Familienrecht

Unzulässige Beschwerde wegen Fristüberschreitung

Aktenzeichen  L 16 AS 859/16 B ER

Datum:
17.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
AnwBl – 2017, 557
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG SGG § 63, § 67, § 173 S. 1, § 177
ZPO ZPO § 174, § 418

 

Leitsatz

Bei prozessualen Fragen (hier Zustellung eines Beschlusses) ist das Gericht nicht an die allgemeinen Vorschriften über das Beweisverfahren gebunden, sondern es entscheidet im Wege des sogenannten Freibeweises. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 37 AS 2122/16 ER 2016-11-04 Bes SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 4. November 2016 wird als unzulässig verworfen.
II. Der Beschwerdeführer hat den Beschwerdegegnern die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe

I.Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren über die vorläufige Gewährung höherer Unterkunftskosten für den Zeitraum vom 01.09.2016 bis 31.10.2016.
Am 09.05.2016 sprach die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Bg) zu 1) beim Antragsgegner und Beschwerdeführer (Bf) wegen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vor und teilte mit, sie sei alleinerziehend und habe zwei am 14.08.1999 und am 14.04.2014 geborene Kinder. Derzeit wohne sie bei ihrem Expartner mietfrei, bemühe sich aber um eine eigene Wohnung für sich und die Kinder. Laut Aktenvermerk vom 09.05.2016 wurde sie auf die für sie gültige Mietobergrenze hingewiesen. Am 10.05.2016 teilte die Bg zu 1) dem Bf mit, bisher habe sie keine Wohnung finden können und nur Absagen erhalten. Sie habe aber jetzt eine Zusage erhalten für eine Wohnung, die sie ab 01.06.2016 mit ihren Kindern beziehen könne. Die Kaltmiete betrage knapp 1.100,- Euro und liege somit über der Mietobergrenze. Sie bat um Mitteilung, ob diese Wohnung vom Bf genehmigt werden könne.
Am 23.05.2016 beantragte die Bg zu 1) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für sich und ihre Kinder. Sie legte einen Mietvertrag vom 13.05.2016 vor, nach dem sie für die zum 01.06.2016 angemietete Dreizimmerwohnung eine Nettomiete in Höhe von 1.095,- Euro, eine Heizkostenvorauszahlung in Höhe von 110,- Euro und eine Betriebskostenvorauszahlung in Höhe von 120,- Euro pro Monat schuldet.
Mit Bescheid vom 01.06.2016 geändert durch Bescheid vom 14.07.2016 bewilligte der Bf den Bg Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II vorläufig für die Zeit vom 01.06.2016 bis 31.10.2016. Als zu berücksichtigende Kosten der Unterkunft wurde ein Betrag von 920,- Euro angesetzt. In der Begründung ist ausgeführt, bereits vor Eingehung des Mietvertrages sei der Bg zu 1) mitgeteilt worden, dass die ab dem 01.06.2016 angemietete Wohnung 405,- Euro über der maßgeblichen Mietobergrenze liege. Es werde daher nur die angemessene Kaltmiete in Höhe von 690,- Euro für eine dreiköpfige Familie bewilligt, zuzüglich der Nebenkosten.
Ihren Widerspruch gegen den Bewilligungsbescheid vom 01.06.2016 begründete die Bg zu 1) unter anderem damit, dass für die vom Bf angegebene Mietobergrenze von 690,- Euro kalt eine Dreizimmerwohnung vor Ort oder im näheren Umkreis nicht zu finden sei. Sie habe seit Januar 2016 nach einer Wohnung gesucht. Sie habe aus dem Haus ihres Expartners ausziehen müssen, das Zusammenleben mit ihm sei für sie eine große psychische Belastung gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2016 wurden die Widersprüche gegen die Bescheide vom 01.06.2016 und 14.07.2016 als unbegründet zurückgewiesen. Die Mietobergrenze im Landkreis B-Stadt sei für eine Drei-Personen-Bedarfsgemeinschaft nach dem Gutachten der e. AG für den Vergleichsraum B- und A-Stadt bei einer Nettokaltmiete von 790,- Euro anzusetzen. Der Bg zu 1) sei bereits vor Einreichung ihres Antrags bewusst gewesen, dass die Kosten der unangemessenen Wohnung nicht in voller Höhe übernommen würden. Eine zumindest sechsmonatige Übernahme der vollen Unterkunftskosten komme nicht in Betracht. Dagegen wurde Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben.
