Handels- und Gesellschaftsrecht

Keine Aufrechnung mit einer nicht durchsetzbaren Forderung

Aktenzeichen  S 21 KR 2172/18

Datum:
8.11.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 37811
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 109 Abs. 1, Abs. 4 S. 2, § 325
BGB § 387

 

Leitsatz

1. Die Neuregelung des § 325 SGB V ist im Hinblick auf die einseitige Benachteiligung der Krankenkassen und die Sicherung des Wirtschaftlichkeitsgebots rechtspolitisch umstritten, insbesondere wegen der fehlenden Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen bestehen dagegen jedoch keine verfassungsrechtliche Bedenken. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, der nicht mehr durchgesetzt werden kann, kann nicht aufgerechnet werden. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin einen Teilbetrag in Höhe von 8.460,67 Euro aus dem Zahlungsavis der Beklagten vom 13.11.2018 nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.11.2018 an die Klägerin zu zahlen.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 8.460,67 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Nürnberg formgerecht erhobene Leistungsklage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung der noch ausstehenden Vergütung aus unstreitigen Behandlungen in Höhe von 8.460,67 EUR aus dem Zahlungsavis vom 13.11.2018. Der Anspruch ist nicht durch Aufrechnung erloschen, da der Rückforderungsanspruch der Beklagten aus der Behandlung der Frau D. im Jahr 2014 zu dem Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gem. § 325 SGB V nicht mehr gerichtlich durchsetzbar war und daher keine Aufrechnung möglich war.
1. Die Klage eines Krankenhauses bzw. Krankenhausträgers auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gegen eine Krankenkasse ist ein so genannter Beteiligtenstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und keine Klagefrist zu beachten ist (vgl. BSG, 30.06.2009, B 1 KR 24/08 R mwN). Der Zahlungsanspruch ist auch konkret beziffert.
2. Das Krankenhaus der Klägerin ist unstreitig ein zugelassenes Krankenhaus im Sinne des § 108 i.V.m. § 109 Abs. 4 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), denn bei Hochschulkliniken gilt die Anerkennung nach den landesrechtlichen Vorschriften als Abschluss des Versorgungsvertrages (§ 109 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Mit einem Versorgungsvertrag wird das Krankenhaus für die Dauer des Vertrages zur Krankenhausbehandlung der Versicherten zugelassen. Das zugelassene Krankenhaus ist im Rahmen seines Versorgungsauftrags zur Krankenhausbehandlung der Versicherten verpflichtet.
Aus dem Sachleistungsprinzip entspringt die Zahlungsverpflichtung der Krankenkassen unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch die Versicherten. Dieser Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert darum mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung (BSG, 17.05.2000, Az.: B 3 KR 33/99 R). Deshalb hängt der Zahlungsanspruch des Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse nicht davon ab, ob die Krankenkasse zuvor die stationäre Behandlung durch Bescheid bewilligt hat, sodass die Beklagte grundsätzlich zum Ausgleich der durch den stationären Aufenthalt ihres Versicherten verursachten Kosten gegenüber der Klägerin rechtlich verpflichtet ist.
3. Der Anspruch auf Vergütung richtet sich daher nach § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V i.V.m. § 7 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17 b Abs. 1 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), der Bundespflegesatzverordnung (BPflVO) sowie der entsprechenden Pflegesatzvereinbarung. Der Zahlungsanspruch wegen der Krankenhausbehandlungen, deren Rechnungsnummern auf dem Zahlungsavis vom 13.11.2018 aufgeführt sind, ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Es ist auch nicht streitig, dass die Klägerin aufgrund dieser stationären Behandlungen gegenüber der Beklagten die Vergütung zutreffend berechnet hat. Im Übrigen sind Anhaltspunkte für eine unzutreffende Leistungsabrechnung auch nicht ersichtlich. Eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl. zur Zulässigkeit dieses Vorgehens z.B. BSG, 21.04.2015, B 1 KR 8/15 R).
