Familienrecht

Erstattungsfähigkeit von vorprozessual entstandenen Privatgutachterkosten

Aktenzeichen  11 W 1179/20

Datum:
25.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 26129
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1. Vorprozessual entstandene Sachverständigenkosten sind erstattungsfähig, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme ex ante für erforderlich erachten durfte. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vorprozessual entstandene Sachverständigenkosten sind nur erstattungsfähig, wenn sie in dem Sinne prozessbezogen sind, dass sich ein Rechtsstreit konkret abzeichnet. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
3. Liegen ein außergewöhnliches Unfallgeschehen, widersprüchliche Schilderungen von Unfallbeteiligten und Zweifel an der Kompatibilität von Verletzungen vor, so ist die Beauftragung eines Sachverständigen gerechtfertigt. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

032 O 2759/19 2020-06-25 Bes LGAUGSBURG LG Augsburg

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts Augsburg, Az.: 032 O 2759/19, vom 25.06.2020 zugunsten der Streithelferin der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger als Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 1.285,20 festgesetzt.

Gründe

I.
1. Ausgangsverfahren beim Landgericht Augsburg, Az.: 032 O 2759/19, ist eine vom Kläger am 19.07.2019 eingereichte Zivilklage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld im Zusammenhang mit einem Unfall am 02.09.2017 anlässlich einer Rollladenreparatur, wodurch der Kläger eine Fingerkuppe verloren hat (vgl. Bl. 1/16 d.A.). Bei der Beklagten handelt es sich um die Mutter des Klägers.
Mit Schriftsatz vom 09.08.2019 (vgl. Bl. 25/26 d.A.) ist die … Versicherung AG als Haftpflichtversicherer der Beklagten dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten. Die Streithelferin hatte zuvor ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 27.05.2019 gegenüber den Parteien abgelehnt. Es hätten Bedenken hinsichtlich des Eintritts eines Versicherungsfalles bestanden.
Das streitgegenständliche Ereignis war der Streithelferin per E-Mail am 26.09.2017 über ein Maklerbüro angezeigt worden. Ein unter dem 04.10.2017 an den Kläger zugeleitete Fragebogen wurde nicht zurückgesendet. Die Streithelferin wurde vielmehr mit Anwaltsschriftsatz vom 15.02.2018 aufgefordert, Schmerzensgeld zu zahlen.
Mit Schriftsatz vom 27.01.2020 (vgl. Bl. 55 d.A.) nahm der Kläger seine Klage zurück. Die Parteien hatten sich offensichtlich außergerichtlich geeinigt.
Im Beschluss vom 04.03.2020 (vgl. Bl. 71/75 d.A.) traf das Landgericht Augsburg folgende Kostenregelung:
„Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits, einschließlich der Kosten der Nebenintervention, zu tragen“.
Den Streitwert setzte das Gericht auf € 16.000,- fest.
2. Mit Schriftsatz vom 12.03.2020 beantragte die Streithelferin die Kostenfestsetzung.
Sie machte einen Gesamtbetrag von € 2.314,55 geltend. Insbesondere brachte sie auch „Ermittlungskosten … vom 03.07.2018“ unter Beigabe einer entsprechenden Rechnung in Höhe von € 1.285,20 in Ansatz (im Einzelnen: vgl. Bl. 77/78 d.A.).
Im Schriftsatz vom 07.04.2020 (vgl. Bl. 80/81 d.A.) beanstandete der Kläger den Ansatz angeblicher Ermittlungskosten für März bis Juni 2018. Es sei unklar, war gemacht worden sei. Auch seien die Ermittlungen nicht Gegenstand des Verfahrens geworden.
Im Schriftsatz vom 13.05.2020 (vgl. Bl. 83/85 d.A.) hat die Streithelferin erläutert, dass sie auf derartige externe Dienstleister angewiesen sei bei Fällen der vorliegenden Art, die sich nicht vom „Schreibtisch aus“ regulieren ließen. Der Geschäftsführer der beauftragten Ermittlungsfirma habe am 18.06.2018 vor Ort das streitgegenständliche Objekt, insbesondere auch den Rollladen besichtigt, dessen Funktionsfähigkeit überprüft und aufgrund des geschilderten Ablaufs Untersuchungen durchgeführt. Es hätten sich aus der behaupteten Ablaufschilderung Manipulations- und Vortäuschungsumstände ergeben.
Der Kläger hält die Kosten weiterhin nicht für erstattungsfähig. Die Versicherung hätte eine bei ihr ohnehin beschäftigte, ausreichend sachkundige Person zum Ortstermin senden können (vgl. Bl. 88/89 d.A.).
3. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.06.2020 (vgl. Bl. 93/97 d.A.) setzte die Rechtspflegerin die von der Klagepartei an die Streithelferin … zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf € 2.314,55 fest.
