Aktenzeichen 11 WF 61/16
SGB XII SGB XII § 90 Abs. 2 Nr. 8, Abs. 3
Leitsatz
1. Im Verfahrenskostenhilfeverfahren kann die Anordnung eines aus dem Vermögen zu zahlenden Betrages nicht generell darauf gestützt werden, dass der Hilfebedürftige seinen Miteigentumsanteil an dem vom dauerhaft getrennt lebenden Ehepartner bewohnten Hausgrundstück verwertet. (amtlicher Leitsatz)
2. Ist der Beteiligte aus der Ehewohnung ausgezogen, so braucht er seinen Miteigentumsanteil nicht für die Verfahrenskosten einzusetzen, solange es möglich ist, dass er sich wieder mit dem Ehegatten versöhnt und in die Wohnung zurückkehrt. (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Miteigentumsanteil an dem mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück, das nicht von dem Beteiligten, sondern seinem Ehegatten bewohnt wird, ist als Vermögen iSv § 115 Abs. 3 ZPO einzusetzen, soweit eine Trennung auf Dauer vorliegt. Die Veräußerung kann jedoch gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII unzumutbar sein, wenn nicht zu erwarten ist, dass der beim Verkauf erzielbare Kaufpreis zur Finanzierung der Verfahrenskosten ausreicht, wenn eine rasche Veräußerung ausscheidet oder wenn die Veräußerungskosten unverhältnismäßig hoch sind. (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
1 F 291/13 2015-12-15 Bes AGKELHEIM AG Kelheim
Gründe
Oberlandesgericht Nürnberg
Az.: 11 WF 61/16
Beschluss
vom 24.02.2016
001 F 291/13 AG Kelheim
In der Familiensache
wegen Beschwerde Verfahrenskostenhilfe
ergeht durch das Oberlandesgericht Nürnberg – 11. Zivilsenat und Senat für Familiensachen – durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zorn als Einzelrichterin folgender Beschluss
Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Kelheim vom 15.12.2015 aufgehoben.
Gründe:
I. Das Amtsgericht Kelheim hat der Antragsgegnerin mit Beschluss vom 19.06.2013 Verfahrenskostenhilfe ohne Anordnung von Zahlungen bewilligt.
Mit Schreiben vom 29.10.2015 wurde die Antragsgegnerin aufgefordert, die im früheren Antrag gemachten Angaben zu überprüfen und Veränderungen gegenüber diesem Antrag mitzuteilen, sowie Belege für diese Angaben beizufügen.
Auf ihre am 17.11.2015 eingereichte neue Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse teilte das Amtsgericht der Antragsgegnerin mit, dass sie nach wie vor Miteigentümerin an einem nicht selbst bewohnten Grundbesitz sei. Zwei Jahre nach der Scheidung gehöre dieser nicht selbst bewohnte Grundbesitz nicht mehr zum Schonvermögen, so dass beabsichtigt sei, hieraus einen Vermögenseinsatz von 1.463,71 € auf die Kostenschuld anzuordnen.
Die Antragsgegnerin hat mit Schreiben vom 29.11.2015 vorgetragen, dass sie nicht geschieden sei; es sei eine Vereinbarung auch über den Unterhalt getroffen worden. Ihre Ersparnisse seien in dem gemeinsamen Haus, das von ihrem Mann bewohnt werde. Sie verfüge über keine ausreichenden Barmittel, um den verlangten Betrag zu zahlen.
Nachdem der Verfahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin die Festsetzung der weiteren Vergütung beantragt hatte, wurde der Antragsgegnerin mitgeteilt, dass die von ihr zu zahlenden Kosten insgesamt 3.058,31 € betragen.
Mit Beschluss vom 15.12.2015 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 19.06.2013 dahingehend abgeändert, dass die Antragsgegnerin auf die Kosten der Verfahrensführung nunmehr aus ihrem Vermögen einen Betrag in Höhe von 3.058,31 € bis 01.03.2016 an die Landesjustizkasse Bamberg zu zahlen hat. Die Antragsgegnerin lebe seit der Scheidungsvereinbarung vom 14.10.2013 weiterhin von Ihrem Mann getrennt, der das gemeinsame Haus alleine bewohne, so dass von einer dauerhaften Trennung auszugehen sei. Die Veräußerung oder eine Auseinandersetzung des Hauses werde offenbar nicht betrieben. Die Antragsgegnerin habe zum Wert und zu einer evtl. offenen Finanzierung keine Angaben gemacht. Da die Verbindlichkeiten vom Ehemann weiter bedient würden, sei davon auszugehen, dass bei einer Auseinandersetzung des Miteigentums ein ausreichender Übererlös auf den Anteil der Antragsgegnerin entfallen würde. Dieser sei zur Begleichung der Verfahrenskosten einzusetzen.
Gegen diesen ihr am 17.12.2015 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin mit einem am 11.01.2016 eingegangenen Schreiben der Forderung widersprochen. Sie habe keinen Cent Bargeld zur Verfügung und leide wegen jahrelangen Mobbings unter Angstzuständen. Sie sei nicht in der Verfassung eine objektive Entscheidung über Scheidung oder Hausverkauf zu treffen.
