Familienrecht

Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen, Rückwirkende Beurlaubung wegen Erkrankung, Vertrauensschutz

Aktenzeichen  12 C 20.2427

Datum:
28.4.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 9443
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 53
SGB X § 50

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 15 K 20.3024 2020-10-05 Bes VGMUENCHEN VG München

Tenor

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

Die Klägerin verfolgt mit ihrer Beschwerde die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für ihre gegen den Rückforderungsbescheid des beklagten Studentenwerks vom 2. März 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. Juni 2020 gerichtete Klage weiter, nachdem ihr das Verwaltungsgericht die Gewähr von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 5. Oktober 2020 versagt hat.
1. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat – wenn auch nur im Ergebnis – das Prozesskostenhilfegesuch zu Recht abgelehnt. Ungeachtet der Frage, ob die Klage hinreichende Erfolgsaussichten im Sinne von § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO besitzt, ist die Klägerin nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen in der Lage, die Kosten der Prozessführung selbst zu tragen.
1.1 § 115 Abs. 3 Satz 1 ZPO gebietet den Einsatz eigenen Vermögens für die Prozessführung, zu dem auch ein aus § 1360a Abs. 4, § 1610 Abs. 2 BGB abgeleiteter Anspruch gegenüber den Eltern auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses für Rechtsstreitigkeiten in persönlichen Angelegenheiten rechnet. Dieser privatrechtliche Anspruch unterhaltsrechtlicher Prägung geht dem öffentlich-rechtlichen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 12 C 18.1124 – BeckRS 2019, 7779 Rn. 2 f.; B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – BeckRS 2015, 53752 Rn. 6; B.v. 29.3.2010 – 12 C 09.3144 – BeckRS 2010, 31228 Rn. 6; B.v. 9.4.2009 – 12 C 08.1719 – BeckRS 2010, 53566 Rn. 3; Sächsisches OVG, B.v. 20.3.2015 – 2 D 111/14.NC – BeckRS 2015, 53500; Neumann/Schaks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 128). Denn auch einem volljährigen, unverheirateten Kind steht in entsprechender Anwendung von § 1360a Abs. 4 BGB in Rechtsstreitigkeiten, die persönliche Angelegenheiten betreffen, ein Anspruch auf Zahlung eines Prozesskostenvorschusses gegen seine Eltern zu, wenn seine Situation der eines unterhaltsberechtigten Ehegatten oder eines minderjährigen Kindes vergleichbar ist. Davon kann ausgegangen werden, wenn das volljährige Kind wegen der Fortdauer seiner Ausbildung noch keine Lebensstellung erworben hat und deswegen übergangsweise wie ein minderjähriges Kind der Unterstützung durch seine Eltern bedarf (BGH, B.v. 23.3.2005 – XII ZB 13.05 – NJW 2005, 1722 Rn. 8 ff.; vgl. hierzu ferner BayVGH, B.v. 3.8.2017 – 20 C 16.2407 – BeckRS 2017, 124624 Rn. 18). Der Unterhalt umfasst gemäß § 1610 Abs. 2 BGB den gesamten Lebensbedarf einschließlich der Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf. Zum Lebensbedarf rechnet wiederum der Prozesskostenvorschuss nach § 1360a Abs. 4 BGB (vgl. BayVGH, B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – BeckRS 2015, 53752 Rn. 7; Sächsisches OVG, B.v. 31.3.2010 – 2 D 20/10 – NJW 2010, 2903).
Soweit die Klägerin, die aktuell an der Universität M. Wirtschaftspädagogik studiert, sich mit ihrer Klage gegen die Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen durch das beklagte Studentenwerk wendet, handelt es sich um einen Rechtsstreit in persönlichen Angelegenheiten, da dieser zur Abwendung der Aufrechnung des Rückforderungsanspruchs mit laufenden Ausbildungsförderungsleistungen und damit der Förderung ihrer aktuellen Ausbildung dient und sie bislang noch keine Lebensstellung erlangt hat, die es ihr ermöglichen würde, sich selbst zu unterhalten (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 12 C 18.1124 – BeckRS 2019, 7779 Rn. 3.; B.v. 14.10.2015 – 12 C 14.2417 – BeckRS 2015, 53752 Rn. 8).
