Familienrecht

Beschwerde, Wiedereinsetzung, Frist, Rechtsmittel, Verfahren, FamFG, Verweisungsbeschluss, Eltern, Anspruch, Mutter, Kostenentscheidung, Hinweis, Festsetzung, Kenntnis, von Amts wegen, Beschwerde gegen Beschluss, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Aktenzeichen  7 UF 1091/21

Datum:
15.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 44293
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
IntFamRVG § 40 Abs. 2 S. 2
FamFG § 17

 

Leitsatz

Zur Wiedereinsetzung von Amts wegen bei unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrungeines anwaltlich vertretenen Beteiligten in einem HKÜ-Verfahren.

Verfahrensgang

103 F 3113/21 2021-11-03 Bes AGNUERNBERG AG Nürnberg

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Nürnberg vom 03.11.2021 wird als unzulässig verworfen.
II. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des gemeinschaftlichen Kindes B… R…, geboren am … Die elterliche Sorge wurde dem Vater durch Entscheidung des Amtsgerichts Kosice II vom 29.10.2012 übertragen. B… lebte einige Zeit bei seinen Großeltern väterlicherseits in Deutschland, zuletzt beim Vater in der Slowakei. Dort ging er auch zur Schule.
Das – nach einem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Cham vom 23.09.2021 unter Verweis auf die Vorschriften des IntFamRVG zuständige – Amtsgericht Nürnberg hat die Mutter nach persönlicher Anhörung des Kindes, der Verfahrensbeiständin sowie beider Eltern mit Beschluss vom 03.11.2021 auf Grundlage des Haager Übereinkommens vom 25. Oktober 1980 über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (Haager Kindesentführungsübereinkommen, nachfolgend HKÜ) zur sofortigen Rückführung des gemeinsamen Kindes in die slowakische Republik verpflichtet. In der Rechtsbehelfsbelehrung heißt es: „Gegen diesen Beschluss findet das Rechtsmittel der Beschwerde statt. Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen bei dem Amtsgericht Nürnberg […] einzulegen. […] Die Beschwerde soll begründet werden. […]“
Gegen diesen ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 04.11.2021 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer am 18.11.2021 beim Amtsgericht Nürnberg eingegangenen Beschwerde. Eine Beschwerdebegründung kündigt sie in diesem Schriftsatz „bis zum 18.12.2021“ an.
Mit Verfügung vom 23.11.2021 hat der Senat Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit der Beschwerde mitgeteilt, da die Beschwerde entgegen der Vorschrift des § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG nicht innerhalb der zwei-Wochen-Frist begründet worden sei. Der Mutter wurde Gelegenheit eingeräumt, bis zum 03.12.2021 zu diesem Hinweis Stellung zu nehmen.
Mit Schriftsatz vom 02.12.2021 hat die Mutter ihre Beschwerde begründet, ohne auf den Hinweis des Senats einzugehen. Sie meint, dass das Wohl ihres Kindes gefährdet sei, und beantragt die Erholung eines Sachverständigengutachtens. Sie habe ihr Kind nicht entführt.
II.
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 03.11.2021 ist als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss im Verfahren nach dem HKÜ richtet sich nach § 40 Abs. 2 des Internationalen Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG). Gemäß § 40 Abs. 2 S. 2 IntFamRVG ist die Beschwerde innerhalb von zwei Wochen einzulegen und zu begründen. Die Frist für Einlegung und Begründung der Beschwerde gegen den am 04.11.2021 zugestellten Beschluss endete gemäß § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V.m. §§ 16 Abs. 2 FamFG, 222 ZPO, 187, 188 BGB mit Ablauf des 18.11.2021. An diesem Tag ging beim Amtsgericht Nürnberg zwar die Einlegung der Beschwerde ein, jedoch nicht die Begründung.