4. Der Zahlungsanspruch ist nicht dadurch erloschen, dass die Beklagte am 12.11.2018 mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten D. für den Zeitraum 29.04.2014 – 24.07.2014 analog § 387 Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Aufrechnung erklärt hat (zur entsprechenden Anwendung von § 387 BGB auf überzahlte Krankenhausvergütung: BSG, 23.06.2015, B 1 KR 26/14; BSG, 21.4.2015, B 1 KR 8/15 R). Eine Aufrechnung war zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung nicht mehr möglich, da es sich bei dem Rückforderungsanspruch der Beklagten nicht um eine durchsetzbare Forderung handelt. Die „Geltendmachung“ ist nach § 325 SGB V ausgeschlossen.
Rechtsgrundlage für die von der Beklagten erklärten Aufrechnung mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus der Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V in Verbindung mit den Vorschriften des BGB. Grundsätzlich ist eine Aufrechnung auch im Verhältnis von Krankenhausträgern und Krankenkassen zulässig trotz Fehlens der Voraussetzungen des § 51 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), denn es besteht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen Forderung im Wege der Aufrechnung entgegenzutreten. Dabei sind die zivilrechtlichen Vorschriften zur Aufrechnung (§§ 387 ff BGB) anzuwenden (vgl. bereits BSG, 17.03.2005, B 3 KR 11/04 R, Rdnr. 15 m.w.Nachw.- juris).
Voraussetzung des einseitigen Gestaltungsrechts der Aufrechnung, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier Forderungen bewirkt wird, ist gemäß § 387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der wirksamen Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige, und fällige bzw. erfüllbare Forderungen gegenüberstehen. Das Gesetz sieht vor, dass die Aufrechnung durch eine Erklärung gegenüber dem anderen Teil erfolgt (§ 388 Satz 1 BGB) und dass die Abgabe der Aufrechnungserklärung die beiderseitigen Forderungen in dem Zeitpunkt tilgt, in dem sie als zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind (§ 389 BGB). Die Aufrechnung setzt demnach die Gegenseitigkeit und Gleichartigkeit der Forderungen, die Durchsetzbarkeit der Gegenforderung und die Erfüllbarkeit der Hauptforderung voraus, sog. Aufrechnungslage. Die Aufrechnungslage muss im Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung (§ 388 BGB) vorliegen, wobei die Aufrechnung eine empfangsbedürftige Willenserklärung darstellt. Die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung – hier der Rückforderungsanspruch wegen der Behandlung der Frau G. D. – muss dabei vollwirksam und fällig, erzwingbar sowie einredefrei (vgl. § 390 BGB) sein (vgl. Rüßmann in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 8. Aufl. 2017, § 387 BGB, Rn. 38). Gemäß §§ 387, 390 BGB setzt die einseitige Aufrechnung also eine klagbare Gegenforderung des aufrechnenden Schuldners voraus (BGH, Urteil vom 16. März 1981 – II ZR 110/80 -, Rn. 6, juris), d.h. muss es sich um eine Forderung handeln, deren Erfüllung erzwungen werden kann. Angesichts der Vollstreckungsfunktion der Aufrechnung versteht es sich von selbst, dass nur solche Forderungen zur Aufrechnung benutzt werden können, die auch – bei Vorliegen der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen – im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden könnten.
Dies zugrunde gelegt durfte die Beklagte am 12.11.2018 nicht mehr die Aufrechnung mit dem Rückforderungsanspruch aus der Behandlung der Frau D. im Jahr 2014 erklären. Der Rückforderungsanspruch der Beklagten durfte zum Zeitpunkt des Zugangs der Aufrechnungserklärung am 12.11.2018 gem. § 325 SGB V nicht mehr geltend gemacht werden.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 325 SGB V sind erfüllt. Nach § 325 SGB V (Übergangsregelung zur Neuregelung der Verjährungsfrist für die Ansprüche von Krankenhäusern und Krankenkassen) in der Fassung vom 11.12.2018, gültig ab 01.01.2019 ist die Geltendmachung von Ansprüchen der Krankenkassen auf Rückzahlung von geleisteten Vergütungen ausgeschlossen, soweit diese vor dem 1. Januar 2017 entstanden sind und bis zum 9. November 2018 nicht gerichtlich geltend gemacht wurden. Diese gesetzliche Neuregelung wurde in das Gesetz eingefügt durch das Gesetz zur Stärkung des Pflegepersonals (PpSG) vom 11.12.2018, BGBl. I, 2394). Das Gesetz