Termin zur mündlichen Erörterung vor dem Amtsgericht am 15.12.2020 hat der Antragsgegner behauptet, vom 25.01.2020 bis zum 12.05.2020 habe die Mutter gegen die Kinder 29 mal körperliche Gewalt und 51 mal psychische Gewalt angewandt. Am 25.01.2020 um 19:50 Uhr habe die Antragstellerin beispielsweise das Kind Luisa geschlagen. Dies sei auf den Videoaufnahmen zu sehen. Zwar hat der Antragsgegner erstmals in der Beschwerdebegründung detailliert mehrere Vorfälle benannt, in der es zu Gewaltanwendungen der Antragstellerin gegenüber den Kindern gekommen sein soll, die auch auf den Videoaufnahmen enthalten sein sollen. Die Frage der durch Videoaufzeichnungen belegten Gewaltanwendungen der Antragstellerin gegenüber den Kindern war aber bereits Gegenstand des amtsgerichtlichen Verfahrens.
Den vom Antragsgegner geäußerten Vorwürfen ist das Amtsgericht nicht nachgegangen. Insbesondere wurden offenbar die Videoaufnahmen nicht gesichtet. Dabei bestand eine Veranlassung, genau zu prüfen, ob die Videoaufnahmen zur Ermittlung, ob Anlass für Maßnahmen zum Kindesschutz besteht, zu verwerten sind. Träfen die Behauptungen des Antragsgegners zu, müsste anhand der Aufnahmen beurteilt werden, ob tatsächlich eine Gewaltanwendung der Antragstellerin gegen die Kinder stattgefunden hat und welches Ausmaß sowie welche Intensität diese Gewaltanwendungen aufweisen. Es wäre dann zu erwägen, gegen die Antragstellerin ein Verfahren nach § 1666 BGB einzuleiten. Ein solches Verfahren müsste in diesem Fall aber auch gegen den Antragsgegner in Gang gesetzt werden, da er in Kenntnis der Gewaltanwendungen nichts unternommen hat, um die Kinder nachhaltig vor weiterer Gewalt zu bewahren.
Das Amtsgericht wird die Verwertbarkeit der Videoaufnahmen zu prüfen haben. Zwar hat der Antragsgegner schwerwiegend in das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin eingegriffen, indem er ohne ihr Wissen in der Ehewohnung eine Videokamera installiert und über mehrere Monate Aufzeichnungen von ihr gemacht hat. Ein solches Verhalten wäre gegebenenfalls auch nach § 201a StGB strafbar. Allerdings wäre damit noch nicht zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot verbunden. Vielmehr ist bei unrechtmäßig erstellten Bild- und Tonaufnahmen eine Abwägung zwischen den Interessen, die durch die Bild- und Tonaufnahmen geschützt werden sollen, und der Verletzung des Persönlichkeitsrechts vorzunehmen (BGH NJW 1995, 1955; BGH, Urteil vom 18.02.2003, XI ZR 165/02; OLG Köln NJW 2005, 2997). Auch wenn grundsätzlich das Verbot heimlicher Videoaufnahmen, noch dazu in der Wohnung der heimlich gefilmten Person, im familiengerichtlichen Verfahren zu beachten ist und grundsätzlich das Familiengericht daran hindert, ohne Einwilligung aufgenommene Videoaufnahmen als Beweismittel zu verwerten, so ist doch zu berücksichtigen, dass der Schutz nicht schrankenlos ist. Tritt der Schutz vor heimlichen Aufnahmen in Konflikt zu den ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Rechten der Kinder auf körperliche und seelische Unversehrtheit, zu deren Schutz die Videoaufnahmen dienen sollen, kann sich das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Bild nicht über die schutzwürdigen Belange der Kinder schlechthin hinwegsetzen. Deshalb kann eine ohne Zustimmung gefertigte Aufzeichnung und ihre Verwertung zur Wahrheitsfindung zulässig sein, wenn unter den besonderen Umständen des konkreten Falls bei Abwägung der widerstreitenden Interessen sowie mit Rücksicht auf die generelle Bedeutung der betroffenen Schutzgüter die Rechtsverwirklichung, der ein Beweismittel dienen soll, Vorrang vor dem Schutz vor heimlichen Filmaufnahmen haben muss (OLG Brandenburg vom 05.08.2020, Az. 15 UF 126/20). Vorliegend steht der Schutz des Persönlichkeitsrechts der Antragstellerin (Art. 2 Abs. 1 GG) insbesondere dem Anspruch der Kinder auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) und gewaltfreie Erziehung (§ 1631 Abs. 2 BGB) gegenüber.
Der Senat ist nach seiner Auffassung nicht befugt, im Beschwerdeverfahren die Voraussetzungen des § 1666 BGB hinsichtlich beider Elternteile zu prüfen. Gegenstand 26 UF 82/21 – Seite 5 – der ersten Instanz war es nicht, der Antragstellerin das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen; dies war vielmehr nur im Rahmen des § 1671 BGB hinsichtlich des Antragsgegners der Fall. Daher liegt zur Frage einer Entziehung des Sorgerechts bezüglich der Antragstellerin keine erstinstanzliche Entscheidung vor, über die der Senat als Beschwerdegericht zur Entscheidung berufen wäre. Ein solches Verfahren müsste daher erstinstanzlich vom Amtsgericht geführt werden. Dieses wäre für das vorliegende Verfahren vorgreiflich. Auch wenn möglicherweise aufgrund des Urteils des Amtsgerichts in Struga (Nordmazedonien) vom 15.01.2021 – ausweislich des Urteils seit 21.01.2021 rechtskräftig -, das vom Antragsteller mit seiner Beschwerdebegründung vorgelegt wurde und das neben der Scheidung auch den Ausspruch enthält, dass die minderjährigen Kinder der beteiligten Elternteile in Gewahrsam, Erziehung und Unterstützung der Antragstellerin anvertraut werden, kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für eine Entscheidung nach § 1671 BGB besteht, ändert dies nichts daran, dass das vorliegende Beschwerdeverfahren von einer Entscheidung nach § 1666 BGB abhängt. Denn nach § 1671 Abs. 4 BGB ist einem Antrag nach § 1671 Abs. 1 oder Abs. 2
BGB nicht stattzugeben, soweit die elterliche Sorge aufgrund anderer Vorschriften – vor allem aufgrund § 1666 BGB – abweichend geregelt werden muss.
Für die Entscheidungen zur Grenzsperre und zum Umgangsausschluss ist ebenfalls von Bedeutung, ob eine Entziehung des Sorgerechts nach § 1666 BGB gegenüber einem Elternteil oder beiden Elternteilen zu erfolgen hat.
III.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren stützt sich auf § 45 Abs. 1  Nr. 1 FamGKG.


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