Handels- und Gesellschaftsrecht

Wirksamkeit eines GmbH-Gesellschafterbeschlusses im Umlaufverfahren

Aktenzeichen  16 HK O 7910/17

Datum:
29.3.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 34619
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
GmbHG § 21, § 48 Abs. 2
ZPO § 92 Abs. 1, § 167
BGB § 133, § 157

 

Leitsatz

1 Ein im Umlaufverfahren gefasster Gesellschaftsbeschluss ist unwirksam, wenn diese Form der Beschlussfassung in der Satzung nicht ausdrücklich vorgesehen ist und nicht alle Gesellschafter ihr Einverständnis erklärt haben. (Rn. 27 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
2 Im Zweifel bedeutet die schriftliche Stimmabgabe kein Einverständnis mit einer schriftlichen Mehrheitsentscheidung. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass der Gesellschafterbeschluss der Beklagten im Umlaufverfahren vom 02./03.05.2017 unwirksam ist.
2. Im Übrigen wird die Klage wird abgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 80 %, die Beklagte 20 %.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
5. Der Streitwert wird auf 88.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur insofern begründet, als der Umlaufbeschluss vom 02./03.05.2017 angegriffen wird. Die Beschlüsse aus der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 wurden wirksam gefasst.
I. Aufgrund des Schriftsatzes vom 20.02.2018 war nicht erneut in die streitige mündliche Verhandlung einzutreten. Zwar enthält dieser Schriftsatz neuen Vortrag, die Frage, ob am 02.02.2018 eine Gesellschafterversammlung stattgefunden hat und dort Beschlüsse wirksam gefasst wurden, hat jedoch weder auf die Zulässigkeit noch auf die Begründetheit der verfahrensgegenständlichen Anfechtungsklagen Einfluss. Daher war der Klägerin vor Urteilserlass diesbezüglich auch nicht rechtliches Gehör zu gewähren.
II. Die Anfechtung der verfahrensgegenständlichen Beschlüsse erfolgte innerhalb der Monatsfrist, die von der Satzung der Beklagten in § 8 Nr. 4 Abs. 2 geregelt ist.
Die Klage ging bei Gericht ein am 01.06.2017 und wurde alsbald i.S.v. § 167 ZPO zugestellt. Insbesondere wurde die Zustellung nicht durch die Klagepartei verzögert. Nach Streitwertfestsetzung vom 06.06.2017 erfolgte die Zahlung des Vorschusses am 20.06.2017. Danach war die Zustellung unter der Geschäftsanschrift der Beklagten in … am 29.06.2017 nicht möglich, weil der Adressat nicht zu ermitteln war, so dass die Zustellung an den Geschäftsführer … der Beklagten in … erfolgen musste.
Die Klageerweiterung wurde per Telefax bei Gericht eingereicht am 10.10.2017 und ebenfalls alsbald zugestellt.
III. Der im Umlaufverfahren gefasste Beschluss vom 02./03.05.2017 ist unwirksam, da er an einem schweren formellen Mangel leidet. Für eine Beschlussfassung im Umlaufverfahren, die in der Satzung der Beklagten nicht ausdrücklich vorgesehen ist, fehlt es an der erforderlichen Zustimmung der Klägerin.
1. Gem. § 48 Abs. 1 GmbHG werden Beschlüsse der Gesellschafter in Versammlungen gefasst. Der Abhaltung einer Versammlung bedarf es nach § 48 Abs. 2 GmbHG (nur) dann nicht, wenn sämtliche Gesellschafter sich in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären.
Die als 2. Alternative geregelte schriftliche Abstimmung bei Einverständnis mit diesem Verfahren erfordert eine gegenüber der Gesellschaft abzugebende Einverständniserklärung. Diese ist formlos möglich und damit auch stillschweigend, muss jedoch hinreichend deutlich sein. Ob die bloße schriftliche Stimmabgabe auch ein Einverständnis mit der schriftlichen Mehrheitsentscheidung bedeutet, ist Auslegungsfrage, deren Beantwortung von den konkreten Umständen abhängt; im Zweifel ist sie zu verneinen, vgl. hierzu Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 21. Auflage, RN 35 zu § 48.
