Familienrecht

Kindesmutter, Beschwerde, Jugendamt, Akteneinsicht, Kind, Auflagen, Kindeswohl, Anordnung, Verfahren, Betreuung, Trunkenheitsfahrt, FamFG, Attest, Beschwerdeverfahren, einstweiligen Anordnung, elterlichen Sorge, sorgeberechtigte Mutter

Aktenzeichen  2 UF 10/22

Datum:
28.3.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 7092
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

0207 F 1449/21 2022-01-05 Bes AGBAMBERG AG Bamberg

Tenor

1. Die Beschwerde der Mutter M. gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Bamberg vom 05.01.2022, Aktenzeichen 0207 F 1449/21, wird verworfen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
4. Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen einen Beschluss, mit welchem ihr im Verfahren der einstweiligen Anordnung Auflagen nach § 1666 Abs. 3 BGB erteilt worden sind, ohne ihr das Sorgerecht ganz oder teilweise zu entziehen.
1. Die Beschwerdeführerin ist die allein sorgeberechtigte Mutter des betroffenen Kindes K, geb. am … Das Kind lebt in ihrer Obhut. Vom Vater des Kindes lebt sie dauerhaft getrennt. Dieser nahm zuletzt begleitete Umgänge mit dem Kind wahr.
Am 28.08.2021 gegen 0 Uhr führte die Beschwerdeführerin mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,21 Promille im Stadtgebiet von X. ein Kraftfahrzeug im Beisein des betroffenen Kindes. Die Tat wurde mit Strafbefehl des Amtsgerichts Bamberg, vom 10.11.2021 als fahrlässige Trunkenheit im Verkehr mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen und der Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sperre für die Wiedererteilung von sechs Monaten Dauer geahndet.
2. Von diesem Sachverhalt hatte das Landratsamt – Jugendamt – X. am 15.10.2021 durch eine polizeiliche Mitteilung Kenntnis erlangt und nahm Kontakt zur Kindesmutter auf. Da es den Eindruck gewann, dass die Kindesmutter kein ausreichendes Problembewusstsein und keine ausreichende Bereitschaft zur Kooperation aufweise, wandte sich das Jugendamt mit Schreiben vom 14.12.2021 zur Erörterung einer Kindeswohlgefährdung an das Amtsgericht Bamberg.
Das Gericht leitete ein Verfahren der einstweiligen Anordnung ein, bestellte dem Kind eine Verfahrensbeiständin und bestimmte Termin zur Erörterung auf den 23.12.2021, 10:30 Uhr. Die Terminsladung wurde der Kindesmutter am 17.12.2021 zugestellt.
Mit Schreiben vom 20.12.2021 zeigte sich Rechtsanwalt … als Verfahrensbevollmächtigter für die Kindesmutter an. Er bat um Akteneinsicht und teilte zum Sachverhalt mit, dass es sich beim Vorfall vom 28.08.2021 um einen einmaligen Vorgang gehandelt habe. M. habe anlässlich einer Betriebsfeier Alkohol zu sich genommen. Eine Kindeswohlgefährdung sei in keiner Weise gegeben. Die Mutter versorge ihren Sohn bestens.
Mit Verfügung vom 20.12.2021 übermittelte das Gericht dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter die Antragsschrift des Jugendamts, wies darauf hin, dass die Kindesmutter sich bereits im Verfahren … zur Durchführung von Drogen- und Alkoholscreenings zur Feststellung ihres jeweiligen Konsums verpflichtet habe und dass aufgrund der Trunkenheitsfahrt im Beisein des Kindes und fehlender Problemeinsicht nach Aktenlage Maßnahmen nach § 1666 BGB im Hinblick auf die elterliche Sorge im Raum stünden. Weiter ordnete es die Beiziehung des Verfahrens … an.
Mit Schreiben vom 21.12.2021 hielt der Verfahrensbevollmächtigte sein Akteneinsichtsgesuch aufrecht, beantragte die Akte des Landratsamts X. vollständig beizuziehen und nach Erhalt zu übersenden sowie angemessene Fristverlängerung und Terminsverschiebung bis nach erhaltener Akteneinsicht. Akteneinsicht in die Akte des Landratsamts sei ihm bislang nicht gewährt worden. Weiter wurde Akteneinsicht in das Verfahren … beantragt und mitgeteilt, dass die Kindesmutter den Termin vom 23.12.2021 nicht wahrnehmen könne, da K um 11:30 Uhr von der Schule käme und niemand ihn betreuen könne.
