Familienrecht

Vaterschaftsanfechtung durch Mutter: Verwirkung, Rechtsmissbrauch, Kindeswohldienlichkeit

Aktenzeichen  7 UF 99/19

Datum:
12.6.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 42144
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Bamberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 1600 Abs. 1 Nr. 3, § 1600a Abs. 4, § 1600b Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

1. Eine Frau, die während der Schwangerschaft einen Mann heiratet, von dem sie weiß, dass er nicht der Erzeuger ihres Kindes ist, kann die später durch die Heirat begründete Vaterschaft anfechten, ohne dass dem Verwirkung oder Rechtsmissbrauch entgegenstehen.  (Rn. 25 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Anfechtung durch die Mutter setzt nicht voraus, dass die Anfechtung dem Wohl des Kindes dient.   (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

004 F 568/18 2019-03-29 Endbeschluss AGHOF AG Hof

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten A. gegen den Endbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Hof vom 29.03.2019 wird zurückgewiesen.
2. Der Beteiligten A. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
1.

Gründe

I.
Die Antragstellerin und der Beteiligten A. waren ab xx.xx.2016 miteinander verheiratet. Im September 2017 trennten sie sich. Seit Januar 2019 ist die Ehe geschieden.
Ihre Beziehung begann bereits im September 2014. Bis zur Eheschließung kam es zu mehreren Trennungen. Vor der Heirat lebten sie zuletzt von September 2015 bis März 2016 getrennt. In dieser Zeit hatte die Antragstellerin ausschließlich Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann. Im Februar 2016 stellte die Antragstellerin fest, dass sie schwanger war. Am xx.xx.2016 kam die Tochter B. auf die Welt.
Mit am 19.07.2018 beim Familiengericht eingegangenem Schriftsatz beantragte die Antragstellerin in erster Instanz:
Es wird festgestellt, dass der Beteiligte A. nicht der Vater des Kindes B. ist.
Der Beteiligte A. beantragte die Zurückweisung dieses Antrages mit der Begründung, die Antragstellerin habe ihn in dem Wissen, dass er nicht der Vater des Kindes ist, noch vor der Geburt des Kindes geheiratet, damit er der Vater des Kindes wird. Ihr Recht auf spätere Anfechtung der Vaterschaft habe sie damit verwirkt.
Das Familiengericht hörte die Beteiligten an und holte ein Gutachten zur Abstammung des Kindes ein. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten vom 25.02.2019 verwiesen.
II.
Am 29.03.2019 erging durch das Amtsgericht – Familiengericht – Hof folgende Endentscheidung:
Es wird festgestellt, dass der Beteiligte A. nicht der Vater des Kindes B., geboren am …2016, ist.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Der Verfahrenswert wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Im Rahmen der Begründung führte das Familiengericht unter anderem aus:
Der nach §§ 1600 ff BGB, 169 ff FamFG zulässige Antrag auf Feststellung des Nichtbestehens des Eltern-Kind-Verhältnisses ist begründet. Die Antragstellerin habe ihr Anfechtungsrecht nicht verwirkt. Das Gesetz nenne als einzigen Ausschlussgrund die Versäumung der Frist des § 1600 b BGB und will damit nach Ablauf dieser Zeit Rechtssicherheiten und Rechtsfrieden eintreten lassen. Solange die Frist aber noch läuft, gebe es keinen gesetzlich normierten Ausschlusstatbestand. Die Möglichkeit der Verwirkung des Anfechtungsrechts sei weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur anerkannt. Im Gegenteil, selbst bei einer bewusst falschen Vaterschaftsanerkenntniserklärung sei die spätere Anfechtung der Vaterschaft zulässig. Das Gesetz mache das Anfechtungsrecht nämlich nicht davon abhängig, dass der Anerkennende erst nach der Anerkenntniserklärung Kenntnis von gegen seine Vaterschaft sprechenden Umständen erlangt. Vielmehr sei ausschließlicher Anfechtungsgrund die objektive Unrichtigkeit einer Vaterschaftsanerkennung. Die Frist habe vorliegend mit der Geburt des Kindes begonnen und endete demnach am xx.xx.2018. Eingegangen sei der Antrag bereits am 26.06.2018. Die Frist sei damit gewahrt. Da es nach dem vom Gericht eingeholten und überzeugenden Gutachten keine ausreichende Übereinstimmung der DNA-Merkmale gebe, könne der Beteiligte A. offenbar unmöglich der Vater des Kindes sein.