2. Die gebotene Auslegung, §§ 133, 157 BGB, führt nicht dazu, dass von einer wirksamen Einverständniserklärung gerade in Bezug auf die Fassung eines Gesellschafterbeschlusses im schriftlichen Verfahren auszugehen wäre.
Die Klägerin hat ausweislich der Anlage K 5 mittels mehrfachen Unterstreichens und doppelten Kreuzes kenntlich getan, dass sie nicht zustimme. Dabei ist dieses Nichtzustimmen aus objektiver Empfängersicht nicht nur auf den 2. Absatz des vorangehenden Textes (Willensbildung bzgl. der Veräußerung der Geschäftsanteile), sondern auch auf den 1. Absatz (Verzicht auf alle Formen und Frist der Einberufung und Ankündigung einer Gesellschafterversammlung) zu beziehen. Eine getrennte Zustimmung/Nichtzustimmung ist der Beschlussvorlage nicht zu entnehmen. Einer zusätzlichen Kenntlichmachung, dass gerade auch der Form der Beschlussfassung widersprochen werde, bedurfte es angesichts der Gestaltung der Anlage K 5 daher nicht. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass der Geschäftsführer … bei Übersendung der Beschlussvorlage nicht darauf hinwies, dass einem Umlaufbeschluss ausdrücklich zu widersprechen sein oder dass dieser im Fall fehlender Zustimmung unwirksam sei.
Dass sich unabhängig von der Nichtzustimmung auf der Anlage K 5 eine Zustimmungserklärung der Klägerin ergäbe, ist nicht vorgetragen und nicht erkennbar.
3. Die Klägerin ist auch nicht aufgrund fehlenden Widerspruchs nach der in § 8 Nr. 4 a.E. getroffenen Satzungsregelung daran gehindert, sich auf die Unwirksamkeit zu berufen. Es ist bereits nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich, dass das Zustandekommen eines Beschlusses im Umlaufverfahren zu irgendeinem Zeitpunkt i.S. der Satzungsregelung festgestellt worden wäre. Die Anlage K 5 selbst stellt keine Beschlussfeststellung dar. Außerdem enthält die Satzung keine Regelung, innerhalb welcher Frist einer Beschlussfeststellung widersprochen werden müsste und kann daher nicht zum Ausschluss von Anfechtungsrechten führen, wenn innerhalb der Anfechtungsfrist Klage eingereicht wird.
4. Rechtsfolge des fehlenden Einverständnisses ist nicht die bloße Anfechtbarkeit, vielmehr ist nach herrschender Auffassung von einer Unwirksamkeit des Umlaufbeschlusses auszugehen, vgl. a.a.O. RN 36 und Seibt in Scholz, GmbHG, 12. Auflage, RN 62 zu § 48 m.w.N.
IV. Die in der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 gefassten Beschlüsse sind wirksam und nicht anfechtbar.
1. Die Gesellschafterversammlung wurde mit Schreiben vom 18.08.2017 form- und fristgerecht durch den zur Einberufung ermächtigten Geschäftsführer … der Beklagten anberaumt. Auch die erforderlichen Angaben zur Tagesordnung sind dem Einladungsschreiben zu entnehmen.
2. Die Wirksamkeit der Beschlüsse scheitert nicht daran, dass der Ort der Versammlung der Klägerin bzw. ihrem Geschäftsführer unbekannt, unerreichbar oder unzumutbar gewesen wäre. Wenn als Tagungsort die … angegeben wurde, sollte die Versammlung offenkundig in den Geschäftsräumen der Beklagten stattfinden. Dass diese dem Geschäftsführer der Klägerin unbekannt gewesen wären, ist nicht vorgetragen und angesichts der Tatsache, dass der Geschäftsführer der Klägerin auch Geschäftsführer der Beklagten war, fernliegend. Ob es ein Klingelschild und Briefkästen gab, die eine Erreichbarkeit für den allgemeinen Geschäftsverkehr ermöglichten, ist für den hiesigen Fall der Gesellschafterversammlung in den Geschäftsräumen nicht von Relevanz.
Erst recht gilt dies vor dem Hintergrund, dass der klägerische Geschäftsführer am 29.08.2017 zur Gesellschafterversammlung überhaupt nicht angereist ist und keinerlei Versuch unternommen hat, an der Versammlung teilzunehmen.
3. Gründe, warum die zu TOP 1, TOP 2 und TOP 4 der Tagesordnung gefassten Gesellschafterbeschlüsse wegen des Inhalts der Beschlussfassung anfechtbar sein sollten, sind – trotz Hinweises in der Verfügung vom 11.12.2017 – nicht vorgebracht.