Mit Beschluss vom 21.12.2021 wies das Amtsgericht den Verlegungsantrag zurück unter Hinweis auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit. Die Kindesmutter habe mehrere Tage Zeit gehabt, die Abholung des Kindes am Terminstag zu regeln. Notfalls sei das Kind von der Schule zu befreien. Durch die Übermittlung der Antragsschrift samt Anlagen an die Kindesmutter und ihren Bevollmächtigten seien beide über den Akteninhalt und den Gegenstand des Erörterungstermins informiert. Eine Grundlage, die vollständigen Verwaltungsakten des Jugendamts für das Gerichtsverfahren beizuziehen, sei nicht ersichtlich. Der Hinweis auf das Verfahren … und die dort vereinbarten Screenings sei nur erfolgt, da der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter im ersten Schreiben die Trunkenheitsfahrt als einmaligen Vorfall beschrieben habe.
Am Terminstag teilte die Kindesmutter um 08:07 Uhr telefonisch mit, dass sie krankgeschrieben sei, ihr Kind um 11:20 Uhr heimkomme und sie heute nicht zum Termin komme. Weiter beantragte mit Fax vom 23.12.2021 zunächst Rechtsanwalt X aus der Kanzlei des Verfahrensbevollmächtigten Terminsverlegung wegen eines medizinischen Notfalls des zuständigen Sachbearbeiters, Herrn Rechtsanwalt Y, sodann der Verfahrensbevollmächtigte selbst. Er sei heute nicht verhandlungsfähig, da sein Pferd habe eingeschläfert werden müssen. Zudem wiederholte er, dass die Kindesmutter ab 11:20 Uhr ihr Kind betreuen müsse, welches sonst allein zuhause wäre.
Der Termin vom 23.12.2021 blieb aufrechterhalten und wurde lediglich vom Jugendamt, der Verfahrensbeiständin und dem Kindesvater wahrgenommen. Zum Inhalt der Erörterungen wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 05.01.2022 erteilte das Gericht der Kindesmutter folgende Auflagen:
– Ziffer 1: Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen; hierfür habe die Kindesmutter bis zum 31.07.2022 den Ladungen des zuständigen Jugendamts zu gemeinsamen Gesprächen Folge zu leisten und an diesen teilzunehmen, wobei Gegenstand der Gespräche insbesondere der Alkoholkonsum der Kindesmutter samt Auswirkungen auf ihr Kind und Lösungsansätze wie Suchtberatung oder Therapie sein solle sowie Unterstützungsmöglichkeiten bei der Betreuung des Kindes;
Auf freiwilliger Basis möge die Kindesmutter für die Gespräche eine Haaranalyse bezüglich des Langzeitkonsums von Alkohol durchführen und das Ergebnis dem Jugendamt innerhalb zwei Monaten vorlegen;
– Ziffer 2: Bis zum 31.07.2022 werde der Kindesmutter aufgegeben, unangekündigten Ladungen des Jugendamts zu Urinkontrollen zur Feststellung ihres Alkoholkonsums Folge zu leisten und die Screenings nach näherer Vorgabe des Jugendamts durchzuführen, wobei die Anzahl auf maximal sechs Screenings beschränkt werde;
– Ziffer 3: Weitere Anordnungen nach § 1666 BGB blieben einem neuen Verfahren vorbehalten;
– Ziffer 4: Hinsichtlich der Verpflichtungen aus Ziffer 1 und 2 werden der Kindesmutter für jeden Fall der Zuwiderhandlung die Festsetzung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten angedroht;
Schließlich wurde von der Erhebung von Kosten abgesehen und der Verfahrenswert auf 2.000,00 € festgesetzt (Ziffern 5 und 6).
Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die getroffenen Maßnahmen zur Abwendung einer bestehenden Gefahr für das Kind gemäß § 1666 Abs. 1 Abs. 3 Nr. 1 BGB zu treffen seien. Die Trunkenheitsfahrt sei im Beisein des 6-jährigen Kindes um Mitternacht nach einer Betriebsfeier mit alkoholbedingter absoluter Fahruntüchtigkeit und akuten Ausfallerscheinungen erfolgt. Dies gebe einerseits hinsichtlich offenbar fehlender Betreuungsmöglichkeiten Anlass zur Sorge. Andererseits offenbare der Vorfall eine grundsätzliche Problematik der Kindesmutter hinsichtlich der Abstinenz von Alkohol und mangelndes Verantwortungsbewusstsein gegenüber ihrem Kind nach Konsum von Alkohol. Die Alkoholproblematik sei bereits Gegenstand des Verfahrens aus dem Jahr 20xx gewesen, so dass es sich nicht um einen einmaligen Vorfall handele. Zur Abwehr weiterer Gefahren für das Kindeswohl sei es der Kindesmutter daher zuzumuten, ihren Alkoholkonsum gegenüber dem Jugendamt transparent zu machen, damit darauf aufbauend geeignete Maßnahmen, etwa eine Anbindung an die Suchtberatung, vorgenommen werden könnten. Auch sei die Erarbeitung von Betreuungsmöglichkeiten erforderlich. Die Kindesmutter lasse ohne die Anordnung der Maßnahmen die erforderliche Kooperationsbereitschaft vermissen. Die angeordneten Maßnahmen seien auch verhältnismäßig, da zeitlich befristet, und hinsichtlich der angeordneten Alkoholtests ohne Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Durch die Maßnahmen könnten schwerwiegendere, insbesondere Maßnahmen hinsichtlich des Aufenthalts des Kindes abgewendet werden. Für solche bestehe aufgrund der von der Verfahrensbeiständin attestierten guten Entwicklung des Kindes und der vorhandenen Fürsorge der Mutter keine Notwendigkeit. Da ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden bestanden habe, seien die Maßnahmen vorläufig als einstweilige Anordnung zu erlassen gewesen. Die Entscheidung sei auch aufgrund mündlicher Erörterung ergangen, da auch die Kindesmutter und ihr Verfahrensbevollmächtigter ausreichende Möglichkeit zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs gehabt hätten. Ein zwingender Grund zur Verlegung des Termins sei nicht glaubhaft gemacht worden. Die Androhung der Ordnungsmittel beruhe auf §§ 95 Abs. Nr. 3 und 4 FamFG, 887 ff ZPO.
Der Beschluss, der mit einer Rechtsmittelbelehrunghinsichtlich der Beschwerde versehen war und auf den ergänzend Bezug genommen wird, ist dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter am 10.01.2022 zugestellt worden.
3. Mit Schriftsatz vom 11.01.2022, eingegangen beim Amtsgericht am selben Tag, ließ die Kindesmutter Beschwerde gegen den Beschluss vom 05.01.2022 einlegen, welche mit Schriftsatz vom 13.01.2022, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, begründet worden ist. Zum Vorfallstag wird ausgeführt, dass bei der Betriebsfeier auch andere Kinder anwesend und betreut gewesen seien. Die Trunkenheitsfahrt solle nicht beschönigt werden. Sie sei aber als Fahrlässigkeitstat geahndet worden und die aufgetretenen Ausfallerscheinungen seien gerade ein Beleg, dass die Kindesmutter normalerweise wenig Alkohol zu sich nehme. Der Vorfall aus dem Jahr 20xx sei nach fünf Jahren nicht mehr vorwerfbar. Aus den bereits geltend gemachten Gründen hätte der Termin vom 23.12.2021 verlegt werden müssen. Insgesamt bestehe daher der Eindruck, dass Herr Richter am Amtsgericht … dem Vorgang nicht unbefangen gegenüber stehe. Er werde daher wegen Verdachts der Befangenheit abgelehnt. Der Verdacht ergebe sich aus den Gesamtumständen, der Unterstellung einer bewussten Gefährdung des Kindes und einer Alkoholproblematik, der Verweigerung rechtlichen Gehörs in Anbetracht der berechtigten Terminsverlegungsgesuche. Die durch den Beschluss getroffenen Anordnungen seien auch rechtswidrig. Ergänzend wird auf die Beschwerdebegründung und die weiteren Schriftsätze der Kindesmutter vom 31.01.2022, 22.02.2022 und 22.03.2022 im Beschwerdeverfahren Bezug genommen.