Am 07.09.2016 stellten die Bg Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG. Es wurde vorgetragen, die Bg hätten nach der Trennung der Bg zu 1) von ihrem damaligen Lebensgefährten im Januar 2016 zunächst zwar weiterhin in dessen Eigenheim gewohnt, seit Januar aber nach einer Wohnung gesucht. Die Wohnungssuche sei dadurch erschwert, dass die Bg ortsgebunden seien (Schule, Kita Platz, Arbeitsweg ohne PKW). Vorgelegt wurde eine eidesstattliche Versicherung der Bg zu 1), nach der sie die Miete für den Monat September mit einem Dispokredit begleichen musste. Weiter wurde eidesstattlich versichert, die Bg hätten monatliche Einkünfte in Höhe von 1.634,40 Euro (Gehalt, bewilligte Leistungen nach dem SGB II, Unterhalt für die Kinder, Kindergeld) und monatliche fixe Ausgaben in Höhe von 1.653,25 Euro (Warmmiete, Strom, Handy, Telefon, Taschengeld, Rückzahlung Schulden Kreditkarte, Versicherungen), darin enthalten seien weder Lebensmittel noch Bekleidung. Ausgeführt wurde weiter, die Bestimmung der Angemessenheit der Mietobergrenze werde angezweifelt, zumindest vorübergehend seien im Rahmen der Bedarfsberechnung die tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen. Das Gutachten der Firma e. genüge nicht den Anforderungen des Bundessozialgerichts (BSG).
Der Bf teilte mit, die Bg zu 1) sei umfassend über die einschlägige Sach- und Rechtslage, insbesondere über die Mietobergrenzen im Landkreis B-Stadt informiert worden. Dennoch habe sie am 13.05.2016 einen Mietvertrag über eine Drei-Raum-Wohnung zu einem Netto-Kaltmietpreis von 1.095,- Euro abgeschlossen. Die Mietobergrenze betrage aber 790,- Euro. Der zuständige Sachbearbeiter habe die Bg noch davor gewarnt, den Mietvertrag abzuschließen, da die Kaltmiete 395,- Euro über der Mietobergrenze liege. Eine sechsmonatige Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft komme nicht in Betracht, da die Bg bereits vor Abschluss des Mietvertrages ihre Kostensenkungsobliegenheit gekannt hätten. Rechtfertigungstatbestände, wie psychische Belastung oder die Unmöglichkeit, angemessenen Wohnraum zu finden, kämen mangels Anwendbarkeit von § 22 Abs. 1 S.3 SGB II nicht in Betracht.
Mit Beschluss vom 22.07.2016 verpflichtete das SG den Bf im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, den Bg zu 1) bis 3) für den Zeitraum 01.09.2016 bis 31.10.2016 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu den bereits vorläufig geleisteten Beträgen von 64,53 Euro für Kosten der Unterkunft monatlich insgesamt weitere 405,- Euro für die Kosten der Unterkunft zu gewähren. Im Übrigen wurde der darüber hinausgehende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Es stehe fest, dass die von den Bg geschuldete Miete den Umfang der Angemessenheit überschreite. Nach dem Gutachten der Firma e. aus dem Jahr 2016 ergebe sich eine Obergrenze für Netto-Kaltmieten in A-Stadt von 790,- Euro für eine Bedarfsgemeinschaft mit drei Personen. Die Netto-Kaltmiete der Bg betrage jedoch 1.095,- Euro. Das Gutachten sei ausführlich und plausibel und wäre als schlüssiges Konzept für die Feststellung der Mietobergrenze geeignet, wenn es – wie vom BSG gefordert – Obergrenzen für die jeweiligen Brutto-Kaltmieten erstellt hätte und nicht Aussagen über Netto-Kaltmieten treffen würde. Es könne aber mittelbar als Maßstab dienen.
