Familienrecht

Erstattungsansprüche eines Sozialleistungsträgers auf Kindergeld

Aktenzeichen  5 K 834/18

Datum:
1.3.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Finanzgericht des Landes Sachsen-Anhalt 5. Senat
Dokumenttyp:
Urteil
Normen:
§ 37 Abs 2 S 1 AO
§ 74 Abs 2 EStG 2009
§ 107 SGB 10
§ 102 SGB 10
§§ 102ff SGB 10
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Spruchkörper:
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Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Rückzahlung von Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2017 bis September 2017 und von Dezember 2017 bis März 2018.

Die Klägerin ist Mutter des am (…) geborenen Kindes B, des am (…) geborenen Kindes C und des am (…) geborenen Kindes D.

Die Klägerin beantragte im Dezember 2017 Kindergeld für ihre beiden Söhne C und D. Dabei gab sie an, dass sie bislang – nämlich bis August 2017 – Kindergeld in Rumänien bezogen habe. Ihre Söhne lebten seit dem 15. September 2017 in X.

Mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 meldete das Jobcenter bei der Familienkasse Erstattungsansprüche gemäß den §§ 102 ff. des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches an. Dazu teilte das Jobcenter mit, dass die Klägerin mit den mit ihr in der Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen, nämlich D und B seit dem 01. Dezember 2017 Leistungen beziehe. Die Höhe der Leistungen wurde nicht angegeben, allerdings darauf hingewiesen, dass die Auszahlung der Leistungen für den Folgemonat jeweils zum 20. des laufenden Monates erfolgen.

Mit Bescheid vom 15. März 2018 setzte die Familienkasse Kindergeld für beide Söhne der Klägerin – C und D – ab Oktober 2017 fest, brachte das Kindergeld aber mit Rücksicht auf das Erstattungsverlangen des Jobcenters in Bezug auf den Festsetzungszeitraum bis einschließlich April 2018 zunächst nicht zur Auszahlung.

Mit einem zweiten Schreiben vom 15. März 2018 teilte die Familienkasse dem Jobcenter mit, dass der Klägerin für ihre beiden Söhne C und D ab Oktober 2017 Kindergeld in Höhe von insgesamt 384,00 Euro monatlich und ab Januar 2018 in Höhe von insgesamt 388,00 Euro monatlich zustehe. Für das am 08. Juli 2003 geborene Kind B sei kein Antrag gestellt worden. Bis April 2018 errechne sich hieraus ein Gesamtbetrag in Höhe von 2.704,00 Euro. Die Familienkasse verband diese Mitteilung mit der Aufforderung, den Erstattungsanspruch nunmehr hinsichtlich Zahlungszeitraum und Betrag zu konkretisieren und auch die Personen anzugeben, für die eine Erstattung beantragt werde.

Mit Schreiben vom 23. März 2018 konkretisierte das Jobcenter unter Bezugnahme auf die Anspruchsanmeldung vom 14. Dezember 2017 seinen Erstattungsanspruch dahingehend, dass Erstattung gemäß § 102 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches verlangt werde für A und die mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Die mit A in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen wurden in dem Schreiben nicht namentlich benannt. Der Erstattungsanspruch wurde in folgender Höhe angemeldet:
Zeitraum
Erstattung
Bisheriger Leistungsanspruch
01.12.2017 – 31.12.2017
354,00 Euro
876,66 Euro
01.01.2018 – 31.01.2018
358,00 Euro
894,66 Euro
01.02.2018 – 28.02.2018
358,00 Euro
894,66 Euro
01.03.2018 – 31.03.2018
358,00 Euro
894,66 Euro
01.04.2018 – 30.04.2018
   358,00 Euro
894,66 Euro
1.786,00 Euro

Mit Schreiben vom 12. April 2018 teilte die Familienkasse der Klägerin mit, dass sie für den Zeitraum von Dezember 2017 bis April 2018 einen Kindergeldanspruch in Höhe von 384,00 Euro monatlich habe. Das Jobcenter sei durch die Erbringung von Sozialleistungen ohne Anrechnung von Kindergeld in Höhe von 1.786,00 Euro in Vorleistung getreten und der Kindergeldanspruch deshalb gemäß § 107 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches insoweit erfüllt.

Mit Bescheid vom 13. April 2018 forderte die Familienkasse von der Klägerin unter Hinweis auf § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung in Verbindung mit § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung die Erstattung von 3.468,00 Euro. Zur Begründung führte sie unter Hinweis auf ihren Bescheid vom 15. März 2018 aus, dass der Klägerin die erfolgte Zahlung von Kindergeld für den Zeitraum von Mai 2017 bis September 2017 und für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 nicht zugestanden habe. Die Kindergeldzahlung der Familienkasse sei ohne Rechtsgrund erfolgt und deshalb zu erstatten.

Auf den Einspruch der Klägerin, dass die Rückforderung nicht nachvollziehbar sei, erläuterte die Familienkasse mit Schreiben vom 06. Juli 2018, dass das Kindergeld für Mai 2017 bis September 2017 – insgesamt 1.920,00 Euro – zur Auszahlung gebracht worden sei, obwohl eine Festsetzung für diesen Zeitraum gar nicht vorliege. Kindergeld sei mit Bescheid vom 15. März 2018 „nur“ für den Zeitraum ab Oktober 2017 festgesetzt worden, weil die Kinder nach Angaben der Klägerin erst seit September 2017 in Deutschland lebten. Für den Zeitraum von Dezember 2017 bis April 2018 habe das Jobcenter nach § 104 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches einen Erstattungsanspruch geltend gemacht wegen des ihr – der Klägerin – gezahlten Arbeitslosengeldes. Dieser Erstattungsanspruch belaufe sich für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 auf insgesamt 1.548,00 Euro für die beiden Kinder der Klägerin.

Mit Einspruchsentscheidung vom 01. August 2018 wies die Familienkasse den Einspruch in Bezug auf den „Festsetzungszeitraum von Dezember 2017 bis April 2018“ und den Erstattungsbetrag in Höhe von 3.468,00 Euro als unbegründet zurück. Zur Begründung führte die Familienkasse aus, dass ein Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 103, 104, 107 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches des Sozialleistungsträgers gegeben sei, und verwies ergänzend auf das Schreiben vom 06. Juli 2018.