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der Entscheidung vom 29.03.2019 verwiesen.
Der Beteiligte A. legte gegen die ihm am 02.04.2019 zugestellte Entscheidung mit am 12.04.2019 beim Familiengericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde ein und beantragt die Aufhebung des Beschlusses vom 29.03.2019 und die Abweisung des Antrages der Antragstellerin.
Seiner Ansicht nach habe die Antragstellerin kein Recht auf widersprüchliches Handeln. Sie habe völlig bewusst in Kenntnis der Nicht-Vaterschaft den Beschwerdeführer als Vater auserwählt und diesen bewusst vor der Geburt geehelicht, damit das Kind als dessen Kind ehelich zur Welt komme. Damit habe sie eine Entscheidung getroffen, die keiner weiteren Überlegung mehr zugänglich sei. Bei einer derart bewussten Positionierung müsse sie ihr Recht auf Anfechtung verwirkt haben, weil eine Anfechtung dem Gesetzeszweck völlig zuwider liefe und zu grotesken Ergebnissen führe. Im übrigen sei fraglich, ob die Mutter überhaupt in der Lage sei, die elterliche Sorge auszuüben. Bei der Einführung des eigenständigen Anfechtungsrecht der Mutter habe der Gesetzgeber schlicht übersehen, dass die Anfechtung dem Wohl des Kindes dienen müsse.
Die Antragstellerin verteidigt die getroffene Entscheidung und beantragt die kostenpflichtige Zurückweisung der Beschwerde. Die nach §§ 58 ff FamFG zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist nicht begründet und daher zurückzuweisen.
Zu Recht und auch mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht – Familiengericht – Hof festgestellt, dass der Beteiligten A. nicht der Vater des am xx.xx.2016 geborenen Kindes B. ist.
Der Senat nimmt daher zunächst auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung vom 29.03.2019 Bezug, die durch das Beschwerdevorbringen auch nicht entkräftet werden.
Zum Vorbringen der Beschwerde sind lediglich die folgenden Anmerkungen veranlasst: 1) Bei der Anfechtung der Vaterschaft durch die Mutter entsteht – entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers – weder eine „andere Problematik“ als bei der Anfechtung durch den Vater oder Mann, noch ergeben sich „völlig andere Fallkonstellationen“. Es ist daher unerheblich, ob es im Regelfall die Männer sind, die die Vaterschaft anfechten.
Der Gesetzgeber hat die Rechte der Kindsmutter durch die Reform des Kindschaftsrechts bewusst gestärkt und ihr in § 1600 Abs. 1 Nr. 3 BGB ein eigenes Anfechtungsrecht eingeräumt (BTDrucksache 13/4899, 54). Ohne Bedeutung ist deswegen, ob die Vaterschaft auf einer Ehe oder auf einer Anerkennung beruht (Palandt / Brudermüller, BGB, 78. Auflage, 2019, § 1600 Rn. 1) .
2) Auch für eine Anfechtung durch die Mutter beginnt die Anfechtungsfrist nach § 1600 b Abs. 1 Satz 2 BGB grundsätzlich mit dem Zeitpunkt, in dem sie von gegen die Vaterschaft sprechenden Umständen erfährt.
Allerdings ist dieser Zeitpunkt vorliegend nicht relevant, weil die Frist nach § 1600 b Abs. 2 BGB nicht vor der Geburt des Kindes beginnt. Zutreffend stellte das Familiengericht demnach fest, dass die Anfechtungsfrist gewahrt ist.
Das Vorbringen des Beschwerdeführers, der Antragstellerin könne aufgrund der Tatsache, dass sie durch die Heirat eine klare Entscheidung getroffen habe, keine weitere Überlegungsfrist zustehen, findet im Gesetz keine Stütze.
