Handels- und Gesellschaftsrecht

Haftung des Frachtführers bei Auslieferung an vermeintlichen Mitarbeiter des Empfängers

Aktenzeichen  14 U 1700/18

Datum:
6.6.2019
Fundstelle:
MDR – 2019, 1264
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
CMR Art. 13, Art. 17 Abs. 1, Art. 23 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

Im Rahmen der Fixkostenspedition stellt die Auslieferung des Transportguts an einen Betrüger, der sich als Mitarbeiter des im Frachtbrief bezeichneten und tatsächlich existierenden Empfängers ausgibt, keine Ablieferung im Sinne von Art. 13 CMR dar (Anschluss an OLG Hamm BeckRS 2013, 17185; Abgrenzung zu OLG Düsseldorf BeckRS 2005, 10198). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

21 O 1487/16 2018-04-17 Urt LGMEMMINGEN LG Memmingen

Tenor

1. I. Auf die Berufung des Streithelfers der Beklagten hin wird das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 17.4.2018, Az. 21 O 1487/16, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 36.975,00 Euro (in Worten: sechsunddreißigtausendneunhundertfünfundsiebzig Euro) nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 2.11.2016 zu bezahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
III. Klägerin und Beklagte tragen die Kosten des Rechtsstreits je zur Hälfte. Die Klägerin trägt darüber hinaus die Hälfte der Kosten der Nebenintervention.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung jedoch durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Schadensersatz anlässlich eines Transports von Halbzeugen nach Polen in Anspruch.
Die Beklagte war durch das Unternehmen W. Werke AG, der Versicherungsnehmerin der Klägerin, mit dem Transport von Halbzeugen im Wert von 73.059 € (netto) nach Polen im Wege der Fixkostenspedition beauftragt worden. Die Bestellung bei der W. Werke AG war von einer unbekannten Person aufgegeben worden, die fälschlich vorgab, für das polnische Unternehmen G. A. S.A. zu agieren. Als Empfänger war auf dem Versandauftrag (vergleiche in Kopie Anl. K1) und auf dem Frachtbrief (vgl. in Kopie Anl. K2/B0) das tatsächlich existierende Unternehmen JTK I. G. angegeben mit seiner wirklichen Adresse ul. H. C. 3, … M., Polen. Für die Ausführung des Transports setzte die Beklagte als Unterfrachtführer den Streithelfer ein. Dessen Fahrer übergab die Fracht an der im Frachtbrief angegebenen Empfängeradresse an unbekannte Dritte, nachdem er zuvor unter seiner Mobiltelefonnummer angerufen worden und ihm auch das richtige Kennzeichen des transportierenden Lkws genannt worden war. Ihm wurde der Empfang auf dem Frachtbrief mit Stempel und Unterschrift quittiert, wobei der Stempelabdruck jedoch nicht die JTK I. G., sondern die „G. A.“ nennt sowie eine von der Anschrift der Empfängerin abweichende Adresse (vgl. in Kopie Anl. K2/B0).
Auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil wird Bezug genommen.
Das Landgericht Memmingen hat einen Anspruch der Klägerin auf Schadensersatz aus übergegangenem Recht gemäß Art. 17 Abs. 1, 23 Abs. 1, 2 CMR bejaht und der Klage vollumfänglich stattgegeben.
Es nahm an, dass der Schaden im Obhutszeitraum der Beklagten eingetreten sei. Eine ordnungsgemäße Ablieferung an den berechtigten Empfänger sei vorliegend durch den Fahrer des Streitverkündeten nicht erfolgt. Denn das bloße Verbringen an den Empfangsort genüge einer Ablieferung im Sinne von Art. 17 CMR nicht. Vielmehr müsse der Frachtführer dem Empfänger unmittelbaren Besitz verschaffen, wobei berechtigter Empfänger der bei Ablieferung wirksam vom Absender im Frachtvertrag oder durch Weisung bestimmte Adressat des Gutes sei. Vorliegend sei die Ablieferung unstreitig nicht an Mitarbeiter der danach berechtigten Empfängerin JTK I. G. erfolgt, sondern an vermeintlich berechtigte Personen, die auf dem Frachtbrief als Empfänger einen Stempel der Firma „G. A.“ angebracht hätten. Die Ablieferung an einen Dritten genüge aber nur dann, wenn dieser vom Verfügungsberechtigten bevollmächtigt sei.