Die Klägerin hat am 03. September 2018 Klage erhoben.

Sie macht geltend, die Rückforderung erfolge ohne Rechtsgrundlage, denn eine ggf. gerechtfertigte Rückforderung hätte allenfalls das Jobcenter verfügen dürfen. Zudem sei die Berechnung der Rückforderung fehlerhaft, denn für den Zeitraum von Dezember 2017 bis April 2018 sei Kindergeld lediglich in Höhe von 1.940,00 Euro ausgezahlt worden, d.h. mehr könne nicht zurückgefordert werden.

Nach Klageerhebung änderte die Familienkasse die angefochtene Entscheidung mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 dahingehend, dass sich die Rückforderung für den Zeitraum von Mai 2017 bis September 2017 auf 1.920,00 Euro belaufe und für den Zeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 auf weitere 1.428,00 Euro, insgesamt mithin 3.348,00 Euro.

Die Klägerin beantragt,den Bescheid der Familienkasse vom 13. April 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01. August 2018 und des Änderungsbescheides vom 25. Oktober 2018 aufzuheben, soweit von der Klägerin mehr als 2.634,00 Euro zurückgefordert werden.

Die Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Die Familienkasse hält die Klage für unbegründet. Zu dem für die Monate Mai 2017 bis September 2017 ausgezahlten Kindergeld in Höhe von 1.920,00 Euro sei eine entsprechende Festsetzung nicht erfolgt, so dass die Auszahlung rechtsgrundlos erfolgt sei im Sinne von § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung. Für den Zeitraum Dezember 2017 bis März 2018 sei der Kindergeldanspruch nach § 107 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch erfüllt.

Die Beigeladene1Hinweis des Dokumentars: das JobcenterHinweis des Dokumentars: das Jobcenter hat sich nicht geäußert.

Die Familienkasse legte im Rahmen des den gleichen Streitgegenstand betreffenden Verfahrens gleichen Rubrums des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes, das unter dem gerichtlichen Aktenzeichen 5 V 880/18 geführt wurde, mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 eine am gleichen Tage erstellte Zahlungsübersicht vor, aus der sich folgende Zahlungen der Familienkasse ergeben:

Zahltag
Empfänger
Zeitraum
Kinder
MB/NZ/KiZ
Gesamtbetrag
31.10.2018
Jobcenter
12/2017 – 04/2018
1.786,00 Euro
1.786,00 Euro
31.10.2018
A
04/2018 – 04/2018
30,00 Euro
18.10.2018
A
10/2018 – 10/2018
2
388,00 Euro
19.09.2018
A
09/2018 – 09/2018
2
388,00 Euro
16.08.2018
A
08/2018 – 08/2018
2
388,00 Euro
16.07.2018
A
07/2018 – 07/2018
2
388,00 Euro
19.06.2018
A
06/2018 – 06/2018
2
388,00 Euro
18.05.2018
A
05/2018 – 05/2018
2
388,00 Euro
13.04.2018
A
05/2017 – 03/2018
2
4.236,00 Euro
13.04.2018
A
12/2017 – 04/2018
1.786,00 Euro
1.786,00 Euro

Weiterhin legt die Familienkasse eine Zweitschrift des an die Klägerin adressierten Bescheides der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017 vor, mit dem der Klägerin für den Zeitraum vom 01. Dezember 2017 bis zum 31. Mai 2018 Leistungen zur Lebensunterhalts bewilligt wurden. Dem Bescheid ist zu entnehmen, dass die Klägerin zusammen mit ihren Söhnen C und D sowie mit E dem Kindesvater, als Bedarfsgemeinschaft angesehen wurden. Außerdem ist aus dem Bewilligungsbescheid zu ersehen, dass bei der Berechnung der Leistungen weder für C und D noch für die anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ein eigenes Einkommen in Gestalt von Kindergeld in Ansatz gebracht wurde.

In der am 01. März 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärten die Beteiligten übereinstimmend, dass sich der Rechtsstreit hinsichtlich des Teilbetrages in Höhe von 120,00 Euro in der Hauptsache erledigt hat, der Gegenstand der Abhilfeentscheidung der Beklagten (Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2018) ist.

Weiterhin hat die Klägerin in der am 01. März 2022 durchgeführten mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie die Klage nicht mehr aufrecht erhalte, soweit Streitgegenstand die Rückforderung des für die Monate Mai 2017 bis September 2017 ausgezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 1.920,00 Euro ist.

Dem Senat hat bei der Entscheidung ein Band Verwaltungsakten der Beklagten einschließlich der Einspruchsheftung vorgelegen.

Entscheidungsgründe

I. Soweit ein Teilbetrag in Höhe von 120,00 Euro Streitgegenstand war, von dessen Rückforderung die Beklagte durch Erlass des Änderungsbescheides vom 25. Oktober 2018 Abstand genommen hat, erfolgt der Ausspruch über die (teilweise) Einstellung des Verfahrens analog § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung [FGO] zur Klarstellung, nachdem die Klägerin und die Beklagte in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt haben, dass sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt hat.

II. In Bezug auf die Rückforderung des für die Monate Mai 2017 bis September 2017 ausgezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 1.920,00 Euro beruht der Ausspruch über die (teilweise) Einstellung des Verfahrens auf § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO, da die Klage insoweit in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurde.

III. Die Klage ist, soweit die Rückforderung des für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 ausgezahlten Kindergeldes Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist, (nur) wegen der Hälfte des Rückforderungsbetrages – 714,00 Euro – begründet.

1. Die Klägerin hat für den vier Monate umfassenden Bezugszeitraum von Dezember 2017 bis März 2018 von der Familienkasse 1.548,00 Euro erhalten.

