IT- und Medienrecht

Auskunftspflicht von Apotheken und pharmazeutischen Unternehmern

Aktenzeichen  L 5 KR 442/13

Datum:
24.5.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 72536
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
AMG § 4 Abs. 18, § 13
SGB V § 69, § 129 Abs. 2, Abs. 5c S. 4, § 217a Abs. 2, § 217d, § 217e Abs. 1 S. 1, S. 3, S. 5, Abs. 2, § 217f Abs. 1, Abs. 2, § 219a, § 300 Abs. 3 S. 4
BVerfGG § 80 Abs. 2 S. 1
GG Art. 12 Abs. 1, Abs. 2, Art. 20 Abs. 3, Art. 100 Abs. 1 S. 1
HGB § 17 Abs. 2
SGB IV § 36a Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 112 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2
SGB X § 24, § 31, § 39 Abs. 2, § 50 Abs. 3 S. 1
SGG § 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1, Abs. 2 S. 1, § 78, § 85 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 86 Abs. 2 Nr. 5, § 129 Abs. 5c S. 4, § 197a Abs. 1 S. 1
VwGO § 154 Abs. 1, Abs. 2

 

Leitsatz

1 Unter den dem Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenversicherung „gesetzlich zugewiesenen Aufgaben“ sind die im § 217f Abs. 2 SGB V, an zahlreichen anderen Stellen des SGB V und anderer Gesetze genannten Aufgaben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu verstehen. Hierzu gehört auch die Verpflichtung, Auskünfte nach § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V einzuholen, falls dies von ihm im Rahmen des ihm dort eingeräumten Ermessens („ … kann …“) für notwendig erachtet wird. (redaktioneller Leitsatz)
2 Die dem Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen eingeräumte Befugnis, von Apotheken und pharmazeutischen Unternehmern Auskünfte zu verlangen, kann im Wege eines Verwaltungsaktes geltend gemacht werden und räumt auch gleichzeitig die Möglichkeit ein, diese Auskunftsverpflichtung ggf. durch Zwangsmaßnahmen durchzusetzen.  (redaktioneller Leitsatz)
3 § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V ist grundgesetzkonform dahingehend auszulegen, dass alleine Auskünfte zu Durchschnittspreisen verlangt werden können. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 2 KR 904/13 2013-09-26 Endurteil SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.09.2013 in Ziffer II aufgehoben, im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten auch der Berufung.
III.
Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht München hat im Ergebnis zu Recht auf die Anfechtungsklage der Klägerin den Auskunftsbescheid des Beklagten vom 22.05.2013 in der Fassung des Bescheids vom 30.07.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2013 aufgehoben. Die Bescheide des Beklagten sind rechtwidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten, § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Beklagte konnte zwar mittels Verwaltungsakt den Auskunftsanspruch nach § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V gegenüber der Klägerin geltend machen. Inhalt und Reichweite des streitgegenständlichen Auskunftsverwaltungsaktes sind jedoch überwiegend nicht mehr von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt.
I.
Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das Urteil des Sozialgerichts München vom 26.09.2013, der Auskunftsverwaltungsakt des Beklagten vom 22.05.2013 in der Fassung des Bescheids vom 30.07.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2013, mit dem der Beklagte GKV-Spitzenverband die Klägerin, ein in der Rechtsform der GmbH Co.KG tätigen Arzneimittelhersteller, zur Auskunft über vereinbarte Preise für Fertigarzneimittel in parenteraler Zubereitung nach § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V verpflichtete.
II.
Gegen den genannten Auskunftsverwaltungsakt geht die Klägerin zu Recht mit einer reinen Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 S. 1 Alt 1 SGG vor. Der Verwaltungsakt des Beklagten hat sich insbesondere nicht durch Zeitablauf oder Umfirmierung erledigt (§ 39 Abs. 2 SGB X).