Ebenso wird auf die schriftlichen Ausführungen der übrigen Beteiligten im Beschwerdeverfahren Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Kindesmutter ist bereits unstatthaft und daher als unzulässig zu verwerfen, da mit dem angegriffenen Beschluss vom 05.01.2022 im Verfahren der einstweiligen Anordnung lediglich Maßnahmen nach § 1666 Abs. 3 BGB in Gestalt von Auflagen an die Kindesmutter angeordnet worden sind, kein zumindest teilweiser Entzug der elterlichen Sorge, so dass der Beschluss nach § 57 S. 1 FamFG nicht anfechtbar sind. Der Anwendungsbereich des § 57 S. 2 FamFG ist nicht eröffnet.
1. Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen sind nach § 57 S. 1 FamFG nicht anfechtbar. Nur ausnahmsweise sind sie mit der Beschwerde anfechtbar in den in § 57 S. 2 FamFG abschließend geregelten Fällen, etwa nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs auf Grund mündlicher Erörterung über die elterliche Sorge für ein Kind entschieden hat. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor.
a) Zwar ist die Entscheidung vom 05.01.2022 aufgrund mündlicher Verhandlung vom 23.12.2021 ergangen. Denn zu diesem Termin ist auch die im Termin nicht erschienene Kindesmutter mit Verfügung vom 15.12.2021, mit welcher ihr persönliches Erscheinen (§ 33 Abs. 1 S. 1 FamFG) angeordnet worden ist, geladen worden. Die Terminsverfügung mit Antragsschrift des Jugendamts samt Anlagen ist der Kindesmutter am 17.12.2021 zugestellt worden.
Anlass zur Verlegung des Termins hat nicht bestanden. Erhebliche Gründe zur Verlegung des Termins nach §§ 32 Abs. 1 S. 2 FamFG, 227 Abs. 1, 2 ZPO sind nicht glaubhaft gemacht worden.
Die Kindesmutter hatte ab Zugang der Ladung bis zum Termin eine knappe Woche Zeit, entweder für eine Betreuung ihres Kindes bei Rückkehr aus der Schule Sorge zu tragen oder das Kind anlässlich des Gerichtstermins für den 23.12.2021 von der Schule zu befreien, um es zu Gericht mitzunehmen. Die telefonisch am 23.12.2021 mitgeteilte Krankschreibung der Kindesmutter wurde nicht durch ein ärztliches Attest über Verhandlungsunfähigkeit glaubhaft gemacht.
Der Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter wurde nach dessen Vertretungsanzeige geladen und ihm der damalige Akteninhalt durch Übersendung der Antragsschrift des Jugendamts samt Anlagen mit Verfügung vom 20.12.2021 unverzüglich zur Kenntnis gebracht. Anlass, die Verwaltungsakte des Jugendamts beizuziehen und sodann dem Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter zuzuleiten, wie von diesem geltend gemacht, bestand nicht. Soweit das Jugendamt Bestandteile seiner Akte, etwa Hilfeplanunterlagen einer der Kindesmutter von März 2015 bis Oktober 2018 gewährten Hilfe, als Anlagen der Antragsschrift beigefügt hatte, waren diese Kindesmutter und Verfahrensbevollmächtigten mit der Antragsschrift übermittelt worden. Im Übrigen war zu erwarten, dass das Jugendamt über Sachverhalte aus der dort geführten Akte im Termin Auskunft geben wird, soweit für das aktuelle Verfahren relevant. Wenn sich der Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter gegenüber dem Jugendamt zum damaligen Zeitpunkt vergeblich um Einsichtnahme bzw. Übermittlung der Verwaltungsakte bemüht hatte, musste dies im direkten Weg mit dem Jugendamt weiterverfolgt werden. Dem Gericht steht es nicht zu, Einsicht in fremde Verfahrensakten zu gewähren.
Soweit das in der Verfügung vom 20.12.2021 erwähnte Vorverfahren … betroffen ist, war dies zum Termin beigezogen worden und hätte dort erörtert werden können, soweit relevant.