Einen Anspruch auf Leistung eines Prozesskostenvorschusses für Rechtsstreitigkeiten in persönlichen Angelegenheiten besitzt die Klägerin nach den im Beschwerdeverfahren eingereichten Erklärungen über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Eltern jedenfalls gegen ihren nach § 1601 BGB unterhaltspflichtigen Vater. Dessen Inanspruchnahme erweist sich nicht als unbillig, denn er hätte, führte er den Prozess selbst, aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse keinen Anspruch auf Prozesskostenhilfe (vgl. BayVGH, B.v. 25.3.2019 – 12 C 18.1124 – BeckRS 2019, 7779 Rn. 4; Neumann/Schacks in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 166 Rn. 129). Anhaltspunkte dafür, dass angesichts der in der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse angegebenen Bank-/Depotguthaben dem Vater der Klägerin für einen entsprechenden Prozess wenigstens Prozesskostenhilfe unter Ratenzahlung zu bewilligen wäre, bestehen unter Berücksichtigung der Gerichtskostenfreiheit des ausbildungsförderungsrechtlichen Verfahrens nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht; er ist offenkundig leistungsfähig.
Mithin liegen im vorliegenden Fall die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor, sodass die Beschwerde bereits aus diesem Grund zurückzuweisen war.
2. Ohne dass es hierauf noch entscheidungserheblich ankäme, weist der Senat gleichwohl auf Folgendes hin:
2.1 Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. hierzu aus jüngerer Zeit BVerfG, B.v. 12.5.2020 – 2 BvR 2151/17 – BeckRS 2020, 11557 mit weiteren Nachweisen) gebietet das Recht auf effektiven und gleichen Rechtsschutz, das für die Verwaltungsgerichtsbarkeit aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 4 GG abgeleitet wird, die weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Dabei erweist es sich zwar grundsätzlich als unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Es überspannt jedoch die Anforderungen an die Prüfung der Erfolgsaussichten, wenn diese dazu führt, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses damit an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Aus dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit folgt vielmehr eine Auslegung von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin, dass ein Rechtsschutzbegehren schon dann hinreichende Erfolgsaussichten haben kann, wenn die Entscheidung von der Beantwortung einer schwierigen und noch nicht geklärten oder von einer in hohem Maße streitigen Rechtsfrage abhängt. Ein Gericht, das § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO dahin interpretiert, auch schwierige und noch nicht geklärte oder hoch streitige Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren „durchzuentscheiden“, verkennt die Bedeutung der verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit. Denn dadurch würde dem unbemittelten Beteiligten im Gegensatz zu dem bemittelten die Möglichkeit genommen, seinen Rechtsstandpunkt im Hauptsacheverfahren mit den dort zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln darzustellen und von dort aus – soweit statthaft – in die höhere Instanz zu bringen.
2.2 Eine derartige, höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfrage, liegt dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde und spiegelt sich in dem von der Klägerin zur Begründung ihrer Klage herangezogenen Urteil des OVG Schleswig (U.v. 5.6.2014 – 3 LB 4/14 – BeckRS 2015, 41092) und des daraufhin ergangenen Revisionsurteils des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 25.6.2015 – 5 C 15.14 – BVerwGE 152, 264 = BeckRS 2015, 49897) wider. Zwar führt die rückwirkende, krankheitsbedingte Beurlaubung eines Studenten dazu, dass ihm für das Urlaubssemester kein Anspruch auf Ausbildungsförderung mehr zusteht. Gleichwohl ist bei der Rückforderung von Ausbildungsförderungsleistungen nach § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG in Verbindung mit § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X mit Wirkung gerade auch für zurückliegende Zeiträume ein verfassungsrechtlich gebotenes Mindestmaß an Vertrauensschutz zu beachten und demzufolge bei der Anwendung von § 53 Satz 1 Nr. 2 BAföG eine Abwägung des Gewichts des Vertrauensschutzinteresses des Auszubildenden gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer gesetzesmäßigen und zweckentsprechenden Verwendung der für die Ausbildungsförderung eingesetzten Finanzmittel vorzunehmen. Wenig schutzwürdig ist dabei das Vertrauen in den unveränderten Bestand eines begünstigenden Verwaltungsakts, wenn sich die Änderung im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung hält, wenn also der Betroffene mit der Änderung rechnen musste. Dies ist dann der Fall, wenn der Bestand des Bewilligungsbescheids nach den konkreten Umständen schon vor dem Erlass des Änderungsbescheids ernstlich zweifelhaft und seine Änderung bereits zu dem Zeitpunkt, auf den sie sich zurückbezieht, mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu erwarten war (BVerwG, U.v. 25.6.2015 – 5 C 15.14 – BeckRS 2015, 49897 Rn. 29; Hervorhebung durch den Senat).
