Familienrecht

Vergütung des Berufsbetreuers: Aufenthalt des Betreuten in einer stationären Einrichtungen gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform

Aktenzeichen  XII ZB 582/20

Datum:
2.6.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:020621BXIIZB582.20.0
Normen:
§ 5 Abs 3 VBVG vom 21.04.2005
§ 5 Abs 3 S 2 Nr 2 VBVG
§ 5 Abs 3 S 3 VBVG
§ 90 SGB 9
§§ 90ff SGB 9
§ 113 SGB 9
§§ 113ff SGB 9
Spruchkörper:
12. Zivilsenat

Leitsatz

Lebt der Betroffene im Rahmen einer Leistungsgewährung der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff., 113 ff. SGB IX in einem eigenen Zimmer einer Außenwohngruppe, in der Unterstützungsleistungen angeboten werden, zu deren Inanspruchnahme er jedoch nicht verpflichtet ist, hält er sich grundsätzlich nicht in einem Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG aF oder in einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform i.S.v. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 VBVG auf (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 5. Mai 2021 – XII ZB 580/20, zur Veröffentlichung bestimmt).

Verfahrensgang

vorgehend LG Leipzig, 1. Dezember 2020, Az: 2 T 427/20vorgehend AG Leipzig, 18. März 2020, Az: 531 XVII 1993/19

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des weiteren Beteiligten zu 3 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Leipzig vom 1. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Wert: 836 €