Das Verhalten des Unterfrachtführers habe sich die Beklagte nach Art. 3 CMR zurechnen zu lassen.
Weiter verneint das Ausgangsgericht ein Mitverschulden der Klägerin. Dass diese nicht erkannt habe, dass eine Bestellung der Firma G. A. gar nicht vorgelegen habe, könne ihr nicht zum Vorwurf gereichen. Die telefonische Weitergabe der Mobilfunknummer des Fahrers sowie des Kennzeichens seines Lkws durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin an die unbekannten Täter habe zwar das Vorgehen der Täter möglicherweise erleichtert. Selbst wenn dies als Mitverschulden angesehen werden könnte, müsste dieses jedoch hinter dem Verschulden des Fahrers, der die Ware an einen nicht im Frachtbrief genannten Empfänger ausgehändigt habe, ohne vorangegangene Weisungen des Absenders einzuholen, zurücktreten.
Dagegen richtet sich die Berufung des Streithelfers der Beklagten. Er ist weiterhin der Auffassung, dass zugunsten der Beklagten ein Befreiungsgrund nach Art. 17 Abs. 2 CMR eingreife und es an einem zurechenbaren Verschulden des Frachtführers fehle. Zudem macht er geltend, dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin ein hohes Maß an Mitverschulden am streitgegenständlichen Schaden trage, da sie bei Bestellung die Legitimation des Bestellers nicht geprüft habe und dem Betrüger überdies sensible Daten über den Streitverkündeten herausgegeben habe (Mobilfunknummer und Lkw-Kennzeichen), ohne welche die Vollendung des Delikts nicht möglich gewesen wäre. Der Irrtum des Frachtführers sei auch und gerade durch die Weitergabe dieser sensiblen Daten durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin und Auftraggeberin der Warenbeförderung hervorgerufen und verstärkt worden. Zwar hätte der Fahrer die Möglichkeit gehabt, sich nochmals beim Absender rückzuversichern, was ihm jedoch nichts gebracht hätte, weil dieser ebenfalls mit dem Täter in ständigem Kontakt gestanden habe und dessen Anweisungen deshalb bestätigt hätte. Auch sei es geschäftsüblich, dass man sich als Frachtführer auf mündliche telefonische Ansagen der Auftraggeber verlasse und nicht jedes Mal darauf bestanden werde, den Frachtbrief zu ändern (vergleiche Seite 2 ff. der Berufungsbegründung vom 13.6.2018, Bl. 122 ff. d.A.).
Der Streithelfer der Beklagten stellt folgenden Antrag, dem sich die Beklagte anschließt (vgl. S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 S. 4, Bl. 167 d.A.):
Er beantragt,
das am 17.04.2018 verkündete Urteil des Landgerichts Memmingen (Az: 21 O 1487/16) aufzuheben und die Klage abzuweisen (Bl. 120 d. A.).
Die Klägerin beantragt hingegen,
die Berufung zurückzuweisen (Bl. 135 d.A.).
Sie ist der Auffassung, dass das Ausgangsgericht zutreffend vom Eingreifen der Obhutshaftung ausgegangen ist. Dem Fahrer sei aufgefallen, dass der Empfänger einen Stempel auf die Frachtpapiere gesetzt habe, der nicht mit der Firma des angegebenen Empfängers übereingestimmt habe. Dennoch habe er weder Nachfrage gehalten noch die Übergabe der Sendung verweigert. Insofern treffe den Fahrer auch ein Verschulden, welches sich der Streitverkündete und die Beklagte zurechnen lassen müssten.
Die Klägerin bestreitet, dass ein Nachfragen beim Auftraggeber durch den Fahrer nichts genützt hätte und nimmt an, dass bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin die vorliegend gegebene gegebene Ungereimtheit selbstverständlich aufgefallen wäre und eine Auslieferung verhindert worden wäre (vgl. die Berufungserwiderung vom 20.7.2018, S. 1 ff., Bl. 133 ff. d.A.).
Ein etwaiges Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin sei jedenfalls zu vernachlässigen, da der Verursachungsbeitrag im Vergleich zum Fehlverhalten des Fahrers völlig untergeordnet wäre (vgl. den Schriftsatz vom 14.12.2018, Bl. 145 f. d.A.).
