Familienrecht

Leistungen, Unterkunft, Bescheid, Anordnungsanspruch, Grundsicherung, Beschwerde, Mietschulden, Erfolgsaussicht, Regelleistung, Vermieter, Heizung, Antragsgegner, Zahlung, Wohnung, einstweiligen Anordnung, Unterkunft und Heizung, aufschiebende Wirkung

Aktenzeichen  L 16 AS 8/21 ER

Datum:
22.1.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 611
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

S 5 AS 541/20 ER 2021-01-05 Bes SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Der Antrag des Antragstellers auf Aussetzung der Vollstreckung aus dem mit der Beschwerde angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 5. Januar 2021 – Aktenzeichen S 5 AS 541/20 ER – wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat dem Antragsgegner die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
III. Dem Antragsgegner wird für das Verfahren der Anordnung der Aussetzung der Vollstreckung Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt E. S. … beigeordnet.

Gründe

I.
Zwischen den Beteiligten ist die Verpflichtung des Antragstellers zur Abgabe einer Erklärung zur Übernahme von Mietschulden gegenüber dem A… streitig.
Der Antragsgegner ist 1970 geboren und erhält vom Antragsteller Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Der Antragsgegner bewohnte mietfrei bis zum Tod seiner Mutter am 16.06.2020 mit dieser gemeinsam eine 46 m² große Zweizimmerwohnung in der … in …. Die Mutter des Antragsgegners schloss am 08.10.2014 mit dem A…, der dort eine Seniorenwohnanlage betreibt, einen Mietvertrag über Wohnraum ab. Nach dem Mietvertrag wurde eine Kaltmiete von 239,20 € zuzüglich Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von jeweils 73,60 € (insgesamt 386,40 €) geschuldet. Aus dem Mietvertrag ergibt sich, dass es sich um preisgebundenen Wohnraum handelt. Voraussetzung für die Wirksamkeit des Vertrages sei ein gültiger Wohnberechtigungsschein, weitere Voraussetzungen mussten nach dem Mietvertrag nicht erfüllt sein, um die Wohnung anzumieten. In der Zeit vom 01.01.2016 bis zum 01.01.2018 sind Mietschulden der Mutter des Antragsgegners in Höhe von insgesamt 3.622,47 € angefallen.
Der Antragssteller gewährte dem Antragsgegner mit Bescheid vom 22.01.2020 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit von Februar 2020 bis Februar 2021 in Höhe der Regelleistung von monatlich 432 €. Mit Änderungsbescheid vom 12.11.2020 wurden dem Antragsgegner für die Zeit von August 2020 bis Februar 2021 auch Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 386,40 € gewährt.
Zwischen dem Antragsgegner und dem A… ist streitig, ob dieser gemäß § 563 Abs. 2 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), § 4 Abs. 7 Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) in den Mietvertrag der Mutter eingetreten ist. Am 03.07.2020 kündigte der A… mit anwaltlichen Schreiben das Mietverhältnis des Antragsgegners außerordentlich gemäß § 564 S. 2 BGB. Eine weitere außerordentliche Kündigung gemäß § 563 Abs. 4 BGB wurde am 15.07.2020 ausgesprochen. Der A… bestreitet, dass der Antragsgegner zum Haushalt seiner Mutter im Sinne des § 563 BGB gehört.
Am 14.07.2020 wurde dem Antragsgegner ein Wohnberechtigungsschein ausgestellt, der dem A… vorgelegt wurde.
Der Antragsgegner führt vor dem Amtsgericht Passau, Aktenzeichen 18 C 1074/20 einen Räumungsrechtsstreit. In diesem Rechtsstreit erklärte der A… am 06.11.2020 die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung des Mietverhältnisses zum nächstmöglichen Termin. Es seien Mietschulden der Mutter des Antragsgegners in Höhe von insgesamt 3.622,47 € und nach deren Tod in Höhe von 1.159,20 € angefallen.
Am 11.11.2020 beantragte der Bevollmächtigte des Antragsgegners die Übernahme der Mietschulden beim Antragsteller. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 23.11.2020 abgelehnt. Der Antragsgegner sei nicht Vertragspartner, es handle sich nicht um seine Verbindlichkeiten, sondern um offene Forderungen gegenüber der Mutter des Antragsgegners. Zudem komme eine Übernahme von Mietschulden nur dann infrage, wenn dadurch die Unterkunft dauerhaft gesichert werden könne. Dies sei nicht der Fall, da der Vermieter der Ansicht sei, dass der Antragsgegner kein Mietverhältnis mit dem A… habe und er sich nicht rechtmäßig in der Wohnung aufhalte.
