Familienrecht

Schriftliche Antragstellung für vorläufige Unterbringung gemäß §§ 7, 8 ThürPsychKG

Aktenzeichen  1 T 20/22

Datum:
4.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LG Mühlhausen 1. Zivilkammer
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LGMUEHL:2022:0203.1T20.22.00
Normen:
§ 7 PsychKG TH vom 05.02.2009
§ 8 PsychKG TH
§ 14b FamFG vom 05.10.2021
§ 7 PsychKG TH vom 05.02.2009
§ 8 PsychKG TH
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Spruchkörper:
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Verfahrensgang

vorgehend AG Mühlhausen, 24. Januar 2022, 4 XIV 9/22 L

Tenor

1. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühlhausen vom 24.01.2022, Az. 4 XIV 9/22 L, wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
Bereits am 12.01.2022 beantragte der Sozialpsychiatrische Dienst beim Landratsamt des Wartburgkreises die Unterbringung des Betroffenen, hat diesen Antrag jedoch am 18.01.2022 für beendet erklärt, nachdem die Klinik mitteilte, dass der Betroffene freiwillig bleiben wolle (4 XIV 4/22 L). Der Betroffene befindet sich seit 12.01.2022 im ÖHK und verblieb dort zunächst auf freiwilliger Basis nachdem er selbst gesammelte halluzinogene Pilze und Cannabis konsumiert hatte und lediglich im Slip bekleidet auf dem Hausdach herumlief und letztlich auf dem Balkon des Nachbarn gestürzt war. In der Klinik erfolgten dann jedoch ohne erkennbaren Anlass erhebliche Fremdaggressionen/ Impulsdurchbrüche, die zu wiederholten Fixierungen führten (4 XIV 7/22 L; 4 XIV 8/22 L). Trotz oraler Medikation nahmen seine Wahnvorstellungen zu, wobei der Betroffene jedenfalls in der Anhörung am 24.01.2022 angab, sich nach der Medikamenteneinnahme übergeben zu haben.
Auf schriftlichen Antrag des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Unstrut-Hainich-Kreis (im Folgenden: SpDi) vom 24.01.2022 ordnete das Amtsgericht Mühlhausen nach richterlicher Anhörung und Verfahrenspflegerbestellung mit Beschluss vom selben Tag die vorläufige Unterbringung des Betroffenen nach § 7 ThürPsychKG bis zum 27.02.2022 an. Dem Antrag des SpDi war ein ärztliches Zeugnis der Stationsärztin Frau D vom 24.01.2022 beigefügt, nach welchem der Betroffene unter einer akuten drogeninduzierten Psychose leide, woraus eine erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung resultiere.
Der Betroffene legte unmittelbar nach Bekanntgabe des Beschlusses im Anschluss an die Anhörung Beschwerde gegen die vorläufige Unterbringung ein.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Beschwerdegericht vorgelegt.
Die Kammer hat dem Verfahrenspfleger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, welche am 01.02.2022 bei Gericht eingegangen ist.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Antrag des SpDi (Bl. 1 d.A.), die ärztliche Stellungnahme (Bl. 2 d.A.), den Vermerk der richterlichen Anhörung (Bl. 3 ff. d.A.) und die Stellungnahme des Verfahrenspflegers (Bl. 17 f. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht i.S.v. §§ 63 Abs. 2, 64 FamFG eingelegt.
Die Beschwerde ist jedoch unbegründet.
Die Voraussetzungen einer vorläufigen Unterbringung gemäß § 331 FamFG hat das Gericht mit Ausnahme der vorherigen Anhörung des Verfahrenspflegers beachtet. Der bestellte Verfahrenspfleger war telefonisch trotz mehrerer Versuche nicht erreichbar, wurde aber über den Unterbringungsantrag und die beabsichtigte Anhörung auf dem Anrufbeantworter informiert. Die Kammer hat die Anhörung des Verfahrenspflegers sodann nachgeholt (entsprechend § 332 S. 2 FamFG).
