IT- und Medienrecht

Änderung der Angaben zum Geschlecht und zum Vornamen durch bloße Erklärung, Auslegung des § 49 PStG

Aktenzeichen  11 W 1880/19

Datum:
3.9.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
FamRZ – 2019, 1948
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
Nürnberg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
PStG § 22 Abs. 3, § 45 b, § 49 Abs. 2
BGB § 133
TSG §§ 1., §§ 8.
FamFG § 70 Abs. 2, § 84
GNotKG § 36 Abs. 3

 

Leitsatz

1. Ein Gesetz auslegen heißt, seinen Sinn erforschen. Dabei kommt es nicht auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder an. Maßgebend ist der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers – sog. objektive Theorie – wie er sich aus dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2.  Ausgangspunkt der Auslegung ist die Wortbedeutung sog. sprachlichgrammatikalische Auslegung). Enthält das Gesetz für den Ausdruck eine gesetzliche Festlegung, ist diese maßgebend, sonst gilt für juristische Ausdrücke der juristische, sonst der allgemeine Sprachgebrauch. Ein – durch Auslegung festgestellter – eindeutiger Wortsinn ist grundsätzlich bindend. Von ihm darf nur abgewichen werden, wenn der unter Umständen aus der Entstehungsgeschichte abzuleitende Gesetzeszweck eine abweichende Auslegung nicht nur nahelegt, sondern gebietet.  (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das TSG betrifft Transsexuelle, d. h. Personen, die im Unterschied zu Zwittern oder Intersexuellen physikalisch eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind, sich im Laufe ihres Lebens aber dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Das TSG bietet den Betroffenen eine sog. „kleine“ Lösung, bei der nur der Vorname geändert wird, sowie eine „große“ Lösung, die nach einem entsprechenden operativen Eingriff zur vollständigen Zuordnung zum neuen Geschlecht führt. Im Unterschied zu transsexuellen Personen sind intersexuelle Menschen von Geburt oder von einem späteren Zeitpunkt an weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

