Aktenzeichen 2 BvR 769/10
§ 32 Abs 1 BVerfGG
Art 5 Abs 1 MRK
§ 66 Abs 1 StGB
§ 67d Abs 2 StGB
§ 67d Abs 3 StGB
Verfahrensgang
vorgehend OLG Koblenz, 30. März 2010, Az: 1 Ws 116/10, Beschlussvorgehend LG Koblenz, 26. Februar 2010, Az: 7 StVK 184/09, Beschluss
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Gründe
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1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig
regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten
ist. Auch in einem Verfahren über eine Verfassungsbeschwerde kann eine einstweilige Anordnung erlassen werden (vgl. BVerfGE
66, 39 ; stRspr). Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen
werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Etwas anderes gilt nur, wenn sich die Verfassungsbeschwerde von vornherein
als unzulässig oder offensichtlich unbegründet erweist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht
dagegen die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg
hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde
aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 87, 334 ; 89, 109 ; stRspr). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung
kommt dabei nur in Betracht, wenn die für den Erlass sprechenden Gründe deutlich überwiegen (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten
Senats vom 15. Oktober 2008 – 2 BvR 236/08 -, NVwZ 2009, S. 103 ).
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2. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung bleibt aufgrund der gebotenen Folgenabwägung ohne Erfolg. Die durch das
– nach Ablehnung des Antrags auf Verweisung an die Große Kammer am 10. Mai 2010 nunmehr endgültige – Kammerurteil des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 (Beschwerde Nr. 19359/04) zur Sicherungsverwahrung aufgeworfenen
Rechtsfragen werden im Hauptsacheverfahren zu klären sein.
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a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich später die Verfassungsbeschwerde aber als begründet, so entstünde
dem Beschwerdeführer durch die Fortsetzung der Freiheitsentziehung ein schwerer und nicht wieder gutzumachender Verlust an
persönlicher Freiheit (vgl. BVerfGE 22, 178 ; 84, 341 ). Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) hat unter
den grundrechtlich verbürgten Rechten besonderes Gewicht (vgl. BVerfGE 65, 317 ; 104, 220 ; BVerfG, Beschluss der
3. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Dezember 2009 – 2 BvR 2365/09 -, juris, Rn. 3).
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b) Erginge die einstweilige Anordnung, wiese aber das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde später als unbegründet
zurück oder gäbe ihr ohne die Folge einer Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Maßregelvollzug statt, so entstünden ebenfalls
schwerwiegende Nachteile. Die Fachgerichte haben die Gefahr bejaht, dass der seit über 10 Jahren in der Sicherungsverwahrung
befindliche Beschwerdeführer – der 1996 unter anderem wegen versuchten schweren Menschenhandels, Körperverletzung, Freiheitsberaubung,
sexueller Nötigung und Förderung der Prostitution strafgerichtlich verurteilt worden war – infolge seines Hanges erhebliche
Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden. Die Fachgerichte haben
insoweit auf drohende Straftaten des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung und ähnliche Delikte abgestellt.
Diese Annahme ist nachvollziehbar begründet. In Anbetracht dessen und angesichts der Schwere der drohenden Taten überwiegt
das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsgrundrecht des Beschwerdeführers.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.