Handels- und Gesellschaftsrecht

Berufung, Sittenwidrigkeit, Rechtsmittel, Darlegungslast, Sicherung, Bedeutung, Verordnung, Rechtssache, Reduzierung, Verhandlung, Feststellung, Fortbildung, Abgasreinigung, Rechtsprechung, Fortbildung des Rechts, Aussicht auf Erfolg, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung

Aktenzeichen  17 U 6806/20

Datum:
11.5.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40443
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

41 O 4663/20 2020-11-03 LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.11.2020, Aktenzeichen 41 O 4663/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I und dieser Beschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.295,45 € festgesetzt.

Gründe

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche des Klägers im Rahmen des sogenannten
Dieselskandals. Der Kläger erwarb am 05.08.2015 von einem Autohändler einen PKW VW Golf Sportsvan 1,6 TDI zum Preis 22.950,00 €. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor des Typs EA 288 (Abgasnorm EURO 6) verbaut. Hinsichtlich der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 03.11.2020, hinsichtlich des Sachvortrags der Parteien im Berufungsverfahren auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und bezüglich der Berufungsanträge auf den Schriftsatz des Klägers vom 30.12.2020 (dort S. 1 f., Bl. 194 f. d.A.) sowie den Schriftsatz der Beklagten vom 11.01.2021 (dort S. 2, Bl. 207 d.A.) verwiesen.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 03.11.2020, Aktenzeichen 41 O 4663/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf die vorausgegangenen Hinweise des Senats vom 14.01.2021 (Bl. 242/245 d. A.) und vom 08.03.2021 (Bl. 278/282 d. A.) Bezug genommen. Die hierauf erfolgten Stellungnahmen des Klägers vom 27.01.2021 (Bl. 246/255 d. A.), vom 03.03.2021 (Bl. 268/277 d. A.) und vom 07.04.2021 (Bl. 3027308 d. A.) enthalten keine Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.
Insbesondere trifft die Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers vorliegend keine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich ihrer Angaben gegenüber dem KBA im Hinblick auf die Reduzierung der Abgasreinigung bei kühlen und kalten Temperaturen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19. Der Bundesgerichtshof hat in dieser Entscheidung vielmehr ausdrücklich bestätigt, dass die Implementierung eines Thermofensters, selbst wenn dieses als eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG zu qualifizieren sein sollte, für sich genommen nicht geeignet ist, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 16). Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit sei gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu dem unterstellten Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 19). In dem vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 19.01.2021, Az. VI ZR 433/19 entschiedenen Fall hatte der dortige Kläger ausgeführt, die dortige Beklagte habe im Typgenehmigungsverfahren in Bezug auf die Abgasrückführung lediglich angegeben, diese sei „kennfeldgesteuert“ und aus dieser Angabe gehe nicht hervor, ob überhaupt ein anderes Verhalten des Abgasrückführungssystems bei anderen Temperaturen, und wenn ja welchen, stattfinde (vgl. BGH a.a.O. Rn. 23). Das Berufungsgericht war auf dieses Vorbringen nicht eingegangen und hatte der Beklagten keine Gelegenheit gegeben, auf dieses Vorbringen zu erwidern. Hierin hat der Bundesgerichtshof eine Gehörsverletzung gesehen (vgl. BGH a.a.O. Rn. 25).
Vorliegend hat sich die Beklagte dagegen zu der Frage der Offenlegung des Thermofensters im Typgenehmigungsverfahren ausführlich geäußert (vgl. z. B. S. 30 ff. des Schriftsatzes vom 11.01.2021, Bl. 236 ff. d. A., S. 7 ff. des Schriftsatzes vom 04.02.2021, Bl. 264 ff. der Akten, S. 14 f. des Schriftsatzes vom 05.03.2021, Bl. 296 f. d. Akten). Die Beklagte hat zutreffend dargelegt, dass die Hersteller erst seit Mai 2016 verpflichtet waren, für zu genehmigende Fahrzeugtypen der zuständigen Typgenehmigungsbehörde im Rahmen des Antrags auf Typgenehmigung die temperaturgesteuerte Emissionsreduktion (Thermofenster) im Einzelnen darzustellen. Ausweislich des vorgelegten Schreibens des KBA vom 11.09.2020 an das Oberlandesgericht Stuttgart war dem KBA die Problematik von umgebungstemperaturabhängigen Regelungen „prinzipiell bekannt“ und bereits Gegenstand der Mitteilung der Europäischen Kommission 2008/C 182/08 und in Anerkennung des damals vorherrschenden technischen Standards wurde in der Durchführungsverordnung 692/2008 in Art. 3 Abs. 9 festgelegt, dass die Prüfung Typ 6 zur Messung von Emissionen bei niedrigen Temperaturen nicht für Dieselfahrzeuge durchzuführen ist.
War aber die Problematik der temperaturabhängigen Arbeitsweise der Abgasrückführungssysteme „prinzipiell bekannt“ und hatte diese bereits Einfluss auf die Verordnungsgebung und waren detaillierte Angaben zur konkreten Bedatung des Thermofensters nicht vorgeschrieben und wurden auch nicht erwartet, kann daraus, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren keine oder jedenfalls keine detaillierten Angaben zur temperaturgesteuerten Abgasrückführung gemacht hat, kein Umstand gesehen werden, der einen etwaigen Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG durch die Implementierung des Thermofensters als besonders verwerflich erscheinen ließe und zwar auch dann nicht, wenn es bei den Mitarbeitern des KBA tatsächlich nicht allgemein bekannt gewesen sein sollte, dass die Abgasrückführungssysteme bei Dieselfahrzeugen temperaturabhängig funktionieren. Bei dieser Sachlage bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte im Typgenehmigungsverfahren verschleiern wollte, dass die Abgasrückführungsrate durch die Außentemperatur mitbestimmt wird (vgl. BGH a.a.O Rn. 24). Daher trifft sie auch keine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich ihrer Angaben zur Temperaturabhängigkeit der Abgasreinigung im Typgenehmigungsverfahren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 708 Nr. 10 analog und 711 ZPO. 17 U 6806/20 – Seite 4 – Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.


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