Der hiergegen eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.2020 zurückgewiesen. Es handle sich bei den geltend gemachten 3.622,47 € nicht um Mietschulden, sondern um Nachlassverbindlichkeiten. Selbst wenn man die Ansicht vertrete, dass es sich um Mietschulden handle, so sei eine Übernahme nicht gerechtfertigt, weil es sich um Schulden der Mutter handle, die nicht im Sozialleistungsbezug gewesen sei. Der Antragsgegner sei nicht verpflichtet in das Mietverhältnis einzutreten. Er könne die Schuldenübernahme vermeiden, indem er die Fortsetzung des Mietverhältnisses verweigere. Aufgrund der Bestrebungen des Vermieters das Mietverhältnis zu beenden, könne die Wohnung im Übrigen nicht dauerhaft erhalten werden. Gegen den Widerspruchsbescheid wurde am 23.12.2020 Klage zum Sozialgericht Landshut, Az. S 5 AS 565/20, erhoben. Bereits am 16.12.2020 stellte der Prozessbevollmächtigte des Antragsgegners einen Antrag auf Gewährung von einstweiligen Rechtsschutz beim Sozialgericht Landshut. Er beantragte, den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, zur Sicherung des Wohnraumes nach § 22 Abs. 8 S. 1, 2 SGB II Mietschulden des Antragstellers in Höhe von 3.622,47 € zu übernehmen, hilfsweise, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, sich gegenüber der Vermieterin des Antragstellers, zur Befriedigung hinsichtlich derjenigen Mietschulden zu verpflichten, die das Zivilgericht gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB als für das Unwirksam werden der von der Vermieterin unter dem 06.11.2020 ausgesprochenen Schriftsatzkündigung für erforderlich ansieht. Zur Begründung seines Antrages wies der Bevollmächtigte des Antragsgegners darauf hin, dass sowohl die am 03.07.2020 als auch die am 15.07.2020 ausgesprochenen Kündigungen unwirksam sei. Die am 06.11.2020 ausgesprochene außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung sei am 11.11.2020 zugestellt worden, durch Übernahme der Mietschulden könne die Wohnung gesichert werden. Der Antragsgegner sei gemäß § 563 Abs. 2 BGB in den Mietvertrag eingetreten. Die Mietkosten seien nicht unangemessen hoch. Dem Antragsgegner drohe Obdachlosigkeit.
Mit Beschluss vom 05.01.2020 verpflichtete das Sozialgericht Landshut den Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber dem A… zur Befriedigung der Mietschulden des Antragsgegners, deren Begleichung des Amtsgericht Passau im Verfahren 18 C 1074/20 bei Weiterbestehen des Mietverhältnisses für das Unwirksam werden der vom Vermieter am 06.11.2020 ausgesprochenen Kündigung für erforderlich ausspricht. Im Falle eines vom Amtsgericht Passau festgestellten weiteren Bestehens des Mietverhältnisses durch Nachholung der ausstehenden Mietzahlungen werde der Antragsteller vorläufig verpflichtet, dem Antragsgegner die vom Amtsgericht bezifferten Mietschulden darlehensweise zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch sei glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II seien gegeben, da das Amtsgericht die Kündigungen vom 03.07.2020 und 15.07.2020 möglicherweise für unwirksam und die Kündigung vom 06.11.2020 für wirksam erachte. Daher komme es für den Erhalt der Wohnung darauf an, ob der Antragsgegner innerhalb der Zweimonatsfrist die Zahlung der Miete nachgeholt habe bzw. sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet habe. Unter Würdigung des Vorbringens der Beteiligten und des bekannten Sachverhaltes sei es deshalb gerechtfertigt, den Antragsteller, für den Fall, dass das Amtsgericht Passau im Mietrechtsstreit feststelle, dass der Antraggegner die Mietschulden zu begleichen habe, vorläufig zu verpflichten, sich gegenüber dem Vermieter zu deren Befriedigung zu verpflichten. Letztlich könne dahinstehen, ob tatsächlich ein Eintritt in das Mietverhältnis erfolgt ist. Sollten die Kündigungen aus dem Juli 2020 rechtmäßig seien, so käme es auf die Kündigung vom 06.11.2020 nicht mehr an. In diesem Fall wäre der Antragsteller mangels entsprechender Feststellung durch das Amtsgericht Passau nicht zur darlehensweise