4. Der zu TOP 3 einstimmig gefasste Beschluss, den Geschäftsführer … mit sofortiger Wirkung als Geschäftsführer abzuberufen und ihm keine Entlastung zu erteilen, ist wirksam. Auf das Vorliegen von schwerwiegenden Pflichtverstößen und den Wegfall des Vertrauens kommt es nicht an. Der Geschäftsführer … konnte gem. § 38 Abs. 1 GmbHG wirksam auch ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden.
Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten sieht keine Einschränkungen der freien Widerruflichkeit einer Geschäftsführerbestellung vor. Ebenso wenig sind Regelungen enthalten, die ein Mitgliedschaftsrecht hinsichtlich der Geschäftsführerstellung begründen würden.
Schließlich ergeben sich Einschränkungen des § 38 Abs. 1 GmbHG auch nicht aus der Treuebindung der Gesellschafter untereinander. Eine solche darf, da von der gesetzlichen Regelung abgewichen wird, nur ausnahmsweise bejaht werden und liegt nicht bereits bei jeder zweigliedrigen Gesellschaft vor. Allein die Beteiligung der Klägerin mit ca. 34 % der Geschäftsanteile reicht nicht aus, um die Mit- und Mehrheitsgesellschafterin daran zu hindern, den dem klägerischen Lager zuzurechnenden Geschäftsführer … abzuberufen.
Jedenfalls aber hätte der Geschäftsführer … mit seinem Nichterscheinen am 29.08.2017 einen bei Treubindungen ausreichenden sachlichen Grund für seine Abberufung gesetzt, so dass auch bei Bejahung von Treubindungen die Abberufung nicht als willkürlich und damit als wirksam anzusehen wäre.
5. Auch der zu TOP 5 gefasste Beschluss, mit dem der Umlaufbeschluss vom 02./03.05.2017 „vollumfänglich bestätigt“ und den Geschäftsführern für diese Maßnahme gesondert Entlastung erteilt wurde, ist wirksam.
Auf die von den Parteien diskutierte Frage, ob es einer qualifizierten Mehrheit bedurfte, was abzulehnen ist, kommt es nicht an, da 100 % der abgegebenen Stimmen dem Beschluss zugestimmt haben.
Unschädlich ist, dass nach dem Wortlaut ein unwirksamer Beschluss bestätigt wurde und dies, obwohl die Durchführung der Anteilsabtretung zum Zeitpunkt der Beschlussfassung am 29.08.2017 bereits erfolgt war, also eine Auftragserteilung nicht mehr möglich war. Der Beschluss ist dahingehend auszulegen, dass mit der Bestätigung gleichzeitig das Handeln der Geschäftsführung nachträglich genehmigt wurde. Eine andere Interpretation würde die Autonomie der Gesellschafterversammlung missachten; es besteht kein Zweifel daran, dass es der Gesellschafterversammlung vom 29.08.2017 gerade darauf ankam, das Thema Veräußerung der Geschäftsanteile an der … abzuschließen und kund zu tun, dass die Veräußerung dem Mehrheitswillen der Gesellschafter entsprach.
Gründe, warum diese Beschlussfassung inhaltlich nicht haltbar sein sollte, sind nicht erkennbar. Vielmehr bestand angesichts des Umfangs fälliger Forderungen und der Höhe der Unterdeckung ab April 2017 dringender Handlungsbedarf. Wenn im Fall einer Unterdeckung der Mehrheitsgesellschafter die Entscheidung trifft, die von Verschuldung und/oder Zahlungsunfähigkeit bedrohte Tochtergesellschaft abzustoßen, ist dies von der Freiheit unternehmerischen Handelns gedeckt und gerichtlicherseits nicht zu beanstanden. Dass unter Treuegesichtspunkten ein Halten der Beteiligung zwingend gewesen wäre, vermag das Gericht nicht zu erkennen, zumal die Klägerin keine Tatsachen vorträgt, welche konkreten alternativen und zeitnah zu realisierenden Handlungsmöglichkeiten bestanden hätten.
V. Nebenentscheidungen:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Hinsichtlich der Streitwertfestsetzung bleibt es bei der vorläufigen Festsetzung und den im Beschluss zur vorläufigen Festsetzung ausgeführten Gründen.
Verkündet am 29.03.2018


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