Handels- und Gesellschaftsrecht

Zur Verwirkung der Annahmemöglichkeit bei einem Kaufangebot, an das sich der Anbieter bis zu einem bestimmten Tag gebunden hält und das danach von ihm widerrufen werden kann

Aktenzeichen  20 U 4438/18

Datum:
31.7.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 18735
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 145, § 147 Abs. 2, § 148, § 242, § 313

 

Leitsatz

1 Ist zwischen der Abgabe eines notariellen Kaufangebots, an das sich der Anbieter bis zum Ablauf eines bestimmten Tages gebunden hält und das danach vom Anbieter mit Frist widerrufen werden kann, und der Annahmeerklärung eines Zeitspanne von 12 Jahren verstrichen, ist das Zeitmoment für eine Verwirkung gegeben, die den Empfänger an der wirksamen Annahme des Angebots hindert. (Rn. 2 und 22) (redaktioneller Leitsatz)
2 Ist der im Angebot bestimmte Tag abgelaufen, ohne dass der Empfänger das Angebot angenommen hat, begründet allerdings weder der dann gegebene Hinweis des Anbieters auf “die abgelaufene Kaufoption” noch das Schweigen des Angebotsempfängers auf diesen – rechtlich unzutreffenden und auf ein zumindest unklares Verständnis des Anbieters von den Angebotsmodalitäten hindeutenden – Hinweis das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment. (Rn. 22 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine sorgfaltswidrig falsche Beurteilung der Rechtslage des Verpflichteten (hier: hinsichtlich der Fortgeltung eines Kaufangebots) kann nicht Grundlage eines schützenswerten Vertrauens sein und den Begünstigten (hier: Angebotsempfänger) ohne eigenes Zutun in seinem Recht (hier: Möglichkeit der Angebotsannahme) beschneiden. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

73 O 390/18 2018-11-23 Endurteil LGLANDSHUT LG Landshut

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 23. November 2018, Az. 73 O 390/18, abgeändert und – teilweise zur Klarstellung – neu gefasst:
I. Die Beklagte wird verurteilt, der amtlichen Vermessung einer Teilfläche von ca. 1.200 qm (Parzelle 1 und 2) aus dem Grundstück Fl.Nr. …80 der Gemarkung E. gemäß Ziffer B)
II. des notariellen Kaufangebots vom 11. August 2005, UrkundsNr. …40 P/2005 des Notars Dr. Bernd P. zuzustimmen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Messungsergebnis anzuerkennen, die Auflassung der Teilfläche gemäß Ziffer B)
II. des notariellen Kaufangebots vom 11. August 2005, UrkundsNr. …40 P/2005 des Notars Dr. Bernd P. zu erklären und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von € 10.000,00, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 331.500,00 € festgesetzt.