Der Bf habe daher eine Mietobergrenze für die Netto-Kaltmiete festgestellt und dabei eine Mietobergrenze von 690,- Euro und nicht von 790,- Euro der Leistungsberechnung zugrunde gelegt. Durch die Nennung einer Grenze von 690,- Euro seien die Bg unter Umständen in die Irre geführt worden und zu dem Ergebnis gekommen, dass zu dieser Mietobergrenze tatsächlich keine angemessene Wohnung gefunden werden könne. Es erscheine als nicht ausgeschlossen, dass aufgrund der Nennung der falschen Mietobergrenze ein Anspruch zumindest für die ersten sechs Monate des Leistungsbezuges auf die vollen Kosten der Unterkunft bestehe. Da im vorliegenden Fall existenzsichernde Leistungen geltend gemacht würden und die Bg darlegten, dass sie möglicherweise für die ersten sechs Monate Anspruch auf die vollen Kosten der Unterkunft hätten, sei der Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Damit sei der Differenzbetrag von 405,- Euro zu gewähren. Weitere bzw. höhere Ansprüche hätten die Bg nicht glaubhaft gemacht.
Laut sich in der Akte des SG befindlichen Sendeberichten wurde der Beschluss vom 04.11.2016 per Fax am 07.11.2016 um 10.43 Uhr an die Bevollmächtigten der Bg übermittelt, um 10.44 Uhr erfolgte die Übermittlung an den Bf. Die Sendeberichte bestätigen die erfolgreiche Übertragung des neun Seiten umfassenden Beschlusses und des mit den Worten „Übersendung zum Zwecke der Zustellung“ versehenen Empfangsbekenntnisses. Am 08.11.2016 erfolgte eine Übermittlung der Abschriften des Beschlusses gegen Empfangsbekenntnis per Post. Der Bevollmächtigte der Bg sandte das Empfangsbekenntnis mit dem Vermerk „empfangen am 07.11.2016“ an das SG zurück. Eine Übermittlung des Empfangsbekenntnisses durch den Bf erfolgte zunächst nicht. Nach Erinnerung durch das SG wurde ein Empfangsbekenntnis übersandt, laut dem eine beglaubigte Abschrift der einstweiligen Anordnung vom 04.11.2016 am 17.11.2016 vom Bf empfangen worden ist. Gegen den Beschluss hat der Bf am 08.12.2016 Beschwerde zum Bayerischen Landessozialgericht (LSG) erhoben. Den Bg sei keine falsche Mietobergrenze genannt worden. Vielmehr sei die Mietobergrenze erst zum 01.09.2016 geändert worden. Die Bg hätten daher auch keinen Anspruch auf die zumindest sechsmonatige Übernahme der vollen Kosten der Unterkunft. Es sei der Bg zu 1) bereits vor Anmietung der Wohnung bewusst gewesen, dass die Kosten für Unterkunft nicht in voller Höhe übernommen würden. Unabhängig davon würde sich ein Anspruch auf zumindest sechsmonatige Übernahme auch nicht ergeben, wenn den Bg eine falsche Mietobergrenze genannt worden wäre. Soweit das SG ausgeführt habe, das Gutachten der e. AG sei nur mittelbar zur Bestimmung der Mietobergrenze heranzuziehen, da die Mietobergrenzen sich auf Nettokaltmieten beziehen würden, sei festzustellen, dass die Bg günstiger stehen würden als wenn sich das Gutachten auf Bruttokaltmieten beziehen würde. Selbst den Fall gesetzt, man würde eine absolute Unwirksamkeit des Gutachtens annehmen, so würden die Bg nicht die volle Miete erhalten, sondern auf die Mietobergenze nach dem Wohngeldgesetz zurückfallen.