Übernahme etwaiger Mietschulden verpflichtet. Nur wenn das Amtsgericht Passau feststellen sollte, dass der Antragsgegner in das Mietverhältnis eingetreten sei und die Kündigungen aus dem Juli 2020 unwirksam seien, sei es erforderlich, dass der Antragsgegner durch fristgerechte Zahlung bzw. Vorlage einer Verpflichtungserklärung einer öffentlichen Stelle die Kündigung vom 06.11.2020 abwenden könne. Sollte das Amtsgericht Passau auch die Kündigung vom 06.11.2020 für unwirksam halten, wäre der Antragsteller nicht verpflichtet das Darlehen zu gewähren. Der Entscheidung stehe auch nicht entgegen, dass der Vermieter am 06.11.2020 hilfsweise die ordentliche Kündigung erklärt habe. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH bestehe die Möglichkeit der Abwendung einer ausgesprochenen Kündigung gemäß § 569 Abs. 3 BGB nicht im Falle einer ordentlichen Kündigung gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 BGB. Vorliegend sprächen jedoch gewichtige Gründe dafür, dass die hilfsweise ausgesprochene Kündigung rechtsunwirksam sei. Denn problematisch sei bereits, ob dem Antragsgegner aufgrund der bestehenden Altmietschulden eine schuldhafte Verletzung der vertraglichen Pflichten vorgeworfen werden könne. Aber auch diese Frage werde letztlich im Mietrechtsverfahren vor dem Amtsgericht geklärt. Die bestehenden Mietschulden würden sowohl Schulden aus dem Mietverhältnis als auch Nachlassverbindlichkeiten darstellen. Im Außenverhältnis zum Vermieter ordne § 563 b Abs. 1 S. 1 BGB eine gesamtschuldnerische Haftung des gemäß § 563 BGB Eingetretenen mit den Erben an. Somit könne der Vermieter frei wählen, ob er die Erben oder den Sonderrechtsnachfolger oder alle gemäß § 421 BGB in Anspruch nehme. Im Übrigen könne dem Antragsgegner auch nicht vorgeworfen werden, dass er die Mietschulden durch Eintreten in das Mietverhältnis übernommen habe. Es sei verständlich, dass der Antragsgegner sich in seiner Situation darum bemüht habe, in dem ihm zur Verfügung stehenden und kostenmäßig angemessenen Wohnraum zu verbleiben.
Am 08.01.2021 hat der Antragsteller sowohl Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Landshut vom 05.01.2021 erhoben, als auch beantragt, die Vollstreckung aus dem Beschluss vom 05.01.2021 auszusetzen.
Zur Begründung hat der Antragsteller vorgetragen, dass es nicht feststehe, ob der Antragsteller zur Zahlung der Verbindlichkeiten und wenn ja in welcher Höhe verpflichtet sei. Ebenso wenig stehe fest, ob es sich um Mietschulden handle oder um Nachlassverbindlichkeiten. Er sei der Auffassung, dass er zur Übernahme nicht verpflichtet werden könne, da es sich um Nachlassverbindlichkeiten handle. Für die Übernahme von Nachlassverbindlichkeiten fehle es an einer Rechtsgrundlage. Sollte das Gericht der Auffassung sein, dass es sich um Mietschulden handle, habe der Vermieter eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass er an der Fortführung des Mietverhältnisses kein Interesse habe. Somit könne die Unterkunft nicht langfristig erhalten werden. Damit lägen die Voraussetzungen des § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II gerade nicht vor. Im Übrigen würde die Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur Vorwegnahme der Hauptsache führen, weil der Antragsteller durch die Verpflichtungserklärung die Zahlung nicht mehr vermeiden könne.
Der Bevollmächtigte des Antragsgegners hat im Verfahren L 16 AS 7/21 B ER mitgeteilt, dass über das Vermögen des Antragsgegners mit Beschluss des Amtsgerichts Passau vom 05.01.2021 ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Räumungsrechtsstreit ausgesetzt sei. In der Sache hat er mit Schriftsatz vom 18.01.2021 beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Zugleich hat er die Gewährung von Prozesskostenhilfe beantragt.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragstellers und die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Verfahrensakte L 16 AS 7/21 B ER Bezug genommen.
II.
Der statthafte Aussetzungsantrag ist zulässig, aber unbegründet.
