Handels- und Gesellschaftsrecht

Eintrittspflicht des Grundversicherers und des Excedentenversicherers hins. Abwehrkosten in der Haftpflichtversicherung

Aktenzeichen  25 U 2750/18

Datum:
7.1.2019
Fundstelle:
VersR – 2020, 543
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VVG aF § 150 Abs. 2 S. 1
VVG § 101 Abs. 2 S. 1
BGB § 426 Abs. 1 S. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Es ist in der Haftpflichtversicherung Sache des Grundversicherers – solange die mit ihm vereinbarte Deckungssumme nicht erreicht ist – bei der Abwehr unberechtigter Ansprüche die Abwehrkosten zu tragen. Der Excedentenversicherer ist – auch hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten – erst dann eintrittspflichtig, wenn die Deckungssumme des Grundversicherers ausgeschöpft ist. Der (zusätzliche) Abschluss einer Excedentenversicherer durch den Versicherungsnehmer führt nicht zu einer Besserstellung des Grundversicherers. (Rn. 2 und 11) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

12 HK O 15259/17 2018-07-19 Urt LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 19.07.2018, Az. 12 HK O 15259/17, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Nach einstimmiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
Eine Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist nicht ersichtlich. Es ist Sache des Grundversicherers – solange die mit ihm vereinbarte Deckungssumme nicht erreicht ist – bei der (hier erfolgten) Abwehr unberechtigter Ansprüche die Abwehrkosten (Kosten der Rechtsverteidigung) zu tragen. Der Excedentenversicherer ist – auch hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten – erst dann eintrittspflichtig, wenn die Deckungssumme des Grundversicherers ausgeschöpft ist. Der (zusätzliche) Abschluss einer Excedentenversicherer durch den Versicherungsnehmer führt nicht zu einer Besserstellung des Grundversicherers. Hätte vorliegend die Versicherungsnehmerin keine Excedentenversicherung abgeschlossen, so hätte die Klägerin die Kosten der Abwehrdeckung alleine zu tragen.
Im Einzelnen und in Hinblick auf die mit der Berufung geltend gemachten Rügen sind folgende Ausführungen veranlasst:
1. Das vom Landgericht durchgeführte Verfahren ist beanstandungsfrei.
1.1. Das Landgericht hatte keine Veranlassung, sich die interne Korrespondenz der Beklagten zu der von ihr getroffenen Entscheidung zu ihrem Verhalten vorlegen zu lassen. Das Gericht kann nach § 142 ZPO anordnen, dass eine Partei oder ein Dritter die in ihrem oder seinem Besitz befindlichen Urkunden und sonstigen Unterlagen, auf die sich eine Partei bezogen hat, vorlegt. § 142 ZPO befreit die Partei, die sich auf eine Urkunde bezieht, nicht von ihrer Darlegungs- und Substantiierungslast. Dementsprechend darf das Gericht die Urkundenvorlegung nicht zum bloßen Zwecke der Informationsgewinnung, sondern nur bei Vorliegen eines schlüssigen, auf konkrete Tatsachen bezogenen Vortrags der Partei anordnen (von Selle in BeckOK zur ZPO 30. Ed. 15.9.2018, ZPO § 142 Rn. 11). Die Bezugnahme auf eine vorzulegende Urkunde kann ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Sie taugt aber nur für eine Vorlegungsanordnung, wenn sie die Identifizierung der Urkunde ermöglicht. Die erkennbar „ins Blaue hinein“ aufgestellte Behauptung, der Gegner sei im Besitz nicht näher konkretisierter Unterlagen diesen oder jenen Inhalts, reicht nicht aus. Ebenso wenig genügt die spekulative Annahme, dass die fraglichen Urkunden üblicherweise und daher auch im Streitfall existieren müssten. Die pauschale Aufforderung zur Vorlage ganzer Urkundensammlungen, Dokumentationen oder einer kompletten Korrespondenz ist deshalb auch nach § 142 unzulässig (von Selle in BeckOK zur ZPO 30. Ed. 15.9.2018, ZPO § 142 Rn. 10). Vorliegend fehlen die Anordnungsvoraussetzungen. Die Klägerin verlangt nicht Vorlage einer konkreten Urkunde, sondern eine Korrespondenz; weiter will sie daraus Informationen für die (internen) Entscheidungen der Beklagten zu ihrem Verhalten im vorliegenden Versicherungsfall gewinnen. Das ist von § 142 ZPO nicht gedeckt, auch