Bei der fristgerechten Begründung der Beschwerde gegen eine Entscheidung im Verfahren nach dem HKÜ handelt es sich um eine Zulässigkeitsvoraussetzung (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, FamRZ 2021, 1220; Heiderhoff in: Bork/Jacoby/Schwab, FamFG, 3. A., § 40 IntFamRVG, Rn. 3). Eine Verlängerung der Frist durch das Beschwerdegericht gem. § 65 Abs. 2 FamFG kommt nicht in Betracht, da diese Vorschrift gem. § 40 Abs. 2 S.1 IntFamRVG ausgeschlossen wird.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand der Beschwerdebegründungsfrist kommt nicht in Betracht.
a) Zwar ist eine solche auch ohne (ausdrücklichen) Antrag zu bewilligen, wenn die versäumte Handlung innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden ist und sämtliche den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen aktenkundig oder offenkundig sind, § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V.m. § 18 Abs. 3 S. 3 FamFG. Denn durch die Nachholung der versäumten Handlung wird vermutet, dass die Wiedereinsetzung dem Willen des Beteiligten entspricht (vgl. Burschel, in: BeckOK FamFG, 40. Ed., § 18 FamFG Rn. 17). Wird jemand ohne Verschulden gehindert, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist ihm nach § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V.m. § 17 Abs. 1 FamFG Wiedereinsetzung zu gewähren; nach § 17 Abs. 2 FamFG wird ein Fehlen des Verschuldens vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrungunterblieben oder – wie hier – fehlerhaft ist.
b) Denn die Rechtsbehelfsbelehrungdes Amtsgerichts zum Beschluss vom 03.11.2021 stellt die Vorgaben des § 40 Abs. 2 IntFamRVG nicht vollständig dar; zwar wird die zutreffende Frist genannt, nicht jedoch das Begründungserfordernis binnen gleicher Frist.
c) Eine Wiedereinsetzung wegen unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrungsoll jedoch dann ausgeschlossen sein, wenn der Beteiligte keiner Unterstützung durch eine Rechtsmittelbelehrungbedarf, namentlich bei anwaltlicher Vertretung; dies führt anderer Ansicht nach zu einer weitgehenden Entwertung der Rechtsbehelfsbelehrung(vgl. Darstellung bei Geimer, in: Zöller, ZPO, 33. A. § 17 FamFG Rn. 3).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs setzt eine Wiedereinsetzung eine Kausalität zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung voraus. An einer solchen mangelt es hier.
Die Antragsgegnerin ist bereits in erster Instanz anwaltlich vertreten gewesen. Es gehört zu den Pflichten eines mit der Vertretung im erstinstanzlichen Verfahren beauftragten Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt einer im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidung zu informieren und zutreffend über die formellen Voraussetzungen des gegebenen Rechtsmittels zu belehren; erst danach endet sein Auftrag. Die Einführung der obligatorischen Rechtsbehelfsbelehrungin Verfahren nach dem FamFG hat daran nichts Grundsätzliches geändert, denn es gehört zu den allgemeinen Pflichten des Rechtsanwalts, Fehlleistungen des Gerichts zu erkennen und ihnen entgegenzuwirken. Auch wenn das Gericht des ersten Rechtszugs entgegen seiner gesetzlichen Verpflichtung überhaupt keine oder nur eine unvollständige Rechtsbehelfsbelehrungerteilt, wird es bei einem anwaltlich vertretenen Beteiligten deshalb in der Regel am ursächlichen Zusammenhang zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung fehlen, weil ein anwaltlich vertretener Beteiligter für die zutreffende Information über seine Rechtsmittelmöglichkeiten keiner Unterstützung durch eine Rechtsbehelfsbelehrungbedarf (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1025, Rn 8).