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Höhe des Vergütungsanspruchs eines Berufsbetreuers.
2
Der Betroffene bewohnt seit dem 15. Januar 2019 im Rahmen einer Leistungsgewährung der Eingliederungshilfe nach §§ 90 ff., 113 ff. SGB IX aufgrund eines Wohn- und Betreuungsvertrags mit der T. GmbH ein Zimmer in einer Außenwohngruppe dieses Trägers. Der Beteiligte zu 1 ist seit dem Jahr 2012 zum Betreuer für den Betroffenen bestellt.
3
Der Beteiligte zu 1 hat für die Zeit vom 11. Dezember 2018 bis 10. Dezember 2019 die Festsetzung seiner Vergütung in Höhe von 1.845,60 € beantragt. Dabei ist er davon ausgegangen, dass der mittellose Betroffene während des Vergütungszeitraums weder in einem Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG in der bis zum 26. Juli 2019 geltenden Fassung (im Folgenden: VBVG aF) noch in einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform (§ 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG in der ab dem 27. Juli 2019 geltenden Fassung) lebte.
4
Das Amtsgericht hat die Vergütung des Beteiligten zu 1 antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Beteiligten zu 3 (nachfolgend: Bezirksrevisor), mit der er eine Festsetzung der Vergütung für den Zeitraum vom 16. Januar 2019 bis zum 10. August 2019 nach dem Aufenthaltsstatus des Betroffenen in einem Heim und für den Zeitraum vom 11. August 2019 bis zum 10. Dezember 2019 nach dem Aufenthaltsstatus in einer „einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform“ anstrebt, hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Bezirksrevisors, mit der er weiterhin eine Herabsetzung der Vergütung auf 1.009,92 € erreichen möchte.
II.
5
Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
6
1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dem Beteiligten zu 1 stehe für seine Tätigkeit die geltend gemachte Vergütung in voller Höhe zu. Der Betroffene sei mittellos und habe in dem maßgeblichen Zeitraum nicht in einem Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG aF und auch nicht in einer stationären Einrichtung oder einer gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform im Sinne des § 5 Abs. 3 VBVG gewohnt.
7
Die Voraussetzungen des vergütungsrechtlichen Heimbegriffs i.S.d. § 5 Abs. 3 VBVG aF seien nur dann erfüllt, wenn Wohnraum, Verpflegung und tatsächliche Betreuung aus einer Hand bereitgestellt würden. Dabei müsse der Mieter auch vertraglich gebunden sein, dieses Angebot im Bedarfsfall anzunehmen. Nach § 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG seien ambulant betreute Wohnformen stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten würden und wenn der Anbieter der angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistung nicht frei wählbar sei. Maßgeblich sei daher, ob die angebotenen Pflege- oder Betreuungsleistungen durch einen professionellen Organisationsapparat getragen seien und – wie in einer stationären Einrichtung – eine Verantwortungsgarantie des Trägers begründeten. Dies setze voraus, dass von den Bewohnern keine Auswahlentscheidung darüber zu treffen sei, von welchem Anbieter die externe Pflege- oder Betreuungsleistung in Anspruch genommen werde, und zudem gewährleistet sei, dass der Leistungsanbieter Änderungen im Versorgungsbedarf der Bewohner erkenne und abdecke.
8
Danach handele es sich hier nicht um eine Heimunterbringung oder um eine Unterbringung in einer stationären Einrichtung oder einer dieser gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform. In der vorliegenden Einrichtung werde dem Betroffenen durch die Nutzung eines Zimmers sowie der gemeinschaftlichen Nutzung von Koch- und Waschgelegenheiten eine eigenständige Haushaltsführung ermöglicht. Als Selbstversorger zahle der Betroffene lediglich eine geringe Sachkostenpauschale für die allgemeine Haushaltsausstattung. Es finde lediglich eine sozialpädagogische Unterstützung zur Erreichung größtmöglicher Selbständigkeit der Bewohner statt. Eine Regelung, dass die Bewohner im Bedarfsfall nur Betreuungs- oder Pflegeleistungen eines bestimmten Anbieters auswählen dürften, sehe der Wohn- und Betreuungsvertrag nicht vor. Rechtlich bestehe daher ein Wahlrecht des Betroffenen, welche Pflege- oder Betreuungsleistungen er in Anspruch nehmen möchte und wer diese ausführen solle. Zudem werde eine Rund-um-die Uhr-Versorgung durch professionelle Betreuungskräfte nicht vorgehalten. Mitarbeiter des Trägers seien nur in der Zeit von Montag bis Freitag zwischen 9:00 Uhr und 19:00 Uhr vor Ort.
9
2. Dies hält rechtlicher Überprüfung stand (vgl. Senatsbeschluss vom 5. Mai 2021 – XII ZB 580/20 – zur Veröffentlichung bestimmt).
10
a) Nach § 5 Abs. 1 VBVG in der ab dem 27. Juli 2019 geltenden Fassung (Art. 4 des Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019; BGBl. I S. 866) richtet sich die Höhe der Fallpauschalen, die ein Berufsbetreuer nach § 4 Abs. 1 VBVG als Vergütung verlangen kann, nach der Dauer der Betreuung, dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betreuten und dessen Vermögensstatus. Hinsichtlich des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Betreuten ist nach § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG zwischen stationären Einrichtungen und diesen nach Satz 3 gleichgestellten ambulant betreuten Wohnformen einerseits und anderen Wohnformen andererseits zu unterscheiden. Mit der Erweiterung des § 5 Abs. 3 VBVG durch das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung vom 22. Juni 2019 auf „gleichgestellte“ Wohnformen sollten nach dem Willen des Gesetzgebers bestimmte ambulant betreute Wohnformen typisierend erfasst werden, bei denen aus strukturellen Gründen der Aufwand für die rechtliche Betreuung dem Aufwand für Betreute in stationären Einrichtungen gleicht (BT-Drucks. 19/8694 S. 28).
11
Dabei liegt der gesetzlichen Regelung – wie bereits § 5 Abs. 3 VBVG aF – die Vorstellung zugrunde, dass der Aufwand der rechtlichen Betreuung geringer ist, wenn der Betreute in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020 – XII ZB 436/19 – MDR 2021, 326 Rn. 9 mwN zu § 5 Abs. 3 VBVG aF) und deshalb eine Herabsetzung der monatlichen Fallpauschale gerechtfertigt ist. Unerheblich ist hierbei, ob der Betreuer durch den Aufenthalt des Betreuten in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform tatsächlich entlastet ist (vgl. MünchKommBGB/Fröschle 8. Aufl. § 5 VBVG Rn. 27 f.).
12
Ambulant betreute Wohnformen sind gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 VBVG entgeltliche Angebote, die dem Zweck dienen, Volljährigen das Leben in einem gemeinsamen Haushalt oder einer Wohnung bei gleichzeitiger Inanspruchnahme extern angebotener entgeltlicher Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege zu ermöglichen. Sie sind stationären Einrichtungen dann gleichgestellt, wenn die in der ambulant betreuten Wohnform extern angebotenen Leistungen tatsächlicher Betreuung oder Pflege als Rund-um-die-Uhr-Versorgung durch professionelle Betreuungs- oder Pflegekräfte zur Verfügung gestellt oder vorgehalten werden und der Anbieter der extern angebotenen Betreuungs- und Pflegeleistungen nicht frei wählbar ist (§ 5 Abs. 3 Satz 3 VBVG).
13
Ist im Einzelfall zweifelhaft, welcher Wohnform des § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG der gewöhnliche Aufenthalt des Betroffenen entspricht, ist dem durch eine teleologische Auslegung der Vorschrift zu begegnen. Da dem Gesetz die Vorstellung zugrunde liegt, dass sich der Aufwand der rechtlichen Betreuung erheblich danach unterscheidet, ob der Betreute zuhause oder in einem Heim bzw. in einer ambulant betreuten Wohnform lebt (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 2020 – XII ZB 436/19 – MDR 2021, 326 Rn. 9 mwN zu § 5 Abs. 3 VBVG aF), ist für die Auslegung entscheidend, ob die in der Einrichtung angebotenen Versorgungs- und Pflegeleistungen generell geeignet sind, einem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abzunehmen (vgl. MünchKommBGB/Fröschle 8. Aufl. § 5 VBVG Rn. 33). Anders als nach bisherigem Recht (vgl. § 5 Abs. 3 VBVG aF) ist es allerdings nicht mehr von entscheidender Bedeutung, ob dem Betreuten Verpflegung zur Verfügung gestellt wird (vgl. BT-Drucks. 19/8694 S. 29).
14
b) Unter Anwendung dieser Grundsätze ist das Beschwerdegericht zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich bei dem von dem Betroffenen angemieteten Zimmer in der Außenwohngruppe weder um ein Heim i.S.v. § 5 Abs. 3 VBVG aF noch um eine einer stationären Einrichtung gleichgestellte ambulant betreute Wohnform i.S.v. § 5 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, Satz 3 VBVG handelt, weil von dem Träger der Einrichtung tatsächliche Betreuung oder Pflege nicht in dem Maß zur Verfügung gestellt oder vorgehalten wird, dass dem Betreuer die Organisation des Lebens des Betreuten im Wesentlichen abgenommen wird.
15
Nach den getroffenen Feststellungen beschränken sich die Leistungen, die der Betroffene aufgrund des abgeschlossenen Wohn- und Betreuungsvertrags erhält, auf die entgeltliche Überlassung eines eigenen Zimmers in einer Außenwohngruppe der Einrichtung sowie auf die gemeinschaftliche Nutzung der Koch- und Waschgelegenheiten. Zudem sieht der Vertrag vor, dass der Betroffene Fachleistungen der Eingliederungshilfe nach Maßgabe der Regelungen in Teil 2 im Neunten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nehmen kann. Der Betroffene muss jedoch seinen Haushalt selbständig führen und sich auch selbständig versorgen. Allgemeine Pflegeleistungen und häusliche Krankenpflege sind nicht Gegenstand des Wohn- und Betreuungsvertrags. Vielmehr ist der Betroffene im Bedarfsfall zur freien Wahl des Leistungserbringers berechtigt. Schließlich hält der Träger der Einrichtung auch keine Rund-um-die Uhr-Versorgung der Bewohner der Außenwohngruppe vor. Der Betroffene kann daher gerade nicht auf einen professionellen Organisationsapparat zurückgreifen, wie es ihm in einem Heim oder in einer einer stationären Einrichtung gleichgestellten ambulant betreuten Wohnform möglich wäre.
16
3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
Dose     
      
Schilling     
      
Günter
      
Nedden-Boeger     
      
Guhling     
      


Ähnliche Artikel

Die Scheidung einer Ehe

War es bis vor etlichen Jahren noch undenkbar, eine Ehe scheiden zu lassen, so ist eine Scheidung heute gesellschaftlich akzeptiert. Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen deutlichen Trend: Beinahe jede zweite Ehe wird im Laufe der Zeit geschieden. Was es zu beachten gilt, erfahren Sie hier.
Mehr lesen


Nach oben