Eine Auflistung der an die Klägerin erbrachten Zahlungen hat die Familienkasse erst im Rahmen des den gleichen Streitgegenstand betreffenden Verfahrens gleichen Rubrums des einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutzes (Aktenzeichen: 5 V 880/18) nachgereicht. Danach wurde am 13. April 2018 seitens der Familienkasse die Zahlung von 4.236,00 Euro Kindergeld für zwei Kinder für den Zeitraum von Mai 2017 bis März 2018 an die Klägerin angewiesen. Der zur Auszahlung gebrachte Betrag, dessen Erhalt die Klägerin im Übrigen nicht bestritten hat, entspricht der gesetzlichen Höhe des Kindergeldes.

Nach § 66 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der im Jahre 2017 geltenden Fassung des Gesetzes [vgl. Art. 8 Nr. 15 und Art. 19 Abs. 2 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, S. 3000, 3012 und 3015)] beträgt das Kindergeld für das erste und zweite Kind jeweils 192,00 Euro monatlich. Hieraus errechnet sich für die Monate Mai 2017 bis Dezember 2017 ein Betrag von (192,00 Euro  x  2 Kinder  x  8 Monate =) 3.072,00 Euro. Ab Januar 2018 beträgt das Kindergeld monatlich 194,00 Euro je Kind [vgl. Art. 9 Nr. 8 und Art. 19 Abs. 3 des Gesetzes zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, S. 3000, 3012 und 3015)], so dass sich für den Zeitraum von Januar 2018 bis März 2018 ein Kindergeldbetrag in Höhe von (194,00 Euro  x  2 Kinder  x  3 Monate =) 1.164,00 Euro errechnet. Der nach der vorgelegten Zahlungsaufstellung am 13. April 2018 von der Familienkasse für die Monate Mai 2017 bis März 2018 zur Auszahlung gebrachte Kindergeldbetrag in Höhe von (3.072,00 Euro  +  1.164,00 Euro  =) 4.236,00 Euro entspricht mithin der in § 66 Abs. 1 EStG festgelegten gesetzlichen Höhe des Kindergeldes, so dass feststeht, dass die Klägerin für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 insgesamt   2 Kinder  x  (192,00 Euro  + [3 Monate  x  194,00 Euro])  =  1.548,00 EuroKindergeld erhalten hat.

Die Beigeladene hat für den gleichen Zeitraum „lediglich“ 1.428,00 Euro zur Erstattung angemeldet, weshalb die Beklagte ihre Forderung mit Bescheid vom 25. Oktober 2018 zu Recht um 120,00 Euro auf 1.428,00 Euro vermindert hat.

Der Bescheid der Familienkasse vom 13. April 2018 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01. August 2018 und des Änderungsbescheides vom 25. Oktober 2018 ist – soweit damit mehr als 714,00 Euro für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 zurückgefordert werden – rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 FGO).

Als Rechtsgrundlage der im Streit stehenden Rückforderung kommt allein § 37 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) in Betracht.

Nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ist eine ohne rechtlichen Grund gezahlte Steuervergütung von dem Leistungsempfänger zurückzuzahlen. Diese Regelung erfasst auch das Kindergeld, denn Kindergeld wird gemäß § 31 Satz 3 EStG als Steuervergütung zur Auszahlung gebracht.

2. Die Zahlung der 1.428,00 Euro erfolgte – im Verhältnis zu der beklagten Familienkasse – nur teilweise ohne Rechtsgrund, nämlich in Bezug auf einen Teilbetrag in Höhe von 714,00 Euro.

Rechtsgrund für die erhaltene Zahlung ist an sich der Bescheid der Beklagten vom 15. März 2018, mit dem Kindergeld für D für den Zeitraum von Oktober 2017 bis November 2030 und für C vor den Zeitraum von Oktober 2017 bis Juli 2032 festgesetzt wurde. Aus dem genannten Bescheid, der nicht geändert oder aufgehoben wurde, ergibt sich, dass die Klägerin für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 Anspruch auf Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.548,00 Euro hat.

Auf diesen Anspruch hat die Beklagte mit ihrer am 31. Oktober 2018 verfügten Überweisung an die Klägerin gezahlt, also die bestehende Forderung erfüllt.

Der damit bestehende Rechtsgrund für die von der Beklagten bewirkten Zahlung schließt die Rückforderung allerdings nur teilweise aus, denn die von Seiten der Beigeladenen an die Klägerin bewirkten Zahlungen und die hierzu erfolgte Anmeldung von Erstattungsansprüchen bei der Beklagten hat ebenfalls Erfüllungswirkung, so dass der (Kindergeld-) Anspruch der Klägerin teilweise zweimal – mithin doppelt – „erfüllt“ worden ist.

a. Nach § 74 Abs. 2 EStG gelten für Erstattungsansprüche der Träger von Sozialleistungen gegen die Familienkassen die §§ 102 – 109, 111 – 113 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) entsprechend. Deshalb ist die Beigeladene als Trägerin von Sozialleistungen grundsätzlich berechtigt, Erstattungsansprüche im Sinne der §§ 102 – 105 SGB X bei der Beklagten anzumelden. Ein solcher Erstattungsanspruch ist zudem auch für die hier im Streit stehende Rückforderung nach § 37 Abs. 2 Satz 1 AO relevant, denn ein bestehender Erstattungsanspruch des Trägers der Sozialleistungen hat nach § 107 Abs. 1 SGB X zur Folge, dass damit der Anspruch des Leistungsberechtigten als erfüllt gilt. Besteht ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X, tritt die Erfüllungsfiktion sogar bei einer sog. Doppelleistung ein, insbesondere auch dann, wenn der vorrangig verpflichtete Leistungsträger – hier die Beklagte – bereits geleistet hat bevor der Träger der Sozialleistungen seinerseits Leistungen an den Berechtigten erbracht hat. Aufgrund der Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X würde die Zahlung der Beigeladenen in diesem Fall als Leistung der Beklagten gelten [vgl. BSG, Urteil vom 26. April 2005 – B 5 RJ 36/04 R – juris RdNr. 13, Urteil vom 06. Februar 1992 – 12 RK 14/90 – juris RdNr. 18, Urteil vom 31. Oktober 1991 – 7 Rar 46/90 – juris RdNr. 25], weshalb dann auch nur diese von der Klägerin die Rückzahlung verlangen könnte [vgl. Burkiczak, in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar – SGB X, 2. Auflage 2017, § 107 SGB X (Stand: 19. März 2021) RdNr. 36].

