Familienrecht

Glaubhaftmachung fehlender Eigenmittel zur Behebung der Obdachlosigkeit

Aktenzeichen  4 CE 20.436

Datum:
16.4.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 9605
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwGO § 123, § 146 Abs. 4
LStVG Art. 7 Abs. 2 Nr. 3
BayVwVfG Art. 3 Abs. 1 Nr. 4

 

Leitsatz

1. Für den Anspruch auf Obdachlosenunterbringung eines in einer Mitarbeiterwohnung wohnenden Arbeitnehmers spielt es keine Rolle, ob er die Wohnung verlassen musste, weil ihm von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt wurde oder weil er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und damit den Verlust der Wohnung infolge der aufgetretenen Konflikte selbst angeregt hat. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Glaubhaftmachung fehlender Eigenmittel zur Behebung der Obdachlosigkeit genügt im gerichtlichen Eilverfahren die substantiierte Darlegung mittels der Prozesskostenhilfeerklärung. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

RN 4 E 20.280 2020-02-21 Bes VGREGENSBURG VG Regensburg

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro
festgesetzt.

Gründe

I.
Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen eine einstweilige Anordnung, mit der er verpflichtet wird, dem Antragsteller zur Behebung seiner Obdachlosigkeit bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren eine Unterkunft zur Verfügung zu stellen.
Der Antragsteller, ein aus Polen stammender Leiharbeitnehmer mit deutschem Pass, war ab dem 13. Januar 2020 beim Antragsgegner mit Hauptwohnsitz in einer Mitarbeiterwohnung seines damaligen Arbeitgebers gemeldet. Laut telefonischen und schriftlichen Auskünften des Arbeitgebers kam es immer wieder zu Streitereien mit den Mitbewohnern, so dass ihm der Auszug nahegelegt wurde; er sei auch „auf eigene Erklärung hin“ entlassen worden. Etwa um den 27. Januar 2020 wurde dem Antragsgegner von der Stadt Vilshofen mitgeteilt, dass der Antragsteller dort mit seinem ganzen Gepäck erschienen sei und um eine Unterkunft gebeten habe; man habe ihn daraufhin an eine Notunterkunft der Caritas in Passau weiterverwiesen. Deren Leiter wandte sich in der Folgezeit mehrfach telefonisch an den Antragsgegner und bat, dem Antragsteller eine Obdachlosenunterkunft zur Verfügung zu stellen.
Nachdem der Antragsgegner dies abgelehnt hatte, erhob der Antragsteller beim Verwaltungsgericht unter Mithilfe der Caritas eine Klage auf Unterbringung und stellte zugleich einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sowie auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Mit Beschluss vom 21. Februar 2020 gab das Verwaltungsgericht Regensburg dem Eilrechtsschutzbegehren statt.
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit der vorliegenden Beschwerde.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
1. Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners, die der Senat anhand der fristgerecht dargelegten Gründe überprüft (§ 146 Abs. 4 Satz 1 und 6 VwGO), hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu Recht stattgegeben. Die mit der Beschwerde vorgebrachten Einwände führen zu keiner anderen Beurteilung.
Der Antragsgegner trägt vor, von einer Glaubhaftmachung in Bezug auf den Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund könne keine Rede sein. Es sei nicht wahr, dass der Antragsteller, wie in seinem Antrag formuliert, seine Dienstwohnung „verloren“ habe und sich mangels finanzieller Mittel in seiner Not an die Stadt Vilshofen gewandt habe. Er habe die Wohnung vielmehr aufgegeben und sei nach Vilshofen gereist in einer bewussten Entscheidung weg vom Antragsgegner. Die Wohnung sei nicht gekündigt gewesen, so dass keine Pflicht zum Verlassen bestanden habe. Mit der Vorlage seiner Kontoauszüge habe der Antragsteller auch nicht glaubhaft gemacht, dass er keine – gegebenenfalls vorübergehende – Unterkunft habe nehmen können. Bei der Kündigung einer Wohnung seien Fristen einzuhalten; auch gebe es zahlreiche mieterschützende Vorschriften. Der Antragsteller habe überdies keinen Nachweis über die Erfolglosigkeit einer Beantragung sozialrechtlicher Mittel vorgelegt. Auf die Frage, ob die Stadt Passau die zuständige Behörde sei, komme es hier nicht an; beim Antragsgegner sei jedenfalls keine Obdachlosigkeit eingetreten, da er sich dort nicht als obdachlos vorgestellt habe.