UR III 17/19 2019-05-21 Bes AGREGENSBURG AG Regensburg

Tenor

1. Die Beschwerde d. Betr. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Regensburg vom 21. Mai 2019 wird zurückgewiesen
2. D. Betr. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 5.000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
D. Betr. wurde am … in … geboren und zunächst als „männlich“ mit dem Vornamen N… und dem Geburtsnamen L… unter Registernummer … in das Geburtenbuch des dortigen Standesamts eingetragen. Er ist verheiratet.
Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität e. V. stellte ihm am 20. März 2013 einen „Ergänzungsausweis“ aus, in dem als „Zusatz-/Vorname“ S… eingetragen ist.
Mit nicht unterzeichnetem Schreiben vom 8. April 2019 wandte sich d. Betr. an das Standesamt B. (Bet. zu 1) und erklärte, er wolle künftig im Geburtsregister unter der Geschlechtsangabe „weiblich“ und mit dem Vornamen „S…“ geführt werden. Dem Schreiben war ein Attest der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie L… K… vom 3. April 2019 beigefügt, in dem bescheinigt wird, dass d. Betr. seit 9. Februar 1999 in ambulanter Behandlung der Arztpraxis sei, „aus psychiatrischer Sicht eine Variante der Geschlechtsentwicklung vorliege und ausdrücklicher Wunsch bestehe, fortan rechtlich unter der Geschlechtsangabe weiblich und unter entsprechendem Vornamen (S…) geführt zu werden“.
D. Bet. zu 1) legte das Schreiben am 10. Mai 2019 über die Standesamtsaufsicht (Bet. zu 2) als Zweifelsvorlage nach § 49 Abs. 2 PStG dem Amtsgericht vor. Die begehrte Amtshandlung werde abgelehnt, weil kein Fall des § 45 b PStG (intersexuelle Personen), sondern ein vom TSG geregelter Fall einer Geschlechtsänderung vorliege.
Mit Beschluss vom 21. Mai 2019, auf den Bezug genommen wird, hat das Amtsgericht Regensburg d. Bet. zu 1) angewiesen, die Angaben zum Geschlecht und zum Vornamen nicht zu ändern. § 45 b PStG gelte ausweislich der Gesetzesmaterialien nur für Personen, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder Gonaden inkongruent sind (BT – Drucks.19/4559, 7); ein Änderungsantrag, der darauf abzielte, statt „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ im Gesetzestext „Varianten der Geschlechtsentwicklung sowie Personen, die sich einem anderen als dem eingetragenen oder keinem Geschlecht zugehörig fühlen“ zu schreiben, sei abgelehnt worden (BT-Drucks. 19/6467, 10). Eine Variante der Geschlechtsentwicklung im Sinne des Gesetzes liege nicht vor. Gegen diesen ihm am 28. Mai 2019 zugestellten Beschluss hat d. Bet. mit Schreiben vom 3. Juni, auf das wegen der Einzelheiten verwiesen wird, beim Amtsgericht Regensburg eingegangen am 4. Juni 2019 Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 5. Juni 2019 der Beschwerde nicht abgeholfen und das Rechtsmittel dem Senat vorgelegt.
D. Betr. vertritt die Auffassung, § 45 b PStG gelte auch für Personen, die sich ernsthaft einem anderen oder keinem Geschlecht zugehörig fühlen, auch wenn sie keine körperlichen Abweichungen aufweisen. Es komme allein auf die ärztliche Bescheinigung an, die das Standesamt nicht überprüfen dürfe. Der im Gesetz enthaltene Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ erfasse nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch psychische und selbst empfundene Varianten der Geschlechtlichkeit. Nur die Sexualwissenschaft verstehe darunter lediglich solche Fälle, in denen Geschlechtschromosomen, Gonaden und Genitale inkongruent sind. Da der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der Vorschrift nicht in deren Text festgelegt habe, könnten Ärzte den Begriff „Variante der Geschlechtsentwicklung“ auch weiter fassen als vom (historischen) Gesetzgeber gewollt. Am 22. Juni 2019 ist der verfahrensgegenständliche Antrag in öffentlich beglaubigter Form vorgelegt worden.
D. Bet. zu 1) und 2) verteidigen den angefochtenen Beschluss.
II.
Die Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für eine Änderung der Angaben zum Geschlecht und zum Vornamen durch bloße Erklärung liegen nicht vor. Nach § 45 b Abs. 1 Satz 1 PStG können nur Personen mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ von der mit Wirkung ab 22. Dezember 2018 geschaffenen Möglichkeit Gebrauch machen. D. Betr. gehört nicht zu diesem Personenkreis. Das Amtsgericht hat die fragliche Norm zutreffend ausgelegt.