1. Zwar wurde der Klägerin mit streitgegenständlichen Bescheiden aufgegeben, dem GKV-Spitzenverband über sämtliche für das Inverkehrbringen in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel mit den Wirkstoffen Docetaxel und Paclitaxel, die im Monat Januar 2013 an Großhändler, Apotheken und Herstellungsbetriebe abgegeben wurden, Auskunft zu erteilen. Sinn und Zweck des Auskunftsanspruches ist es, dass für diese Arzneimittel marktnahe Vereinbarungen über abrechnungsfähige Preise zwischen dem GKV-Spitzen- Verband und dem Deutschen Apothekerverband getroffen werden können (vgl. BT-Drs. 17/2413, 30). Unter dem 01.09.2014 haben der Beklagte und der Deutsche Apothekerverband eine neue sog. Hilfstaxe vereinbart. Allein durch den Abschluss weiterer Hilftstaxen nach dem Januar 2013 hat sich der Auskunftsverwaltungsakt jedoch nicht durch Zeitablauf erledigt. Nach den glaubhaften und nachvollziehbaren Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 24.05.2016 besteht aus Sicht des beklagten GKV-Spitzenverbands nach wie vor ein erhebliches Interesse an der Auskunft für den Monat Januar 2013. Es ist aus Sicht des Beklagten notwendig zu wissen, wer die Abnehmer waren, um die angeforderten Daten zu erhalten, um die Marktentwicklung im Zeitverlauf abschätzen und diese einer Verhandlung hinsichtlich der entsprechenden Preise zugrunde legen zu können. Die gleiche Notwendigkeit gilt für die Erstellung der Hilfstaxe, auch für die Zukunft, weil sonst aus Sicht des Beklagten verlässliche Parameter fehlen würden. Da jedoch der Auskunftsverwaltungsakt bereits aufgrund der unter III. dargestellten Gründen rechtswidrig ist, musste nicht entschieden werden, ob sich § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V alleine auf den Anwendungsbereich des Abs. 5c S. 2 („vertragsloser Zustand“) oder auch auf Abs. 5c S. 1 („bestehender Vertrag“) bezieht.
2. Der streitgegenständliche Auskunftsverwaltungsakt hat sich auch nicht durch die nach der Bekanntgabe erfolgten Umfirmierung der Klägerin von der A. Deutschland GmbH Co. KG in die B. Pharma GmbH Co KG ebenfalls nicht nach § 39 Abs. 2 SGB X erledigt. Die Umfirmierung stellt keine Erledigung auf andere Weise in diesem Sinne dar. Bei der Firma handelt es sich nach § 17 HGB um den Namen eines Kaufmanns, unter dem er seine Geschäfte betreibt und seine Unterschrift abgibt. Ein Kaufmann kann unter seiner Firma klagen und verklagt werden, § 17 Abs. 2 HGB. Handelsgesellschaften haben keinen anderen als den Handelsnamen. Die Firma ist ihr Name schlechthin, welcher allerdings jederzeit geändert werden darf. Die Änderung der Firma ist wie die Aufgabe der alten Firma als Bildung einer neuen Firma anzusehen (Hopt in: Baumbach/Hopt, Handelsgesetzbuch, 36. Auflage, § 17 Rdnr. 22). Die Veränderung des Namens eines Handelsgewerbes beinhaltet allerdings keine Veränderung der dadurch benannten juristischen Person (vgl. auch LSG NRW Beschluss v. 28.10.2015 – L 8 R 442/15 B ER).
III.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 22.05.2013 in der Fassung des Bescheids vom 30.07.2013 und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.07.2013 ist jedoch rechtswidrig, da der geltend gemachte umfassende Auskunftsanspruch nicht mehr von der unbestimmten – aber noch verfassungskonform auslegungsfähigen – Ermächtigungsgrundlage nach § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V gedeckt ist. Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts führt jedoch nicht bereits eine fehlende Verwaltungsaktbefugnis der Beklagten zur Rechtswidrigkeit des streitgegenständlichen Verwaltungsakts.