Gründe

II.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat im tenorierten Umfang Erfolg. Die in der Berufung zuletzt gestellten Anträge der Klägerin waren interessengerecht als Minus zu dem ursprünglichen Klageantrag auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 21. Februar 1986, V ZR 246/84, juris Rn. 13 mwN). Das Urteil des Landgerichts war – unter Berücksichtigung der Berufungsrücknahme hinsichtlich der vom notariellen Angebot nicht umfassten Grundstücksteilfläche – nur hinsichtlich der Klageabweisung bezüglich der beantragten Rechtsverfolgungskosten aufrechtzuerhalten. Im Einzelnen:
1. Zwischen den Parteien ist mit notariellem Angebot vom 11. August 2005 und notarieller Annahmeerklärung vom 20. Juli 2017 ein Kaufvertrag über eine zu vermessende Teilfläche von ca. 1.200 qm des Grundstücks FlNr. …80 der Gemarkung E., W.straße 9, zum Preis von € 130,00/qm zustande gekommen. Die Klägerin hat deshalb einen Anspruch auf Zustimmung der Beklagten zur amtlichen Vermessung. Darüber hinaus war festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, das Messungsergebnis anzuerkennen, die Auflassung der Teilfläche zu erklären und die Eintragung im Grundbuch zu bewilligen.
a) Das notarielle Angebot war zum Zeitpunkt der Annahmeerklärung wirksam, insbesondere – wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht mit Schreiben der Beklagten vom 16. Februar 2006 widerrufen worden. Denn aus diesem Schreiben ergibt sich zwar möglicherweise ein falsches Verständnis der Beklagten von der Fortgeltung des Angebots, wenn sie den „Ablauf der Kaufoption“ thematisiert, jedoch nicht – wie erforderlich – ihr eindeutiger Wille, sich vom Kaufangebot zu lösen.
b) Bedenken gegen die Wirksamkeit der Widerrufsregelung im notariellen Angebot hat der Senat ebensowenig wie das Landgericht; auch die Beklagte hat entsprechenden Vortrag in der Berufungsinstanz nicht wiederholt.
c) Entgegen der Ansicht des Landgerichts war die Klägerin am 20. Juli 2017 nicht nach Treu und Glauben wegen Verwirkung an der Annahme des Angebots gehindert.
aa) Bei dem Rechtsgedanken der Verwirkung kommt es nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an (BGH, Urteil vom 27. Juni 1957, II ZR 15/56, NJW 1957, 1358 f., 1358; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2013, XII ZR 59/12, NJW-RR 2014, 195 f. Rn. 10). Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden (BGH, Urteil vom 27. Juni 1957, II ZR 15/56, NJW 1957, 1358 f., 1358). Maßgebend ist, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle (BGH, Urteil vom 27. Juni 1957, II ZR 15/56, NJW 1957, 1358 f., 1358; BGH, Urteil vom 23. Januar 2014, VII ZR 177/13, NJW 2014, 1230 f. Rn. 13; BGH, Urteil vom 15. Dezember 2017, V ZR 275/16, NZW 2018, 909 ff. Rn. 15).
bb) Zwar dürfte angesichts der zwischen Angebot und Annahme verstrichenen Zeitspanne von ca. zwölf Jahren das für die Verwirkung erforderliche Zeitmoment erfüllt sein. Der Senat hält allerdings das Umstandsmoment nicht für gegeben. Denn ein Verhalten des Berechtigten, der Klägerin, aus dem die Beklagte objektiv hätte schließen dürfen, dass diese ihr Recht nicht mehr geltend machen wolle, liegt nicht vor:
(1) Das Schreiben vom 16. Februar 2006, auf das die Beklagte das Umstandsmoment stützen will, stammt von ihr selber, also von der Verpflichteten und nicht von der Berechtigten. Auf dieses Schreiben hat die Beklagte geschwiegen. Auf bloßes Schweigen allerdings kann sich ein Vertrauen der Verpflichteten, die Berechtigte werde ihr Recht nicht mehr ausüben, nicht gründen, zumal weiterhin zugunsten der Berechtigten eine Vormerkung zur Sicherung ihres Anspruchs auf Eigentumsverschaffung im Grundbuch eingetragen war.
Hinzu kommt, dass die Beklagte, ein in Grundstücksgeschäften erfahrenes Unternehmen, die Rechtslage in dem Schreiben vom 16. Februar 2006 unzutreffend wiedergegeben hat, was sie durch einen Blick in die Notarsurkunde unschwer hätte erkennen können. Eine sorgfaltswidrig falsche Beurteilung aber kann nicht Grundlage eines schützenswerten Vertrauens sein, die Beklagte nicht infolge einer falschen Bewertung der Rechtsposition der Klägerin dieser ein Recht ohne eigenes Zutun beschneiden.
(2) Treuwidriges Verhalten der Klägerin mit der Folge der Verwirkung wegen ihres Schweigens auf das Schreiben vom 16. Februar 2006 liegt nicht vor. Zwar offenbart dieses Schreiben ein zumindest unklares Verständnis der Beklagten von den Modalitäten des notariellen Angebots. Allerdings sind die beteiligten Parteien Unternehmen und beide in Grundstücksgeschäften erfahren. Eine Pflicht der Klägerin, die Beklagte über einen etwaigen von der Klägerin erkannten Irrtum aufzuklären, bestand deshalb nicht. Jedenfalls aber ist insoweit keine grobe Pflichtverletzung gegeben, bei deren Vorliegen allein eine Verwirkung wegen Treuwidrigkeit bejaht werden könnte (vgl. Palandt, BGB, § 242 Rn. 90, 46).
d) Der von der Beklagten erstinstanzlich erklärte Rücktritt wegen behaupteten Wegfalls der Geschäftsgrundlage geht ins Leere. Die Beklagte hat schon nicht substantiiert vorgetragen, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, schwerwiegend verändert haben. Der Angabe der Klägerin, dass sich der Quadratmeterpreis nur unwesentlich von € 130,00 auf ca. € 150,00 erhöht habe, ist die Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Die von ihr behaupteten und von der Klägerin bestrittenen unzumutbaren Nachteile bei Eigentumserwerb durch die Klägerin hat sie ebenfalls nicht substantiiert dargelegt. Der von der Klägerin vorgelegte Emailverkehr von November und Dezember 2017, in dem die Beklagte ersichtlich von einer Bebaubarkeit der streitgegenständlichen Teilfläche ausgeht, spricht deutlich für das Gegenteil.
2. Die Berufung war hinsichtlich der von der Klägerin begehrten Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten zurückzuweisen und das landgerichtliche Urteil insoweit aufrechtzuerhalten. Derartige Kosten hat die Klägerin bereits nicht schlüssig dargelegt, vielmehr abgesehen von der Antragstellung hierzu nichts ausgeführt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Klägerin bis zur Berufungsverhandlung Auflassung des Gesamtgrundstücks mit 2.210 qm verlangt hat, ein Anspruch aber nur im tenorierten Umfang besteht, waren die Kosten gegeneinander aufzuheben.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen; es handelt sich um die Entscheidung eines Einzelfalls.
Der Streitwert war in Höhe des geschätzten Werts des fraglichen Gesamtgrundstücks, dessen Auflassung die Klägerin bis zur mündlichen Berufungsverhandlung begehrt hat, festzusetzen, § 6 ZPO.


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