Gemäß § 199 Abs. 2 Satz 1 SGG kann, wenn ein Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung hat, der Vorsitzende des Gerichts, das über das Rechtsmittel zu entscheiden hat, die Vollstreckung der einstweiligen Anordnung aussetzen. Ein vollstreckbarer Titel im Sinne des § 199 Abs. 2 SGG liegt vor. Die Beschwerde des Antragstellers hat keine aufschiebende Wirkung (§ 175 S. 1 und 2 SGG).
Bei der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung ist nach herrschender Meinung eine Interessen- und Folgenabwägung vorzunehmen (Bundessozialgericht – BSG -, Beschluss vom 05.09.2001, B 3 KR 47/01 R; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2020, § 199 Rdnr. 8), wobei der in § 175 SGG zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers zu beachten ist, dass Beschwerden i.d.R. keine aufschiebende Wirkung haben sollen. Es sind alle Umstände, also einerseits das Schutzbedürfnis des Antragstellers, wozu auch die Aussicht gehört, bei Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, die inzwischen gewährten Leistungen zurückzuerhalten, andererseits das Vollstreckungsbedürfnis des Antragsgegners, also die voraussichtliche Lage nach Abschluss des Verfahrens, und die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels, zu berücksichtigen (vgl. Peters-Sautter-Wolff, SGG, § 199). Bei Eilverfahren im Bereich existenzsichernder Leistungen kann ein Antrag nach § 199 Abs. 2 SGG schon deshalb kaum Aussicht auf Erfolg haben, weil die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes hinsichtlich Eilverfahren für existenzsichernde Leistungen (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) zu beachten sind. Regelmäßig überwiegen die Nachteile die dem Antragsteller durch die vorläufige Gewährung von Leistungen entstehen nicht die Nachteile, die einem Antragsteller auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende bei Versagung einer existenzsichemden Leistung entstände. Das Gebot der sparsamen und effektiven Verwendung öffentlicher Steuermittel tritt bei der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Folgenabwägung regelmäßig in den Hintergrund. Eine Aussetzung kommt daher generell nur in Ausnahmefällen in Betracht (B. Schmidt, a.a.O., Rdnr. 8a; Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.10.2008, B 2 U 189/08 B), d.h. wenn die Klage (hier: Beschwerde) offensichtlich unbegründet ist. Ausnahmsweise kann die Erfolgsaussicht der Klage bzw. Beschwerde eine Rolle spielen, wenn diese offensichtlich fehlt (vgl. Bundessozialgericht, Beschluss vom 05.09.2001, B 3 KR 47/01 R) oder offensichtlich besteht (BSGE 12, 138). Ist die Erfolgsaussichten jedoch nicht eindeutig abschätzbar, ist im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung zu berücksichtigen, ob der Antragsteller – über den Nachteil hinaus, der mit jeder Zwangsvollstreckung als solcher verbunden ist – ein im Nachhinein nicht mehr zu ersetzender Schaden entstehen würde. Maßgeblich sind dabei die Umstände des Einzelfalles, die vom Vollstreckungsschuldner glaubhaft vorzutragen sind (BSG SozR 3-1500 § 199 Nr. 1). Zudem darf ein überwiegendes Interesse des Vollstreckungsgläubigers nicht entgegenstehen (Bundessozialgericht, Beschluss vom 28.08.2007, B 4 R 25/07 R). Anträge nach § 199 Abs. 2 SGG können im Bereich des Sozialgesetzbuches Zweites Buch (SGB II) nur in seltenen Ausnahmefällen Erfolg haben (vgl. B. Schmidt, a.a.O., § 199 Rn. 8). Diese können gegeben sein, wenn eine offenbare Unrichtigkeit vorliegt, wenn die angefochtene Entscheidung völlig abwegig ist oder der Sachverhalt nach der Entscheidung der Vorinstanz sich als wesentlich verändert darstellt (vgl. hierzu auch Bayrisches Landessozialgericht, Beschluss vom 10.01.2013, L 7 AS 889/12).
Unter diesen Gesichtspunkten kann der Beschluss des Sozialgerichts Landshut nicht als offenbar unrichtig angesehen werden. Eine Aussetzung der Vollstreckung ist nicht gerechtfertigt.