1) Der Beklagte durfte entgegen der Ansicht der Klägerin die Erteilung der begehrten Auskünfte im Wege des Erlasses eines Verwaltungsaktes geltend machen.
a) Der beklagte GKV-Spitzenverband muss bei Verwendung der Handlungsform Verwaltungsakt die Gesetze beachten (Art. 20 Abs. 3 GG). Die inhaltliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes ist von der Rechtmäßigkeit der Verwendung der Handlungsform Verwaltungsakt zu unterscheiden. Soweit – wie vorliegend – ein Verwaltungsakt gegenüber einer Juristischen Person des Privatrechts erlassen wird, gebietet der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes, dass der Einsatz der Handlungsform Verwaltungsakt als solcher gesetzlich vorgesehen ist, wenn eine für den Adressaten oder sonstige Betroffene ungünstige Entscheidung getroffen werden soll. Denn die potentielle Bestandskraft (und ggf. auch die potentielle Vollstreckbarkeit) des Verwaltungsaktes legt dem Betroffenen die Anfechtungslast auf, so dass schon die Verwendung der Handlungsform als solche in dessen Rechte eingreift (Hierzu ausf. OVG Lüneburg NVwZ 1989, 880, 881; OVG Weimar DVBl 2010, 1042, Druschel, Verwaltungsaktbefugnis, 1999, S. 33 ff.). Diese Befugnis zu Erlass eines Verwaltungsaktes kann sich aus dem jeweils anzuwendenden materiellen Recht ergeben (BSG Urteil vom 28.08.1997 – 8 RKn 2/97 – juris -), wie dies bspw. in § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X der Fall ist.
b) Eine solche ausdrückliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines Verwaltungsaktes ist im Wortlaut des § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V nicht enthalten. Andererseits kann sich die Verwaltungsaktbefugnis aber auch aus dem Regelungszusammenhang des maßgeblichen Normengefüges, also aus dem materiellen Recht selbst ergeben. So wird eine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes in aller Regel bei Bestehen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses angenommen (vgl. BSG Urteil vom 12.02.1980 – 7 RAr 26/79 – juris; von Wulffen, Kommentar zum SGB X, § 31 RdNrn. 5 und 6, m. w. N.). Allerdings gibt es auch außerhalb eines Über-/Unter- ordnungsverhältnisses durchaus Konstellationen, in denen ein Verwaltungsakt erteilt werden kann, so bspw. im Bau- oder Immissionsschutzrecht oder im Steuerrecht. Hier kommt den zuständigen Genehmigungsbehörden bzw. dem Finanzamt durchaus die Befugnis zu, entsprechende Bescheide (z. B. Baugenehmigung, Baueinstellungsverfügung, Auflagen für den Anlagenbetrieb oder Steuerbescheid) auch gegenüber einer Gemeinde, einem Landkreis oder einem sonstigen Hoheitsträger zu erteilen, obwohl zwischen den verschiedenen staatlichen Stellen gerade kein Subordinationsverhältnis angenommen werden kann.
c) Das streitgegenständliche Verfahren betrifft eine Streitigkeit zwischen einem pharmazeutischen Unternehmer gem. § 4 Abs. 18 AMG und dem Spitzenverband Bund der Krankenversicherung. Diese stehen nicht in vertraglicher Beziehung zueinander wie z. B. grundsätzlich gleichberechtigte Partner in einem Abrechnungsstreit. Die Rechtsgrundlage für den Auskunftsanspruch wurzelt nicht in zwischen den Beteiligten geltenden Verträgen, sondern ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Vorliegend erfüllt der Spitzenverband Bund der Krankenkassen als Körperschaft des öffentlichen Rechts gem. § 217a Abs. 2 SGB V seine ihm zugewiesene Aufgabe gem. § 217f Abs. 1 i. V. m. §§ 129 Abs. 5c Satz 4 SGB
V.
