Handels- und Gesellschaftsrecht

Auskunftsanspruch der Reiserücktrittsversicherung gegen den Reiseveranstalter

Aktenzeichen  191 C 7282/19

Datum:
19.12.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 54709
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG § 86
BGB § 651h Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Die Aktivlegitimation setzt voraus, dass der Auskunftsanspruch des Versicherungsnehmers gegen den Reiseveranstalter auf die Versicherung übergegangen ist. Im vorliegenden Fall findet die Vorschrift des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 86 VVG, weder in direkter oder in indirekter Auslegung, jedoch keine Anwendung.  (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.630,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
A. Das Amtsgericht München ist zur Entscheidung der Sache nach §§ 17 ZPO, 23 Nr. 1 GVG örtlich und sachlich zuständig.
B. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Auskunft gegen die Beklagte zu, da sie nicht aktivlegitimiert ist.
1. Die Klägerin behauptet einen vertraglichen Auskunftsanspruch aus dem zwischen ihrer Vertragspartei und der Beklagten geschlossenen Reisevertrag, welcher durch Zahlung der Versicherungsleistung auf sie übergegangen sei.
2. Die Vorschrift des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 86 VVG findet auf die vorliegende Konstellation keine Anwendung, vgl. auch Urteil des AG München im Verfahren 114 C 12803/19.
a. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist für die Anwendbarkeit des § 86 VVG ein Schaden erforderlich. Ein Schaden liegt bei einem unfreiwilligen Vermögensopfer vor. Bei der Vorauszahlung des Reisenden an den Reiseveranstalter handelt es sich um ein freiwilliges Vermögensopfer, so dass darin kein Schaden im Sinne der Vorschrift gesehen werden kann. Weiterhin liegt auch in dem dem Reisenden nach § 651 h BGB zustehenden Rückzahlungsanspruch kein Schaden vor. Grundsätzlich steht dem Reisenden somit die volle Rückzahlung des Reisepreises nach § 651 h Abs. 1 S. 2 BGB zu. Eine Verrechnung kann nach § 651 h Abs. 1 S. 3 BGB nur in Höhe einer angemessenen Entschädigung erfolgen. Selbst bei unberechtigter Aufrechnung durch eine nicht angemessene Entschädigung seitens des Reiseveranstalters ist der Anspruch des Reisenden nicht erloschen.
b. Nach der systematischen Auslegung wäre eine Anwendbarkeit des § 86 VVG im vorliegenden Fall möglich, da es sich um eine Vorschrift im allgemeinen Teil des VVG handelt.
c. Nach der historischen Auslegung ist durch die Einführung des Wortes „Ersatzanspruch“ keine Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Vorschrift beabsichtigt gewesen. Nach früherer Formulierung in 67 VVG a.F. war noch ein Anspruch „auf Ersatz des Schadens“ für den Anspruchsübergang erforderlich. Erfasst sind und waren auch nicht nur bürgerlich-rechtliche Schadensersatzansprüche im engeren Sinne, sondern auch Bereicherungsansprüche, Ausgleichsansprüche, Freistellungs- und Abtretungsansprüche sowie Erfüllungs- und Gewährleistungsansprüche. (Langheid/Wandt/Möller/Segger, 2. Aufl. 2016, VVG § 86 Rn. 54).
d. Auch nach der teleologischen Auslegung nach Sinn und Zweck der Norm ist der § 86 VVG nach Auffassung des Gerichts hier nicht anwendbar.
Grundkonzeption des § 86 VVG ist die einfache Situation, dass durch ein und dasselbe Ereignis der Geschädigte und Versicherungsnehmer Anspruchsberechtigter von zwei verschiedenen Forderungen wird. Es entsteht ein Anspruch gegen den Versicherer (aufgrund des Versicherungsvertrages) und ein weiterer gegen einen Dritten, der das Rechtsgut oder die Rechtsposition des Versicherungsnehmers schädigt und damit sowohl die Voraussetzung des Versicherungsfalles erfüllt – wodurch die Leistungspflicht des Versicherers ausgelöst wird – als auch eine irgendwie geartete Haftung gegenüber dem Geschädigten begründet. (Langheid/Wandt/Möller/Segger, 2. Aufl. 2016, VVG § 86 Rn. 1)