3) Entgegen der Einschätzung der Beschwerde führt die „klare bewusste Positionierung der Mutter“ auch nicht dazu, dass sie ihr Recht auf Anfechtung verwirkt hat.
Ein Ausschluss des Anfechtungsrechts der Mutter des Kindes kommt – von der Sonderregelung des § 1600 Abs. 4 BGB abgesehen – nicht in Betracht (MüKoBGB / Wellenhofer, 7. Auflage, 2017, § 1600 Rn. 6) Richtig ist zwar, dass die Antragstellerin nach ihrem eigenen Vortrag bei Eheschließung wusste, dass ihr Ehemann nicht der Vater ihres Kindes ist. Gleichwohl liegt weder ein Fall der Verwirkung, noch des Rechtsmissbrauches vor. Verwirkt ist ein Recht nur dann, wenn es der Berechtigte für längere Zeit nicht geltend gemacht hat und der andere Teil sich darauf eingerichtet hat und darauf einrichten durfte, dass das Recht auch in Zukunft nicht mehr geltend gemacht wird.
Dieser Grundsatz kann vorliegend nicht angewendet werden. Das Statusrecht kennt keinen Vertrauenstatbestand.
Zu berücksichtigen ist nämlich, dass die Vaterschaft ganz erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Mutter – insbesondere beim Sorgerecht – hat. Dementsprechend kann die Mutter eine Vaterschaft auch dann anfechten, wenn sie zuvor einer falschen Vaterschaftsanerkennung bewusst zugestimmt hatte (MüKoBGB / Wellenhofer, a.a.O.).
Gleiches muss für den hier zu entscheidenden Fall einer Vaterschaft aufgrund von Eheschließung gelten. Die mit der Eheschließung verbundenen Erwartungen der Antragstellerin haben sich vorliegend erkennbar nicht erfüllt. Dementsprechend konnte der Beteiligte A. nicht darauf vertrauen, dass innerhalb der Frist des § 1600 b BGB keine Anfechtung erfolgt und es deswegen bei seiner Vaterschaft aufgrund der Eheschließung verbleiben wird.
4) Der Senat kann nicht erkennen, dass die vom Familiengericht getroffene Entscheidung zu einem grotesken Ergebnis führt, welches dem Gesetzeszweck völlig zuwider läuft.
Der Anfechtungsberechtigte muss keinen besonderen Anfechtungsgrund geltend machen. Anfechtungsgrund ist stets das Auseinanderfallen von rechtlicher und leiblicher Vaterschaft (MüKoBGB / Wellenhofer, a.a.O., § 1600 Rn. 1 mit Hinweis auf BT-Drs. 16/3291, 10).
5) Ob derzeit Umgang zwischen dem Beschwerdeführer und dem Kind oder Umgang zwischen den Eltern des Beschwerdeführers und dem Kind stattfindet, ist für die zu treffende Entscheidung völlig ohne Bedeutung.
Gleiches gilt für die Frage, ob die Antragstellerin in der Lage ist, die elterliche Sorge auszuüben. Die Anfechtung durch die Mutter setzt nicht voraus, dass die Anfechtung dem Wohl des Kindes dient (Palandt / Brudermüller, a.a.O., § 1600 Rn. 4). Dass der Gesetzgeber den Schutz des Kindeswohls bei der Einführung des Anfechtungsrechts der Mutter übersehen hat, schließt der Senat aus. In § 1600 a Abs. 4 BGB ist diese Voraussetzung nämlich ausdrücklich genannt. 7 UF 99/19 – Seite 6 – Der Senat hat von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem Beschwerdegericht abgesehen, weil von einer erneuten Verhandlung keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG).
V.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG. Die Beschwerde des Beteiligten A. bleibt ohne Erfolg.
Die Festsetzung des Wertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 40, 47 Abs. 1 FamGKG und entspricht der Festsetzung in erster Instanz.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen zur Klärung der Frage, ob eine Kindesmutter, die während der Schwangerschaft einen Mann heiratet, von dem sie weiß, dass er nicht der Erzeuger ihres Kindes ist, später die durch die Heirat begründete Vaterschaft anfechten kann (§ 70 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).


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