1. Ein Gesetz auslegen heißt, seinen Sinn erforschen. Dabei kommt es nicht auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers bzw. der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder an. Maßgebend ist der im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers – sog. objektive Theorie – wie er sich aus dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (BVerfGE 1, 299/312; 133,168/205; BGHZ 214, 235 Rn. 19; Würdinger, JuS 2016, 1; Burghart, FamRZ 2019, 1029/1034). Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift kommt nur insofern Bedeutung zu, als sie die Richtigkeit einer nach den angegebenen Grundsätzen ermittelten Auslegung bestätigt oder Zweifel behebt, die auf dem angegebenen Weg allein nicht ausgeräumt werden können (BVerfGE 1, 299/312). Der Erfassung des objektiven Willens des Gesetzgebers dienen die anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung aus dem Wortlaut, der Norm, der Systematik, ihrem Sinn und Zweck sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte, die einander nicht ausschließen, sondern sich gegenseitig ergänzen. Unter ihnen hat keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen (BVerfGE 133, 168 Rn. 66). Dabei ist nach dem Rechtsgedanken des § 133 BGB nicht am buchstäblichen Ausdruck zu haften, sondern auf den Sinn der Norm abzustellen. Es ist davon auszugehen, dass das Gesetz eine zweckmäßige, vernünftige und gerechte Regelung treffen will (RGZ 74, 72 zitiert nach Palandt/Grüneberg, 78. Aufl., Einl. Rn. 40).
a) Ausgangspunkt der Auslegung ist die Wortbedeutung (BVerfGE 133, 168 Rn. 66; BGHZ 214, 235 Rn. 19, sog. sprachlichgrammatikalische Auslegung). Enthält das Gesetz für den Ausdruck eine gesetzliche Festlegung, ist diese maßgebend, sonst gilt für juristische Ausdrücke der juristische, sonst der allgemeine Sprachgebrauch. Ein – durch Auslegung festgestellter – eindeutiger Wortsinn ist grundsätzlich bindend. Von ihm darf nur abgewichen werden, wenn der unter Umständen aus der Entstehungsgeschichte abzuleitende Gesetzeszweck eine abweichende Auslegung nicht nur nahelegt, sondern gebietet (BGHZ 2, 176/ 184; 46, 76; NJW 2003, 290; Grüneberg, a. a. O. Rn. 41).
Allerdings gibt der Wortlaut nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf. Dessen Aufgabe beschränkt sich darauf, die intendierte Regelungskonzeption bezogen auf den konkreten Fall möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. In keinem Fall darf richterliche Rechtsfindung das gesetzgeberische Ziel der Norm in einem wesentlichen Punkt verfehlen oder verfälschen oder an die Stelle der Regelungskonzeption des Gesetzgebers gar eine eigene treten lassen. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt den Gesetzesmaterialien, soweit sie auf den objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen (BVerfGE 11, 126; BGHZ 181, 317), und der Systematik des Gesetzes eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu. Die Eindeutigkeit der im Wege der Auslegung gewonnenen gesetzgeberischen Grundentscheidung wird nicht notwendig dadurch relativiert, dass der Wortlaut der Norm auch andere Deutungsmöglichkeiten eröffnet, soweit diese Deutungen offensichtlich eher fern liegen (BVerfGE 133, 168 Rn. 66; 122, 248/283 f; 96, 375/394; 78, 20/24).
Der Wortlaut spricht, legt man den allgemeinen Sprachgebrauch zugrunde, eher für ein weites Verständnis des maßgeblichen Begriffs „Varianten der Geschlechtsentwicklung“. Denn unter einer Variante versteht man im Allgemeinen nichts anderes als eine Abwandlung, eine Spielart, eine leicht veränderte Art bzw. Form von etwas (Brockhaus Enzyklopädie, 21. Aufl. „Variante“). Unter Geschlechtsentwicklung versteht man im Allgemeinen die Differenzierung, die Ausprägung männlicher oder weiblicher Geschlechtsmerkmale während bestimmter Entwicklungsphasen des Lebewesens, die beim Menschen i.d.R. in der 7. Woche der Embryonalentwicklung beginnt und bis zur Pubertät andauert (Brockhaus, a.a.O. „Geschlechtsdifferenzierung“. Entwickelt sich bei einem Menschen im Laufe seines Lebens das Gefühl, im falschen Körper zu stecken, so kann man – wenn man auch die psychische Selbstwahrnehmung der Betroffenen einbezieht – von einer Spielart dieser normalen, regelmäßig ablaufenden Geschlechtsentwicklung sprechen.
Anders wird das Bild, wenn man den medizinischen Sprachgebrauch, die aktuelle medizinische Terminologie in den Blick nimmt. Die einschlägige S2k-Leitlinie „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ betrifft Diagnosegruppen, bei denen die Geschlechtschromosomen, das Genitale oder die Gonaden inkongruent sind. Für diese wurden früher Begriffe wie „Hermaphroditismus/Pseudohermaphroditismus“ oder „Intersexualität“ verwandt. Auf der Konsensuskonferenz in Chicago 2005 wurde stattdessen der Oberbegriff „Disorders of sexual development (DSD)“ eingeführt, um diskriminierende Begrifflichkeiten zu vermeiden. Diese Leitlinie wurde von den deutschen medizinischen Fachgesellschaften für Urologie, Kinderchirurgie sowie Kinderendokrinologie und -diabetologie in Zusammenarbeit