Daher stellt sich das Problem der gerechten Lastenverteilung zwischen Versicherungsnehmer, Versicherer und Schädiger.
1. Mit der Regresslösung des § 86 VVG (§ 67 VVG a.F.) versucht der Gesetzgeber zweierlei zu erreichen: Der zum Schadensersatz verpflichtete schädigende Dritte soll keinen Vorteil durch die Leistung des Versicherers erhalten. Er soll von seiner Verpflichtung nicht befreit werden. Zum anderen soll § 86 VVG eine Bereicherung des Geschädigten und Versicherungsnehmers verhindern, indem der Gesetzgeber anordnet, dass im Falle der Leistung durch den Versicherer der Anspruch auf diesen übergeht. (Langheid/Wandt/Möller/Segger, 2. Aufl. 2016, VVG § 86 Rn. 17).
Damit soll erreicht werden, dass der Versicherer nicht der Letzte in der Haftungskette ist, er kann trotz Fehlen eines eigenen unmittelbaren Forderungsrechts durch den Forderungsübergang beim Schädiger Regress nehmen. Somit sollte auch eine Bereicherung des Geschädigten/Versicherungsnehmers, welcher die Versicherung und den Schädiger in Anspruch nehmen kann, verhindert werden.
Auch die Grundsätze der Vorteilsausgleichung wurden beim § 86 VVG berücksichtigt, da dem Schädiger kein Vorteil zugute kommen sollte, welchen der Geschädigte/Versicherungsnehmer durch vorangegangene eigene Aufwendungen erst begründet hat.
2. Die vom Gesetzgeber zugrunde gelegte Lastenverteilung ist im vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Grundsätzlich soll nach dem Verursacherprinzip vorgegangen werden und derjenige am Ende der Haftungskette stehen, welcher den Schaden durch sein eigenes Verhalten ausgelöst hat.
Dies ist im klassischen Fall der Schädiger. Hier hingegen hat der Reisende den zu übertragbaden Anspruch ausgelöst, indem er vom Vertrag mit dem Reiseveranstalter zurücktrat und dadurch ein Rückforderungsrecht nach § 651 h BGB erlangte. Somit würde es bei Zulassung des gesetzlichen Anspruchsübergangs nicht zu der vom Gesetzgeber beim § 86 VVG beabsichtigten Lastenverteilung kommen, da im vorliegenden Fall der Reiseveranstalter und nicht der Reisende am Ende der Haftungskette stünde.
3. Auch ein gerechter Vorteilsausgleich wäre hier nicht gegeben. Im Fall des schädigenden Ereignisses, würde durch Zahlung der Versicherung an den Geschädigten ohne gleichzeitigen Übergang der Forderung auf die Versicherung ein Schaden entfallen und somit die Versicherung nicht geschützt. Im hiesigen Fall behält jedoch der Reisende auch durch Zahlung der Versicherung seinen vollen Anspruch gegen den Reiseveranstalter da die Zahlung durch die Versicherung im Rahmen der Anspruchsprüfung im Verhältnis Reisender und Reiseveranstalter keine Berücksichtigung findet. Somit wäre der Versicherung es unbenommen sich den Anspruch des Reisenden gegen den Reiseveranstalter auch nach Zahlung an diesen abtreten zu lassen.
4. Weiterhin kann es nicht zu einer Bereicherung des Reisenden bzw. Versicherungsnehmers kommen, da nach dem Versicherungsvertrag in der Regel wohl nur die tatsächlich angemessene Entschädigung an den Versicherten auszugleichen ist. Sollte in diesem Verhältnis vorab zu viel ausgeglichen worden sein, so besteht hier ein Rückforderungsrecht der Versicherung.
e. Damit ist die Anwendung des § 86 VVG weder in direkter noch in analoger Anwendung im vorliegenden Fall gegeben. Der Schutz der Versicherung vor Forderungsausfall ist hier nicht erforderlich.
C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
D. Die Streitwertfestsetzung fußt auf § 44 GKG.


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