Handels- und Gesellschaftsrecht

Verjährung der Schadensersatzansprüche nach Erwerb eines VW Tiguan ausgestattet mit einem Dieselmotor vom Typ EA189

Aktenzeichen  3 U 1868/20

Datum:
19.6.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 27212
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2, § 826

 

Leitsatz

1. Die Verjährung der Ansprüche aufgrund der Kaufs eines vom sogenannten “Abgasskandal” betroffenen PKW beginnt in der Regel mit Ablauf des Jahres 2015. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine etwaige Unzumutbarkeit der Klageerhebung im Jahr 2015 aufgrund einer unklaren Rechtslage hat keine Auswirkungen auf den Verjährungsbeginn. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

23 O 832/19 2020-03-09 Urt LGDEGGENDORF LG Deggendorf

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 09.03.2020, Aktenzeichen 23 O 832/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Deggendorf ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 26.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klagepartei verfolgt mit der Berufung seine erstinstanzlich geltend gemachten vermeintlichen Ansprüche auf Schadensersatz wegen des Erwerbs eines Pkws VW Tiguan, ausgestattet mit einem Dieselmotor vom Typ EA189 und damit vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffen.
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 09.03.2020 sowie den Beschluss des Senats vom 26.05.2020 Bezug genommen (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Berufung der Klagepartei.
Dieser beantragt in der Berufungsinstanz:
I.
Unter Abänderung des am 09.03.2020 verkündeten Urteils des LG Deggendorf, Az.: 23 O 832/19, die Beklagte zu verurteilen, Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Tiguan mit der Fahrgestellnummer: …47 an den Kläger einen Betrag in Höhe von 26.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.12.2011 zu zahlen.
II.
Unter Abänderung des am 09.03.2020 verkündeten Urteils des LG Deggendorf, Az.: 23 O 932/19, die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten seines Rechtsanwaltes M. H. in Höhe von 1.872,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit. Rechtshängigkeit freizustellen.
III.
Unter Abänderung des am 09.03.2020 verkündeten Urteils des LG Deggendorf, Az.: 23 O 932/19, festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 28.12.2019 mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer I. bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte beantragt,
Die Berufung zurückzuweisen.
Mit Beschluss vom 26.05.2020 wies der Senat darauf hin, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen. Dieser Beschluss wurde dem Klägervertreter am 03.06.2020 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 16.06.2020 nahm die Klagepartei zu den Hinweisen des Senats Stellung.
II.
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 09.03.2020, Aktenzeichen 23 O 832/19, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass. Ergänzend ist noch – im Hinblick auf die Stellungnahme vom 16.06.2020 – auszuführen:
Es ist Verjährung eingetreten. Hierauf hat sich die Beklagte bereits mit der Klageerwiderung vom 31.01.2020 (Bl. 11/66 d.A.) berufen; die Klagepartei gab dazu mit Schriftsatz vom 21.02.2020 (Bl. 70/115 d.A.) eine umfasssende Stellungnahme ab.
Denn vorliegend besteht die Besonderheit, dass der individuelle Verjährungsbeginn, d.h. der Zeitpunkt der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners, § 199 Abs. 1 BGB, regelmäßig mit dem unstreitigen Zeitpunkt des allgemeinen Bekanntwerdens des „Dieselskandals“ übereinstimmt. Denn über die der Beklagten vorgeworfene Täuschung wurde ab Herbst 2015 umfassend in sämtlichen Medien berichtet. Dass ein in Deutschland lebender Kunde des Konzerns hiervon keine Kenntnis gehabt haben sollte, ihm jedenfalls nicht grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BGB vorzuwerfen wäre, ist nicht vorstellbar.
Die Gegenerklärung beruft sich im wesentlichen darauf, dass die Würdigung des Dieselskandals im Jahr 2015 noch nicht konkret genug war, somit eine umfassende Tatsachenkenntnis nicht vorlag bzw. grob fahrlässig nicht erhoben wurde. Darüber hinaus sei auch die Rechtslage so unklar gewesen, dass eine Klageerhebung zu einem früheren Zeitpunkt unzumutbar gewesen wäre.
I.
Zu der umfassenden Tatsachenkenntnis der Klagepartei hat der Senat bereits in sein Hinweisbeschluss ausführlich Stellung genommen. Auch unter Berücksichtigung der Ausführung der Gegenerklärung ergibt sich insoweit keine andere Würdigung.
I.
Auch kann die Klagepartei nicht damit gehört werden, dass sie aufgrund der unklaren Rechtslage die Klageerhebung unzumutbar gewesen wäre. Für die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis ist es nicht entscheidend, dass der Anspruchsteller die tatsächlichen und rechtlichen Gesamtumstände rechtlich zutreffend würdigt. In den Konstellationen des Dieselskandals machten erste Käufer ihre Ansprüche gegen die Beklagte im Klagewege bereits zu Beginn des Bekanntwerdens der Umstände geltend. Bei den Gerichten sind eine Vielzahl von Klagen in einem Zeitpunkt eingegangen, als die rechtliche Klärung und die rechtliche Diskussion um die Haftungsfragen gerade erst einmal begonnen hatte. Der Verjährungsbeginn im Sinne des § 199 BGB ist daher nicht daran gebunden, dass jedwede Einzelfrage – so wohl die Argumentation der Berufung – abschließend geklärt werden muss. Anderenfalls würde dies dazu führen, dass solange nicht jede Einzelfrage durch den Bundesgerichtshof abschließend geklärt wurde, die Verjährung nicht zu laufen beginnt. In diesem Sinne ist die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis nicht zu verstehen. Damit ist es für den Verjährungsbeginn ausreichend, dass die zugrundeliegenden Tatsachen und die vertretbare rechtliche Würdigung bereits im Jahr 2015 bekannt bzw. grob fahrlässig nicht bekannt war.
Begann die Verjährungsfrist danach bereits mit dem Schluss des Jahres 2015 zu laufen, endete sie mit Ablauf des Jahres 2018.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10 ZPO.


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