Auf die in der Berufungsinstanz – auch soweit dies nach Durchführung der mündlichen Verhandlung erfolgte – gewechselten Schriftsätze, das angefochtene Urteil, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 sowie die Verfügungen des Senatsvorsitzenden wird Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist teilweise begründet. Die Klage ist zulässig, aber nur teilweise begründet. Zwar hat das Ausgangsgericht zutreffend eine Haftung der Beklagten aus Art. 17 Abs. 1, 23 Abs. 1, 2 CMR bejaht. Der Anspruch der Klägerin ist jedoch gemäß Art. 17 Abs. 2 erste Variante i.V.m. Abs. 5 CMR durch deren Mitverschulden in seinem Umfang um 50% gemindert.
1. Die vorliegende – als solche unstreitig gestellte – Fixkostenspedition unterliegt dem CMR. Der Schaden in Gestalt des Verlustes des Gutes ist im Obhutszeitraum der Beklagten eingetreten, weil der Fahrer des Streithelfers das transportierte Halbzeug nicht an einen berechtigten Empfänger abgeliefert hat.
a. Die Ablieferung an den berechtigten Empfänger im Sinne des Art. 13 CMR lässt den Obhutszeitraum für den Frachtführer enden. Jedoch wurde vorliegend das Transportgut vom Fahrer des Unterfrachtführers unstreitig nicht an Mitarbeiter des im Frachtbrief (vgl. in Kopie Anl. K2/B0) allein als berechtigten Empfänger bezeichnete Unternehmen JTK I. G. ausgehändigt. Dass die Unbekannten, die das Gut konkret in Empfang nahmen, dessen Erhalt mit einem Stempelabdruck der „G. A.“, also der angeblichen Auftraggeberin der Versicherungsnehmerin der Klägerin quittierten, ändert daran nichts.
b. Zwar ist anerkannt, dass bei Auslieferung des Gutes an einen als Empfänger bezeichneten Betrüger auch bei formalen Abweichungen (und gerade auch bei Verwendung eines falschen Stempels zur Bestätigung des Empfangs) dennoch eine Ablieferung im Sinne des Art. 13 CMR vorliegt, wenn tatsächlich diejenige Person, die das Gut nach dem Willen des Versenders erhalten sollte, dieses auch erhalten hat. Dementsprechend kommt es nicht zu einer transportrechtlichen Haftung, wenn ein Betrüger unter dem Namen einer gar nicht existierenden Person auftritt, dieser Name im Frachtbrief als Empfänger angegeben wird und das Gut dann von dem unter diesem falschen Namen auftretenden Betrüger tatsächlich in Empfang genommen wird (vergleiche zu einer solchen Konstellation OLG Düsseldorf, Urt. v. 5.6.2002, Az.: 18 U 215/01, zit. nach juris Rn. 26). Die vorliegende Konstellation weicht davon jedoch in einem wesentlichen Umstand ab, nämlich insofern, als der im Frachtbrief angegebene Empfänger wirklich existiert und gerade nicht identisch ist mit dem offenbar betrügerisch agierenden Besteller des Gutes. Dementsprechend genügte hier die Auslieferung an Personen, die sich mit einem Stempel als Mitarbeiter der angeblichen Bestellerin, i.e. der „G. A.“ ausgaben, nicht den Anforderungen an eine Ablieferung im Sinne von Art. 13 CMR, sondern bleibt es dabei, dass dafür eine Aushändigung des Transportguts an Mitarbeiter der JTK I. G. notwendig gewesen wäre, weil allein die JTK I. G. – und eben nicht die unter falschem Namen agierende Bestellerin der Halbzeuge – im Frachtbrief als Empfängerin genannt war (in diesem Sinne auch OLG Hamm, Urt. v. 26.8.2013, Az.: I-18 U 164/12, 18 U 164/12, zit. nach juris Rn. 7, 10).