Die Bg haben in ihrer Stellungnahme ausgeführt, es bestehe zumindest ein Anspruch auf vorübergehende Übernahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft. Im Rahmen eines Eilverfahrens sei eine abschließende Überprüfung der Angemessenheitsgrenze nicht erforderlich. Die abschließende Klärung erfordere eine umfangreiche Prüfung, die erst im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens erfolgen könne. Der Senat hat den Bf mit Schreiben vom 12.01.2017 und 24.01.2017 darauf hingewiesen, dass – soweit dem in der Akte des SG befindlichen Sendebericht zu entnehmen sei – der Beschluss des SG vom 04.11.2016 am 07.11.2016 um 10.44 Uhr per Fax an den Bf übermittelt worden sei. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG sei erst am 08.12.2016 beim LSG eingegangen und müsste demnach als unzulässig verworfen werden. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien nicht ersichtlich. Der Bf wurde um Mitteilung gebeten, ob die Beschwerde zurückgenommen werde. Darauf hat der Bf erklärt, der angefochtene Beschluss sei nur per Post zugegangen. Der Posteingangsstempel datiere vom 09.11.2016. Fristablauf sei daher der 09.12.2016. Aus dem Sendebericht des SG gehe hervor, dass der Beschluss am 07.11.2016 um 10.44 Uhr an die Nummer 0 … gesendet worden sei. Es handle sich um die allgemeine Nummer des Referats 2.3 Soziales und nicht um die Faxnummer des Referats 2.2 Jobcenter Landkreis B-Stadt. Es werde gebeten, die Beschwerde als nicht verfristet anzusehen.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts wegen der Einzelheiten auf die Akte des Bf und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.
II.Die vom Bf erhobene Beschwerde gegen den Beschluss des SG vom 04.11.2016 ist gemäß § 202 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 572 Abs. 2 S.2 Zivilprozessordnung (ZPO) als unzulässig zu verwerfen.
A.) Die gegen den Beschluss des SG gemäß § 172 SGG grundsätzlich statthafte Beschwerde ist nicht zulässig, weil sie nicht innerhalb der Beschwerdefrist erhoben worden ist. Eine Beschwerde ist nur dann zulässig, wenn die Prozessvoraussetzungen vorliegen. Dazu gehört unter anderem auch die Einhaltung der Beschwerdefrist gemäß § 173 SGG. Nach § 173 S.1 SGG ist die Beschwerde binnen eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung beim Sozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist nach S.2 auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Landessozialgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird.
Die einmonatige Frist wurde vom Bf nicht eingehalten. Der Beschluss des SG vom 04.11.2016 ist dem Bf am 07.11.2016 bekannt gegeben worden. Die Beschwerdefrist von einem Monat endete daher am Mittwoch, 07.12.2016. Die Beschwerde gegen den Beschluss des SG ist aber erst am 08.12.2016 beim LSG eingegangen.
1.) In der Akte des SG liegt ein Zustellungsnachweis mit Datum 17.11.2016 vor. Der Bf hat nach Erinnerung durch das SG am 22.11.2016 ein Empfangsbekenntnis übermittelt. Aus diesem ergibt sich, dass eine beglaubigte Abschrift der einstweiligen Anordnung vom 04.11.2016 vom Bf am 17.11.2016 empfangen worden ist. Das Empfangsbekenntnis erbringt als öffentliche Urkunde im Sinne von § 418 ZPO vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch dafür, dass der darin genannte Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht (vgl. Bundesgerichtshof -BGH-, Beschluss vom 29.10.1986, IVa ZR 120/85). Zur Widerlegung des aus einem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Zustellungsdatums ist der Freibeweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig (vgl. Hüßtege in Thomas/ Putzo, ZPO, 37. Auflage 2016, § 174 Rn.8). Der Nachweis eines falschen Datums ist vollständig erst dann erbracht, wenn die Beweiswirkungen der Urkunde entkräftet sind und damit jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass die Angabe auf dem Empfangsbekenntnis richtig sein könnte (vgl. Bundesverfassungsgericht -BverfG-, Beschluss vom 27.03.2001, 2 BvR 2211/97). Dies ist vorliegend der Fall. Das sich aus dem übermittelten Empfangsbekenntnis ergebende Empfangsdatum (17.11.2016) ist offensichtlich unrichtig. Der Bf hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens selbst vorgetragen, ihm sei der angegriffene Beschluss des SG per Post am 09.11.2016 zugegangen und hat insofern auf den Posteingangsstempel vom 09.11.2016 hingewiesen.