Eine solche Doppelleistung, die zu einem (berechtigten) Rückforderungsanspruch führt, ist in Bezug auf die Hälfte der 1.428,00 Euro – also hinsichtlich eines Betrages von 714,00 Euro – gegeben.

b. Das Jobcenter ist ein Träger von Sozialleistungen im Sinne von § 74 Abs. 2 EStG, denn die Beigeladene hat der Klägerin und deren beiden Söhnen für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 Sozialleistungen in Gestalt von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) bewilligt und ausgezahlt und vor diesem Hintergrund bei der Beklagten für den gleichen Zeitraum einen Erstattungsanspruch im Sinne der §§ 102 ff. SGB X angemeldet. Diese Anmeldung bzw. die Erbringung der entsprechenden Sozialleistungen durch die Beigeladene hat allerdings nur teilweise die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X ausgelöst.

Als Anspruchsgrundlage für die begehrte Erstattung kommen – gemäß § 106 Abs. 1 SGB X in folgender Reihenfolge – § 102 SGB X, § 103 SGB X, § 104 SGB X und § 105 SGB X in Betracht. Die Beigeladene hat in diesem Sinne mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 bei der Familienkasse einen „Erstattungsanspruch gemäß §§ 102 ff. Zehntes Buch Sozialgesetzbuch“ angemeldet. Dabei mag dahinstehen, dass sich die Beigeladene nicht festgelegt hat, auf welchen der §§ 102 – 105 SGB X sie ihren Anspruch stützen will.

c. Der vorrangig in Betracht zu ziehende § 102 Abs. 1 SGB X vermag den geltend gemachten Erstattungsanspruch der Beigeladenen nicht zu begründen.

Hat ein Leistungsträger auf Grund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht, ist nach § 102 Abs. 1 SGB X der zur Leistung verpflichtete Leistungsträger erstattungspflichtig.

aa. Aus dem Charakter des Erstattungsanspruchs als einem Ausgleich zwischen zwei Sozialleistungsträgern erschließt sich, dass § 102 Abs. 1 SGB X nicht für jede vorläufige Leistungserbringung gilt, sondern nur für solche vorläufigen Leistungen, die ihre Grundlage in einer Ungewissheit über die Leistungszuständigkeit des angegangenen Leistungsträgers hat [BSG, Urteil vom 22. Mai 1985 – 1 RA 33/84 – BSGE 58, S. 119, Urteil vom 28. März 1984 – 9a RV 50/82 – ZfSH/SGB 1985, S. 29; BayLSG, Urteil vom 24. März 2010 – L 20 R 79/08 – juris]. Nicht zu § 102 SGB X führt mangels Konfliktes über die Zuständigkeit für die (vorläufige) Leistung insbesondere die Anwendung des § 41a SGB II [so ausdrücklich: Böttiger, in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Auflage, Baden-Baden 2019, § 102 SGB X RdNr. 22].

bb. Das Jobcenter hat vorläufige Sozialleistungen – nämlich Leistungen nach dem SGB II – erbracht, denn der Bescheid vom 15. Dezember 2017 enthält schon in der Überschrift „Vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“ den unmissverständlichen Hinweis auf die Vorläufigkeit der Bewilligung und Leistungsgewährung.

§ 102 SGB X ist gleichwohl nicht anwendbar, denn nach der dem Bescheid des Jobcenters vom 15. Dezember 2017 beigegebenen Begründung wurden die Leistungen nur vorläufig bewilligt unter Hinweis auf § 41a Abs. 1 SGB II und mit der Begründung, dass Einkommensnachweise des Ehemanns der Klägerin nicht vorlägen und deshalb Ungewissheit über die Höhe des anzurechnenden Einkommens bestünde.

cc. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass das Jobcenter in dem genannten Bescheid vom 15. Dezember 2017 [auch] angeführt hat, der Anspruch auf Kindergeld sei noch zu prüfen und es werde nach § 102 SGB X ein Erstattungsanspruch geltend gemacht. Dieser allgemeine Hinweis genügt nicht, um die Anwendung des § 102 SGB X zu eröffnen.

Über die Bezeichnung der typusprägenden Merkmale des einstweiligen Verwaltungsaktes hinausgehend ist es nach § 33 Abs. 1 SGB X auch noch erforderlich, dass der Leistungsträger den Umfang der Einstweiligkeit der Regelung hinreichend genau bestimmt hat [vgl. BSG, Urteil vom 29. April 1997 – 4 RA 46/96 – juris (RdNr. 58 f.), Urteil vom 28. Juni 1990 – 4 RA 57/89 – juris (RdNr. 31 f.)]. Hieran fehlt es.

Der Bescheid der Beigeladenen enthält keine Abgaben dazu, für welches Kind ein Kindergeldanspruch zu prüfen sein könnte. Diese Angabe erscheint aber schon deshalb unverzichtbar, weil die Klägerin neben ihren beiden Söhnen C und D auch noch eine Tochter B hat, für die im Übrigen Kindergeld nicht beantragt war. Der Bewilligungsbescheid vom 15. Dezember 2017 lässt mithin nicht erkennen, ob sich die Vorläufigkeit der Bewilligung auf einen Kindergeldanspruch für einen der beiden Söhne der Klägerin, für beide Söhne und/oder einen Kindergeldanspruch für ihre Tochter beziehen soll. Der Umstand, dass „nur“ die Söhne der Klägerin in dem Bewilligungsbescheid der Beigeladenen als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft aufgeführt sind, mag die Auslegung des Bescheides nahelegen, dass der Kindergeldanspruch entweder für einen der Söhne (welchen?) oder für beide Söhne geprüft werden soll. Eine weitergehende Konkretisierung der Bestimmung des Umfangs der Vorläufigkeit lässt der Bescheid vom 15. Dezember 2017 jedoch nicht zu, da weitergehende Hinweise oder Erläuterungen nicht vorhanden sind. Eine Auslegung des Bescheides vom 15. Dezember 2017 in dem Sinne, dass die Vorläufigkeit „im Zweifel“ (zu Gunsten der Beigeladenen) auf den Kindergeldanspruch für beide Söhne der Klägerin zu beziehen ist, ist jedoch nicht zulässig.