In dem Beschluss begründete die Rechtspflegerin ausführlich die Erstattungsfähigkeit der Kosten des Privatgutachtens.
Der Beschluss wurde am 15.07.2020 dem Kläger zugestellt.
4. Mit bei Gericht am 16.07.2020 per Fax eingereichtem Schriftsatz vom 16.07.2020 (vgl. Bl. 98/99 d.A.) legte der Kläger gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss Beschwerde ein.
Ein kollusives Zusammenwirken der Parteien sei völlig abwegig. Es hätten offensichtlich lediglich Unklarheiten hinsichtlich der Sachverhaltsdarstellungen der Parteien bestanden.
Im Schriftsatz vom 10.08.2020 (vgl. Bl. 101/102 d.A.) beantragte die Streithelferin die Zurückweisung der Beschwerde. Es hätte geklärt werden müssen, ob die Ablaufschilderungen die Verletzungen des Klägers erklären können.
Im Beschluss vom 20.08.2020 hat die Rechtspflegerin der Beschwerde nicht abgeholfen (vgl. Bl. 103/105 d.A.).
II.
Die gemäß § 104 Abs. 3 ZPO statthafte und gemäß §§ 567 ff. ZPO im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
Sie ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25.06.2020 hat die Kostengrundentscheidung im Beschluss des Landgerichts vom 04.03.2020 (auf der Basis der jeweils aufgeführten Kosten) ordnungsgemäß umgesetzt.
Die Kosten für die von der Streithelferin beauftragten Privatermittlungen sind vorliegend zu erstatten.
1. Nach der Grundregel in § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren. Das sind nur diejenigen für solche Handlungen, die zum Zeitpunkt ihrer Vornahme objektiv erforderlich und geeignet erscheinen, das im Streit stehende Recht zu verfolgen oder zu verteidigen (Thomas/Putzo, 40. Aufl., Hüßtege zu § 91 ZPO, Rn. 9; BGH NJW 2012, 2734). Maßstab ist, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die die Kosten auslösende Maßnahme im damaligen Zeitpunkt (ex ante) als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf sie ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Hierbei gilt aber der Grundsatz sparsamer Prozessführung (BGH a.a.O.).
1.1. Demzufolge hat die gegnerische Partei weder Kosten zu tragen, die als allgemeine Unkosten noch als prozessfremde Kosten einer Partei entstanden sind (BGH, NJW 2006, 2415). Grundsätzlich gilt dabei auch, dass die Sammlung und Sichtung von Tatsachen und Beweismaterial im Zusammenhang mit der Prozessführung auch bei der entgeltlichen Beauftragung Dritter zum allgemeinen Prozessaufwand gehört, der in Bezug auf den Prozessbevollmächtigten durch die gesetzlichen Gebühren abgegolten ist und hinsichtlich der Partei selbst nicht erstattungsfähig ist (vgl. Zöller, 33. Aufl., Herget zu § 91 ZPO, Rn. 13 Schlagwort „Allgemeiner Prozessaufwand“).
1.2. Vor diesem Hintergrund sind die Kosten für privat in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten im Verfahren der Kostenfestsetzung nach den §§ 103 ff. ZPO nur ausnahmsweise gemäß § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig; dies gilt sowohl für vor einem Rechtsstreit entstandene wie auch für erst später, in dessen Verlauf, angefallene:
Erstere erfordern insbesondere eine konkrete „Prozessbezogenheit“, während im Verlauf eines Gerichtsverfahrens beauftragte Gutachten nur dann erstattungsfähig sein können, wenn bei Auslösung der entsprechenden Kosten, also bei Beauftragung des privaten Sachverständigen, beachtet wird, dass es grundsätzlich Sache des Gerichts ist, Beweise zu erheben. Nur in Ausnahmefällen, bei fehlender Sachkunde einer Partei etwa, kann ein solches Gutachten etwa dann veranlasst sein, wenn es dazu dienen soll, ein bereits vorliegendes gerichtlich erholtes Sachverständigengutachten zu erschüttern (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 01.02.2017, Az.: VII ZB 18/14; Senatsbeschluss vom 29.08.2016, Az.: 11 W 1151/16; Musielak-Flockenhaus, ZPO, 14. Aufl., § 91 Rn. 59 ff.; aus der BGH-Rechtsprechung ergänzend Beschluss vom 26.02.2013, Az.: VI ZB 59/12; vom 07.02.2013, Az.: VII ZB 60/11; vom 24.04.2012, Az.: VI ZB 27/11; speziell zur „Prozessbezogenheit“ Senatsbeschluss vom 10.09.2014 – 11 W 1478/14). „Prozessbezogenheit“ kann nur angenommen werden, wenn sich im Zeitpunkt der Hinzuziehung des Sachverständigen ein Rechtsstreit wirklich konkret im Sinne der Rechtsprechung des BGH abzeichnet, weil es sich nur dann um „Kosten des Rechtsstreits“ handelt. Eine komplette sachverständige Begleitung des Prozesses ist zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung in aller Regel nicht erforderlich (OLG Köln a.a.O.). Es steht der Partei zwar jederzeit frei, einen solchen sachverständigen Rat einzuholen, die Kosten sind jedoch nur im Ausnahmefall vom Gegner zu erstatten.