2.) Der Senat hatte daher über die Frage zu entscheiden, wann der angegriffene Beschluss den Bf erreicht hat. Bei prozessualen Fragen ist das Gericht nicht an die allgemeinen Vorschriften über das Beweisverfahren gebunden, sondern es entscheidet im Wege des sogenannten Freibeweises (vgl. BSG, Beschluss vom 01.10.2009, B 3 P 13/09 B; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 64 Rn.6a).
a.) Der angegriffene Beschluss des SG vom 04.11.2016 wurde gemäß § 63 SGG i.V.m. § 174 ZPO gegen Empfangsbekenntnis zugestellt. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis an die nach § 174 Abs. 1 ZPO empfangsbefugten Personen ist auch durch Telefax möglich, § 174 Abs. 2 ZPO. Das SG hat durch den Hinweis „Übersendung zum Zwecke der Zustellung“, der auch dazu dient, die Aufmerksamkeit des Empfängers auf das Dokument zu lenken und zu verhindern, dass es im Wust der übrigen Sendungen verloren geht, und die Übersendung eines Vordrucks eines Empfangsbekenntnisses über die Zustellung den Zustellungswillen deutlich gemacht. Die neun Seiten umfassende Entscheidung des SG wurde laut dem sich in der Akte des SG befindlichen Sendebericht per Fax am 07.11.2016 um 10.44 Uhr an den Bf übermittelt. Der Sendebericht bestätigt die erfolgreiche Übertragung des vollständigen Beschlusses und des mit den Worten „Übersendung zum Zwecke der Zustellung“ versehenen Empfangsbekenntnisses. Die Übermittlung einer vollständigen Entscheidung „vorab per Telefax“ und unter Beifügung eines Empfangsbekenntnisses, das den Zusatz „Zustellung“ (§ 63 Abs. 2 SGG, § 174 ZPO) enthielt, hat die Beschwerdefrist in Lauf gesetzt. Entsprechend haben die Bevollmächtigten der Bg, denen der Beschluss am 07.11.2016 um 10.43 Uhr per Fax übermittelt wurde, das Empfangsbekenntnis mit dem Vermerk „empfangen am 07.11.2016“ an das SG zurückgesandt.
b.) Zwar erbringt ein Faxsendeprotokoll nicht bereits den vollen Beweis für den Zugang des Beschlusses, für den es nicht auf den Ausdruck des Faxes, sondern allein auf den vollständigen Empfang (d.h. die Speicherung) der gesendeten technischen Signale im Telefaxgerät ankommt (vgl. BGH, Beschluss vom 25.04.2006, IV ZB 20/05). Ein Sendebericht über eine ordnungsgemäß abgelaufene Übertragung indiziert aber jedenfalls einen Zugang beim empfangenden Faxgerät. Bei einem Faxsendebericht, der eine vollständige Übertragung bestätigt, kann generell davon ausgegangen werden, dass die Faxübertragung im Speicher des empfangenden Geräts angekommen ist (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 30.09.2008, 12 U 65/08). Vorliegend gibt es für eine Störung des empfangenden Faxgerätes keinerlei Hinweis. Der Bf hat diesbezüglich auch im Rahmen der Anhörung nichts vorgetragen und beispielsweise die technischen Aufzeichnungen des Empfangsgerätes über die empfangenen Sendungen vorgelegt. Daraus ergibt sich zur Überzeugung des Senats, dass der Beschluss des SG dem empfangenden Faxgerät zugegangen ist.