§ 43 Abs. 1 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil – (SGB I) ermächtigt den Sozialleistungsträger, eine Sozialleistung wegen der Ungewissheit über Zuständigkeitsfragen nur vorläufig zu erbringen. Mit dieser Ermächtigung geht jedoch die Verpflichtung einher, gegenüber dem Leistungsempfänger eindeutig festzulegen bzw. zu bestimmen, dass, in welcher Hinsicht und welchem Umfang die Leistungsgewährung eine nur vorläufige ist. Der Leistungsempfänger und Adressat des Bescheides über die vorläufige Bewilligung muss klar erkennen können, in welchem Umfang die bewilligten Leistungen unter den Vorbehalt der Entscheidung über die endgültige Leistung stehen und welche (Teil-) Leistungen bereits endgültig gewährt werden und damit einer nachträglichen Änderung nicht mehr zugänglich sind.

Die Notwendigkeit, den Umfang der Vorläufigkeit hinreichend genau und eindeutig zu bestimmen, hat angesichts des Zusammenhangs mit einem Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X darüber hinaus auch noch rechtliche Auswirkungen auf die Ansprüche der Klägerin gegen die Beklagte. Denn die Familienkasse darf allein aufgrund der Kenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers eine sofortige Leistung an den Kindergeldberechtigten verweigern, weil sie von einer – ggf. auch nur teilweisen – Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann [vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – BSGE 106, S. 206 ff. (RdNr. 27)]. Gleichzeitig ist aber auch zu beachten, dass die Familienkasse, wenn und soweit keine Erstattung nach den §§ 102 ff. SGB X in Betracht kommt, der originär zuständige Leistungsträger ist und bleibt und die Familienkasse insoweit zur rechtzeitigen Leistung an den Kindergeldberechtigten verpflichtet bleibt, weshalb insoweit kein Recht zur Leistungsverweigerung besteht. Auch in dieser Hinsicht obliegt es deshalb der Beigeladenen bei einer nur vorläufigen Leistungsbewilligung eine hinreichend eindeutige Bestimmung zu treffen, welcher Kindergeldanspruch von der Anordnung der Vorläufigkeit bzw. dem damit korrespondierenden Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X betroffen sein soll.

Die beschriebene Drittwirkung des Bescheides vom 15. Dezember 2017 verdeutlicht gerade in der zur Entscheidung gestellten Fallgestaltung die Notwendigkeit einer eindeutigen und unmissverständlichen Bestimmung des Umfangs der Vorläufigkeit, denn die Beigeladene hat mit Schreiben vom 14. Dezember 2017 bei der Beklagten Erstattungsansprüche in Bezug auf das Kindergeld für D und B angemeldet, also nicht für den im dem Bewilligungsbescheid vom 15. Dezember 2017 als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft aufgeführten C.

Ist der Umfang der Vorläufigkeitsanordnung hiernach im Ergebnis nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X, liegt damit zugleich auch keine „vorläufige Sozialleistung“ im Sinne des § 102 Abs. 1 SGB X vor, so dass ein Erstattungsanspruch nach dieser Bestimmung nicht entstanden ist.

d. Indes ist – in Höhe von 714,00 Euro – ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X oder § 104 SGB X gegeben, ohne dass es letztendlich der Entscheidung bedarf, welche der beiden Vorschriften maßgebend ist.

Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, ist der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger nach § 103 Abs. 1 SGB X erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X derjenige Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat.

aa. Die Beigeladene hat im Sinne von § 103 Abs. 1 SGB X bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X Sozialleistungen erbracht, denn ausweislich des Bescheides vom 15. Dezember 2017 wurden die beiden Söhne der Klägerin bei der Bewilligung der Sozialleistungen von der Beigeladenen als Mitglied der sozialhilferechtlichen Bedarfsgemeinschaft angesehen; entsprechende Beträge wurden von ihr zu Gunsten der Klägerin bzw. ihrer Söhne in Ansatz gebracht. Die Leistungsgewährung erfolgte nach den tabellarisch dargestellten Berechnungen der gewährten Leistungen, die dem Bescheid beigefügt sind, ohne anspruchs- bzw. leistungsmindernde Anrechnung des Kindergeldes für die Söhne der Klägerin.

bb. Der Anspruch auf diese Sozialleistungen – nämlich auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes – hat sich dadurch betragsmäßig erhöht, dass der Bedarf ohne Anrechnung von Kindergeld ermittelt wurde.

In diesem Zusammenhang kann dahinstehen, ob die nachträgliche Festsetzung des Kindergeldes (durch den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2018) bewirkt, dass damit im Sinne von § 103 Abs. 1 SGB X der Rechtsgrund für die dem Kindergeld entsprechenden Leistungen der Beigeladenen nachträglich entfallen ist, oder ob insoweit lediglich ein Anwendungsfall des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegeben ist, denn die weiteren Voraussetzungen des Erstattungsanspruches der Beigeladenen sind im Übrigen identisch und im Streitfall in Bezug auf 714,00 Euro erfüllt.

cc. Die von der Beigeladenen an die Klägerin geleistete Zahlung besitzt die von § 103 Abs. 1 SGB X bzw. § 104 Abs. 1 SGB X vorausgesetzte Kongruenz.

