Handels- und Gesellschaftsrecht

Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Pkw mit prüfstandsoptimierter Software

Aktenzeichen  73 O 1680/19

Datum:
19.3.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 5083
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) 715/2007 Art. 5 Abs. 2
BGB § 31, § 204 Abs. 1 Nr. 1 a, § 249, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 S. 2, § 826, § 849

 

Leitsatz

1. Die Verwendung einer Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung des Käufers dar. (Rn. 19 – 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Schaden entsteht durch Abschluss einen Kuafvertrages über einen Pkw mit einer solchen Software, da kein verständiger Autokäufer einen Pkw kaufen würde, welcher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die von Seiten der Behörden erteilte EG-Typengenehmigung durch Täuschung erschlichen hat. (Rn. 23 – 27) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der Käufer muss sich auf seinen Ersatzanspruch jedoch die von ihm während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen. Dabei ist von einer Gesamtlaufleistung von 250.000 km auszugehen. (Rn. 32 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
4. Durch die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage wurde die Verjährung gehemmt. Es ist auch nicht rechtsmissbäuchlich, wenn sich der Käufer dann wieder abmeldet und Individualklage erhebt. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19.435,19 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.08.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges VW EOS 2.0 TDI mit der Fahrgestellnummer
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte seit dem 23.08.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1) bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.171,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.08.2019 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 48,11 % und die Beklagte 51,89 %.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 29.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig (A.), jedoch nur zum Teil begründet (B.).
A.
Die Klage ist zulässig. Das Landgericht Regensburg ist sachlich gem. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG und örtlich gem. § 32 ZPO zuständig. Die objektive Anspruchshäufung begegnet ebenso wie die Feststellungsklage (§ 256 ZPO) keinen Bedenken.
B.
Die Klage ist zum Teil begründet. Die Klagepartei hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch gem. §§ 826, 249 ff. BGB i.V.m. § 31 BGB auf Zahlung in tenorierter Höhe Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem tenorierten Zeitpunkt (I.). Die Beklagte befindet sich seit dem tenorierten Zeitpunkt in Annahmeverzug (II.). Die Klagepartei hat zudem Anspruch auf Zahlung von außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem tenorierten Zeitpunkt, jedoch nur in tenorierter Höhe (III.). Im Übrigen ist die Klage abzuweisen, insb. besteht der geltend gemachte Zinsanspruch gem. § 849 BGB nicht (IV.).
I. Der klägerische Anspruch ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB.
1. Die Verwendung der Software zur Optimierung des Stickoxidausstoßes im Prüfstand stellt eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klagepartei dar. Die schädigende Handlung der Beklagten war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Software.
a) Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (vgl. BGH, NJW 2014, 383 ff.) Hinzutreten muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus de, verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, 77. Auflage 2018, § 826 Rn. 4 m.w.N.).
b) Unstreitig war die Software so programmiert, dass die Abgasrückführung in zwei Modi gesteuert wurde, wobei der Modus 1 mit höherer Abgasrückführungsrate ausschließlich im NEFZ aktiv gewesen ist, während im normalen Straßenverkehr durchgehend der Modus 0 aktiv gewesen ist. Die Steuerungssoftware führt mithin dazu, dass der gesetzlich definierte Grenzwert ausschließlich im Prüfverfahren zur Typengenehmigung eingehalten wird. Da der Modus 1 unstreitig so programmiert wurde, dass er die Aktivierung der Abgasrückführung exakt an die Fahrverhaltens-Parameter der NEFZ-Prüfung knüpfte, kommt es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit auch nicht darauf an, ob die Überschreitung der Grenzwerte im realen Straßenbetrieb Einfluss auf die Zulassungsfähigkeit des Fahrzeugtyps gehabt hätte. Ausschlaggebend ist in diesem Zusammenhang allein die Tatsache, dass ein Bauteil konstruiert wurde, das ausschließlich die Funktion hat, die Abgasrückführung nur in der Prüfsituation so zu erhöhen, dass der gesetzliche NOx-Grenzwert eingehalten wird. Dieser Zweck widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, da ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke des Erwerbs der Zulassung hervorgerufen wird und im normalen Straßenverkehr nicht vorliegt.