Die am Terminstag mitgeteilte Verhinderung des Verfahrensbevollmächtigten aus persönlichen Gründen stellte ebenfalls keinen erheblichen Grund zur Verlegung des Termins dar. Er hätte sich durch ein weiteres Kanzleimitglied vertreten lassen können. Eine Verhinderung der weiteren Kanzleimitglieder ist nicht geltend gemacht worden. Dies lässt sich dem ersten Schreiben vom 23.12.2021, unterzeichnet von Rechtsanwalt X, nicht entnehmen. Zudem war es dem Verfahrensbevollmächtigten möglich, am 23.12.2021 trotz der ihn betreffenden Umstände selbst die Kanzlei aufzusuchen, um das zweite, selbst unterzeichnete Schreiben vom 23.12.2021 an das Gericht zu senden.
Damit ist das Ausbleiben der Kindesmutter und ihres Verfahrensbevollmächtigten im Termin vom 23.12.2021 als unentschuldigt anzusehen und der Beschluss vom 05.01.2022 ist aufgrund mündlicher Erörterung ergangen (vgl. OLG Frankfurt am Main, 16.08.2012, 5 UF 221/12, FamRZ 2013, 316).
b) Der Beschluss vom 05.01.2022 hat jedoch nicht über die elterliche Sorge für ein Kind entschieden (§ 57 S. 2 Nr. 1 FamFG), sondern sich darauf beschränkt, der allein sorgeberechtigten Kindesmutter Auflagen nach § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB zu erteilen. Das Beschwerderecht gegen den Beschluss ist damit nicht eröffnet, sondern es verbleibt beim Grundsatz des § 57 S. 1 FamFG, dass Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen nicht anfechtbar sind (vgl. Feskorn in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 57 FamFG Rn 6 a. E.).
Hintergrund ist, dass sich aus den in § 57 S. 2 FamFG abschließend aufgeführten Fällen ergibt, dass Entscheidungen in Verfahren der einstweiligen Anordnung nur anfechtbar sein sollen, wenn ein besonders schwerwiegender Eingriff in die Rechtsstellung eines Beteiligten vorliegt. Die angeordneten Auflagen greifen zwar in die Rechtsstellung der Kindesmutter ein, sind aber nicht schwerwiegender als eine Umgangsregelung oder -einschränkung, welche nach § 57 S. 2 FamFG bei Anordnung im Verfahren der einstweiligen Anordnung ebenfalls nicht anfechtbar sind (vgl. OLG Koblenz, 01.09.2021, 7 UF 297/11, FamRZ 2022, 198, Juris Rn 6-8 zu einem vergleichbaren Sachverhalt).
Die unzutreffende Rechtsbehelfsbelehrungvermag das Beschwerderecht nicht zu eröffnen.
2. Das Amtsgericht hat daher in eigener Zuständigkeit zu prüfen, das Verfahren nach § 54 Abs. 1 S. 1 FamFG fortzusetzen und nach persönlicher Anhörung der Kindesmutter erneut zu entscheiden oder ein Hauptsacheverfahren einzuleiten, da der Beschluss vom 05.01.2022 ausweislich der Gründe vorläufiger Art sein soll. Die Beschwerde der Kindesmutter könnte als Anregung im Sinne der §§ 24, 54 Abs. 1 S. 1 FamFG aufzufassen sein (vgl. OLG Koblenz, a. a. O., Juris Rn 11).
a) Anlass zur Fortführung des Verfahrens oder Einleitung eines Hauptsacheverfahrens besteht insofern, als die Anordnung Ziffer 2 hinsichtlich unangemeldeter Urinkontrollen bei der Kindesmutter zur Feststellung ihres Alkoholkonsums ohne deren Einverständnis auch auf Grundlage des § 1666 Abs. 3 BGB nicht wirksam angeordnet werden kann.
Durch die Trunkenheitsfahrt vom 28.08.2021 in Gegenwart des Kindes ist es unzweifelhaft zu einer Kindeswohlgefährdung gekommen, die Anlass zu einem Tätigwerden des Jugendamts gegeben hat, zumal es Anhaltspunkte für eine Suchtproblematik bei der Kindesmutter in der Vergangenheit gegeben hat, wenn auch Jahre zurückliegend (vgl. Vorverfahren …). Daher bestehen keine Bedenken gegen die Anordnung Ziffer 1, mit der die Kindesmutter auf Grundlage des § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB für die Dauer von einem halben Jahr verpflichtet worden ist, Gespräche mit dem Jugendamt zu führen. Dies erscheint erforderlich, um abschließend einschätzen zu können, ob aktuell eine Suchtproblematik besteht und daher das Kindeswohl gefährdet ist oder ob es sich, wie von der Mutter geltend gemacht, um einen Vorfall mit Ausnahmecharakter gehandelt hat.
