Familienrecht

Nichtannahmebeschluss: Zu den Voraussetzungen der rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe – hier: Unerreichbarkeit des verfolgten Begehrens bei unzureichendem Vortrag, dass dem Fachgericht ein bewilligungsreifer PKH-Antrag vorlag – fehlende Sachverhaltsdarlegung (§ 73a Abs 1 S 1 GG iVm § 117 Abs 1 S 2 ZPO) im PKH-Antrag

Aktenzeichen  1 BvR 362/10

Datum:
14.4.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100414.1bvr036210
Normen:
Art 20 Abs 3 GG
Art 3 Abs 1 GG
§ 23 Abs 1 S 2 BVerfGG
§ 92 BVerfGG
§ 73a Abs 1 S 1 SGG
§ 117 Abs 1 S 2 ZPO
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend SG Würzburg, 30. November 2009, Az: S 16 AS 50/09, Beschluss

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von Prozesskostenhilfe für ein sozialgerichtliches Verfahren.

I.
2
Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Rechtsanwalt Klage vor dem Sozialgericht und beantragte Prozesskostenhilfe. Die Klageschrift
benannte die angefochtenen Bescheide, enthielt aber keine Ausführungen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht.

3
Das Sozialgericht wies den Rechtsanwalt schriftlich darauf hin, dass die beigefügte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen
Verhältnisse nicht vollständig ausgefüllt sei. Die Beschwerdeführerin legte daraufhin eine weitere Erklärung über die persönlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse vor. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht wiederholte der Rechtsanwalt die
dortigen Angaben und erläuterte sie ergänzend.

4
Das Sozialgericht lehnte sodann in der mündlichen Verhandlung den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. In den später vorgelegten
Gründen stellte es darauf ab, dass die Beschwerdeführerin trotz gerichtlichen Hinweises vor und in der mündlichen Verhandlung
keine nachvollziehbare und vollständige Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt habe,
so dass es dem Gericht nicht möglich sei, die Voraussetzungen des § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) zu prüfen. Die auf Aufforderung
gemachten Angaben reichten nicht aus, weil die Beschwerdeführerin entweder gar keine Summen nenne oder nur Circaangaben mache.
Damit könne sie ihre Bedürftigkeit aber nicht nachweisen.

5
Anschließend wies das Sozialgericht die Klage ab. Das Urteil des Sozialgerichts hat die Beschwerdeführerin nicht vorgelegt.

6
Mit der gegen den Beschluss über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin
eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Bei der Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse bestehe
das Verbot überspannter Anforderungen. Sie habe eine vollständige und nachvollziehbare Erklärung über ihre persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt. Soweit das Sozialgericht die Erklärung als nicht nachvollziehbar und unvollständig
bezeichne, begründe es dies nicht näher. Ausführungen im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu den Erfolgsaussichten der Klage
vor dem Sozialgericht hielt die Beschwerdeführerin ausdrücklich für entbehrlich.

II.
7
1. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG
nicht vorliegen.

8
a) Zum einen ist nicht ersichtlich und von der Beschwerdeführerin auch nicht dargelegt (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG),
dass der Verfassungsbeschwerde grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukäme (vgl. § 93a Abs. 2 lit. a BVerfGG).

9
Die Obliegenheit zur Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ergibt sich unmittelbar
aus dem Gesetz (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 2 und 4 ZPO). Das Bundesverfassungsgericht hat diese
Obliegenheit seiner Rechtsprechung stets unbeanstandet zu Grunde gelegt (vgl. BVerfGE 67, 251 ; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Ersten Senats vom 13. April 1988 – 1 BvR 392/88 -, juris, Rn. 2; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats
vom 7. Februar 2000 – 2 BvR 106/00 -, NJW 2000, S. 3344; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 26. Februar 2003 –
2 BvR 990/00 -, juris, Rn. 4).

10
Streitig ist hier die Beurteilung, ob dieser Obliegenheit im Einzelfall genügt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht prüft
Beschlüsse im Prozesskostenhilfeverfahren jedoch nur daraufhin, ob sie auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von
der Bedeutung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG beruhen (vgl. BVerfGE 67, 251 m.w.N.; 81, 347 <357
f.>). Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, dass hier eine solche Sachlage gegeben wäre.

11
b) Zum anderen ist nicht ersichtlich und von der Beschwerdeführerin auch nicht dargelegt (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG;
vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. März 1996 – 2 BvR 2409/95 u.a. -, juris, Rn. 4; Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 1999 – 2 BvR 397/94 -, NJW 1999, S. 3479 ), dass die Annahme der Verfassungsbeschwerde
zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt wäre (vgl. § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG).

