Familienrecht

Rückforderung von zu Unrecht gezahltem Kindergeld bei grenzüberschreitenden Sachverhalten

Aktenzeichen  III R 36/20

Datum:
14.4.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BFH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BFH:2021:U.140421.IIIR36.20.0
Normen:
§ 31 S 3 EStG 2009
§ 37 Abs 2 AO
§ 38 AO
§ 44 AO
Art 68 EGV 883/2004
Art 6 EGV 987/2009
Art 60 EGV 987/2009
Art 73 EGV 987/2009
EStG VZ 2017
Spruchkörper:
3. Senat

Leitsatz

1. Für die Frage, ob Kindergeld behalten werden darf oder zurückzuzahlen ist, kommt es auf das Vorliegen von Kindergeldfestsetzungs- oder Aufhebungsbescheiden an und nicht auf den abstrakten materiell-rechtlichen Kindergeldanspruch.
2. Bei der Rückforderung von zu Unrecht gezahltem Kindergeld ergibt sich bei länderübergreifenden Sachverhalten keine Anspruchskonkurrenz des Anspruchs nach den europarechtlichen Regelungen der VO Nr. 883/2004 und VO Nr. 987/2009 mit dem Rückforderungsanspruch nach den nationalen Vorschriften.
3. Ein etwaiger Erstattungsanspruch des deutschen Leistungsträgers gegen einen ausländischen Leistungsträger nach den europarechtlichen Bestimmungen ist kein auf steuerrechtlichen Gründen beruhender öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO. Ein Ausgleichsanspruch zwischen den Mitgliedstaaten nach der VO Nr. 987/2009 berührt daher nicht den Rückforderungsanspruch der Familienkasse gegen den Kindergeldberechtigten.

Verfahrensgang

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 26. Mai 2020, Az: 6 K 263/18, Urteil

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 26.05.2020 – 6 K 263/18 aufgehoben, soweit der Klage gegen den Rückforderungsbescheid vom 03.07.2018 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 12.09.2018 stattgegeben wurde.
Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Unter Aufhebung der Kostenentscheidung des Finanzgerichts werden die Kosten des gesamten Verfahrens der Klägerin auferlegt.

Tatbestand

I.
1
Im Revisionsverfahren ist noch streitig, ob zu Unrecht gezahltes Kindergeld von der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) zurückgefordert werden kann.
2
Die Klägerin hat ihren Wohnsitz im Inland. Sie ist schwedische Staatsangehörige und Mutter der in ihrem Haushalt lebenden Kinder L (geboren 2006) und B (geboren 2012). Sie hat das alleinige Sorgerecht für die Kinder. Der von der Klägerin geschiedene Kindesvater lebt in Schweden und übt dort seit Januar 2017 eine Erwerbstätigkeit aus. Die Klägerin ist nicht erwerbstätig und bezieht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.
3
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) zahlte für die Kinder zunächst laufend Kindergeld. Nach Kenntniserlangung von der Erwerbstätigkeit des Kindesvaters hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis Juli 2017 mit Bescheid vom 03.07.2018 teilweise auf. Sie führte aus, deutsches Kindergeld sei gegenüber den schwedischen Leistungen nachrangig, für den genannten Zeitraum bestehe nur noch ein Anspruch in Höhe des Unterschiedsbetrages. Zugleich forderte sie den bereits überzahlten Betrag in Höhe von insgesamt 1.529,92 € von der Klägerin zurück.
4
Den dagegen eingelegten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 12.09.2018 zurück und hielt daran fest, dass der für die Kinder in Schweden bestehende Anspruch vorrangig sei.
5
Im anschließenden Klageverfahren trug die Familienkasse vor, der schwedische Träger habe mitgeteilt, dass der in Schweden lebende und arbeitende Kindesvater dort mangels Sorgerechts keinen Anspruch auf Familienleistungen habe. Dabei habe der schwedische Träger aber die Regelung des Art. 60 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.09.2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (Amtsblatt der Europäischen Union –ABlEU– 2009 Nr. L 284, S. 1) in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (VO Nr. 987/2009 –Durchführungsverordnung–) außer Acht gelassen. Dies bedeute für den Streitfall, dass Schweden aufgrund der Erwerbstätigkeit des Kindesvaters vorrangig zuständig sei. Mangels Sorgerechts folge daraus zwar kein Anspruch des Kindesvaters, die in der Bundesrepublik Deutschland lebende Kindesmutter müsse in Schweden jedoch so behandelt werden, als ob sie dort leben und den schwedischen Rechtsvorschriften unterliegen würde. Daher seien die schwedischen Familienleistungen zu Recht angerechnet und der überzahlte Betrag sei zutreffend zurückgefordert worden. Den europäischen Verordnungen sei auch nicht zu entnehmen, dass die Familienkasse verpflichtet wäre, das zu erstattende Kindergeld vom schwedischen Träger einzufordern. Unabhängig davon habe sie erfolglos versucht, eine Erstattung von schwedischer Seite zu erlangen. Nach mehrmaliger Erinnerung, zuletzt mit Schreiben vom 13.06.2019, habe der schwedische Träger der Familienkasse lediglich eine Bescheinigung übersandt, wonach Schweden keine Familienleistungen für die Zeit von Januar bis Juli 2017 gewähre. Daraufhin habe die Familienkasse den schwedischen Träger erneut um Erstattung ersucht und ausdrücklich auf einen Anspruch der Kindesmutter hingewiesen.
6
Die Klage hatte Erfolg, soweit sie sich gegen die Rückforderung richtete.
7
Nach Ansicht des Finanzgerichts (FG) wurde die Kindergeldfestsetzung für den Streitzeitraum in Höhe des in Schweden bestehenden Anspruchs der Klägerin auf Familienleistungen zu Recht aufgehoben. Insoweit wies das FG die Klage ab. Das FG hob jedoch den Rückforderungsbescheid mit der Begründung auf, die Familienkasse könne von der Klägerin den überzahlten Betrag nicht nach § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zurückfordern, da sie aufgrund einer Ermessensreduzierung auf Null nur den anderen Schuldner, den schwedischen Träger, auf Rückzahlung in Anspruch nehmen dürfe.
8
Mit der allein von der Familienkasse eingelegten Revision wird die Verletzung von Bundesrecht gerügt.
9
Die Familienkasse beantragt,das Urteil des Niedersächsischen FG vom 26.05.2020 – 6 K 263/18 aufzuheben, soweit die Rückforderung des Kindergeldes durch die Familienkasse von der Klägerin durch das FG aufgehoben wurde und die Klage auch insoweit abzuweisen.
10
Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.


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