IT- und Medienrecht

Aufhebung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung wegen fehlender Vollstreckungsvoraussetzungen

Aktenzeichen  M 12 K 16.299

Datum:
19.5.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwZVG VwZVG Art. 9, Art. 17, Art. 23
VwGO VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

Eine Pfändungs- und Überweisungsverfügung ist rechtswidrig, wenn die besondere Vollstreckungsvoraussetzung der Zustellung des Leistungsbescheides (Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG) fehlt, weil er nur durch einfachen Brief übermittelt wurde. Der für öffentliche Abgaben eröffneten Möglichkeit der Zustellung durch einfachen Brief (Art. 17 Abs. 1 VwZVG) unterfallen Bestattungskosten nicht. Sie dienen nicht der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs, sondern sind Kosten der Ersatzvornahme, wenn eine Bestattung für einen Angehörigen durchgeführt wird. (redaktioneller Leitsatz)
Die besondere Vollstreckungsvoraussetzung der Manhnung nach Eintritt der Fälligkeit (Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG) fehlt, wenn die Behörde zwar mahnt, die Fälligkeit aber durch die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs hinausgeschoben ist. Bestattungskosten sind keine “öffentlichen Abgaben und Kosten” (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), so dass einem Widerspruch aufschiebende Wirkung zukommt. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I.
Die Pfändungs- und Überweisungsverfügungen der Beklagten vom 11. Januar 2016 werden aufgehoben.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. Mai 2016 entschieden werden, obwohl für die Beklagte kein Vertreter erschienen ist. Die Beklagte wurde ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 3. Mai 2016 form- und fristgerecht zur mündlichen Verhandlung geladen und in dem Ladungsanschreiben darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden könne (§ 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO).
1. Für Rechtsbehelfe, die sich wie im vorliegenden Fall gegen die Vollstreckungsmaßnahme einer Gemeinde richten, ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß Art. 26 Abs. 7 Satz 3 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) eröffnet.
2. Die zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg. Die angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsverfügungen vom 11. Januar 2016 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Beklagte hat zu Unrecht mit den beiden Pfändungs- und Überweisungsverfügungen vom 11. Januar 2016 Forderungen der Klägerin gegenüber ihrer Arbeitgeberin und ihrer Vermieterin gepfändet und zur Einziehung an sich übertragen lassen. Denn die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lagen zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses Pfändungs- und Überweisungsverfügungen nicht vor.
Art. 26 Abs. 5 VwZVG berechtigt Gemeinden dazu, Geldforderungen, die nicht Gegenstand der Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Vermögen sind, selbst zu pfänden und einzuziehen, wenn Schuldner und Drittschuldner wie hier ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz in Bayern haben. Voraussetzung hierfür ist, dass neben den allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 19 ff. VwZVG auch die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen gemäß Art. 23 ff. VwZVG gegeben sind. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG nicht gewahrt.
Nach dieser Vorschrift kann ein Verwaltungsakt, mit dem eine öffentlich-rechtliche Geldleistung gefordert wird (Leistungsbescheid) vollstreckt werden, wenn er dem Leistungspflichtigen zugestellt ist, die Forderung fällig ist und der Leistungspflichtige von der Anordnungsbehörde oder von der für sie zuständigen Kasse oder Zahlstelle nach Eintritt der Fälligkeit durch verschlossenen Brief, durch Nachnahme oder durch ortsübliche öffentliche Bekanntmachung ergebnislos aufgefordert worden ist, innerhalb einer bestimmten Frist von mindestens einer Woche zu leisten (Mahnung).
Vorliegend fehlt es bereits an einer förmlichen Zustellung des zu vollstreckenden Leistungsbescheides (Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG). Darüber hinaus wurde die Klägerin auch nicht nach Eintritt der Fälligkeit gemahnt (Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG).
a) Entgegen Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG wurde der Gebührenbescheid vom 16. Juli 2012, mit dem die Klägerin zur Tragung der für die Bestattung ihres Vaters angefallenen Friedhofs- und Bestattungskosten in Höhe von 1.336,00 Euro herangezogen wurde, nicht nach der in den Zustellungsvorschriften bestimmten Form bekanntgegeben (Art. 2 Abs. 1 VwZVG). Die Übersendung des Gebührenbescheides als einfacher Brief genügte den Anforderungen an ein förmliches Zustellungsverfahren nicht. Zwar kann gemäß Art. 17 Abs. 1 VwZVG die Zustellung von schriftlichen Bescheiden, die im Besteuerungsverfahren sowie bei der Heranziehung zu sonstigen öffentlichen Abgaben und Umlagen ergehen, dadurch ersetzt werden, dass der Bescheid dem Empfänger durch einfachen Brief verschlossen zugesandt wird. Diese Vorschrift findet im vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung, da die von der Beklagten geltend gemachten Friedhofs- und Bestattungskosten nicht dem Begriff der öffentlichen Abgaben unterfallen. Hierunter sind Kosten zu verstehen, die ein Hoheitsträger zur Deckung seines Finanzbedarfs kraft seines Hoheitsrechts verlangt, also vor allem Steuern, Gebühren