2. Der Verlust des transportierten Gutes ist ferner nicht im Sinne von Art. 17 Abs. 2 CMR durch Umstände verursacht worden, die der Frachtführer nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte.
a. Der Frachtführer haftet unter dem CMR für sich und seine Leute (Art. 3 CMR), wozu auch ein Unterfrachtführer und dessen Fahrer ebenso wie ein vom Fixkostenspediteur beauftragter Frachtführer und dessen Fahrer zählen (s. dazu nur Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Boesche, 3. Aufl. 2015, Art. 3 CMR Rn. 5 m.w.Nachw.) über die gewöhnliche Sorgfalt hinaus, wobei offenbleiben kann, ob es sich um eine vermutete Verschuldenshaftung mit gesteigertem Sorgfaltsmaßstab oder um eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung handelt (s. dazu nur Eb./Bo./Jo./St./B., 3. Aufl. 2015, Art. 17 CMR Rn. 2).
b. Die Haftung ausschließende unvermeidbare Umstände im Sinne von Art. 17 Abs. 2 CMR liegen in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung dementsprechend nur dann vor, wenn der Frachtführer diese im konkreten Fall auch durch die äußerste, ihm mögliche und nach den Umständen des Falles vernünftigerweise zumutbare Sorgfalt nicht vermeiden und in ihren Folgen nicht beherrschen konnte (s. die Nachw. bei Eb./Bo./Jo. /St./B., 3. Aufl. 2015, Art. 17 CMR Rn. 29). An solchen unvermeidbaren Umstände fehlt es vorliegend. Vielmehr hätte der Fahrer des Streithelfers mit Blick darauf, dass die auf dem Stempel, mit dem ihm der Empfang der Güter vor Ort bestätigt wurde, genannte Unternehmensbezeichnung („G. A.“) von dem im Frachtbrief (vgl. in Kopie Anl. K2/B0) genannten Empfänger (JTK I. G.) abwich und auch jeweils eine unterschiedliche Adresse angegeben war, die Ware nicht einfach an die damit ersichtlich unzureichend legitimierten, konkret vor Ort agierenden Personen aus der Hand geben dürfen. Vielmehr hätte er allen Anlass gehabt, sich bei der Absenderin, der Versicherungsnehmerin der Klägerin, rückzuversichern und den Ursachen für diese Divergenz nachzugehen.
c. Entgegen der Behauptung des Streithelfers der Beklagten, dass ein solcher Kontrollanruf bei der Absenderin sinnlos gewesen wäre, weil diese tatsächlich zu Unrecht von einer Bestellung von Seiten der G. A. S.A. ausgegangen sei (vgl. die Berufungsbegründung vom 13.6.2018, S. 6, Bl. 127 d.A.), ist tatsächlich völlig offen, wie die Versicherungsnehmerin der Klägerin auf einen solchen Anruf reagiert hätte. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sie weiterhin keinen Verdacht geschöpft hätte, umgekehrt ist aber auch nicht fernliegend, dass sie der Frage, an wen genau die Ware geliefert werden sollte, mehr Aufmerksamkeit hätte zuteil werden lassen und möglicherweise ihrerseits bei der JTK I. G. nachgefragt hätte, was wohl schnell zu Tage gefördert hätte, dass dieses Unternehmen mit dem Transport bzw. mit den gelieferten Gütern tatsächlich gar nichts zu tun hatte.
3. Schließlich kann eine Haftung der Beklagten auch nicht mit der Überlegung versagt werden, dass der Schaden womöglich auch dann bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin eingetreten wäre, wenn die Betrüger gleichsam professioneller agiert und bei Entgegennahme des Transportgutes nicht einen Stempelabdruck der frachtrechtlich gar nicht Empfangsberechtigten „G. A.“ verwendet hätten, sondern einen – ggf. gefälschten – Stempel der JTK I. G. Diese Überlegung rechtfertigt es nicht, den Verlust des Gutes als außerhalb des Schutzzweckes der transportrechtlichen Haftung liegend anzusehen. Vielmehr trägt die im Transportrecht geforderte Wahrung von Förmlichkeiten (auch) deshalb zur Gewährleistung eines sicheren Transportes bei, weil es – wie auch der Streitfall zeigt – gehöriger Sorgfalt und eines gewissen logistischen Aufwandes bedarf, um diesen formellen Anforderungen vollständig zu entsprechen. Es kann deshalb gerade bei betrügerischen Aktivitäten leicht zu „Fehlern“ – vorliegend die Verwendung eines gar nicht den berechtigten Empfänger nennenden Stempels durch die unbekannten Täter – kommen, die bei korrektem Verhalten der Transportpersonen dazu führen müssten, dass eine Aushändigung der Ware gerade unterbleibt. Die Förmlichkeit des Transportrechts erschwert also bei gehöriger Beachtung durch die Transportpersonen gerade einen durch betrügerische Aktivitäten verursachten Verlust des Transportgutes und es kann deshalb eine transportrechtliche Haftung aufgrund sorgfaltswidriger Aushändigung der Ware an Unbekannte nicht mit der Erwägung verneint werden, die Betrüger hätten deren förmliche Legitimation vorspiegeln und auf diese Weise ebenfalls einen Verlust des Transportgutes herbeiführen können.