wenn die Klägerin behauptet, die Beklagte habe sich intern entschieden, den Anspruch abzuwehren. Bei der Beklagten liegt insoweit auch keine sekundäre Darlegungslast, da interne Überlegungen und Besprechungen zur geplanten Vorgehensweise keine Rechtswirkung nach außen entfalten. Die Beklagte hat zudem auch konkret vorgetragen, dass sie – entsprechend der oben dargestellten Rechtslage – niemals zugesagt hat, sich an Kosten der Rechtsverfolgung zu beteiligen. Ob sie sich intern für eine eigene Anspruchsabwehr entschieden hat, oder dafür, eine solche ohne Kostenbeteiligung der Klägerin als Grundversicherung zu überlassen oder ob sie bei einer eigenen Inanspruchnahme bezahlt hätte, ist für die Entscheidung des Rechtsstreits mangels Außenwirkung nicht maßgebend.
1.2. Auch eine Einvernahme des angebotenen Zeugen W. war nicht veranlasst. Soweit der Zeuge zu den bei der Klägerin angefallenen Kosten und zur fehlenden Erstattung durch die Hauptsachegegner angeboten war, kommt es mangels eines Anspruchs dem Grunde nach (vgl. unten Ziffer 2) auf die unter Beweis gestellte Tatsache der Höhe der bei der Klägerin angefallenen Kosten nicht an (vgl. insoweit: BGH, Urteil vom 11.04.2000 – Az. X ZR 19/98; Senat – Beschluss vom 21.09.2017 – Az. 25 U 2090/17).
Soweit der Zeuge dafür angeboten war, dass die Klägerin die Beklagte in die Schadensabwehr eingebunden hätte und die Beklagte mit der Abwehr einverstanden gewesen sei, gilt entsprechendes. Es ist durchaus naheliegend und kann auch unterstellt werden, dass die Beklagte damit einverstanden war, dass die Klägerin die Ansprüche abwehrt. Aus einem solchen Einverständnis kann allerdings keine rechtswirksame Zusage der Beklagten, sich an den Kosten zu beteiligen, hergeleitet werden. Dass eine solche Kostenübernahmeerklärung abgegeben wurde, behauptet die Klägerin selbst nicht. Vorgelegt ist vielmehr ein Schreiben der Beklagten aus dem Jahr 2007 an die Klägerin in dem eine Kostenbeteiligung ausdrücklich abgelehnt wird (Anlage B 2).
2. Das Ersturteil ist auch materiellrechtlich zutreffend.
2.1. Die Klägerin hat weder einen Anspruch aus § 426 Abs. 1 S. 1 BGB noch einen solchen aus § 426 Abs. 2 BGB. Die Parteien waren hinsichtlich der Rechtsverfolgungskosten zur Schadensabwehr keine Gesamtschuldner, auch, wenn die Abwehr der Beklagten letztlich zugute gekommen ist. Vorliegend hat die Klägerin ihrer Versicherungsnehmerin die Abwehr des unbegründeten Anspruchs geschuldet, nicht aber die Beklagte.
Übersteigt der unbegründete Anspruch des angeblich Geschädigten die Grundversicherung, sind die Abwehrkosten des Anspruchs vollständig vom Grundversicherer zu tragen. Eine Aufteilung kommt nicht infrage. Der Grundversicherer ist leistungspflichtig, solange seine Versicherungssumme nicht verbraucht ist. Es gilt nämlich das Gleiche wie für den Fall der Abwehr eines unbegründeten Haftpflichtanspruchs, der über die Deckungssumme hinausgeht, wenn kein Excedentenversicherer, sondern nur ein Versicherer vorhanden ist (OGH, Urteil vom 23.05.2013 – Az.7 Ob 60/13 v, VersR 2014, 901).
Ist kein Excedentenversicherer vorhanden, so hat nach ganz herrschender Meinung, der sich der Senat anschließt, der Haftpflichtversicherer die Kosten für die Abwehr eines unbegründeten Haftpflichtanspruchs nach § 150 Abs. 1 VVG a.F. zu tragen, unabhängig von ihrer Höhe und von der Versicherungssumme (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.1989 – Az. 4 U 46/89, VersR 1991, 94 m.w.N.: wegen der einer Haftpflichtversicherung innewohnenden Rechtsschutzkomponente hat der Versicherer die Kosten der Abwehr eines gegen den Versicherungsnehmer erhobenen, unberechtigten Anspruchs stets und unabhängig von der Höhe des Streitwerts zu tragen, so auch Voit/Knappmann in Prölls/Martin VVG, 27. Auflage 2004, § 150 VVG Rn.11; so im Ergebnis wohl auch: Langheid in Römer/Langheid, 2. Auflage 2003, VVG § 150 Rn. 9 am Ende). Der von Langheid angesprochenen Gegenauffassung von Johannsen – anteilige Quote, orientiert an der Forderung des Hauptsachegegners – folgt der Senat nicht. Die Gegenauffassung berücksichtigt