und Beiträge im Sinne der Abgabenordnung. Dies trifft auf die von der Beklagten geforderten Friedhofs- und Bestattungskosten jedoch nicht zu, da diese nicht unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen. Rechtsgrundlage der streitgegenständlichen Kostenforderung ist Art. 14 Abs. 2 Satz 2 des Bestattungsgesetzes (BestG). Nach dieser Vorschrift kann eine Gemeinde, die eine Bestattung unter den Voraussetzungen von Art. 14 Abs. 2 Satz 1 BestG selbst durchgeführt hat, von einem bestattungspflichtigen Angehörigen Ersatz der notwendigen Kosten verlangen. Bei den geforderten Friedhofs- und Bestattungskosten handelt es sich damit um die Kosten einer Ersatzvornahme (vgl. Klingshirn/Drescher/Thimet, Bestattungsrecht in Bayern, Erl. XIX Rn. 6). Deren Entstehen ist für die Gemeinde jedoch weder voraussehbar noch bei der Finanzplanung kalkulierbar. Da sich die Gemeinde auf den Eingang dieser Kosten nicht verlassen kann, erschließt sie sich mit ihrer Hilfe daher keine Einnahmequelle, die es ihr ermöglicht, ihre eigenen Aufgaben voll oder jedenfalls teilweise zu decken. Im Einzelfall fällig werdenden Abgaben, mit denen die Gemeinde Ersatz ihrer finanziellen Aufwendungen verlangt, für die sie in Vorlage getreten ist, gewährleisten somit nicht die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Hand. Die mit dem Gebührenbescheid vom 16. Juli 2012 geforderten Friedhofs- und Bestattungskosten sind daher nicht als öffentliche Abgaben zu qualifizieren (VG München, B.v. 10.11.2011 – M 12 K 11.3241, M 12 S 11.3242 – juris Rn. 23).
Die unterlassene Zustellung wurde auch nicht gemäß Art. 9 VwZVG geheilt. Nach dieser Vorschrift gilt ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Zwar kann vorliegend unterstellt werden, dass der Klägerin der Gebührenbescheid vom 16. Juli 2012 spätestens am 18. Juli 2012 tatsächlich zugegangen ist, da sie an diesem Tag schriftlich Widerspruch gegen den Gebührenbescheid einlegte. Art. 9 VwZVG eröffnet jedoch keine Heilungsmöglichkeit in Fällen, in denen das Dokument anstelle der durch Rechtsvorschrift oder durch die Behörde angeordneten Zustellung nur schlicht bekannt gegeben wurde (Giehl/Adolph/Käß, Verwaltungsvollstreckungsrecht in Bayern, Kommentar, Stand: Dezember 2015, Art. 9 VwZVG, Seite 2). Dies ist hier der Fall. Vorliegend hat die Beklagte entgegen Art. 23 Abs. 1 Nr. 1 VwZVG keine förmliche Zustellung des Leistungsbescheides gegen Postzustellungsurkunde beabsichtigt, sondern lediglich dessen formlose Übersendung. Von einem Zustellungswillen der Beklagten kann daher nicht ausgegangen werden (Giehl/Adolph/Käß, a. a. O., Art. 9 VwZVG, Seite 3). Der Zustellungsmangel wurde somit nicht nach Art. 9 VwZVG geheilt.
b) Darüber hinaus hat die Beklagte gegen Art. 23 Abs. 1 Nr. 3 VwZVG verstoßen, da sie die Klägerin nicht nach Eintritt der Fälligkeit der Leistung gemahnt hat.
Eine Geldleistung ist fällig, wenn ihre Erfüllung verlangt werden kann. Die Fälligkeit wird hinausgeschoben, wenn sie an einen unanfechtbaren Verwaltungsakt geknüpft ist und gegen den Leistungsbescheid ein Rechtsmittel eingelegt wird, dem aufschiebende Wirkung zukommt (Giehl/Adolph/Käß, a. a. O., Art. 23 VwZVG, Seite 5). Hiervon ausgehend hat die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 28. August 2012 noch vor Eintritt der Fälligkeit der Leistung zur Zahlung der offenen Bestattungs- und Friedhofskosten aufgefordert. Denn der von der Klägerin am 18. Juli 2012 eingelegte Widerspruch hatte aufschiebende Wirkung. Diese ist auch nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO entfallen, da die mit dem Gebührenbescheid vom 16. Juli 2012 geforderten Friedhofs- und Bestattungskosten weder als öffentliche Abgaben noch als Kosten zu qualifizieren sind. Die Friedhofs- und Bestattungskosten unterfallen nicht dem in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO verwendeten Abgabenbegriff, da sie nicht unmittelbar der Deckung des öffentlichen Finanzbedarfs dienen (s.o.). Die Kosten der Ersatzvornahme stellen aber auch keine Kosten im Sinne in § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO dar, da es sich hierbei nicht um Gebühren oder Auslagen handelt, die im Rahmen der Durchführung eines förmlichen Verwaltungsverfahrens entstanden sind (VG München, B.v. 10.11.2011 – M 12 K 11.3241, M 12 S 11.3242 – juris Rn. 24).
Da die besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen nach Art. 23 Abs. 1 VwZVG damit nicht vorlagen, waren die angefochtenen Pfändungs- und Überweisungsverfügungen vom 11. Januar 2016 aufzuheben.
3. Die Kostenfolge beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
Rechtsmittelbelehrung:
Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.
Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,
Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder
Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München
Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach
einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.
Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.
Beschluss:
Der Streitwert wird auf EUR 334,- festgesetzt
(§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz -GKG- i. V. m. Nr. 1.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,– übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,
Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder
Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München
einzulegen.
Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.


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