Der Antrag des SpDi auf Anordnung der Unterbringung war trotz der Formvorschrift des § 14b Abs. 1 FamFG im Eilverfahren – wie hier – in schriftlicher Form möglich.
§ 14b Abs. 1 FamFG ist nach Auffassung der Kammer in den Fällen der einstweiligen öffentlich-rechtlichen Unterbringung teleologisch zu reduzieren (a.A. LG Lübeck vom 21.01.2022 – 7 T 19/22 und vom 28.01.2022 – 7 T 27/22, wobei der dort anwendbare § 8 Abs. 1 PsychHG die Fassung vom 11.12.2020 darstellt).
Gemäß § 8 Abs. 1 ThürPsychKG kann die Unterbringung „[…] nur auf schriftlichen Antrag des zuständigen Sozialpsychiatrischen Dienstes durch gerichtliche Entscheidung angeordnet werden. Für das gerichtliche Verfahren gelten die Bestimmungen des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit“.
Die aktuelle Fassung des § 14b Abs. 1 FamFG schreibt mit Gültigkeit ab 01.01.2022 vor, dass „bei Gericht schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen […] durch eine Behörde […] als elektronisches Dokument zu übermitteln“ sind. „Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, so bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.“
§ 14b Abs. 2 FamFG lautet: „Andere Anträge und Erklärungen, die durch […] eine Behörde […] eingereicht werden, sollen als elektronisches Dokument übermittelt werden. Werden sie nach den allgemeinen Vorschriften übermittelt, so ist auf Anforderung ein elektronisches Dokument nachzureichen.“
Aus §§ 23 Abs. 1 S. 4, 25 Abs. 1 FamFG ist zu entnehmen, dass in den dem FamFG unterliegenden Verfahren nicht strikt ein Zwang zur Schriftlichkeit besteht (vgl. auch Dr. Fritzsche in NZFam 2022, 1). Vorliegend ist es aber gemäß § 8 Abs. 1 ThürPsychKG spezialgesetzlich vorgeschrieben, sodass grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 14b Abs. 1 FamFG gegeben ist.
Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 14b FamFG soll sich die zwingende Einreichung (Abs. 1) lediglich auf Anträge und Erklärungen, die bereits nach allgemeinen Vorschriften in Schriftform einzureichen sind, beschränken. Andere Anträge und Erklärungen fallen nicht darunter. Erklärter Wille des Gesetzgebers hierzu ist es allerdings, dass die Gerichte in Eilsachen und im Bereitschaftsdienst von einer aufwändigen Prüfung absehen können, ob der Einreichende zu einer der genannten Personengruppen gehört und der Antrag oder die Erklärung bereits aus formalen Gründen zu verwerfen sind. Das rührt aus der Eilbedürftigkeit der überwiegenden Zahl der Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und deren erhebliche Grundrechtseingriffe (BT-Drucksache 19/28399 zu Artikel 3, S. 38-39).
Gerade die öffentlich-rechtliche Unterbringung nach ThürPsychKG betrifft vor allem Akut- und Eilfälle, in denen vor Ort in Anwesenheit des zuständigen Richters möglichst zeitnah Entscheidungen getroffen werden müssen. In derartigen Eilverfahren bedarf es aus Sicht der Kammer einer praxisgerechten Handhabung formaler Aspekte. Zwar ist gemäß § 9 Abs. 1 ThürPsychKG eine vorläufige Unterbringungsanordnung längstens für 24 Stunden auch durch den SpDi möglich, wenn eine gerichtliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann. Dies soll aber gerade vor dem Hintergrund des Richtervorbehalts des Art. 104 Abs. 2 S. 1 GG die Ausnahme sein und bleiben. Maßgeblich für eine Anordnungsbefugnis des SpDi ist, ob der verfassungsrechtliche Zweck nicht erreicht werden könnte, wenn der Maßnahme die richterliche Entscheidung vorausgehen würde. Lässt man allerdings im Eilverfahren auch den schriftlichen Antrag des SpDi vor Ort genügen, ist der Richtervorbehalt weiterhin beachtet. Zudem ist eine richterliche Anhörung des Betroffenen vor Ort regelmäßig erkenntnisreicher als eine Anhörung in der Klinik, in der der Betroffene meist bereits medikamentös behandelt, teils sediert angetroffen wird.