c.) Der Hinweis des Bf, aus dem Sendebericht des SG gehe hervor, dass der Beschluss am 07.11.2016 um 10.44 Uhr an die Nummer 0 … gesendet worden sei, es handle sich um die allgemeine Nummer des Referats 2.3 Soziales und nicht um die Faxnummer des Referats 2.2 Jobcenter Landkreis B-Stadt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Das Fax war offensichtlich an die richtige Behörde – und nicht wie vom Bf zunächst vermutet an ein anderes Jobcenter – gerichtet und ist dort auch bei der allgemeinen Nummer des Referats Soziales eingegangen. Der per Fax zugestellte Beschluss des SG war innerhalb der Behörde der zuständigen Stelle zu übermitteln. Der Vortrag des Bf, der Beschluss des SG sei nicht an die Faxnummer des Jobcenters Landkreis B-Stadt gerichtet gewesen, erstaunt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sämtliche Übermittlungen von Schriftstücken im erstinstanzlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ohne Beanstandung an die genannte Faxnummer übermittelt wurden (Übermittlung einer Abschrift des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz mit Schreiben vom 07.09.2016 sowie Übermittlung von Schriftsätzen mit Schreiben vom 26.09.2016 und 27.09.2016) und an die Faxnummer auch im Verwaltungsverfahren Schriftstücke übermittelt worden sind, die sich in der Verwaltungsakte befinden. Offensichtlich findet grundsätzlich eine Weitergabe innerhalb der Behörde statt.
d.) Soweit vorgetragen wird, dem Jobcenter sei der angegriffene Beschluss des SG nur per Post zugegangen, ändert auch dies nichts am Ergebnis. Die Übermittlung des Faxes innerhalb der Behörde an die zuständige Stelle liegt im alleinigen Organisations- und Verantwortungsbereich der Behörde. Es ist vorliegend nicht ersichtlich, warum der per Fax zugestellte Beschluss des SG vom 04.11.2016, der dem Landratsamt B-Stadt zugegangen ist, innerhalb der Behörde nicht der zuständigen Stelle übermittelt worden ist.
e.) Die nachfolgende Übersendung einer Beschlussausfertigung unter Beifügung eines weiteren Empfangsbekenntnisses auf dem normalen Postweg hat die Beschwerdefrist nicht erneut in Lauf gesetzt. Bei mehrfacher Zustellung einer Entscheidung an denselben Beteiligten ist für die Fristenberechnung auf die erste wirksame Bekanntgabe abzustellen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. April 1994, 5 B 18/94). Daher spielt der Zeitpunkt des Zugangs des Beschlusses per Post, der laut Eingangsstempel des Bf auf den 09.11.2016 datiert, vorliegend keine Rolle.
f.) Auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Gemäß § 67 SGG ist auf Antrag Wiedersetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Wiedereinsetzungsgründe wurden vom Bf nicht vorgetragen und sind auch nicht aus der Akte ersichtlich. Auch wurde ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gestellt.
B.) Die Beschwerde ist aber auch unbegründet, weil die Entscheidung des SG im Ergebnis nicht zu beanstanden ist. Der Senat betrachtet es als offen, ob und in welcher Höhe ein Anordnungsanspruch besteht. Die vom Bf unter Bezugnahme auf das im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Gutachten der Firma e. für den Landkreis B-Stadt, Aktualisierung 2016 vom 12.09.2016 als angemessen erachtete Mietobergrenze kann im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend geprüft werden. Jedenfalls hat der Bf bei der Berechnung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die streitgegenständlichen Monate September und Oktober 2016 eine Mietobergrenze von 690,- Euro statt der nach seinem eigenen Vortrag von ihm als angemessen erachteten Grenze von 790,- Euro zugrunde gelegt. Weiter ist eine abschließende Prüfung der Hauptsache im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufgrund der notwendigen weiteren Aufklärung des Sachverhalts bezüglich der Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Kostensenkung im konkreten Einzelfall nicht möglich. Die Eilbedürftigkeit wurde im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens glaubhaft gemacht. Die vorzunehmende Folgenabwägung geht vor dem Hintergrund, dass die Bg existenzsichernde Leistungen erhalten wollen und es um den Schutz ihrer Wohnung als Lebensmittelpunkt geht, zu Gunsten der Bg aus. Das fiskalische Interesse des Bf, gegebenenfalls die Leistungen in Höhe von vorliegend 810,- Euro, nach einer endgültigen Klärung wieder zurückbekommen zu können, tritt dahinter zurück.
C.) Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
D.) Der Antrag auf Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren war abzulehnen, weil die Bg trotz Aufforderung durch das Gericht eine vollständig ausgefüllte Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde nicht vorgelegt haben.
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben