Familienrecht

Zeitpunkt, Verfahren, Unanfechtbarkeit, Streitwert, Frist, Mahnbescheid, Erledigung, Verweisungsantrag, Anspruch, Verweisungsbeschluss, Stellungnahme, Mahnverfahren, Schriftsatz, Umfang, Gelegenheit zur Stellungnahme, zwei Wochen, negative Kompetenzkonflikt

Aktenzeichen  102 AR 190/21

Datum:
14.2.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 2115
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Sachlich zuständig ist das Landgericht München I.

Gründe

I.
Der Kläger hat mit Mahnbescheid vom 27. Mai 2021 gegen die Beklagte einen Zahlungsanspruch aus einem Dienstleistungsvertrag in Höhe von 5.175,10 € zuzüglich Zinsen und Verfahrenskosten (Gerichtsgebühren in Höhe von 91,00 € und Auslagen des Antragstellers in Höhe von 43,90 €) geltend gemacht. Auf Gesamtwiderspruch der Beklagten vom 11. Juni 2021, über den der Kläger mit Nachricht vom selben Tag informiert worden ist, hat das Mahngericht den Rechtsstreit mit Abgabeverfügung vom 30. Juni 2021 an das im Mahnbescheid als Prozessgericht benannte Landgericht München I abgegeben.
Dort sind die Akten am 2. Juli 2021 eingegangen. Mit Verfügung vom 13. Juli 2021 hat das Landgericht den Kläger zur Anspruchsbegründung binnen zwei Wochen aufgefordert. Der Kläger hat – nunmehr anwaltlich vertreten – mit Schriftsatz vom 17. August 2021 mitgeteilt, er werde den mit dem Mahnbescheid geltend gemachten Anspruch von 5.175,10 € in Kürze begründen. Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2021 hat er erklärt, er nehme die Klage in Höhe von 175,10 € nebst der im Mahnbescheid geltend gemachten Nebenkosten in Höhe von 43,19 € zurück und beantrage nunmehr:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.000,00 € zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Mai 2021 abzüglich am 25. Mai 2021 gezahlter 375,24 €, abzüglich am 14. Juni 2021 gezahlter 500,00 €, abzüglich am 20. Juli 2021 gezahlter 500,00 € und abzüglich 3. August 2021 gezahlter 500,00 € zu zahlen.
Im Umfang der Teilzahlungen nach Beantragung des Mahnbescheids, nämlich in Höhe eines Betrags von 1.875,24 € hat der Kläger den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Das Landgericht hat mit Verfügung vom 13. Oktober 2021 ein schriftliches Vorverfahren angeordnet. Die Beklagte hat den Klageanspruch mit Schriftsatz vom 12. November 2021 unter Verwahrung gegen die Kosten teilweise anerkannt und teils die Aufrechnung mit einem Gegenanspruch in Höhe von 2.624,75 € erklärt. Für den Fall, dass das Gericht die Aufrechnung für unzulässig erachte, werde die Gegenforderung hilfsweise im Wege der Widerklage geltend gemacht.
Mit Verfügung vom 22. November 2021 hat das Landgericht darauf hingewiesen, dass es sachlich unzuständig sei, und angefragt, ob Verweisungsantrag gestellt werde. Zum Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Landgericht am 2. Juli 2021 seien von den mit Mahnbescheid geltend gemachten 5.175,00 € bereits 1.375,24 € bezahlt gewesen; 500,00 € seien erst nach Abgabe an das Landgericht bezahlt worden. Bei der Wertberechnung für das Streitverfahren sei auf den Zeitpunkt des Akteneingangs bei Gericht abzustellen (Zöller, ZPO, 31. A., Rz. 16 zu § 3, Stichwort „Mahnverfahren“). Es ergebe sich ein Zuständigkeitsstreitwert von 3.799,76 €. Die Hilfswiderklage erhöhe den Zuständigkeitsstreitwert nicht. Den Parteien ist Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 2 Wochen gewährt worden.
Der Kläger hat unter Bezugnahme auf den richterlichen Hinweis mit Schriftsatz vom 25. November 2021 die Verweisung an das Amtsgericht München beantragt. Die Beklagte hat sich mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2021 dem Antrag auf Verweisung angeschlossen. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2021 hat sich das Landgericht für „örtlich unzuständig“ erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht München verwiesen. Zur Begründung hat es lediglich ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 281 Abs. 1 ZPO beruhe; das angegangene Gericht sei örtlich unzuständig; auf Antrag des Klägers habe es sich für unzuständig zu erklären und den Rechtsstreit an das örtlich zuständige Gericht zu verweisen. Ergänzend ist auf die Verfügung vom 22. November 2021 Bezug genommen worden.
Das Amtsgericht München hat sich ohne Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 10. Dezember 2021 seinerseits für sachlich unzuständig erklärt und das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Der Beschluss ist den Parteien formlos am 13. Dezember 2021 mitgeteilt worden.
Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, dem Verweisungsbeschluss des Landgerichts komme keine Bindungswirkung zu, denn es handele sich dabei um eine willkürliche Entscheidung. Soweit im Beschluss des Landgerichts von der örtlichen Zuständigkeit die Rede sei, handele es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Die Zuständigkeit des Landgerichts richte sich völlig unstreitig nach den zum Zeitpunkt des Akteneingangs vorliegenden klägerseitigen Anträgen. Das Mahnverfahren sei mit einem Streitwert in der Hauptsache von über 5.000,00 € zum Landgericht gelangt. Bei Eingang der Streitsache habe die Zuständigkeit des Landgerichts evident vorgelegen. Erst später sei die Klage reduziert worden. Das Landgericht setze spätere Informationen und Antragsänderungen an die Stelle der formalen Prüfung. Unstreitig führe eine Klagereduzierung nicht zum Wegfall der einmal begründeten Zuständigkeit.
Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Äußerung gewährt. Eine Stellungnahme ist binnen der gesetzten Frist nicht eingegangen.
II.
Auf die statthafte Vorlage des Amtsgerichts München ist die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I auszusprechen.
1. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der (sachlichen) Zuständigkeit gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (vgl. Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 33 ff. m. w. N.) durch das Bayerische Oberste Landesgericht liegen vor.
a) Das Landgericht München I hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 8. Dezember 2021 für unzuständig erklärt, das Amtsgericht München durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 10. Dezember 2021. Die den Parteien mitgeteilte und jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; jeweils m. w. N.). Dem steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht den Parteien vor seiner Entscheidung kein rechtliches Gehör gewährt hat, denn es hat ihnen seine Entscheidung zumindest nachträglich bekannt gemacht (vgl. BayObLG, Beschluss vom 15. September 2020, 1 AR 88/20, juris Rn. 11; KG, Beschluss vom 6. März 2008, 2 AR 12/08, NJW-RR 2008, 1465 [juris Rn. 5]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 36 Rn. 44). Unschädlich ist, dass sich das Landgericht für „örtlich“ unzuständig erklärt hat, da aus dem gesamten Kontext zweifelsfrei erkennbar ist, dass es seine sachliche Zuständigkeit verneint hat.
b) Auch der negative Kompetenzkonflikt zwischen Amtsgericht und Landgericht über die sachliche Zuständigkeit als Eingangsinstanz ist im Verfahren nach oder analog § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu entscheiden (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 101 AR 114/20, juris Rn. 14; Toussaint in BeckOK ZPO, 43. Ed. Stand: 1. Dezember 2021, § 36 Rn. 38.1).
c) Zuständig für die Bestimmungsentscheidung ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht, weil das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über dem Amtsgericht München und dem Landgericht München I in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof ist. Dass beide am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte im Bezirk des Oberlandesgerichts München liegen, führt deshalb nicht zu dessen Zuständigkeit für das Bestimmungsverfahren (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. September 2019, 1 AR 83/19, juris 8 ff; Toussaint in BeckOK, ZPO, § 36 Rn. 45.2).
2. Sachlich zuständig für das streitige Verfahren ist das Landgericht München I.
a) Das folgt aus § 71 Abs. 1 GVG i. V. m. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO.
aa) Soweit für den Streitfall von Bedeutung sind die Amtsgerichte gemäß § 23 Nr. 1 GVG zuständig für Streitigkeiten mit Streitwerten bis zu 5.000,00 €; geht der Streitwert darüber hinaus, sind gemäß § 71 Abs. 1 GVG die Landgerichte zuständig. Maßgeblich für die Wertberechnung ist gemäß § 4 Abs. 1 ZPO grundsätzlich der Zeitpunkt der Klageeinreichung. Geht allerdings dem streitigen Verfahren ein Mahnverfahren voraus, so ist auf den Zeitpunkt des Eingangs der Akten beim Prozessgericht abzustellen (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 17. März 2004, 8 W 82/04, juris Rn. 10 f.; KG, Beschluss vom 27. November 1997, 28 AR 55/97, NJW-RR 1999, 1011; Wendtland in BeckOK ZPO, § 4 Rn. 7; Beumers in Prütting/Gehrlein, ZPO, 13. Aufl. 2021, § 4 Rn. 4; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 4 Rn. 2; Gehle in Anders/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 4 Rn. 3; Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, 18. Aufl. 2021, § 4 Rn. 4; Wöstmann in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 4 Rn. 6; Herget in Zöller, ZPO, § 4 Rn. 3; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 4 Rn. 3; Kruis in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 7).
Im Streitfall hat die Sache bei Eingang der Akten beim Landgericht einen Streitwert von 5.175,10 € gehabt, so dass sie in dessen sachliche Zuständigkeit gefallen ist.
bb) Diese Zuständigkeit ist nicht dadurch entfallen, dass der Kläger in seiner erst nach dem Eingang der Akten beim Landgericht eingereichten Anspruchsbegründung teilweise eine Rücknahme und teilweise eine Erledigung erklärt hat und damit zum Ausdruck gebracht hat, dass er insoweit die bislang geltend gemachten Ansprüche nicht weiterverfolge.
(1) Sobald die Rechtshängigkeit einer Streitsache begründet ist, wird die einmal begründete Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (Grundsatz der perpetuatio fori, § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO).
Ist dem Streitverfahren ein Mahnverfahren vorausgegangen, so ist auch für den Eintritt dieser Wirkung – unabhängig davon, ob die Abgabe alsbald i. S. d. § 696 Abs. 3 ZPO erfolgt ist – der Zeitpunkt des Akteneingangs bei dem Gericht maßgeblich, an das die Sache abgegeben wird (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23. September 2021, 102 AR 15/21, juris Rn. 16; Beschluss vom 27. März 2003, 1Z AR 28/03, juris Rn. 8; Beschluss vom 6. August 2002, 1Z AR 91/02, juris Rn. 13; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Oktober 2018, 32 SA 37/18, juris Rn. 26; OLG München, Beschluss vom 24. August 2016, 34 AR 99/16, juris Rn. 11; Beschluss vom 3. Februar 2009, 31 AR 26/09, GRUR-RR 2009, 165 [juris Rn. 10]; OLG Schleswig, Beschluss vom 2. Februar 2007, 2 W 16/07, juris Rn. 4; OLG Braunschweig, Beschluss vom 20. Februar 2006, 1 W 98/05, juris Rn. 20; KG NJW-RR 1999, 1011; OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 21. Februar 1996, 21 AR 10/96, NJW-RR 1996, 1403; Dörndorfer in BeckOK ZPO, § 696 Rn. 3 u. 9; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 696 Rn. 7 u. 25; Voit in Musielak/Voit, ZPO, § 696 Rn. 6; Becker-Eberhard in Münchener Kommentar zur ZPO, § 261 Rn. 79; Seibel in Zöller, ZPO, § 696 Rn. 8 u. 11; Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 696 Rn. 14; Olzen in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 696 Rn. 21; einschränkend Schüler in Münchener Kommentar zur ZPO, § 696 Rn. 20; vgl. auch zur Rechtshängigkeitswirkung des § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO bei verzögerter Abgabe BGH, Urt. v. 5. Februar 2009, III ZR 164/08, BGHZ 179, 329 Rn. 17).
Erklärt der Kläger den Rechtsstreit hinsichtlich eines Teils der im Mahnverfahren verfolgten Gegenstände für erledigt, so kommt es für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit des Prozessgerichts nicht darauf an, ob das vom Kläger vorgetragene erledigende Ereignis vor dem Eingang der Akten beim Prozessgericht eingetreten ist, sondern darauf, ob die entsprechende prozessuale Erklärung davor abgegeben worden ist (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 17. Januar 2019, 8 W 24/19, juris Rn. 16; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Oktober 2018, 32 SA 37/18, juris Rn. 27; OLG München, Beschluss vom 24. August 2016, 34 AR 99/16, juris Rn. 12; Gehle in Anders/Gehle, ZPO, § 4 Rn. 3; Wendlandt in BeckOK ZPO, § 4 Rn. 7 i. V. m. Rn. 76 zu Anh. § 3 Wertschlüssel; Voit in Musielak/Voit, ZPO, § 696 Rn. 6; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 3 Rn. 100b; Althammer in Zöller, ZPO, § 91a Rn. 12 und 48 für die übereinstimmende Erledigungserklärung; Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 4 Rn. 12 [zum Gebührenstreitwert]; wohl auch Schüler in Münchener Kommentar zur ZPO, § 696 Rn. 38; unklar [jeweils „Erledigung“]: Beumers in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 3 Rn. 183; Sommer in Prütting/Gehrlein, ZPO, § 696 Rn. 11; Herget in Zöller, ZPO, § 3 Rn. 16.114).
(2) Danach ist im Streitfall die mit der Anspruchsbegründung erfolgte Beschränkung des Streitgegenstands auf einen in die sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte fallenden Wert erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Streitsache bereits rechtshängig geworden war. Gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO ist die bereits begründete sachliche Zuständigkeit des Landgerichts München I dadurch nicht mehr in Wegfall geraten.
b) Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts vom 8. Dezember 2021 ändert an dessen Zuständigkeit nichts, denn er ist als objektiv willkürlich anzusehen und daher nicht geeignet, die Zuständigkeit des Amtsgerichts zu begründen.
aa) Der Gesetzgeber hat in § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO die grundsätzliche Unanfechtbarkeit von Verweisungsbeschlüssen und deren Bindungswirkung angeordnet. Auch ein sachlich zu Unrecht oder verfahrensfehlerhaft ergangener Verweisungsbeschluss entzieht sich danach grundsätzlich der Nachprüfung. Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
Einem Verweisungsbeschluss kommt allerdings dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 13 f.]; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 ff.; jeweils m. w. N.).
Objektiv willkürlich ist ein Verweisungsbeschluss, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar und offensichtlich unhaltbar ist (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9 m. w. N.). Für die Bewertung als willkürlich genügt es allerdings nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder sonst fehlerhaft ist; es bedarf vielmehr zusätzlicher Umstände, die die getroffene Entscheidung als schlechterdings nicht mehr nachvollziehbar erscheinen lassen (vgl. BGH NJW-RR 2015, 1016 Rn. 11 m. w. N.). Das kann etwa der Fall sein, wenn das verweisende Gericht eine seine Zuständigkeit begründende Norm nicht zur Kenntnis genommen oder sich ohne Weiteres darüber hinweggesetzt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993, X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273 [juris Rn. 4]; BayObLG, Beschluss vom 18. April 2002, 1Z AR 36/02, NJW-RR 2002, 1295 [juris Rn. 7]). Gleichfalls als objektiv willkürlich ist es anzusehen, wenn der Verweisungsbeschluss auf einer evident einseitigen oder sonst offensichtlich falschen Erfassung des Sachverhalts (BGH, Beschluss vom 24. Juli 1996, X ARZ 683/96, NJW 1996, 3013 [juris Rn. 7]; BayObLG, Beschluss vom 28. Oktober 2020, 101 AR 114/20, juris Rn. 21; Beschluss vom 15. September 2020, 1 AR 88/20, juris Rn. 17; Beschluss vom 5. Dezember 2002, 1Z AR 164/02, juris Rn. 5; KG, Beschluss vom 20. Mai 1998, 28 AR 34/98, MDR 1999, 56 [juris Rn. 18]) oder einem offensichtlichen Sachverhaltsirrtum (BAG, Beschluss vom 11. November 1996, 5 AS 12/96, NJW 1997, 1091 [juris Rn. 9]; OLG Hamm, Beschluss vom 2. Juni 2015, 32 SA 21/15, juris Rn. 12 und 15), auf einer Verkennung des Klagebegehrens (OLG Hamburg, Beschluss vom 19. März 2003, 13 AR 6/03, MDR 2003, 1072 [juris Rn. 8 ff.]) oder auf einer evident falschen Erfassung des Zuständigkeitsstreitwerts beruht (OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juli 2012, 32 SA 62/12, MDR 2012, 1367 [juris Rn. 15]; KG, Beschluss vom 17. April 2008, 2 AR 19/08, VersR 2008, 1234 [juris Rn. 4 f.]; Beschluss vom 13. August 1998, 28 AR 63/98, MDR 1999,438 [juris 7]; zum Ganzen: Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 17).
bb) Danach ist der Verweisungsbeschluss des Landgerichts München I als objektiv willkürlich anzusehen.
Das Landgericht hat in seinem Hinweis vom 22. November 2021 zwar korrekt eine – wenn auch etwas ältere – Kommentarfundstelle wiedergegeben, wonach bei der Wertberechnung für das Streitverfahren auf den Zeitpunkt des Akteneingangs bei Gericht abzustellen sei. Die von ihm vorgenommene Streitwertberechnung findet allerdings darin keine Stütze, da sich aus der Fundstelle nicht ergibt, ob es für den Zeitpunkt der Erledigung auf das erledigende Ereignis oder die prozessualen Erklärungen der Parteien ankommt. Zwar haben das Oberlandesgericht München (Beschluss vom 24. August 2016, 34 AR 99/16, juris Rn. 13) und das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 8. Oktober 2018, 32 SA 37/18, juris Rn. 27 f) angenommen, dass die jeweiligen, ihre sachliche Zuständigkeit verneinenden Landgerichte nur einen einfachen, die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht hindernden Rechtsfehler begangen hätten; in beiden Fällen hatten die Beklagten vor Eingang der Akten beim Landgericht Teilzahlungen geleistet, die Kläger jedoch erst gegenüber dem Landgericht eine Reduzierung der Anträge auf unter 5.000,00 € vorgenommen. Allerdings gibt es zwischenzeitlich eine Reihe von obergerichtlichen Entscheidungen, die die Notwendigkeit einer prozessualen Erledigungserklärung vor Eingang der Akten beim Landgericht für eine Reduzierung des Streitwerts bei vorangegangenem Mahnverfahren herausstellen und auch in der Kommentarliteratur, auf die jeder Richter online über die juristischen Datenbanken Zugriff hat, wird die Problematik der Streitwertberechnung bei einem erledigenden Ereignis zwischen Mahnbescheidsantrag und Eingang der Akten bei Gericht weitaus klarer dargestellt. Darüber hinaus hat der Kläger vorliegend, anders als in den zitierten Entscheidungen der Oberlandesgerichte München und Hamm, in seinem ersten, beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz gerade keine Erledigung oder Rücknahme erklärt, sondern im Gegenteil mit Schriftsatz vom 17. August 2021 eine Begründung für den im Mahnbescheid mit 5.175,10 € bezifferten Anspruch angekündigt. Er hat damit ausdrücklich gegenüber dem Landgericht kundgetan, eine Klageforderung mit einem in dessen Zuständigkeit fallenden Streitwert geltend machen zu wollen. Erst im Schriftsatz vom 12. Oktober 2021 wurde die Klage teils zurückgenommen, teils Erledigung erklärt, wodurch gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO nach einhelliger Rechtsprechung und Kommentarliteratur die einmal begründete sachliche Zuständigkeit des Landgerichts nicht mehr beseitigt werden konnte. Trotz des geringen Aktenumfangs hat das Landgericht den Schriftsatz des Klägers vom 17. August 2021 nicht beachtet und entgegen aller prozessualer Grundsätze für die Berechnung des Streitwerts nicht auf das zunächst geltend gemachte Klagebegehren abgestellt, sondern darauf, in welcher Höhe die Hauptsacheforderung bei Eingang der Akten begründet bzw. bereits durch Erfüllungshandlungen teilweise erloschen war; nur auf diese Weise konnte es zu dem Ergebnis gelangen, der Zuständigkeitsstreitwert habe bereits bei Akteneingang nicht 5.175,00 €, sondern nur 3.799,76 € betragen. Dies ist unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar, sondern offensichtlich unhaltbar. Die darin liegende Weigerung des Landgerichts, den ihm unterbreiteten Sachverhalt auf seine eigene Zuständigkeit zu prüfen, begründet den Vorwurf der Willkür (vgl. OLG München, Beschluss vom 6. August 2014, 34 AR 97/14, juris Rn. 7; KG NJW-RR 1999, 1011; OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1996, 1403; vgl. auch BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 847 [juris Rn. 13]).
Dass der Beschluss auf einem Verweisungsantrag des Klägers beruht und sich auch die Beklagte dem Verweisungsantrag angeschlossen hat, vermag schon deshalb keine andere Würdigung zu rechtfertigen, weil das Gericht diesen Antrag durch seinen unzutreffenden Hinweis auf seine sachliche Unzuständigkeit veranlasst hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. September 2002, X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634 [juris Rn. 17]; BayObLG, Beschluss vom 15. September 2020, 101 AR 101/20, juris Rn. 30; OLG Schleswig, Beschluss vom 12. August 2009, 2 W 98/09, NJW-RR 2010, 533 [juris Rn. 33]; OLG Celle, Beschluss vom 8. November 2004, 4 AR 90/04, juris Rn. 9).


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