4. Entgegen dem Ausgangsgericht ist jedoch der Klägerin im Streitfall gemäß Art. 17 Abs. 2 erste Variante i.V.m. Abs. 5 CMR ein erhebliches Mitverschulden ihrer Versicherungsnehmerin anspruchsmindernd zuzurechnen.
a. Ein solches anspruchsminderndes Mitverschulden liegt zwar vorliegend nicht schon darin, dass die Versicherungsnehmerin die vermeintliche (als Anlage S. 16 in Kopie vorliegende) Bestellung der G. A. S.A. offenbar nicht als betrügerisch erkannt hat. Denn auch wenn es im Geschäftsverkehr zumindest bei Bestellungen, die so wie im Streitfall nicht gegen Vorkasse erfolgen und einen gewissen Mindestwert übersteigen, wohl der gebotenen Sorgfalt entspricht, gewisse Maßnahmen zur Überprüfung der Identität und Authentizität des jeweiligen Bestellers vorzunehmen, so liegt das Risiko des Auftraggebers, einem betrügerischen Warenbesteller aufzusitzen als solches und liegen damit auch Verstöße gegen die gebotene Sorgfalt, dies zu vermeiden, als solche jenseits des Schutzzwecks des transportrechtlichen Haftungsregimes. Denn wenn Spediteur oder Frachtführer die ihnen übergebene Ware „ordnungsgemäß“ an den betrügerischen Besteller ausliefern, entsprechen sie ihren transportrechtlichen Pflichten und führt dies gerade nicht zu einer transportrechtlichen Haftung.
b. Anders verhält es sich hingegen mit der Weitergabe der Mobiltelefonnummer und des Lkw-Kennzeichens des Fahrers des Unterfrachtführers durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin an den unbekannten Täter.
aa. Von dieser Weitergabe ist auszugehen:
Zunächst hat die Klägerin die Weitergabe der betreffenden Daten nicht explizit bestritten, sondern lediglich vorgetragen, dass nicht vollständig aufgeklärt sei, wie es zu einer Weitergabe der Telefonnummer des Fahrers und des Lkw-Kennzeichens gekommen sein könnte (vergleiche den Schriftsatz vom 28.2.2018, S. 6, Bl. 88 d.A.). Sie hat dann aber keinerlei Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben würde, dass und warum dieser Anfrage durch ihre Versicherungsnehmerin nicht entsprochen worden sei. Es fehlt damit bereits an einem hinreichend substantiierten Bestreiten der konkreten und insbesondere durch die Vorlage der internen E-Mail-Korrespondenz innerhalb der Wieland-Gruppe (vergleiche Kopie Anlage S. 5) näher substantiierten Behauptung der Streithelferin einer Weitergabe der betreffenden Daten durch die Versicherungsnehmerin der Klägerin.
Darüber hinaus ist der Senat davon überzeugt, dass eine solche Weitergabe tatsächlich erfolgt ist. Ein sehr deutliches Indiz hierfür ist die vom Streithelfer der Beklagten vorgelegte, bereits angesprochene interne E-Mail-Korrespondenz innerhalb der Wieland-Gruppe (vergleiche Kopie Anlage S. 5), die offenbart, dass eine entsprechende Anfrage an die Versicherungsnehmerin der Klägerin herangetragen wurde. Ferner hat der Klägervertreter in der mündlichen Verhandlung selbst darauf hingewiesen, dass eine Weitergabe der betreffenden Daten nach dem tatsächlichen Geschehensablauf üblich sei (vergleiche das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019, S. 3), und schließlich fehlt es an jeglichem tatsächlichen Anhaltspunkt dafür, dass die unbekannten Täter auf anderem Wege an die entsprechenden Daten gekommen sein könnten. Aus dieser Zusammenschau ergibt sich in der Summe die dargestellte Überzeugung des Senats.