Letzteres ist im Fall der Klägerin – jedenfalls nach Aktenlage und vorbehaltlich weiterer Sachverhaltsermittlung – nicht anzunehmen, da sie zu Beginn des Wintersemesters 2015/2016 am 1. Oktober 2015 (Zeitpunkt auf den sich die Änderung rückbezieht) weder mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit noch überhaupt erwarten konnte, im weiteren Verlauf des Semesters an Pfeifferschem Drüsenfieber mit der Folge zu erkranken, dass eine rückwirkende Beurlaubung erforderlich würde. Soweit das beklagte Studentenwerk im Widerspruchsbescheid vom 2. Juni 2020 diesbezüglich die Auffassung vertritt, die Klägerin hätte bereits zu Beginn ihres Studiums damit rechnen müssen, das Studium wegen der Erkrankung an Pfeifferschem Drüsenfieber nicht weiter betreiben zu können, bleibt unerfindlich, woraus dies abgeleitet wird, zumal nach Aktenlage die Erkrankung der Klägerin nicht schon zu Semesterbeginn vorgelegen hat, sondern erst im Verlauf des ersten Studiensemesters eingetreten ist.
Soweit das Verwaltungsgericht im angefochtenen Prozesskostenhilfebeschluss des Weiteren darauf verweist, das OVG Schleswig habe in dem von der Klägerin in Bezug genommenen Urteil vom 5. Juni 2014 (OVG Schleswig, U.v. 5.6.2014 – 3 LB 4/14 – BeckRS 2015, 41092) zwar schutzwürdiges Vertrauen eines Studenten bis zur Beantragung bzw. Bewilligung der Beurlaubung bejaht, da der Kläger im damaligen Verfahren bis zum Antragszeitpunkt studiert habe, nicht damit habe rechnen müssen, aus Krankheitsgründen ein Urlaubssemester beantragen zu müssen und ihm der Verzicht auf eine Beurlaubung, verbunden mit dem Risiko, Prüfungen nicht zu bestehen, in Anbetracht begrenzter Wiederholungsmöglichkeiten nicht zuzumuten gewesen sei, diese Sachverhaltsgestaltung jedoch mit der vorliegenden für nicht vergleichbar erachtet, begegnet dieser Ansatz gravierenden Bedenken. Denn der Kläger des schleswig-holsteinischen Verfahrens studierte zum Zeitpunkt der rückwirkenden Beurlaubung im zweiten Semester Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Wedel. Welcher Unterschied in den Wiederholungsmöglichkeiten von Prüfungen im Verhältnis zum Studium der Rechtswissenschaften im ersten Semester, wie es die Klägerin betrieben hat, hier bestehen soll, erschließt sich dem Senat nicht. Soweit das Verwaltungsgericht ferner darauf abstellt, es sei „nicht substantiiert vorgetragen oder ersichtlich, dass die Klägerin bis zur Beurlaubung vollumfänglich studiert“ habe, da sie ausweislich eines vorgelegten WhatsApp-Chats und ihrer Angaben im Widerspruchsverfahren „offenbar an einem regulären Studium gehindert“ gewesen sei, stellt dies aus der Sicht des Senats lediglich eine Vermutung und damit letztlich eine vorweggenommene Beweiswürdigung bereits im Prozesskostenhilfeverfahren dar. Die genannten Umstände sind vielmehr vom Verwaltungsgericht im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens von Amts wegen zu ermitteln.
Die Reichweite des Vertrauensschutzes im Fall einer rückwirkenden, krankheitsbedingten Beurlaubung, zu der, wie die Bevollmächtigte der Klägerin zu Recht ausgeführt hat, noch keine Rechtsprechung des Senats vorliegt, die jedenfalls bis zur Diagnose der schwerwiegenden Erkrankung erstreckt werden sollte, um eine Ungleichbehandlung mit den Studenten zu vermeiden, die unter Inkaufnahme einer Erkrankung nicht beurlaubt werden, muss im vorliegenden Fall evident in einem Hauptsacheverfahren und – gemessen an den verfassungsrechtlichen Maßstäben – nicht schon im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt werden, sodass, hätten die wirtschaftlichen Voraussetzungen vorgelegen, der Klägerin auch Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung zu bewilligen gewesen wäre.
3. Eine Kostenentscheidung war vorliegend entbehrlich, da Gerichtskosten in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben und Kosten im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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