(a) Aus dem Umstand, dass sich der Anspruch nach dem Wortlaut des § 103 Abs. 1 SGB X bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegen den für die entsprechende Leistung zuständigen Leistungsträger richtet und es sich nach dem Gesetzeswortlaut um einen Erstattungsanspruch handelt, erschließt sich, dass die von dem erstattungsberechtigten Leistungsträger [Jobcenter] an die Klägerin erbrachte Leistung und die von dem „zuständigen Leistungsträger“ (Familienkasse) geschuldete Leistung in sachlich, zeitlich und persönlicher Hinsicht kongruent sein müssen [vgl. Becker, in: Hauck/Noftz, SGB, Stand: 1. Ergänzungslieferung 2022, § 103 SGB X RdNr. 22; Böttiger, in: Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Auflage, Baden-Baden 2019, § 103 SGB X RdNr. 22 f.; Roos, in: Schütze, SGB X, 9. Auflage, München 2020, § 103 SGB X RdNr. 10 f.]. Der Zweck des Erstattungsanspruches liegt darin, dem (vor-) leistenden Leistungsträger den Ersatz seiner Aufwendungen zu sichern, soweit dieser Leistungen erbracht hat, die nach dem materiellen Sozialrecht an sich von einem anderen Leistungsträger hätten erbracht werden müssen. Die Erstattung setzt also eine Gleichartigkeit der Leistungen der beiden im Erstattungsverhältnis stehenden Sozialleistungsträger voraus, weil nach dem gesetzlichen Tatbestand ein Erstattungsanspruch nur ausgelöst werden kann, wenn der erstleistende Träger eine Verpflichtung des in Anspruch genommenen zweiten Trägers erfüllt hat [vgl. zu § 104 SGB X: BSG, Urteil vom 25. April 1990 – 5 RJ 12/89 – BSGE 67, S. 6, Urteil vom 22. September 1988 – 2 RU 9/88 – BSGE 57, S. 218]. Der Bundesfinanzhof hat sich dieser Rechtsauffassung für den Anwendungsbereich des § 74 Abs. 2 EStG angeschlossen. Eine Gleichartigkeit der Leistungen soll dabei jedenfalls vorliegen, wenn beide Leistungen demselben Zweck dienen [vgl. BFH, Urteil vom 07. Dezember 2004 – VIII R 59/04 – BFH/NV 2005, S. 864, Urteil vom 25. Mai 2004 – VIII R 21/03 – BFH/NV 2005, S. 171].

Diese Kongruenz ist im Streitfall gegeben.

Ausweislich des Bescheides des Jobcenters vom 15. Dezember 2017 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes hat das Jobcenter der Klägerin selbst wie auch den zu ihrer Bedarfsgemeinschaft gehörenden Personen [d.h. insbesondere deren Kindern] in den Monaten Dezember 2017 bis März 2018 Regelleistungen nach dem SGB II in Form von Hilfen zum Lebensunterhalt und auch als Zuschüsse zu den Kosten der Unterkunft gewährt. Hierbei handelt es sich insgesamt um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Die Leistungen dienen der Gewährung einer sozialen Grundsicherung in Form des verfassungsrechtlichen Existenzminimums. Diesem Zweck dient – jedenfalls teilweise – auch das nach der Neugestaltung im Einkommensteuergesetz durch Art. 1 des Jahressteuergesetzes 1996 vom 11. Oktober 1995 [BGBl. I 1995, S. 1250] als Steuervergütung ausgezahlte Kindergeld. Soweit es gemäß § 31 Satz 2 EStG darüber hinaus auch der Förderung der Familie dient, stellt es zwar keine Sozialleistung im formellen Sinne dar, ist aber angesichts der ausdrücklichen Verweisung in § 74 Abs. 2 EStG trotzdem als eine gegenüber der Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vorrangige Leistung im Sinne der §§ 102 ff. SGB X anzusehen [vgl. BFH, Urteil vom 07. Dezember 2004 – VIII R 59/04 – BFH/NV 2005, S. 864, Urteil vom 14. Mai 2002 – VIII R 88/01 – BFH/NV 2002, S. 1156, Beschluss vom 31. Januar 2007 – III B 167/06 – BFH/NV 2007, S. 865; FG Münster, Urteil vom 18. Februar 2010 – 6 K 390/08 AO – EFG 2010, S. 1140 (1141) m.w.N.; wohl ebenso: FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris; FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. April 2019 – 9 K 9035/19 – juris].

(b) Auch hinsichtlich der betragsmäßigen Höhe besteht die notwendige Kongruenz der Ansprüche.

Von Seiten des Jobcenters hat die Klägerin ausweislich des Schreibens des Jobcenters vom 23. März 2018 in bzw. für die Monate Dezember 2017 bis März 2018 nach Maßgabe SGB II Grundsicherungsleistungen erhalten. Nach dem von der Beklagten im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Bescheid des Jobcenters vom 15. Dezember 2017 über die vorläufige Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zählten ihre beiden Söhne in den Monaten Dezember 2017 bis März 2018 zur Bedarfsgemeinschaft der Klägerin. Seitens des Jobcenters wurden nach dem genannten Bescheid für die beiden Söhne der Klägerin –C und D – zusammen monatlich (2 x 185,59 Euro =) 371,18 Euro bzw. ab Januar 2018 monatlich (2 x 188,98 Euro =) 377,96 Euro zur Auszahlung gebracht. Gegen die Höhe des (niedrigeren) zur Erstattung angemeldeten Betrages von 354,00 Euro für Dezember 2017 und von 358,00 Euro monatlich für die drei folgenden Monate ist hiernach nichts zu erinnern, also davon auszugehen, dass die Klägerin für ihre beiden Söhne vom Jobcenter [354,00 Euro + (3 Monate  x  358,00 Euro) =] 1.428,00 Euro erhalten hat.

dd. Diese Zahlung hat aber nur teilweise – nämlich in Höhe von 714,00 Euro – nach § 107 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit § 74 Abs. 2 EStG Erfüllungswirkungen in Bezug auf den Anspruch auf Kindergeld. Der Erstattungsanspruch der Beigeladenen ist nach § 103 Abs. 1 SGB X (am Ende) bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X (am Ende) dadurch– teilweise – ausgeschlossen, dass die Beklagte Kindergeld für C bereits zur Auszahlung gebracht hat, bevor sie von den Leistungen der Beigeladenen Kenntnis erlangte.