mit den entsprechenden Fachgesellschaften für Kinder- und Jugendmedizin, Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Gynäkologie und Geburtshilfe, Neonatologie und pädiatrische Intensivmedizin, Humangenetik, Sozialpädiatrie und Jugendmedizin, Sexualforschung, pädiatrische Radiologie, Endokrinologie, Pathologie, Psychologie sowie mit der Psychotherapeutenkammer Berlin, der Eltern-SHG XY-Frauen (Intersexuelle Menschen), der AGS-Eltern- und Patienteninitiative und dem Bundesverband Intersexuelle Menschen herausgegeben. Der im vorliegenden Fall auf ungewöhnlich breiter Grundlage entwickelte medizinische Sprachgebrauch hat im vorliegenden Fall eine besondere Bedeutung, weil er für die Bestimmung des Gesetzeszwecks wichtig ist. Es geht, wie ausgeführt, um die Regelung der Folgen, die Varianten der Geschlechtsentwicklung, also medizinischer Phänomene, für das Personenstandsrecht haben.
b) Die Auslegung nach dem Bedeutungszusammenhang oder systematische Auslegung, geht von der Einsicht aus, dass der einzelne Rechtssatz im Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung zu verstehen ist. Auch für sie gilt, dass ein aus ihr gewonnenes Ergebnis grundsätzlich bindend ist. Abgewichen werden darf nur, wenn, was nachgewiesen werden muss, die ratio legis dies erfordert (Palandt/Grüneberg, a. a. O. Rn. 42).
Ein Unterfall der systematischen Auslegung ist die verfassungskonforme Auslegung. Nach ihr hat von mehreren Auslegungsmöglichkeiten diejenige den Vorrang, bei der die Rechtsnorm mit der Verfassung im Einklang steht (BVerfGE 2, 282; 64,241).. Ihre Grenze findet sie im Wortlaut des Gesetzes und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers (BVerfG NVwZ 2015, 510; BGH NJW 2010, 3154 Tz. 33). Der Richter darf nachkonstitutionelle Gesetze nicht durch verfassungskonforme Auslegung korrigieren.
In diesem Zusammenhang ist zum einen festzuhalten, dass die streitige Bestimmung im Abschnitt 2 des PStG „Familienrechtliche Beurkundungen“ steht. Dort sind ganz überwiegend personenstandsrechtliche Verfahrensvorschriften zusammengestellt, die auf namensbestimmende Erklärungen nach BGB oder EGBGB Bezug nehmen. Die Vorschrift ist ein Fremdkörper im PStG, das ansonsten reines Registerrecht ist, das lediglich das „Ob und Wie der Registrierung“, aber nicht die materiellen Regelungen zu den zu registrierenden Personenstandsangaben regelt (Berndt-Benecke, NVwZ 2019, 286/287). § 45 b PStG regelt gerade auch deren materielle Voraussetzungen.
Zum anderen kann bei der gebotenen Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs der Rechtsordnung, nicht außer Acht gelassen werden, dass mit dem Gesetz über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen (TSG) vom 10. September 1980, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 3 des Gesetzes zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20. Juli 2017 (BGBl. I, 2787) ein eigenes Gesetz besteht, das sich mit ähnlichen Fragen beschäftigt. Der – wie oben ausgeführt – für die Auslegung maßgebende, im Gesetzeswortlaut objektivierte Wille des Gesetzgebers kann nur dahin gehen, mit dem neuen § 45 b Abs. 1 Satz 1 PStG andere Sachverhalte zu regeln als mit dem TSG. Personen, deren Rechte bereits im TSG geregelt sind, können vernünftigerweise nicht von § 45 b PStG erfasst sein. Weil davon auszugehen ist, dass das Gesetz eine zweckmäßige, vernünftige und gerechte Regelung treffen will (so schon RGZ 74, 72 zitiert nach Palandt/Grüneberg, 78. Aufl., Einl. Rn. 40) hätte der Gesetzgeber zumindest auch das TSG, nicht nur das PStG geändert, wenn er auch die Rechte von transsexuellen Personen hätte erweitern wollen.
Das TSG betrifft (nur) Transsexuelle, d. h. Personen, die im Unterschied zu Zwittern oder Intersexuellen physikalisch eindeutig einem Geschlecht zuzuordnen sind, sich im Laufe ihres Lebens aber dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Der Gesetzgeber hatte (auch) mit diesem Gesetz die Konsequenz aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1978 (NJW 1979, 595) gezogen, die es als verfassungswidrig beanstandet hatte, dass auch in irreversiblen Fällen von Transsexualismus und nach genitalverändernder Operation keine Eintragung des neuen Geschlechts im Geburtenbuch möglich war. Das TSG bietet den Betroffenen eine sog. „kleine“ Lösung (§§ 1 – 7 TSG), bei der nur der Vorname geändert wird, sowie eine „große“ Lösung (§§ 8 – 12 TSG), die nach einem entsprechenden operativen Eingriff zur vollständigen Zuordnung zum neuen Geschlecht führt. Im Unterschied zu transsexuellen Personen sind intersexuelle Menschen von Geburt oder von einem späteren Zeitpunkt an – körperlich (oder auch psychisch) – weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen (Spickhoff/Spickhoff, 3. Aufl. 2018, TSG § 1 Rn. 4, 5). Für sie ist mittlerweile (ebenfalls) in Umsetzung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 (NJW 2017, 3643) durch das Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben (BGBl. I, 2639 f.) die Möglichkeit geschaffen worden, im Geburtenregister ihr Geschlecht mit „divers“ anzugeben (§ 22 Abs. 3 PStG n.F.). Dasselbe Gesetz hat auch die hier verfahrensgegenständliche Vorschrift § 45 b PStG eingeführt.