Bei der Novellierung des § 14b FamFG im Oktober 2021 ist die Problematik der PsychKG-Unterbringungen in den jeweiligen Landesgesetzen aus Sicht der Kammer vom Bundesgesetzgeber übersehen worden. Die einzelnen Vorschriften der Länder sind unterschiedlich ausgestaltet. Zum Teil ist ein schriftlicher Antrag – wie in Thüringen – vorgeschrieben und zum Teil auch nicht. Hätte der Bundesgesetzgeber die Problematik im Zusammenhang mit den Landesunterbringungsgesetzen gesehen, hätte er auch für diese eine der Praxis gerechte Vorkehrung getroffen. Die Gesetzesbegründung belegt, dass der Gesetzgeber die Problematik der Eilfälle bzw. des Bereitschaftsdienstes erkannt hat und vom strengen Formerfordernis ausnehmen wollte. § 14b Abs. 1 FamFG ist daher nicht auf die Fälle der einstweiligen öffentlich-rechtlichen Unterbringungen dergestalt anzuwenden, dass nur die elektronische Einreichung möglich ist. Ausreichend ist vielmehr auch weiterhin die schriftliche Antragstellung im Eilverfahren.
Der Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen wird nicht verstärkt, wenn man in formeller Hinsicht weiterhin einen schriftlichen Antrag genügen lässt. Zudem ist das Erfordernis der elektronischen Übermittlung gemäß § 14b Abs. 1 FamFG dem technischen Fortschritt zunehmender Digitalisierung geschuldet. Zweck ist die Erleichterung und Beschleunigung der Kommunikation der Adressaten der Vorschrift untereinander, sowie die Kostenreduzierung. Die Formvorschrift ist aber nicht geschaffen worden, um die materielle Rechtslage der eiligen Unterbringungsverfahren dahingehend zu verändern, dass lediglich elektronisch eingereichte Anträge des SpDi wirksam sein sollen, schriftliche aber nicht mehr. § 14b FamFG ist eine formelle Verfahrensnorm, die letztlich der Verwirklichung materieller Rechte dienen soll. Der Schutz des Einzelnen vor sich selbst oder auch der Allgemeinheit bei akuter psychischer Erkrankung und die diesbezüglich betroffenen Grundrechte müssen weiterhin Vorrang vor rein formellen Aspekten haben, wie das Amtsgericht auch zutreffend ausgeführt hat.
Es bleibt ausdrücklich offen, ob nach der im Hinblick auf freiheitsentziehende Maßnahmen (nach BVerfG vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) längst überfälligen Novellierung des aus dem Jahr 2009 stammenden ThürPsychKG durch den Landesgesetzgeber die obige Auffassung der Kammer zu § 14b Abs. 1 FamFG beibehalten wird.
Klarstellend wird zudem angemerkt, dass die hiesige Entscheidung die einzelnen SpDi nicht davon entbinden soll, Anträge möglichst elektronisch einzureichen. Zweck der Einschränkung ist insbesondere die angemessene Bewältigung der Akutsituationen, in denen eine elektronische Einreichung nur unter erschwerenden Bedingungen möglich ist und zu Verzögerungen führen würde. Den Amtsgerichten steht es danach frei, die Anträge in elektronischer Form gemäß § 14b FamFG nachzufordern. Die SpDi sollen auch weiterhin möglichst ihre Unterbringungsanträge nach § 8 ThürPsychKG in elektronischer Form übermitteln.