Auch bei einer Kindeswohlgefährdung ist jedoch keine Rechtsgrundlage vorhanden, körperliche Untersuchungen eines Elternteils anzuordnen. Zwar ist mit der Abgabe und der Auswertung von Urinkontrollen kein körperlicher Eingriff verbunden. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Kindesmutter ist jedoch betroffen, sollte diese mit der Maßnahme nicht einverstanden sein. § 1666 Abs. 3 Nr. 5 BGB berechtigt nur zur Ersetzung von Erklärungen des Inhabers der elterlichen Sorge, also zu Maßnahmen in Bezug auf das betroffene Kind (vgl. Götz in Grüneberg, BGB, 81. Aufl. 2022, § 1666 Rn 37, 12 unter Bezugnahme etwa auf OLG Nürnberg, 16.08.2013, 11 WF 1071/13 FamRZ 2014, 677).
Nach Aktenlage wurde ein solches Einverständnis der Kindesmutter in Bezug auf Untersuchungshandlungen bezogen auf die eigene Person nicht erteilt. Ob es sich aus dem früheren Verfahren … ergeben kann, erscheint aufgrund des Zeitablaufs zweifelhaft. Mithin wäre durch eine Anhörung der Kindesmutter zu klären, wie sie zu einer derartigen Maßnahme steht. Insbesondere durch eine Haaranalyse, die unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit in Ziffer 1 des Beschlusses angeordnet worden ist, könnte durch Auswertung des ETG-Werts der Konsum von Alkohol der Kindesmutter in der Vergangenheit verlässlicher dahingehend eingeordnet werden, ob es sich um einen solchen im sozial üblichen Rahmen handelt oder darüber hinausgehend.
Zudem dürften aufgrund der zwischenzeitlich stattgefundenen Vorsprachen des Jugendamts bei der Kindesmutter, die mit Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Kindesmutter vom 22.03.2022 berichtet worden sind, neuere Erkenntnisse zum Sachverhalt vorliegen.
b) Auch Ziffer 4 der angegriffenen Entscheidung begegnet Bedenken, da dort bei Zuwiderhandlungen gegen Ziffer 1 und 2 der Entscheidung Ordnungsgeld bzw. -haft nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3 und 4 FamFG, 887 ff ZPO angedroht worden ist. Bei den Auflagen in Ziffer 1 und 2 handelt es sich jedoch um die Verpflichtung der Kindesmutter, Gespräche mit dem Jugendamt wahrzunehmen, auf freiwilliger Basis eine Haaranalyse durchzuführen und – wie zuvor ausgeführt, nur mit ihrem Einverständnis – sich unangekündigten Urinkontrollen zu unterziehen. Damit handelt es sich um nicht vertretbare Handlungen. Solche sind durch Zwangsgeld oder -haft nach §§ 95 Abs. 1 Nr. 3 FamFG, 888 ZPO zu vollstrecken, wobei eine Androhung nicht stattfindet, § 888 Abs. 2 ZPO.
c) Sollte das Verfahren fortgesetzt werden, so ist zuvor über den Ablehnungsantrag der Kindesmutter gegen den zuständigen Richter zu entscheiden. Der Antrag erlangt nur für diesen Fall Bedeutung. Nach Verfahrensabschluss ist er unzulässig mangels Rechtsschutzbedürfnis, da der beteiligte Richter seine Tätigkeit beendet hat (vgl. BGH, 11.07.2007, IV ZB 38/06, FamRZ 2007, 1734).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 84 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren auf §§ 40 Abs. 1 und 2, 41, 42 Abs. 2 FamGKG. § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG ist nicht einschlägig, da Beschwerdegegenstand nicht die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge oder eines Teils der elterlichen Sorge ist, mag dies bei Einleitung des Verfahrens auch in Betracht gekommen sein.
Die Rechtsbeschwerde findet in Verfahren der einstweiligen Anordnung nicht statt, § 70 Abs. 4 FamFG.
Der Kindesmutter kann keine Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt werden, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 ZPO. Die Beschwerde, die bereits nicht statthaft war, hat von vornherein keine Erfolgsaussicht aufgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist daher abzulehnen.


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