Familienrecht

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Aktenzeichen  16 T 13843/21

Datum:
2.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 49996
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

1516 M 11540/20 2020-12-08 AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Die Beschwerdeführerin ist das Rechtsmittel der Beschwerde verlustig.
2. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben.

Gründe

I.
Mit Beschluss des Amtsgerichts vom 08.12.2020 erging auf Antrag des Gläubigers gegen die Schuldnerin gemäß § 802 g ZPO Haftbefehl wegen Nichtabgabe der Vermögensauskunft. Gemäß Verfügung vom 08.12.2020 wurden am 10.12.2020 Ausfertigung bzw. Abschrift des Haftbefehls an den Gerichtsvollzieher, auch zur Übergabe an den Schuldner, hinausgegeben.
Nachdem die Schuldnerin unter anderem in das dem Haftbefehl zugrunde liegende Eintragungsverfahren Akteneinsicht genommen hatte erklärte sie mit Schreiben vom 06.09.2021, sie rege an das anhängige Erinnerungsverfahren um weitere Erinnerungsgründe zu erweitern oder ein neues Erinnerungsverfahren zu eröffnen. Dies sei dadurch begründet, dass Haftbefehl ergangen sei, welcher aufzuheben wäre. Da der Haftbefehl noch nicht zugestellt sei, scheide die sofortige Beschwerde aus und bleibe der Erinnerungsführerin nur der Weg über die Erinnerung nach § 766 ZPO.
Das Amtsgericht legte dieses Schreiben als sofortige Beschwerde gegen den Haftbefehl aus, half ihr mit Beschluss vom 12.10.2021 nicht ab und legte sie dem Landgericht zur Entscheidung vor. Mit Schreiben vom 18.10.2021 erklärte die Schuldnerin, sie habe keine sofortige Beschwerde eingelegt. Es sei lediglich Erinnerung eingelegt gewesen, dies wäre auch so beabsichtigt gewesen. Das Gericht hätte darauf hinweisen müssen, wenn es die Erinnerung als sofortige Beschwerde hätte auslegen wollen.
Mit Verfügung vom 21.10.2021 wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerde bereits dann zulässig ist, wenn der Haftbefehl mit Ausgabe aus dem Geschäftsbetrieb des Gerichts existent wird.
Nach nochmaliger Akteneinsicht nahm die Schuldnerin dahingehend Stellung, dass die Erinnerung vom 06.09.2021 nicht als sofortige Beschwerde hätte ausgelegt werden sollen und nicht als solche gewollt gewesen wäre.
II.
Die Auslegung des Schreibens vom 30.11.2021 ergibt, dass die Schuldnerin ihre sofortige Beschwerde vom 06.09.2021 zurücknimmt. Daraus folgt die deklaratorische Verlustigerklärung in entsprechender Anwendung von § 516 Abs. 3 ZPO.
Mit Verfügung vom 21.10.2021 war die Schuldnerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und die einschlägige Kommentarliteratur darauf hingewiesen worden, dass die Beschwerde der statthafte Rechtsbehelf gegen den Haftbefehl vom 08.12.2020, gegen welchen sie sich mit ihrem Rechtsmittel wendet, ist (BGH MDR 2019, 1340 = juris Tz 16; Seibel in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 802 g ZPO, Rn. 15). Die Auslegung des Rechtsmittels vom 06.09.2021 hatte nach dem wohlverstandenen Interesse der Rechtsmittelführerin zu erfolgen. Es gilt der allgemeine Auslegungsgrundsatz für Verfahrenserklärungen, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (MüKoZPO/Hamdorf, 6. Aufl. 2020, ZPO § 569 Rn. 12). Nachdem die Erinnerung nicht statthaft gewesen wäre, das erklärte Rechtsschutzziel aber darin bestand, die Aufhebung des Haftbefehls zu erreichen, konnte dieses Ziel nur mit dem einzig statthaften Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde verfolgt werden. Da es sich bei der Beschwerdeeinlegung auch um eine fristgebundene Prozesshandlung handelt, ist maßgeblich, was im Zeitpunkt der Einlegung durch Auslegung nach den genannten Maßstäben ermittelt werden kann. Die nachträgliche Bestimmung einer Prozesshandlung durch einfache Erklärung ist aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit unmöglich. Daher können die späteren Schreiben der Schuldnerin der ursprünglichen Erklärung auch nicht ihre Bedeutung nehmen. Veranlasst sein können zwar Rückfragen des Gerichts gemäß § 139 ZPO; so kann etwa eine Beschwerdevorlage zurückgestellt oder eine Entscheidung über eine Erinnerung im Falle des später geäußerten gegenläufigen Willens unterbleiben. Zunächst ist aber das eingelegte Rechtsmittel existent.
Nachdem die Schuldnerin aber Kenntnis von der Auslegung ihres Rechtsmittels erhalten hatte, äußerte sie mehrmals, auch nach dem gegebenen Hinweis des Beschwerdegerichts, sie habe keine Beschwerde eingelegt, sie wünsche demnach keine Entscheidung über die sofortige Beschwerde. Auch diese Erklärung ist der Auslegung zugänglich. Nachdem das zunächst eingelegte Rechtsmittel zwar nicht durch eine umdeutende Erklärung des Rechtsmittelführers aus der Welt geschafft werden kann, ist es aber nunmehr erklärtes und erkennbares Ziel der Schuldnerin, ein Beschwerdeverfahren gänzlich zu vermeiden. Dieses Ziel ist alleine mit der Rücknahme der Beschwerde erreichbar. Auch die Rücknahme eines Rechtsmittels muss nicht als solche bezeichnet, sondern bloß als solche erkennbar sein (MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl. 2020, ZPO § 516 Rn. 8). Anlass für weitere Rückfragen ergab sich nicht mehr, da diesbezüglich bereits im Beschwerdeverfahren ein Hinweis erteilt worden war.
Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren war nach den oben skizzierten Umständen in Anwendung von § 21 GKG abzusehen. Jedenfalls nachdem das Rechtsmittel vom 06.09.2021 die Frage des zulässigen Rechtsmittels diskutiert hatte und um einen Hinweis gebeten worden war, bestand Veranlassung für das Erstgericht, vor der Vorlage auf die Auslegung des Rechtsmittels hinzuweisen, § 139 ZPO. Es kann davon ausgegangen werden, dass die Schuldnerin dann bereits vor dem Erstgericht die Rücknahme erklärt hätte, so dass die Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren nicht angefallen wären. Nachdem ein Tätigwerden der Gegenseite im Beschwerdeverfahren nicht erfolgte konnte von einer Kostenentscheidung insgesamt abgesehen werden.


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