Im Rahmen des § 103 Abs. 1 SGB X und des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist die positive Kenntnis von den Leistungen des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers Voraussetzung des Erstattungsanspruches. Grobfahrlässige Unkenntnis ist nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nicht ausreichend [vgl. Prange, in: Schlegel/Voelzke, juris PraxisKommentar – SGB X, 2. Auflage 2017, § 103 SGB X (Stand: 10. Januar 2022) RdNr. 46]. Ebenso wenig ist der vorrangig verpflichtete Leistungsträger gehalten, seinerseits zu ermitteln, ob und ggf. in welchem Umfang bereits andere Leistungsträger Leistungen erbracht haben [BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 Rar 42/93 – juris RdNr. 36]. Eine positive Kenntnis im Sinne von § 103 Abs. 1 SGB X bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt hiernach voraus, dass die Familienkasse – ohne selbst nachzufragen oder nachzuforschen – aus den ihr vorliegenden Informationen ersehen kann, für welche Zeiträume und in welcher Höhe Leistungen von dem anderen Träger von Sozialleistungen erbracht wurden [so ausdrücklich: BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 – 7 Rar 42/93 – juris RdNr. 36, Urteil vom 19. März 1992 – 7 Rar 26/91 – BSGE 70, S. 186; FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. April 2018 – 6 K 2194/17 – juris (RdNr. 31)].

(1) Das Schreiben der Beigeladenen vom 14. Dezember 2017, mit dem dieser einen Erstattungsanspruch für Leistungen nach dem SGB II in Bezug auf den Kindergeldanspruch für D und B anzeigte bzw. anmeldete, genügt hiernach nicht.

Es ist allgemein anerkannt, dass der Sozialleistungsträger die Familienkasse über die Gewährung ungekürzter Sozialleistungen informieren muss, wenn er vermeiden will, dass ein Leistungsempfänger und Kindergeldberechtigter durch Kindergeld einerseits und ungekürzte Sozialleistungen andererseits doppelt begünstigt wird [vgl. FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris (RdNr. 26)]. Obwohl sich diese Information auf (gegenwärtige und) zukünftige Bewilligungs- bzw. Festsetzungszeiträume bezieht, so dass es im Allgemeinen nicht möglich sein wird, den Leistungszeitraum und den Betrag der gewährten Leistung vorab genau zu bestimmen, genügt dabei kein allgemeiner Hinweis auf einen bestehenden, laufenden oder künftigen Leistungsbezug.

Die nach § 103 Abs. 1 SGB X bzw. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X bestehende wesentliche Bedeutung der positiven Kenntnis der Leistung des nachrangig verpflichteten Leistungsträgers ist unter zwei Gesichtspunkten entscheidungserheblich. Die Familienkasse darf allein aufgrund dieser Kenntnis der Leistung des anderen Leistungsträgers eine sofortige Leistung an den Kindergeldberechtigten verweigern, weil sie von einer – ggf. auch nur teilweisen – Erfüllung nach § 107 Abs. 1 SGB X ausgehen kann [vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 21/09 R – BSGE 106, S. 206 ff. (RdNr. 27)]. Gleichzeitig ist aber auch zu beachten, dass die Familienkasse, wenn und soweit keine Erstattung nach § 103 SGB X bzw. § 104 SGB X in Betracht kommt, der originär zuständige Leistungsträger ist und bleibt und die Familienkasse insoweit zur rechtzeitigen Leistung an den Kindergeldberechtigten verpflichtet bleibt, weshalb insoweit kein Recht zur Leistungsverweigerung besteht.

Selbst wenn noch Ungewissheit über die Einzelheiten der Leistungen des anderen (nachrangigen) Leistungsträgers besteht und deshalb keine konkreten Beträge genannt werden können, erfordern die §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X daher die Mitteilung der Umstände, die für die Entscheidung über den Erstattungsanspruch maßgeblich sind, und des Zeitraums, für den die Sozialleistungen (voraussichtlich) erbracht werden [vgl. FG Baden-Württemberg, Gerichtsbescheid vom 28. Mai 2020 – 13 K 2747/17 – juris (RdNr. 28); FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09. April 2018 – 6 K 2194/17 – juris (RdNr. 35) unter Bezugnahme auf BFH, Beschluss vom 05. Juni 2014 – VI R 15/12 – BStBl. II 2015, S. 145 f. (RdNr. 22)].

Diesen Anforderungen genügt das Schreiben vom 14. Dezember 2017 nur unzureichend.

Dem Schreiben der Beigeladenen ist eindeutig zu entnehmen, dass dieser Sozialleistungen an bzw. für einen Sohn der Klägerin, nämlich D, erbringt und insoweit einen Erstattungsanspruch geltend machen will. Im Unterschied dazu wird aber der andere Sohn der Klägerin, C, in dem Schreiben nicht genannt. Deshalb ist die Beklagte in Bezug C im Sinne der §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Unkenntnis.

(2) Die von den §§ 103 Abs. 1, 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X vorausgesetzte Kenntnis der Leistung der Beigeladenen ergibt sich auch nicht aus dem nachfolgenden Schriftwechsel. Die Familienkasse hat der Beigeladenen zwar mit Schreiben vom 15. März 2018 mitgeteilt, dass Kindergeld für die beiden Söhne der Klägerin festgesetzt und für deren Tochter Kindergeld gar nicht beantragt worden sei. Die mit dieser Information verbundene Bitte, die Personen zu benennen, für die die Beigeladene Leistungen erbracht habe und eine Erstattung begehre, blieb jedoch nach Aktenlage unbeantwortet. Insoweit war der Beklagten – unverändert – nur bekannt, dass in Bezug auf das Kindergeld für D ein Erstattungsanspruch geltend gemacht ist.

(3) Mit an die Familienkasse adressiertem Schreiben vom 23. März 2018 hat die Beigeladene dann zwar ihren Erstattungsanspruch insofern konkretisiert, als er mitteilte, dass für Dezember 2017 die Erstattung von 354,00 Euro und für die Monate Januar 2018 bis April 2018 jeweils monatlich die Erstattung von 358,00 Euro verlangt werde. In dem Schreiben ist nicht angegeben, ob sich dieser Betrag auf ein oder zwei Kinder der Klägerin bezieht. Die Kinder sind nicht namentlich benannt. In dem Schreiben ist nur die Klägerin namentlich benannt. Wegen der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft wird auf die Anzeige des Erstattungsanspruchs – mithin auf das Schreiben vom 14. Dezember 2017 – verwiesen.