Diese Ausführungen sind nicht geeignet, die Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung in Zweifel zu ziehen.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht angenommen, dass es für den Anspruch auf Obdachlosenunterbringung keine Rolle spielt, ob dem Antragsteller von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt wurde oder ob er die Auflösung des Arbeitsverhältnisses und damit den Verlust der Wohnung infolge der aufgetretenen Konflikte selbst angeregt hat. Selbst wenn letzteres angenommen wird, wurde der Antragsteller durch den Auszug aus der Mitarbeiterwohnung obdachlos, da ihm unstreitig keine andere Unterkunft zur Verfügung stand. Nachdem ihm aufgrund der Streitigkeiten mit seinen Mitbewohnern, bei denen es laut den Behördenakten zu Polizeieinsätzen gekommen war, von seinem Vermieter der Auszug „nahegelegt“ worden war, muss auch von einer unfreiwilligen Obdachlosigkeit ausgegangen werden. Ob dem Antragsteller aufgrund seines Verhaltens sogar eine fristlose Kündigung der Wohnung (und der Arbeitsstelle) drohte oder ob er etwa unter Berufung auf den mietrechtlichen Kündigungsschutz den Zeitpunkt des Auszugs noch hätte hinauszögern können, bedarf hier keiner Prüfung. Er hat seine bisherige Wohnung jedenfalls nicht aus freien Stücken verlassen; auf die Frage, ob ihm am Entstehen der Obdachlosigkeit ein Verschulden trifft, kommt es im Rahmen der sicherheitsrechtlichen Unterbringungsverpflichtung nicht an (vgl. BayVGH, B.v. 7.5.2018 – 4 CE 18.965 – juris Rn. 13 m.w.N.).
Der Antragsteller hat auch in einer (für das gerichtliche Eilverfahren) hinreichenden Weise glaubhaft gemacht, dass es ihm derzeit nicht möglich ist, durch das Anmieten einer Wohnung den Zustand der Obdachlosigkeit aus eigener Kraft zu beenden. Mit der im Prozesskostenhilfeverfahren abgegebenen und dem Antragsgegner in Kopie übersandten Erklärung vom 19. Februar 2020 über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat er seine gegenwärtig bestehende Mittellosigkeit substantiiert dargelegt; weitergehende Nachweise können jedenfalls im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht gefordert werden. Es spricht nach gegenwärtigem Stand auch nichts für die Annahme, der Antragsteller habe es pflichtwidrig versäumt, Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Wie sich aus einem Vermerk in den Behördenakten über ein Telefonat des Antragsgegners mit der zuständigen Agentur für Arbeit ergibt, konnte über einen am 21. Januar 2020 gestellten Antrag bisher wegen der bestehenden Sprachprobleme nicht entschieden werden. Solange nicht feststeht, dass der Antragsteller über die nötigen Mittel verfügt, um sich auf dem örtlichen Wohnungsmarkt selbst mit einer Unterkunft zu versorgen, bleibt die mit der Obdachlosigkeit verbundene Gefahrenlage bestehen, die ein sicherheitsbehördliches Einschreiten erfordert (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2017 – 4 CE 17.1661 – juris Rn. 11).
Der Antragsgegner kann sich auch nicht auf eine örtliche Unzuständigkeit berufen. Die durch den Auszug aus der Mitarbeiterwohnung im Gemeindegebiet des Antragsgegners eingetretene Obdachlosigkeit besteht seit diesem Zeitpunkt unverändert fort. Zwar ist in den Fällen, in denen eine obdachlos gewordene Person ihren Aufenthaltsort in Ausübung ihres Grundrechts auf Freizügigkeit (Art. 11 GG, Art. 109 Abs. 1 BV) in eine andere Gemeinde verlegt, nur noch diese Zuzugsgemeinde und nicht mehr die Gemeinde, in welcher die Obdachlosigkeit ursprünglich entstanden ist, für die Gefahrenabwehr sachlich und örtlich zuständig (vgl. BayVGH, B.v. 14.8.2019 – 4 CE 19.1546 – juris Rn. 11 m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat aber kein dauerhafter Ortswechsel stattgefunden, durch den eine andere Sicherheitsbehörde zuständig geworden wäre. Dass sich der Antragsteller mit seinem Unterbringungsgesuch zunächst an die Stadt Vilshofen gewandt hat, beruhte ersichtlich nicht auf dem Wunsch, sich dort zukünftig dauerhaft niederzulassen und einen Wohnsitz zu nehmen. Auch der zeitweilige Aufenthalt in der Notunterkunft in Passau erfolgte nur aus einer Notlage heraus und beruhte nicht auf einem vom Antragsteller geäußerten Zuzugsbegehren. Dass er seinen mit Hilfe der Caritas gestellten Antrag auf Obdachlosenunterbringung an den Antragsgegner gerichtet hat, in dessen Gemeindegebiet er zuletzt regulär gewohnt hat und auch gemeldet gewesen ist, kann unter diesen Umständen keinesfalls als rechtsmissbräuchlich angesehen werden.
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung zum Streitwert aus § 47 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 35.3 des Streitwertkatalogs 2013.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).


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