Generell kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit des Sachverständigen das Ergebnis des Rechtsstreits beeinflusst hat (was im Zeitpunkt der Beauftragung zwangsläufig noch nicht feststehen kann) und nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auch die Vorlage des Gutachtens im Rechtsstreit nicht erforderlich (vgl. Beschluss vom 24.04.2012, Az.: VI ZB 27/11; s. auch Senat, Beschluss vom 10.09.2014, Az.: 11 W 1478/14).
1.3. Besonderheiten hat die Rechtsprechung bei Verdacht eines Versicherungsbetruges – zwar im Zusammenhang mit gestellten Verkehrsunfällen – entwickelt: Hier hat nämlich der Bundesgerichtshof die Anforderungen an das Merkmal der Prozessbezogenheit gesenkt hat, weil eine Versicherung bei hinreichendem Verdacht eines solchen Betruges davon ausgehen kann, derjenige, der einen Unfall manipuliert, werde seine hieraus abgeleiteten Forderungen später auch gerichtlich durchsetzen (vgl. Beschluss vom 18.11.2008, Az.: VI ZB 24/08; vom 24.10.2008, Az.: VI ZB 16/08; vom 04.03.2008; Az.: VI ZB 72/06; aus der Senatsrechtsprechung z.B. Beschluss vom 10.11.2014, Az.: 11 W 2042/14, oder vom 12.06.2019, Az.: 11 W 391/19).
Der Verdacht eines Versicherungsbetrugs muss sich jedoch wegen ausreichender Anhaltspunkte gleichsam aufdrängen, sodass sich die Versicherung von vorneherein auf einen Deckungsprozess einstellen muss und daher die bereits nach der Schadensmeldung vorgenommenen Ermittlungen bzw. eingeholten Privatgutachten – unabhängig von einer ausreichenden zeitlichen Nähe zum Rechtsstreit – gleichwohl als prozessbezogen betrachtet werden können.
2. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend die Notwendigkeit der Beauftragung eines Privatsachverständigen zu bejahen. Die Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit der Privatgutachterkosten sind nach den vorgenannten Grundsätzen glaubhaft gemacht (§§ 294, 104 Abs. 2 ZPO):
2.1. Der Senat durch die Unterzeichnerin als Einzelrichterin verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 17.12.2002 (Az.: VI ZB 56/02, NJW 2003, 1398). Hier hat der Bundesgerichtshof ausdrücklich zum Anspruch auf Erstattung von Kosten eines vorprozessual beauftragten Privatsachverständigen Stellung bezogen, und zwar im Hinblick auf die Frage, ob etwaige Ermittlungskosten einer Versicherung lediglich nicht abwälzbare allgemeine Betriebskosten sind. Danach gestalte sich bei Verdacht eines Versicherungsbetruges auf Grund des klägerischen Vortrags der Nachweis eines versuchten Betruges erfahrungsgemäß für den Versicherer schwierig. Der Versicherer wird in der Regel selbst nicht die Sachkenntnis besitzen, die erforderlich ist, um eine Verursachung der geltend gemachten Schäden durch den Unfall mit hinreichender Sicherheit und Überzeugungskraft auszuschließen. Er bedarf daher regelmäßig sachverständiger Hilfe. In einem solchen Fall ist es zweckmäßig, wenn der Versicherer sich sachkundig beraten lässt, ehe er vorträgt.
Wenngleich die Verletzung des Klägers durch Atteste nachgewiesen war, hatte vorliegend die Streithelferin hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie Zweifel hatte, den geschilderten Unfallhergang mit der Verletzung in Einklang zu bringen. Indiz waren insbesondere die unterschiedlichen Schilderungen der Parteien. Zudem handelt es sich um einen außergewöhnlichen Vorfall. Auch die zeitlichen Abläufe sowie das Mutter-Sohn-Verhältnis trugen – zumindest für den Senat nachvollziehbar – auf Seiten der Streithelferin dazu bei, den Unfallhergang durch einen sachverständigen Ermittler vor Ort untersuchen lassen zu wollen. Nach unbestrittenem Vortrag der Streithelferin hatte eine solche Untersuchung vor Ort am 18.06.2018 stattgefunden.
2.2. Die Höhe der Ermittlungskosten wurde nicht ausdrücklich angegriffen.
Generell ist lediglich zu prüfen, ob die Kosten für das Privatgutachten in einem auffälligen Missverhältnis stehen. Vorliegend ist die Pauschalabrechnung aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden.
III.
1. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
2. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren entspricht dem streitigen Kosten für das Privatgutachten.


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