c) Dieses Verhalten ist auch als verwerflich anzusehen, da hierdurch der Eindruck erzeugt wird, die NOx-Emissionen des Fahrzeugs würden ohne Beeinflussung durch eine künstlich erhöhte Abgasrückführung im Normbereich liegen, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Es ist offensichtlich, dass das Verhalten der Beklagten nur dazu diente, sich auf rechtswidrigem Wege Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne zu steigern. Dieses per se legale Ziel wurde jedoch mit verwerflichen Mitteln erreicht. Insbesondere ist bei einer Gesamtabwägung hervorzuheben, dass die Beklagte über einen erheblichen Wissensvorsprung verfügte. Sie alleine wusste von der unzulässigen Abschalteinrichtung. Die Autokunden vertrauten darauf, dass Fahrzeuge mit einer EG-Typengenehmigung gesetzeskonform betrieben werden können. Dieses Vertrauen missbrauchte die Beklagte, indem sie die Kunden täuschte. Dem Kunden demgegenüber war es nicht möglich, diese Täuschung zu erkennen. Die Beklagte nutzte das Vertrauen der Kunden bewusst zu ihrem eigenen Vorteil aus.
2. Hierdurch hat die Beklagte der Klagepartei einen Schaden i.S.v. § 826 BGB zugefügt.
a) Ein Schaden liegt nicht nur dann vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, welche ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt, sondern auch dann, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende, ungewollte Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (vgl. BGH, NJW-RR 2015, 275). Ausreichend ist hierfür, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wurde, den er sonst nicht geschlossen hätte, und dass die Leistung für seine Zwecke nicht vollumfänglich brauchbar ist.
b) Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Maßgeblich ist nach Auffassung des Gerichts allein die zur Überzeugung des Gerichts feststehende Tatsache, dass die Klagepartei durch das Verhalten der Beklagten einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, den sie ansonsten nicht geschlossen hätte, und sie aus diesem Vertrag zur Kaufpreiszahlung und Abnahme des Fahrzeugs verpflichtet wurde. Nach Auffassung des Gerichts würde kein verständiger Autokäufer einen Pkw kaufen, welcher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die von Seiten der Behörden erteilte EG-Typengenehmigung durch Täuschung erschlichen hat. Es besteht nämlich die Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt diese EG-Typengenehmigung widerruft, was die Betriebsuntersagung zur Folge hat. Zum maßgeblichen Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Leistung zu den Zwecken des Käufers nicht voll brauchbar. Aus seiner Sicht droht theoretisch die Betriebsuntersagung und Außerbetriebsetzung sowie auch eine Einschränkung der Fungibilität. Bei Weiterverkauf und Offenlegung der Software hätte die Klagepartei als Verkäufer im Vergleich zum Anschaffungswert Preisabschläge hinnehmen müssen, wenn das Fahrzeug überhaupt veräußerbar gewesen wäre.
c) Die streitgegenständliche Programmierung ist gesetzeswidrig. Es liegt ein Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 vor, da die streitgegenständliche Programmierung bei verständiger Würdigung als Abschalteinrichtung anzusehen ist. Sie setzt eine zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft, mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zugunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet. Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.
d) Unabhängig davon, ob das streitgegenständliche Fahrzeug das von der Beklagten angebotene Software-Update erhalten hat, würde auch die Durchführung des Software-Updates den Schaden nicht entfallen lassen, da dieser im Abschluss des Kaufvertrags als solchem liegt und der Klagepartei infolge der vorsätzlichen Täuschung durch die Beklagte ein Festhalten an diesem Vertrag aus Sicht des Gerichts nicht zugemutet werden kann.
3. Das Verhalten der Beklagten ist ursächlich für die Schädigung. Die Beklagte hat das Antriebsaggregat, welches die Abschalteinrichtung beinhaltet, entwickelt und in den Verkehr gebracht und hierdurch den Schaden der Klagepartei kausal verursacht.
4. In diesem Zusammenhang handelte die Beklagte auch vorsätzlich. Es bestehen keine Zweifel, dass die mit der Entwicklung betrauten Mitarbeiter der Beklagten betreffend die unzulässige Abschalteinrichtung vorsätzlich handelten, da hierdurch für die Beklagte nicht unerhebliche Gewinne resultierten. Die Entwicklung der unzulässigen Abschalteinrichtung wurde nur aus dem Grund eingesetzt, um sich einen Wettbewerbs- und Kostenvorteil zu verschaffen. Der Beklagten war auch bewusst, dass das Verschweigen der Existenz dieser Abschalteinrichtung für die Klagepartei entscheidungserheblich für den Kauf dieses Fahrzeugs war. Die Ausführungen hierzu in der Klageschrift, dass sie in Kenntnis dieser Einrichtung den Pkw nicht erworben hätte, sind aus Sicht des Gerichts ohne Weiteres plausibel.