12
aa) Diese Voraussetzung ist unter anderem dann nicht gegeben, wenn der Beschwerdeführer sein vor den Fachgerichten verfolgtes
Begehren nicht (mehr) erreichen kann (vgl. BVerfGE 90, 22 ; 119, 292 ; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des
Zweiten Senats vom 4. März 1996 – 2 BvR 2409/95 u.a. -, juris, Rn. 4; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Juli
2000 – 2 BvR 1429/98 -, juris, Rn. 6). Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, dass ihr im Falle der Aufhebung des angefochtenen
Beschlusses und der Zurückverweisung an das Sozialgericht Prozesskostenhilfe zu gewähren wäre. Hierzu hätte indes aufgrund
der Umstände des Falles besonderer Anlass bestanden (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. November
1998 – 1 BvR 1891/98 -, juris, Rn. 25; Gehle, in: Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl. 2005, § 93a Rn. 58).

13
Prozesskostenhilfe kann nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO nur für eine beabsichtigte Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung gewährt werden. Dies setzt bereits begrifflich voraus, dass das entsprechende Rechtsschutzbegehren
noch anhängig ist. Ist – wie hier – die Instanz, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits beendet, dann ist eine Erfolg
versprechende Rechtsverfolgung oder -verteidigung nach der verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden fachgerichtlichen
Rechtsprechung und Literatur nicht mehr möglich (vgl. BFH, Beschluss vom 11. November 1985 – IV B 77/85 -, BFHE 145, 28 ;
Geimer, in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 117 Rn. 2b; Kalthoener/Büttner/ Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe,
Beratungshilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 508 m.w.N.).

14
Allerdings kommt nach der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe
ausnahmsweise auch nach Abschluss der Instanz in Betracht, wenn das Gericht sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte
bewilligen müssen (vgl. etwa OLG Hamm, Beschluss vom 17. März 2004 – 11 WF 4/04 -, NJOZ 2004, S. 2540 f.; Geimer, in: Zöller,
ZPO, 28. Aufl. 2010, § 117 Rn. 2b m.w.N.; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe,
5. Aufl. 2010, Rn. 508 m.w.N.). Indes setzt ein solcher Anspruch auf rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach
Abschluss der Instanz voraus, dass der Prozesskostenhilfeantrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinne der Bewilligung
entscheidungsreif war (vgl. BGH, Beschluss vom 30. September 1981 – IV b ZR 694/80 -, NJW 1982, S. 446; OLG Hamm, Beschluss
vom 17. März 2004 – 11 WF 4/04 -, NJOZ 2004, S. 2540; OVG NRW, Beschluss vom 5. Oktober 2006 – 18 E 760/06 -, NVwZ-RR 2007,
S. 286). Es ist nicht ersichtlich und insbesondere nicht vorgetragen, dass dies hier der Fall gewesen wäre.

15
(1) Ein vollständiger und damit bewilligungsreifer Antrag auf Prozesskostenhilfe setzt unter anderem gemäß § 73a Abs. 1 Satz
1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Darstellung des Streitverhältnisses unter Angabe der Beweismittel voraus
(vgl. Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 120). Dies ist
verfassungsrechtlich schon deswegen nicht zu beanstanden, weil zu den vom Fachgericht zu prüfenden Bewilligungsvoraussetzungen
auch die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung gehören (vgl. BVerfGE 81, 347 ). Eine solche Prüfung ist
dem Gericht jedoch nur möglich, wenn ihm eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses vorgelegt worden ist (vgl.
Völker/Zempel, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 2010, § 117 Rn. 7). § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO setzt daher voraus, dass derjenige,
der Prozesskostenhilfe begehrt, den Sachverhalt schildert (vgl. Fischer, in: Musielak, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 117 Rn. 15; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs,
Prozess- und Verfahrenskostenhilfe, Beratungshilfe, 5. Aufl. 2010, Rn. 120) und wenigstens im Kern deutlich macht, auf welche
rechtliche Beanstandung er seine Klage stützt (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Oktober 1993
– 1 BvR 1686/93 -, juris, Rn. 1).

16
Es ist nicht ersichtlich und insbesondere nicht vorgetragen, dass dies hier geschehen ist. Die Klageschrift enthielt keinerlei
Angaben zum Sachverhalt. Es kann dahinstehen, ob und inwieweit die Anforderungen auch dadurch erfüllt werden können, dass
dem Gericht die angefochtenen Bescheide vorgelegt werden. Denn der Klageschrift lässt sich – insbesondere mangels Angaben
über entsprechende beigefügte Anlagen – nicht entnehmen, dass die Beschwerdeführerin die angefochtenen Bescheide vorgelegt
hätte. Auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren hat sie diesen Umstand nicht vorgetragen und auch sonst nicht dargelegt, dass
später – aber noch vor Abschluss der Instanz – den Anforderungen des § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO genügende Angaben gemacht worden
seien.

17
(2) Zudem lässt sich nicht feststellen, dass die Klage vor dem Sozialgericht hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von
§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO hatte, so dass insofern der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
bewilligungsreif gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin trägt hierzu nichts vor.

18
bb) Mit Blick auf § 93a Abs. 2 lit. b BVerfGG ist überdies von Bedeutung, dass die Beschwerdeführerin in dem Verfahren, für
das sie Prozesskostenhilfe begehrt hat, durchgehend anwaltlich vertreten war, so dass ihr Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz
durch die Nichtgewährung von Prozesskostenhilfe nicht beeinträchtigt war.

19
2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

20
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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