Damit bleibt es – unverändert – dabei, dass die Beklagte lediglich über einen Erstattungsanspruch in Bezug auf das Kindergeld für D informiert war.

(4) Auch in der Folgezeit – bis zum 31. Oktober 2018 – erfolgte nach dem Inhalt der Verwaltungsakte keine Information oder Erklärung der Beigeladenen, dass sich der Erstattungsanspruch auch auf das Kindergeld für C erstrecke. Gleichwohl hat die Familienkasse den Erstattungsanspruch der Beigeladenen ausweislich ihrer Mitteilung an die Klägerin vom 12. April 2018 auf das Kindergeld für beide Söhne der Klägerin bezogen und das Kindergeld für beide Söhne zum überwiegenden Teil an die Beigeladene überwiesen.

Allein der Umstand, dass die Familienkasse eine Erstattung aus dem Kindergeldanspruch für beide Söhne der Klägerin – faktisch – bewirkt hat, löst indes die Erfüllungswirkung nach § 107 SGB X noch nicht aus. Die Familienkasse hatte – nach Aktenlage – keine (positive) Kenntnis davon, ob die Beigeladene Sozialleistungen für bzw. an das Kind C erbracht hat. Die Beigeladene hat hierzu – soweit es das Kind C betrifft – in ihrer Anmeldung des Erstattungsanspruches und dem nachfolgenden Schriftwechsel mit der Beklagten keine Angaben gemacht, obwohl sie dazu von der Beklagten aufgefordert wurde. Ebenso wenig lag der Beklagten der an die Klägerin adressierte Bescheid der Beigeladenen vom 15. Dezember 2017 vor. Allein die faktische Kongruenz zwischen Kindergeldanspruch einerseits und Sozialleistung der Beigeladenen andererseits genügt indes nicht.

Aus der Fristenregelung des § 111 SGB X, der in Verbindung mit § 74 Abs. 2 EStG auch für Erstattungsansprüche gegen die Familienkasse maßgebend ist, erschließt sich, dass ein Erstattungsanspruch nur unter der Voraussetzung anzuerkennen ist und dann die Erfüllungswirkung nach § 107 SGB X auslösen kann, wenn er geltend gemacht wird. Dies ist nicht geschehen.

ee. Ist damit aber gerade nicht nach § 107 SGB X Erfüllungswirkung eingetreten, weil ein Erstattungsanspruch – bezogen auf das Kind C – von der Beigeladenen nicht geltend gemacht wurde, ist es insofern auch nicht zum Forderungsübergang auf die Beklagte gekommen. Der Erstattungsanspruch ist vielmehr ausschließlich in Bezug auf D entstanden und insofern die (Rück-) Forderung auf die Beklagte übergegangen. Da die Beigeladene Sozialleistungen an bzw. für D und C jeweils in gleicher Höhe erbracht und auch jeweils in gleicher Höhe zur Erstattung angemeldet hat, ergibt sich hieraus, dass die Rückforderung in Höhe von (1.428,00 Euro  :  2  =) 714,00 Euro berechtigt und im Übrigen unberechtigt ist.

ff. Die Klägerin vermag in diesem Zusammenhang nicht mit ihrem Einwand durchzudringen, die Rückforderung könne allenfalls die Beigeladene, nicht aber die Beklagte geltend machen.

Der Erstattungsanspruch der Beigeladenen nach § 103 SGB X bzw. § 104 SGB X bewirkt, dass sich deren Leistung an die Klägerin bzw. deren Söhne – wie bereits dargelegt – in eine Leistung der Beklagten wandelt. Liegt damit aber im Verhältnis zur Klägerin nunmehr eine Leistung der Beklagten vor und nicht mehr der Beigeladenen, kann auch nur die Beklagte die Rückforderung geltend machen und durchsetzen.

gg. Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine bereits eingetretene Entreicherung berufen, denn dieser Grundsatz gilt im öffentlichen Recht nicht. § 818 Abs. 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Rückforderungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO nicht anwendbar und enthält auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken der bei der Rückforderung von Kindergeld zu berücksichtigen wäre [BFH, Beschluss vom 28. März 2001 – VI B 256/00 – BFH/NV 2001, S. 1117].

Der angefochtene Rückforderungsbescheid hat damit im Ergebnis Bestand, soweit die Klage zurückgenommen wurde (d.h. wegen eines Teilbetrages von 1.920,00 Euro), und in Bezug auf die Rückforderung aus dem Kindergeldanspruch für D in Höhe von 714,00 Euro, also insgesamt in Höhe von (1.920,00 Euro + 714,00 Euro =) 2.634,00 Euro. Im Übrigen ist er rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.

Streitgegenstand des Verfahrens war (bei Eingang der Klage) eine Rückforderung in Höhe von insgesamt 3.468,00 Euro. Diese Rückforderung hat die Beklagte im Verlaufe des Prozessverfahrens mit Änderungsbescheid vom 25. Oktober 2018 um 120,00 Euro reduziert. Zudem ist die Beklagte hinsichtlich eines weiteren Teilbetrages von 714,00 Euro unterlegen, so dass sich insgesamt ein Betrag von 834,00 Euro errechnet, für den die Klägerin in der Sache obsiegt hat. Ihre Klage hat jedoch wegen der weiteren Rückforderungssumme von 2.634,00 Euro – d.h. in Bezug auf drei Viertel der Streitsumme – keinen Erfolg, weshalb es gerechtfertigt erscheint, die Kosten des Verfahrens in diesem Verhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten zu teilen.

Hinsichtlich der Beigeladenen folgt die Kostenentscheidung aus § 139 Abs. 4 FGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 135 Abs. 3 FGO), erscheint es angemessen, dass der Beigeladenen auch die ihr ggf. außergerichtlich entstandenen Aufwendungen nicht erstattet werden.

V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus den §§ 151 Abs. 3, 155 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).


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