Das Amtsgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 11.01.2016 nicht abgeholfen.
II. Die gemäß § 113 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 127 Abs. 2, 3 ZPO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Das Schreiben der Antragsgegnerin vom 08.01.2016 ist als Einlegung der sofortigen Beschwerde auszulegen.
Eine wesentliche Verbesserung der für die Bewilligung der Verfahrenskostenhilfe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse liegt nicht vor. Eine Verwertung des Miteigentumsanteils an dem Hausgrundstück, in dem ihr Ehemann lebt, ist der Antragsgegnerin nach wie vor nicht möglich; die Verwertung ist ihr unzumutbar.
Nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII soll dem Hilfsbedürftigen die eigene Wohnung erhalten bleiben. Deshalb stellt ein angemessenes Hausgrundstück, das von dem Beteiligten allein oder mit seinen Angehörigen bewohnt wird, Schonvermögen im Sinne des § 115 Abs. 3 ZPO i. V. m. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII dar. Ist der Beteiligte aus der Ehewohnung ausgezogen, so braucht er seinen Miteigentumsanteil nicht für die Verfahrenskosten einzusetzen, solange es möglich ist, dass er sich wieder mit dem Ehegatten versöhnt und in die Wohnung zurückkehrt (Zöller-Geimer, ZPO, 31. Auflage, § 115 Rn. 53; Groß, Beratungshilfe, Prozesskostenhilfe, Verfahrenskostenhilfe, 13. Auflage, § 115 ZPO, Rn. 115). Einzusetzen wäre danach ein Miteigentumsanteil an dem mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück, soweit dieses von dem Beteiligten nicht mehr bewohnt wird und eine Trennung auf Dauer vorliegt. Die Veräußerung kann jedoch gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII unzumutbar sein, wenn nicht zu erwarten ist, dass der beim Verkauf erzielbare Kaufpreis zur Finanzierung der Verfahrenskosten ausreicht, wenn eine rasche Veräußerung ausscheidet oder wenn die Veräußerungskosten unverhältnismäßig hoch sind (Zöller-Geimer, a. a. O.., § 115 Rn. 53 OLG Hamm FamRZ 2013, 142, 144).
Eine – noch dazu zeitnahe – Verwertung des Miteigentumsanteils kommt aufgrund der vorliegenden Umstände nicht in Betracht.
Die Antragsgegnerin kann ihre Miteigentumshälfte nicht beleihen, da wegen ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse die Aufnahme eines Darlehens nicht möglich ist. Sie bezieht eine monatliche Rente von ca. 580 € sowie monatlichen Unterhalt von 577 €.
Ein freihändiger Verkauf der Miteigentumshälfte ist tatsächlich kaum und allenfalls in einem langwierigen Verfahren möglich. In dem Haus wohnt der getrennt lebende Ehemann der Antragsgegnerin, so dass nicht anzunehmen ist, dass ein Fremder den Miteigentumsanteil erwerben wird. Eine Übernahme des hälftigen Miteigentumsanteils durch den Ehemann wird gleichfalls nicht in Betracht kommen. Aus der Vereinbarung der Beteiligten im Rahmen des Scheidungsverfahrens (Bl. 28 d. A.) ist ersichtlich, dass der Ehemann der Antragsgegnerin im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Verhältnisse und die Unterhaltszahlungen an die Antragsgegnerin kein Interesse hat.
Die Durchführung einer Teilungsversteigerung ist allenfalls in ferner Zukunft möglich. Es ist nämlich bereits der Antrag eines Ehegatten auf Teilungsversteigerung zustimmungsbedürftig, wenn der Anteil am Familienheim sein ganzes oder nahezu ganzes Vermögen darstellt (BGH FamRZ 2007, 1634). Die Zustimmung muss bereits beim Antrag auf Teilungsversteigerung vorliegen. Wird sie verweigert, kann sie nach § 1365 Abs. 2 BGB durch das Familiengericht ersetzt werden. Bei der dann vorzunehmenden Abwägung sind die Interessen aller Familienangehörigen zu berücksichtigen (Schulz/Hauß, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, 6. Auflage, Rn. 1390, 1395). Damit ist bereits fraglich, ob eine Zustimmung durch das Familiengericht erteilt werden würde. Hinzu kommt, dass ein Teilungsversteigerungsverfahren, bei dem einer der Miteigentümer selbst in dem Haus wohnt, in der Regel längere Zeit in Anspruch nimmt.
Letztlich ist auch zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin Unterhaltsleistungen ihres Ehemanns erhält und sich der dem Ehemann zuzurechnende Wohnwert unterhaltserhöhend auswirkt. Auch dies spricht gegen die Zumutbarkeit des Vermögenseinsatzes.
Damit liegt keine wesentliche Änderung der Verhältnisse vor und es verbleibt bei dem Beschluss des Amtsgerichts Kelheim vom 19.06.2013. Auf die sofortige Beschwerde war daher der Beschluss vom 15.12.2015 aufzuheben.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde war nicht zuzulassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen nicht vorliegen.
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG): Übergabe an die Geschäftsstelle am 24.02.2016.