Aufgrund der konkreten Funktionsweise der Software ist darüber hinaus aber auch von zumindest bedingtem Vorsatz in Bezug auf die weiteren Voraussetzungen des bei der Klagepartei eingetretenen Vermögensschadens auszugehen. Da die Software die Abgasrückführung im Modus 1 exakt an die Parameter des NEFZ anknüpft und nur so die Einhaltung der gesetzlichen NOx-Grenzwerte bewirkt, muss sich demjenigen, welcher diese Softwareentwicklung veranlasst, aufdrängen, dass bei öffentlichem Bekanntwerden dieser Funktionsweise zum einen behördlich eine Umrüstung verlangt wird, welche die gezielte Anknüpfung an die NEFZ-Parameter abstellt und im Zuge der Umrüstungsmaßnahmen eine erhebliche Unsicherheit über die technische Unbedenklichkeit der Maßnahmen bestehen würde.
5. Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gem. § 31 BGB zuzurechnen. Voraussetzung hierfür ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (vgl. BGH, NJW 2017, 250 ff.). Die Klagepartei brachte hierzu vor, dass die Vorstandsebene Kenntnis von den haftungsbegründenden tatsächlichen Umständen hatten. Dieser Vortrag ist gem. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen, da er von Beklagten nicht hinreichend substantiiert bestritten wurde. Die Beklagte trifft bezüglich der vorstehenden Behauptung eine sekundäre Darlegungslast. Diese trifft die nicht primär darlegungs- und beweisbelastete Partei ausnahmsweise dann, wenn die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei für einen hinreichend substantiierten Vortrag Umstände darzutun hätte, die ihr unbekannt sind, die aber in den Wahrnehmungsbereich der Gegenpartei fallen und die Darlegung der entsprechenden Verhältnisse der Gegenpartei zumutbar ist. Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Die Klagepartei ist zu einer weitergehenden Darlegung und einem sachgerechten Beweisantritt nicht in der Lage, da es ihr an entscheidender Kenntnis über die internen Betriebsabläufe der Beklagten mangelt. Diese Betriebsabläufe gehören jedoch zum unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Beklagten, deren Offenbarung der Beklagten ohne Weiteres zumutbar ist. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht hinreichend nachgekommen.
6. Die Klagepartei hat daher gemäß § 249 BGB einen Anspruch auf Ersatz aller kausal aus der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden. Hätte die Klagepartei den streitgegenständlichen Kaufvertrag nicht geschlossen, so wäre sie zur Kaufpreiszahlung nicht verpflichtet gewesen, weswegen ihr von der Beklagten grundsätzlich der Kaufpreis in voller Höhe zu erstatten ist.
a) Die Klagepartei muss sich auf ihren Ersatzanspruch jedoch die von ihr während der Besitzzeit gezogenen Nutzungen anrechnen zu lassen, weil im Übrigen eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 346 Abs. 1 BGB (LG Wuppertal, Urteil vom 16.1.2018, Az. 4 O 295/17). Im vorliegenden Fall macht die Klagepartei einen Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB geltend. Der Zweck des Schadensersatzrechts besteht darin, entstandene Schäden auszugleichen. Der geschädigte Kläger soll für den erlittenen Schaden eine Kompensation erhalten, jedoch keine überobligatorischen Vorteile durch die Schädigung erlangen. Im Rahmen der Schadensabwicklung ist die Nutzungsentschädigung im Wege des Vorteilsausgleichs allgemein anerkannt. Es ist nicht veranlasst, im vorliegenden Fall hiervon eine Ausnahme zu machen, zumal die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw unstreitig problemlos über einen längeren Zeitraum nutzen konnte und dessen Vorteile für sich in Anspruch nahm.
b) Der zu erstattende Betrag reduziert sich auf 19.435,19 EUR. Bei Gebrauchtfahrzeugen wird die Nutzungsentschädigung ermittelt, indem der Kaufpreis mit der Zahl der gefahrenen Kilometer multipliziert und das Ergebnis durch die geschätzte Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs dividiert wird. Im vorliegenden Fall hat der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug bis zur mündlichen Verhandlung im Umfang von 85.295 km genutzt. Unter Berücksichtigung einer vom Gericht gem. § 287 ZPO geschätzten Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 250.000 km sowie des von der Klagepartei erbrachten Kaufpreises ergibt sich damit eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 10.064,81 EUR.
