Handels- und Gesellschaftsrecht

Entgangener Gewinn als streitwertneutrale Nebenforderung im Sinne von § 4 ZPO

Aktenzeichen  21 U 2777/14

Datum:
12.7.2017
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
RVG RVG § 32 Abs. 2 S. 1
GKG GKG § 68 Abs. 1 S. 1, S. 3, § 63 Abs. 3 S. 2
ZPO ZPO § 4

 

Leitsatz

1 Eine Gegenvorstellung gegen die Streitwertfestsetzung ist in entsprechender Anwendung der § 32 Abs. 2 S. 1 RVG, § 68 Abs. 1 S. 1 GKG statthaft. Die Einlegungsfrist beträgt analog § 68 Abs. 1 S. 3, § 63 Abs. 3 S. 2 GKG sechs Monate (Anschluss an BGH BeckRS 2017, 103381). (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der als Schaden geltend gemachte entgangene Gewinn ist dann streitwertneutral gemäß § 4 ZPO, wenn er eine von der Hauptforderung abhängige Nebenforderung ist und wie Zinsen als gleich bleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe geltend gemacht wird (Anschluss an BGH BeckRS 2016, 19985). Das ist der Fall, wenn der Kläger neben dem Ersatz der für eine Kapitalanlage erbrachten Zahlungen (Hauptforderung) auch Ersatz des Schadens verlangt, der ihm durch die entgangene Möglichkeit der anderweitigen Anlage des entsprechenden Kapitals entstanden ist.   (Rn. 5 – 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 U 2777/14 2015-03-16 Bes OLGMUENCHEN OLG München

Tenor

Bei der Streitwertfestsetzung vom 16.03.2015 hat es sein Bewenden.

Gründe

I.
Der Senat hat mit Beschluss vom 16.03.2015 den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 48.106,10 € festgesetzt. Der Festsetzung zugrunde gelegt wurde die Schadensberechnung der Klagepartei im Schriftsatz vom 25.09.2014, S. 5, allerdings ohne den entgangenen Gewinn von 25.173,18 €. Den Feststellungsantrag hat der Senat entsprechend dem Schriftsatz der Klagepartei vom 25.09.2014, S. 7 mit 5.112,92 € bewertet.
Nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erheben die Beklagtenvertreter aus eigenem Recht mit Schriftsatz vom 09.05.2017 Gegenvorstellung gegen die Streitwertfestsetzung. Sie meinen, der entgangene Gewinn müsse bei der Bewertung des Streitwertes berücksichtigt werden.
II.
Zwar ist die Gegenvorstellung in entsprechender Anwendung des § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG, § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG statthaft und auch innerhalb der analog geltenden sechsmonatigen Frist des § 68 Abs. 1 Satz 3, § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG eingelegt worden (vgl. BGH vom 07.02.2017, Az. XI ZR 366/15).
Sie ist aber unbegründet. Das Vorbringen der Beklagtenvertreter rechtfertigt keine Abänderung der Streitwertfestsetzung.
Es mag sein, dass andere Gerichte, so etwa das Landgericht Berlin und das Kammergericht entgangenen Gewinn, wie ihn die Kläger berechnen, nicht als Nebenforderung qualifizieren. Der Senat orientiert sich demgegenüber trotz der von beiden Parteivertretern vorgebrachten Kritik an der Rechtsprechung des BGH, insbesondere an der Spruchpraxis des für das streitgegenständliche Verfahren zuständigen 3. Senats des BGH (vgl. etwa BGH vom 27.06.2016, III ZR 257/12 und vom 03.11.2016, III ZR 213/16 m.w.N.). Demnach ist geltend gemachter entgangener Gewinn dann als streitwertneutral gemäß § 4 ZPO zu qualifizieren, wenn es sich um eine von der Hauptforderung abhängige Nebenforderung handelt und – so wörtlich der BGH in ständiger Rechtsprechung – der Schaden „wie Zinsen als gleich bleibender Hundertsatz einer bestimmten Summe“ geltend gemacht wird. Die Klagepartei hat es nicht in der Hand, dem geltend gemachten Anspruch durch Berechnung bzw. Bezifferung den Charakter einer Nebenforderung zu nehmen (vgl. BGH a.a.O. – auch dort war der entgangene Gewinn in den Zahlungsantrag eingerechnet worden). Ob der Anspruch – gemessen an der Hauptforderung – besonders hoch oder niedrig sind, ist ebenfalls unerheblich.
Vorliegend verlangen die Kläger – so der Vortrag in der Berufungsbegründung – neben dem Ersatz der erbrachten Zahlungen auch Ersatz des Schadens, der ihnen durch die entgangene Möglichkeit der anderweitigen Anlage des hier aufgewandten Kapitals entstanden ist. Haben die Kläger keinen Anspruch auf Rückzahlung der auf die Kapitalanlage erbrachten Zahlungen (= Hauptforderung), haben sie auch keinen Anspruch auf entgangenen Gewinn aus diesen Beträgen (vgl. BGH vom 27.06.2016, III ZR 257/12: Verzug oder Rechtshängigkeit ist nicht erforderlich). Der Anspruch auf den geltend gemachten entgangenen Gewinn hängt mithin denklogisch und unmittelbar von der Hauptforderung ab. Hätten die Kläger vorgetragen, sie hätten die geleisteten Zahlungen stattdessen bei einer Bank für einen bestimmten Zinssatz angelegt, wäre dieser Schaden eine klassische Nebenforderung im Sinne der Rechtsprechung.
Der Umstand, dass die Klagepartei für die Berechnung des entgangenen Gewinns statt üblicher Bankzinsen im Jahresdurchschnitt erzielbare Renditen heranzieht, macht keinen relevanten Unterschied. Wie dargelegt, heißt es in den Entscheidungen des BGH ausdrücklich „wie“ Zinsen. Abgesehen davon ist eine Rendite begrifflich nichts anderes als der in Prozent eines Bezugswerts ausgedrückte Effektivzins einer Kapitalanlage. Die Klagepartei hat ausweislich der Anlage BK 2 auch nicht laufend variierende Berechnungsfaktoren, sondern pro Jahr einen durchschnittlichen, mithin gleichbleibenden Hundertsatz errechnet, den sie als “Ertragswert in Prozent“ ihrer Berechnung zugrunde gelegt hat. Mit Hilfe dieses Ertragswertes hat sie anhand bestimmter Summen (nämlich des ohne die getätigte Anlage verfügbaren Kapitals) ihren Schaden ermittelt. Dass die Prozentsätze von Jahr zu Jahr variieren, ist ebenfalls kein stichhaltiges Argument gegen die Annahme einer Nebenforderung. Der Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank ändert sich jährlich (früher sogar halbjährlich), ohne dass jemand auf die Idee käme, Verzugszinsen, die mit einem bestimmten Prozentsatz über dem Basiszinssatz gefordert werden, bei der Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.
Für eine höhere Streitwertfestsetzung besteht damit keine Veranlassung.


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