Nach allem besteht kein Zweifel, dass der objektive Wille des Gesetzgebers dahin geht, Transsexualismus im TSG und Intersexualität im PStG zu regeln. Andernfalls wäre der Inhalt von § 45 b PStG zumindest auch in das TSG eingefügt worden.
c) Die für die Bestimmung des Gesetzeszwecks nicht unerhebliche Entstehungsgeschichte (Palandt/Grüneberg, a. a. O, Rn. 45 m. w. Nachw.) spricht ebenfalls dafür, dass mit „Varianten der Geschlechtsentwicklung“ im neuen § 45 b PStG nur Fälle der, möglicherweise auch nur subjektiven Intersexualität gemeint sind. Denn, wie ausgeführt, ging der Anstoß zu dieser und der im selben Änderungsgesetz enthaltenen Ergänzung des § 22 Abs. 3 PStG von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 2017 aus, die sich nicht mit transsexuellen, sondern nur mit intersexuellen Menschen befasst. In diesem Beschluss wird wie in § 45 b PStG der Begriff Varianten der Geschlechtsentwicklung verwendet und auf Personen bezogen, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind und sich auch selbst dauerhaft einem weiteren Geschlecht zuordnen (BVerfG, a. a. O., Rn. 35 ff./ 56). Schon die vorangegangene Änderung des § 22 Abs. 3 PStG durch das Gesetz zur Änderung personenstandsrechtlicher Vorschriften vom 7. Mai 2013 (BGBl. I S. 1122) wollte klarstellen, dass die Geschlechtsangabe im Geburtseintrag offenbleiben kann, wenn sie nicht zweifelsfrei feststeht (Berndt-Benecke, a. a. O.) und stand im Zusammenhang mit der oben erörterten, auf der Konsensuskonferenz von Chicago gefundenen Nomenklatur.
Auch die (teleologische) Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes (BGHZ 2,176/184; 87,381/383), der gegenüber anderen Auslegungsmethoden ein Primat zukommt (Palandt/Grüneberg, a. a. O. Rn. 46) spricht daher für ein enges, transsexuelle Menschen nicht einbeziehendes Verständnis der Norm. Ratio legis war und ist lediglich die Beseitigung einer als verfassungswidrig erkannten Benachteiligung intersexueller Menschen (für dieses Verständnis auch Berndt-Benecke, a. a. O. Sieberichs, FamRZ 2019, 329 ff./331; Gössl, FF 2019, 298 ff.).
2. Die gesetzliche Regelung bzw. die gefundene Auslegung ist auch nicht verfassungswidrig. Das Grundgesetz gebietet keine andere, d. Betr. günstigere Auslegung. Es mag sein, dass es vor allem um die selbstempfundene geschlechtliche Identität geht und auch Personen, die sich lediglich subjektiv als „nichtbinär“ empfinden, einen Anspruch auf Anerkennung dieser Geschlechtsidentität haben (so Sieberichs und Gössl, jeweils a. a. O.). Der vorliegende Fall verlangt insoweit keine Entscheidung, da d. Betr. gerade nicht vorträgt, eine derartige nichtbinäre Geschlechtsidentität zu fühlen. Er sieht sich als dem weiblichen Geschlecht zugehörig und will demgemäß das Geschlecht im Geburtenregister als „weiblich“ bezeichnet wissen. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch lediglich festgestellt, dass niemand gezwungen werden darf, sich zwischen zwei Geschlechtszugehörigkeiten zu entscheiden. Der Beschwerdeführer hat insoweit aber kein Problem. Er entscheidet sich für das weibliche Geschlecht. Ihm steht anders als bis zum Inkrafttreten von § 22 Abs. 3 PStG n.F. und § 45 b PStG Personen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen, sondern einem weiteren Geschlecht zugehörig fühlen, seit langem mit dem TSG Wege offen, seine neu empfundene weibliche Identität personenstandsrechtlich zur Geltung zu bringen.
3. Die vorgelegte ärztliche Bescheinigung hat unter diesen Umständen keine Bedeutung. Denn d. Betr. behauptet keine Variante der Geschlechtsentwicklung im Sinne einer Zugehörigkeit zu einem nicht binären Geschlecht. Die ärztliche Bescheinigung dient lediglich dem Nachweis einer solchen Variante. Eine nicht aufgestellte Behauptung muss aber weder bewiesen werden noch ersetzt ein Beweismittel die zu beweisende Behauptung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG, die Festsetzung des Verfahrenswertes auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die für die Entscheidung des Verfahrens maßgebliche Frage bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt ist (§ 70 Abs. 2 FamFG).


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