7. Hinsichtlich der Kaufpreisrückzahlung folgt der Zinsanspruch der Klagepartei aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB. Ausweislich des Schreibens vom 08.08.2019 wurde die Beklagte aufgefordert, den Kaufpreis bis spätestens 22.08.2019 zurückzuzahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Eine Reaktion der Beklagten erfolgte nicht, wodurch sie gem. § 286 Abs. 1 BGB in Verzug geriet. In entsprechender Anwendung des § 187 Abs. 1 BGB hat die Beklagte daher die Forderung der Klagepartei abzgl. des Nutzungsersatzes ab dem 23.08.2019 zu verzinsen. Die Höhe des Zinsanspruchs folgt aus § 288 Abs. 1 S. 2 BGB.
8. Verjährung ist zur Überzeugung des Gerichts nicht eingetreten. Gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 a) BGB wird die Verjährung gehemmt durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Die Klagepartei hat sie sich unstreitig 2018 erhobenen Musterfeststellungsklage gegen die Beklagte beim OLG Braunschweig, Az: 4 MK 1/18, an- und zum 23.09.2019 wieder abgemeldet. Der Musterfeststellungsklage liegt wie der vorliegenden Klage der „Dieselskandal“ zugrunde. Ausreichend für die verjährungshemmende Wirkung ist, dass sich die Klagepartei bis zum Ablauf des Tages vor Beginn des ersten Termins im Musterfeststellungsverfahren in Textform gegenüber dem Bundesamt für Justiz anmeldet (Palandt, 78. Auflage 2019, § 204, Rn. 16a). Nach § 204 Abs. 2 S. 2 BGB endet die Hemmung sechs Monate nach Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister beim Musterfeststellungsverfahren. Im Hinblick auf die konkret erhobene Klage noch vor Bestätigung der Abmeldung hat das Gericht in Anbetracht der vorstehenden Vorschriften keine Bedenken daran, dass die Ansprüche verjährt sein könnten. Die Geltendmachung der sich aus den besagten Vorschriften im Zusammenhang ergebenden Rechtsschutzmöglichkeiten stellt für das Gericht auch keinen Rechtsmissbrauch dar.
II. Die Beklagte befindet sich jedenfalls seit dem 23.08.2019 hinsichtlich der Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs gem. §§ 298, 293 BGB im Annahmeverzug. Die Beklagte wurde außergerichtlich mit Schreiben des Klägervertreters vom 08.08.2019 aufgefordert, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs den geltend gemachten Schadensersatz zu zahlen. Eine Reaktion der Beklagten innerhalb der Frist erfolgte nicht.
III. Die Klagepartei hat auch Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten, jedoch nur in Höhe von 1.171,67 EUR, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten seit 23.08.2019. Im Übrigen ist die Klage daher abzuweisen.
1. Eine den Faktor 1,3 übersteigende Geschäftsgebühr ist nicht gerechtfertigt, da keine außergewöhnliche Schwierigkeit gegeben ist, die eine Gebührenerhebung von 2,0 wie von der Klagepartei geltend gemacht, rechtfertigen würde. Gemäß der gesetzlichen Bestimmung zu Nr. 2300 VV-RVG kann eine den Faktor 1,3 übersteigende Geschäftsgebühr nur dann verlangt werden, wenn es sich um eine umfangreiche oder schwierige Tätigkeit handelt. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Weder der Umstand, dass der diesem Fall zugrunde liegende Grundsachverhalt mediale Beachtung findet, noch die Tatsache, dass aufgrund der bei vielen verschiedenen Gerichten in Masse anhängig gemachten Verfahren teils divergierende erstinstanzliche Entscheidungen getroffen wurden, begründen eine derartige Schwierigkeit. Der Sachverhalt ist keineswegs umfangreich, dies sind lediglich einige Schriftsätze der Parteivertreter.
2. Unter Berücksichtigung des Gegenstandswerts von 19.435,19 EUR ergibt sich damit ein Anspruch in der tenorierten Höhe (1,3 GG von 964,60 EUR, Telekommunikationspauschale von 20,00 EUR, Mehrwertsteuer von 187,07 EUR).
IV. Ein Anspruch auf Zinsen in Höhe von 4 % über dem Basiszinssatz aus der Kaufpreiszahlung für den beantragten Zeitraum besteht hingegen nicht. Voraussetzung des Zinsanspruchs gem. § 849 BGB ist, dass eine Sache der Klagepartei entzogen oder beschädigt wird. Dies ist vorliegend nicht der Fall.
C.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Aufgrund der hohen Nebenforderungen, insb. in Anbetracht der geltend gemachten Zinsen, ist aus den Anträgen der Ziffern 1 und 3 ein fiktiver Streitwert zu bilden, welcher insgesamt 40.646,06 EUR beträgt (Ziff. 1: 25.900,00 EUR nebst Zinsen von 8.287,87 EUR und 559,08 EUR; Ziff. 3: 2.077,74 EUR nebst Zinsen 39,37 EUR). Der Klageantrag nach Ziff. 2 ist nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Die Klagepartei obsiegt in Höhe von insgesamt 20.997,41 EUR (Ziff. 1: 19.435,19 EUR nebst Zinsen 368,34 EUR; Ziff. 3: 1.171,67 EUR nebst Zinsen 22,21 EUR), also mit einem Anteil von 51,89 %.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 1 und 2 ZPO.


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