Zwar darf auch ein Rechtsanwalt grundsätzlich auf die Richtigkeit einer durch das Gericht erteilten Rechtsbehelfsbelehrungvertrauen. Gleichwohl muss von einem Rechtsanwalt erwartet werden, dass er die Grundzüge des Verfahrensrechts und das Rechtsmittelsystem in der jeweiligen Verfahrensart kennt. Das Vertrauen in die Richtigkeit einer Rechtsbehelfsbelehrungkann er deshalb nicht uneingeschränkt, sondern nur in solchen Fällen in Anspruch nehmen, in denen die inhaltlich fehlerhafte Rechtsbehelfsbelehrungzu einem unvermeidbaren, zumindest aber zu einem nachvollziehbaren und daher verständlichen Rechtsirrtum des Rechtsanwalts geführt hat. Auch in den Fällen einer inhaltlich unrichtigen Rechtsmittelbelehrungkann es daher an der Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung fehlen, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrungoffenkundig falsch gewesen ist und deshalb – ausgehend von dem bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand – nicht einmal den Anschein der Richtigkeit zu erwecken vermochte (vgl. BGH NJW-RR 2012, 1025, Rn 9).
Gemessen an diesen Maßstäben erscheint die vom Amtsgericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrungkaum geeignet, bei einem mit dem Sachgebiet des Familienrechts vertrauten Rechtsanwalt einen nachvollziehbaren oder gar unvermeidbaren Rechtsirrtum über die Anforderungen an Form und Frist einer Beschwerdeeinlegung, hier Erforderlichkeit und Frist hinsichtlich der Begründung, hervorzurufen. Denn ihm hätte sich aufdrängen müssen, dass die Rechtsbehelfsbelehrungeine ungewöhnlich kurze Frist enthält, die zu den regelmäßigen Anforderungen an eine Beschwerde gegen eine Endentscheidung in Familiensachen nach §§ 58 ff. FamFG nicht passt. Die regelmäßige Frist zur Einlegung der Beschwerde beträgt einen Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG). Kürzer ist sie nach § 63 Abs. 2 FamFG nur, wenn sich die Beschwerde gegen Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung, oder, gegen Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung eines Rechtsgeschäfts richtet. Beide Ausnahmen treffen auf die hier inmitten stehende Entscheidung nicht zu. Dennoch war laut Rechtsbehelfsbelehrungdie Beschwerde binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen. Dies hätte einem mit dem Sachgebiet des Familienrechts vertrauten Rechtsanwalt stutzig machen und zu einer Überprüfung der dargestellten Beschwerdefrist wie auch der sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen veranlassen müssen.
Zwar mag das Wissen um die Möglichkeit und die Voraussetzungen einer Beschwerde in einem Verfahren nach dem HKÜ nicht zu den Grundkenntnissen des familiengerichtlichen Verfahrens gehören. Ein auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts tätiger Rechtsanwalt, dem sich bereits mit Kenntnis des antragstellenden Antrags aufgrund der dort zitierten Vorschriften aus dem HKÜ und dem IntFamRVG aufdrängen musste, dass hier ein Verfahren nach dem HKÜ unter Zugrundelegung der Verfahrensvorschriften des IntFamRVG angestrengt wurde und dem die Geltung dieser Verfahrensvorschriften jedenfalls aus dem Hinweis des zunächst angerufenen Amtsgerichts Cham nicht verborgen geblieben ist, musste sich daher auch ohne vertiefte Sachprüfung die evidente Unrichtigkeit der vom Amtsgericht Nürnberg erteilten Rechtsbehelfsbelehrungaufdrängen, soweit diese eine Frist von zwei Wochen, nicht aber einen Hinweis auf das Erfordernis einer fristgemäßen Begründung enthielt.
d) Dass die Antragsgegnerin von ihrem erstinstanzlichen Bevollmächtigten die gebotene Information über die formellen Voraussetzungen für die Einlegung der Beschwerde im Verfahren nach dem HKÜ und den damit verbundenen Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsbehelfsbelehrungerhalten hat, macht sie schon nicht geltend.
3. Der Senat hat von der Durchführung eines Anhörungstermins abgesehen, da von einer weiteren Anhörung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind (§ 68 Abs. 3 S. 2 FamFG).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V.m. §§ 81, 84 FamFG; die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 14 Nr. 2 IntFamRVG i.V.m. § 42 Abs. 3 FamGKG.
Nach § 40 Abs. 2 S. 4 IntFamRVG findet eine Rechtsbeschwerde nicht statt.


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