Zu Recht hat das Amtsgericht auch die Voraussetzungen des § 7 ThürPsychKG bejaht. Nach dieser Vorschrift kann ein psychisch Kranker gegen oder ohne seinen Willen in einem psychiatrischen Fachkrankenhaus oder in der psychiatrischen Fachabteilung eines Krankenhauses untergebracht und behandelt werden, wenn und solange er infolge seines Leidens sein Leben, seine Gesundheit oder bedeutende Rechtsgüter anderer erheblich gefährdet und die gegenwärtige Gefahr nicht anders abgewendet werden kann.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Betroffenen vor. Aus dem ärztlichen Zeugnis der Stationsärztin D vom 24.01.2022 ergibt sich, dass der Betroffene an einer psychischen Krankheit, nämlich einer drogeninduzierten Psychose als akute psychische Erkrankung leidet. Aufgrund dieser Erkrankung sind Fehlhandlungen mit erheblicher Eigen- und Fremdgefährdung zu erwarten, wie bereits die Einweisungssituation (Herumklettern auf dem Dach leicht bekleidet und unter Drogeneinfluss), sowie die unberechenbaren Impulsdurchbrüche in der Klinik verdeutlichen. Der Betroffene verkennt die Realität, hat Wahngedanken, ist im Antrieb erheblich gesteigert und verhält sich plötzlich aggressiv und bedrohlich. In diesem Zustand ist er auch verbal nicht mehr erreichbar. Er ist krankheitsbedingt derzeit nicht in der Lage seine Erkrankung und deren Behandlungsbedürftigkeit zu erkennen. Es kann damit jederzeit ein Schaden stiftendes Ereignis aufgrund krankheitsbedingter situativer Verkennung der Realität und der raptusartigen Durchbrüche eintreten (§ 7 Abs.3 ThürPsychKG). Es besteht somit nach wie vor eine Selbst- und Fremdgefährdung in einem Maß, die eine Unterbringung rechtfertigt, da auch keine milderen Behandlungsalternativen mangels Krankheitseinsicht ersichtlich sind. Die ärztliche Einschätzung hat sich in der Anhörung durch das Amtsgericht bestätigt. Der Betroffene stimmte zu, dass er sich derzeit sehr schlimm verhält ohne aber diesbezüglich einen weiteren Erkenntnisgewinn zu haben, vielmehr noch motivierter zur Fortsetzung dieses Verhaltens erschien.
Die Unterbringungsvoraussetzungen liegen unverändert vor.
Auch in zeitlicher Hinsicht verbleibt es bei den Anordnungen des Amtsgerichts. Ein früherer Wegfall einer der Unterbringungsvoraussetzungen ist auch nach der Stellungnahme des Verfahrenspflegers nicht zu erwarten. Es ist auch bisher nur ein geringer Behandlungserfolg erzielt worden. Das manische Stimmungsbild besteht weiterhin mit der Folge aggressiver Impulsdurchbrüche, wenn sich der Betroffene eingegrenzt fühlt. So sprach er auch vor dem Verfahrenspfleger von seinem „Gott-Komplex“ und, dass er sich für den Mittelpunkt der Welt hält. Innerhalb des angeordneten Zeitraums ist aber zu erwarten, dass durch die so mögliche Therapie die erhebliche Selbst- und Fremdgefährdung nicht mehr vorliegt. Ob der Betroffene sich darüber hinaus zu einer weiteren Behandlung bereit erklärt, bleibt zu hoffen.
Von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hat die Kammer abgesehen, da hiervon zusätzliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind und die Rechte des Betroffenen durch den bestellten Verfahrenspfleger gewahrt sind, § 68 Abs. 3 FamFG. Die persönliche Anhörung des Betroffenen hat das erstinstanzliche Gericht umfassend durchgeführt. Aus der Stellungnahme des Verfahrenspflegers ergeben sich keine für die Kammer entscheidungserheblichen, veränderten Umstände.
Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben, § 81 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
Ein im Wege einstweiliger Anordnung erlassener Beschluss ist gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht durch Rechtsbeschwerde anfechtbar.


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