nicht, dass – würde man ihr folgen – der Hauptsachegegner durch Geltendmachung einer (extrem) überhöhten – unberechtigten – Forderung dem Versicherungsnehmer (teilweise) den Versicherungsschutz entziehen könnte, was in Hinblick auf die der Haftpflichtversicherung innewohnenden Rechtsschutzkomponente nicht hinnehmbar ist. Insoweit besteht auch kein Wertungswiderspruch zur Lösung von Fällen, in denen der Hauptsachegegner (teilweise) berechtigte Ansprüche geltend macht. Macht der Hauptsachegegner teilweise berechtigte Ansprüche geltend, die unter der Versicherungssumme liegen, so trägt der Versicherer die Abwehrkosten vollumfänglich (Langheid in Römer/Langheid, 2. Auflage 2003, VVG § 150 Rn. 10; Voit/Knappmann in Prölls/Martin VVG, 27. Auflage 2004, § 150 VVG Rn.11).
Macht der Hauptsachgegner (teilweise) berechtigte Ansprüche über der Versicherungssumme geltend, so wird vertreten, dass bei den Kosten eine Quote zu bilden ist (Voit/Knappmann in Prölls/Martin VVG, 27. Auflage 2004, § 150 VVG Rn.11; Langheid in Römer/Langheid, 2. Auflage 2003, VVG § 150 Rn. 7,8,11, wobei streitig ist, wie diese Quote zu bilden ist). In diesem Fall mag es angemessen sein, den Versicherungsnehmer an den Kosten zu beteiligen, da er die Deckungssumme voll ausgeschöpft hat und der Abwehrversuch ihm in Bezug auf den überschießenden Teil zugutekam. Die Quote wäre dann allerdings so zu bilden, dass lediglich die berechtigten und nicht die geltend gemachten Ansprüche ins Verhältnis zur Versicherungssumme zu setzen sind, so dass nicht der Hauptsachegegner die Höhe des Anspruchs und damit die Quote bestimmt sondern die Rechtslage. Das muss, da ein solcher Fall hier nicht vorliegt, hier aber nicht abschließend entschieden werden.
2.2. Zutreffend sind auch die Ausführungen des Landgerichts dazu, dass weder ein Auftragsverhältnis bestand noch ein Gesellschaftsverhältnis.
Weder ist konkret vorgetragen noch ersichtlich, dass die Beklagte mit der Klägerin eine rechtsgeschäftliche Verbindung eingehen wollte und eine Verpflichtung zur Kostentragung übernehmen wollte, wofür auch kein Anlass bestand. Eine Veranlassung hierzu für die Beklagte wäre nur dann gegeben gewesen, wenn sie aktiv Einfluss auf die Durchführung der Anspruchsabwehr etwa durch die Auswahl bestimmter Anwälte oder die Vornahme bestimmter Verteidigungsstrategien hätte nehmen wollen. Das war vorliegend aber nach Aktenlage nicht der Fall.
Zu Recht hat das Landgericht auch darauf abgestellt, dass zur Zeit der Einleitung der Abwehrmaßnahmen die Klägerin überhaupt keine Kenntnis von der bei der Beklagten bestehenden Versicherung hatte (vgl. i.E. 2.3.), so dass schon deshalb die Annahme einer (konkludenten) – irgendwie gearteten – rechtsgeschäftlichen Vereinbarung zwischen den Parteien zu einer Kostenbeteiligung der Beklagten ausscheidet. Später hat die Beklagte ausdrücklich eine solche Kostenbeteiligung abgelehnt.
2.3. Der Klägerin steht auch kein Anspruch aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag zu. Die Klägerin hat – ohne überhaupt Kenntnis von der Versicherung bei der Beklagten gehabt zu haben – sich zur Schadensabwehr entschlossen, im Jahr 1999 Anwaltskanzleien beauftragt und die Schadensabwehr ausschließlich als eigenes Geschäft betrieben. Daran ändert es auch nichts, dass sie später – im Jahr 2000 – Kenntnis von der Excedentenversicherung bei der Beklagten erlangt hat und die Beklagte teilweise informiert hat (vgl. Anlage K 3). Auf ihre Bitte, eine Zahlung zu leisten, hat die Beklagte im Jahr 2007 ausdrücklich mitgeteilt, dass sie sich nicht an Kosten beteiligt (Anlagen B 1 und B 2). Durch die spätere Kenntnis von der weiteren Versicherung wurde die von der Klägerin als eigenes Geschäft betriebene Schadensabwehr nicht zu einem (auch) fremden Geschäft. Änderungen in der Art und Weise der Schadensabwehr nach Kenntniserlangung in Hinblick darauf hat die Klägerin nicht dargelegt.
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt der Senat aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).


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