soll der Entlastung der Sozialgerichte und der Durchsetzung des Rechtsfriedens dienen (vgl. Drucksache 19/5593 S. 54, Begründung S. 124): „Die Regelung enthält eine gesetzliche Ausschlussfrist für Ansprüche der Krankenkassen auf Rückzahlung geleisteter Vergütungen, die vor dem 1. Januar 2017 entstanden sind, die aber bis zum Tag der zweiten und dritten Lesung des Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes nicht gerichtlich geltend gemacht wurden. Die Regelung zielt auf die Entlastung der Sozialgerichte und der Durchsetzung des Rechtsfriedens, der mit der rückwirkenden Einführung der verkürzten Verjährungsfrist beabsichtigt ist. Verhindert werden soll, dass die Krankenkassen zum Ende des Jahres 2018 zahlreiche gerichtliche Verfahren einleiten, um die Verjährung vermeintlicher Rückzahlungsansprüche aus vormals abgeschlossenen Abrechnungsvorgängen zu hemmen. Vor diesem Hintergrund wird die Durchsetzung entsprechender Rückzahlungsansprüche der Krankenkassen, die eine solche Vorgehensweise bereits angekündigt haben, ausgeschlossen. Rückzahlungsansprüche, die nach dem 1. Januar 2017 entstanden sind, können nach der Einführung der zweijährigen Verjährungsfrist noch bis zum Ende des Jahres 2019 geltend gemacht werden.“.
Es handelt sich bei dem streitigen Anspruch um einen Anspruch auf Rückzahlung geleisteter Vergütungen, der vor dem 01.01.2017 entstanden ist (nämlich 2014) und der nicht bis zum 09.11.2018 gerichtlich geltend gemacht wurde. Die Neuregelung des § 325 ist mit Blick auf die einseitige Benachteiligung der Krankenkassen und die Sicherung des Wirtschaftlichkeitsgebots zwar rechtspolitisch umstritten, verfassungsrechtliche Bedenken bestehen dagegen aber – insbesondere wegen der fehlenden Grundrechtsfähigkeit der Krankenkassen – nicht. Einer Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz (GG) iVm § 13 Nr. 11, §§ 80 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) bedarf es daher nicht.
Der Rückforderungsanspruch der Beklagten bezüglich der Behandlung der Frau D. konnte daher gem. § 325 SGB V ab dem 10.11.2018 nicht mehr „geltend gemacht“ werden kann. Damit konnte auch nicht mehr mit dem Anspruch aufgerechnet werden (so auch Bockholdt in: Hauck/Noftz, SGB, 04/19, § 325 SGB V, Rn. 16). Die fehlende Möglichkeit der „Geltendmachung“ bedingt unmittelbar einen Ausschluss der Aufrechenbarkeit. Eine Forderung, die nicht mehr geltend gemacht werden kann, ist nicht vollwirksam, durchsetzbar und erzwingbar im Sinne der §§ 387 ff. BGB. § 325 SGB V enthält eine materielle Ausschlussfrist (vgl. Bockholdt in: Hauck/Noftz, SGB, 04/19, § 325 SGB V, Rn. 15). Nach dem Wortlaut ist nämlich nur die „Geltendmachung“ des Rückzahlungsanspruchs ausgeschlossen, aber nicht (wie z. B. bei § 111 SGB X) der Anspruch selbst. Eine Forderung, die nicht mehr geltend gemacht werden kann, ist jedoch keine vollwirksame Forderung im Sinne der §§ 387 ff. BGB, deren Erfüllung erzwungen werden kann. Die Beklagte durfte sich daher nicht durch die Aufrechnung über die Regelung in § 325 SGB V hinwegsetzen und sich durch die der Aufrechnung innewohnenden Vollstreckungsfunktion die Forderung unmittelbar selbst beschaffen. Einer Forderung, der die Rechtsordnung die Durchsetzbarkeit in Form der „Geltendmachung“ versagt, kann nicht durch eine Aufrechnung mittelbar ein Rechtszwang verschafft werden. Die Beklagte hätte daher am 12.11.2018 nicht mehr die Aufrechnung erklären dürfen. Der Klage war vollumfänglich stattzugeben.
5. Der Anspruch auf Verzinsung ergibt sich aus § 12 Abs. 1 der Pflegesatzvereinbarung 2018 Danach ist die Rechnung innerhalb von drei Wochen nach Rechnungseingang zu zahlen und sind ab Überschreitung der Zahlungsfrist Verzugszinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über den jeweiligen Basiszinssatz zu entrichten.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da weder die Klägerin noch die Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehören und die Beklagte die unterliegende Partei des Rechtsstreits ist.
7. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit dem Gerichtskostengesetz (GKG). Da der Klageantrag auf eine bezifferte Geldleistung gerichtet war, ist deren Höhe maßgeblich (§ 52 Abs. 3 GKG).


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