bb. Die Versicherungsnehmerin der Klägerin verstieß gegen die nach den Umständen gebotene Sorgfalt, als sie telefonisch die Mobilfunknummer des transportierenden Fahrers sowie das betreffende Lkw-Kennzeichen an einen Unbekannten weitergab. Dabei liegt der Sorgfaltsverstoß – zumindest nicht in erster Linie – nicht in der Weitergabe als solcher, die durchaus nicht unüblich sein mag, um den Ablauf des Transportes durch eine Kommunikation zwischen Fahrer und Empfänger praktisch zu erleichtern. Der Sorgfaltsverstoß ist in seinem Schwerpunkt vielmehr darin zu sehen, dass eine – zumindest oberflächliche – Überprüfung der Identität und Authentizität des Anrufers unterblieb, die zutage gefördert hätte, dass es sich gar nicht um einen Mitarbeiter des im Frachtbrief benannten Empfängers (der JTK I. G.), handelte. Eine solche Überprüfung wäre aber angesichts des doch erheblichen Wertes der bestellten Güter nach den Umständen geboten gewesen, zumal sie auf einfache Weise und ohne großen Aufwand möglich gewesen wäre: So hätte es insbesondere nahegelegen, bei der Unternehmenszentrale des im Frachtbrief genannten Empfängers rückzufragen oder den Anrufer um Angabe einer Festnetznummer und eines Ansprechpartners innerhalb des im Frachtbrief genannten Empfänger-Unternehmens zu bitten, einen Rückruf unter dieser Rufnummer anzukündigen und die Weitergabe der sensiblen Daten erst anlässlich dieses Rückrufs in Aussicht zu stellen.
cc. Anders als die mangelnde Überprüfung der Identität des Bestellers der Halbzeuge als solcher liegt der Sorgfaltsverstoß in Gestalt der Weitergabe der Mobilfunknummer und des Lkw-Kennzeichens an den unbekannten Anrufer ohne vorherige Verifizierung von dessen Berechtigung innerhalb der Schutzzwecke des transportrechtlichen Haftungsregimes. Denn es drängt sich auf, dass ein Unbefugter, indem er gegenüber dem Fahrer auf die Kenntnis solcher Daten verweisen kann, die für einen Fremden grundsätzlich gerade nicht verfügbar sind, leichteres Spiel haben wird, sich dessen Vertrauen zu erschleichen und damit zu einem Verlust des Transportgutes beizutragen.
dd. Der Senat gewichtet dieses Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin im Verhältnis zum Sorgfaltsverstoß des Fahrers des Streithelfers mit einem Anteil von 50%. Die jeweiligen Verschuldensanteile erscheinen im wesentlichen gleichgewichtig. Sowohl die Versicherungsnehmerin der Klägerin als auch der Fahrer des Streithelfers wurden jeweils von den unbekannten Empfängern des Transportgutes über deren Identität getäuscht und haben es an der nach den Umständen gebotenen Sorgfalt fehlen lassen, um diese Täuschung zu erkennen. Dabei ist zulasten der Klägerin zu berücksichtigen, dass es – wie vorstehend ausgeführt – keines großen Aufwands bedurft hätte, eine Verifizierung der Berechtigung des Anrufers vorzunehmen. Umgekehrt kann kein überwiegendes Verschulden des Fahrers des Unterfrachtführers angenommen werden, auch wenn dieser aufgrund des abweichenden Namens und der abweichenden Adresse im Stempel, mit dem der Empfang der Ware quittiert wurde, Anlass gehabt hätte, an der Empfangsberechtigung zu zweifeln. Denn es ist verschuldensmindernd zu berücksichtigend, dass der Stempelabdruck immerhin die angebliche Bestellerin und keinen außenstehenden Dritten als Empfänger nannte und überdies der Fahrer insofern in Sicherheit gewogen wurde, als die unbekannten Täter seine Mobilfunknummer und das LkwKennzeichen kannten.
5. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97, 101 ZPO. Da die Beklagte sich dem Berufungsantrag des Nebenintervenienten angeschlossen (vgl. S. 4 des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 9.5.2019 S. 4, Bl. 167 d.A.) und sich damit aktiv an dem Berufungsverfahren beteiligt hat, waren ihr im Umfang des Unterliegens auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen (vgl. dazu nur MünchKommZPO/Schulz, 5. Aufl. 2016, § 101 Rn. 21 m.w.Nachw.). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Verkündet am 06.06.2019


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