Nach § 22 Abs. 8 S. 2 SGB II sollen Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt und notwendig ist, weil sonst Wohnungslosigkeit einzutreten drohe. Eine Schuldenübernahme ist nicht gerechtfertigt, wenn die wenn die Räumung der Unterkunft auch bei Übernahme der Rückstände nicht mehr abgewendet werden könnte und eine längerfristige Sicherung der Unterkunft nicht mehr zu erreichen ist. Letzteres ist u.a. dann der Fall, wenn eine Kündigung bereits ausgesprochen und sich deren Rechtswirkungen nicht mehr vermeiden lassen, weil etwa der Vermieter unter keinen Umständen zur Fortsetzung des Mietverhältnisses bereit ist (vgl. Luik in Eicher/Luik, SGB II, 4. Auflage 2017, § 22, Rn. 269; Piepenstock in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, § 22, Rn. 244).
Die Annahme des Sozialgerichts, dass diese Voraussetzungen vorliegen ist nicht offensichtlich unrichtig. Ebenso wie die Annahmen, dass der Antragsgegner (wohl) in das Mietverhältnis der Mutter eingetreten ist, die Altmietschulden der Mutter des Antragsgegners durch den Eintritt des Antragsgegners in den Mietvertrag zu Mietschulden des Antragsgegners wurden und die Kündigungen vom 03.07.2020, 15.07.2020 und 06.11.2020 möglicherweise unwirksam sind. Es spricht viel dafür, dass die außerordentlichen Kündigungen vom 03.07.2020 und 15.07.2020 sowie die ordentliche Kündigung vom 06.11.2020 unwirksam sind. Damit kommt es nicht mehr darauf an, ob der A… bereit ist, das Mietverhältnis mit dem Antragsgegner fortzusetzen.
Ob, die innerhalb der Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB ausgesprochene Verpflichtung des Antragstellers zur Abgabe der Erklärung gemäß § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB durch das Sozialgericht ausreicht, um die außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses abzuwenden, oder ob die außerordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs vom 06.11.2020 bereits deshalb unwirksam ist, wie der Bevollmächtigte des Antragsgegners vorträgt, weil das Entstehen der Mietschulden nicht dem Antragsgegner zuzurechnen ist und damit kein Kündigungsgrund in der Person des Antragsgegners besteht, muss im anhängigen Verfahren vor dem Amtsgericht Passau geklärt werden. Es ist jedenfalls nicht offensichtlich, dass die außerordentliche Kündigung vom 06.11.2020 wirksam ist.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller nicht dargelegt hat welcher Nachteil ihm, über das ohnehin bestehende Fiskalinteresse hinaus, drohen würde, wenn der Beschluss des Sozialgerichts umgesetzt wird. Der Verweis auf die Vorwegnahme der Hauptsache ist nicht geeignet, die Anordnung der aufschiebenden Wirkung zu begründen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache liegt vor, wenn die begehrte Sachleistung aufgrund einer einstweiligen Anordnung erbracht wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass einstweilige Anordnungen, die auf eine solche Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet sind, stets ausgeschlossen sind. Denn dieses hat im Hinblick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz ausnahmsweise dann zurückzustehen, wenn dem Betroffenen ein Abwarten bis zur (rechtskräftigen) Hauptsacheentscheidung – wie hier – nicht zumutbar ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2020, § 86 b Rn. 31, m.w.N.). Im Übrigen geht es vorliegend um keine „echte“ Vorwegnahme der Hauptsache, die keiner Korrektur für die Vergangenheit mehr zugänglich ist. Denn bei einem Unterliegen des Antragsgegners im Hauptsacheverfahren käme nach § 50 Abs. 2 und 1 S. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) jedenfalls eine Erstattung der erbrachten Leistung in Geld und/oder ein Schadensersatzanspruch gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 945 Zivilprozessordnung (ZPO) in Betracht. Ob solche Ansprüche im Einzelfall bestehen, geltend gemacht werden oder durchsetzbar sind, ist insoweit ohne Belang (vgl. Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 26.03.2019 – L 6 KR 5/19 B ER -, Rn. 28, juris; Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht, Beschluss vom 01.06.2016 – L 5 KR 74/16 B ER -, Rn. 13, juris; Burkiczak in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 1. Aufl., § 86 b SGG (Stand: 12.01.2021), Rn. 433, m.w.N.).
Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 73 a SGG i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung (ZPO) liegen vor. Der Antragsgegner ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen außerstande, die Kosten der Rechtsverfolgung auch nur zum Teil zu tragen. Der Rechtsstreit hatte nach den obigen Ausführungen auch hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG), er kann jederzeit aufgehoben werden, § 199 Abs. 2 Satz 3 SGG.


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