Das streitgegenständliche Auskunftsbegehren beruht mithin auf einem vom Beklagten von Gesetzes wegen eingeräumten Anspruch, so dass die Beteiligten insoweit in einem Über- und Unterordnungsverhältnis stehen. Das Gesetz sieht mit § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V eine ausdrückliche Befugnis zur Auskunftserteilung vor. Die dem Beklagten eingeräumte Befugnis von Apotheken und pharmazeutischen Unternehmern Auskünfte zu verlangen, räumt auch gleichzeitig die Möglichkeit ein, diese Auskunftsverpflichtung ggf. durch Zwangsmaßnahmen durchzusetzen. Anderenfalls würde die Gefahr drohen, dass das Auskunftsverlangen des Beklagten ins Leere läuft. Um sein Auskunftsbegehren durchsetzen zu können, handelt vorliegend der Beklagte mit dem für das Subordinationsverhältnis typischen Mittel von „Befehl und Gehorsam“. Die Notwendigkeit, den zweifellos bestehenden Auskunftsanspruch des Beklagten gegenüber einem pharmazeutischen Unternehmer – unabhängig vom konkreten Inhalt – überhaupt durchsetzen zu können, rechtfertigt es, hier dem Beklagten die Befugnis zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsaktes einzuräumen (die VA-Befugnis in der vorliegenden Konstellation ebenfalls bejahend SG Reutlingen Urt. v. 20.01.2016 – S 1 KR 2979/12 – und SG Leipzig Urt. v. 26.01.2016 – S 8 KR 174/13).
d) Dieser Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsaktes stehen die Regelungen weder in § 217e Abs. 2 SGB V noch in § 217f SGB V entgegen. § 217e Abs. 1 Satz 5 SGB V bestimmt, welche Regelungen die Satzung des Beklagten zu enthalten hat. Nach § 217e Abs. 2 SGB V gelten die vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen abgeschlossenen Verträge und seine sonstigen Entscheidungen für die Mitgliedskassen des Spitzenverbandes, die Landesverbände der Krankenkassen und die Versicherten. Nach Ansicht des Sozialgerichts regelt diese Vorschrift abschließend den Kreis der Entscheidungsadressaten des Beklagten, so dass er gegenüber der dort nicht erwähnten Klägerin nicht befugt sei, einen Verwaltungsakt zu erlassen. Dieser Auffassung wird hier nicht gefolgt. § 217e Abs. 2 SGB V soll die Verbindlichkeit der Entscheidungen des Beklagten gegenüber seinen Mitgliedskassen und den Kassenverbänden sowie gegenüber Versicherten gewährleisten (vgl. KassKomm/Peters SGB V § 217e Rn. 9). Diese Vorschrift trifft jedoch keine Aussage zu dem Auskunftsanspruch in § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V. Insbesondere lässt sich § 217e Abs. 2 SGB V nicht entnehmen, dass der Beklagte nur gegenüber den dort genannten Adressaten zum Erlass von Verwaltungsakten befugt ist.
Ebenso wenig steht auch § 217f SGB V der Befugnis des Beklagten zum Erlass eines Verwaltungsaktes entgegen. In dieser Vorschrift sind die Aufgaben des Beklagten geregelt. So hat nach § 217f Abs. 1 SGB V der Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen ab dem 01.07.2008 die ihm gesetzlich zugewiesenen Aufgaben zu erfüllen. Unter den „gesetzlich zugewiesenen Aufgaben“ sind die im § 217f Abs. 2 SGB V, an zahlreichen anderen Stellen des SGB V und anderer Gesetze genannten Aufgaben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen zu verstehen. Wegen deren Vielzahl ist von einer erschöpfenden Aufzählung in § 217f abgesehen worden (KassKomm/Peters SGB V § 217f Rn. 4). Hierzu gehört aber auch die Verpflichtung, Auskünfte nach § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V einzuholen, falls dies von ihm im Rahmen des ihm dort eingeräumten Ermessens („ … kann …“) für notwendig erachtet wird.
e) Da keine vertragliche Leistungsbeziehung zwischen der Klägerin und dem Beklagten besteht und gesetzliche Regelungen nicht entgegenstehen, konnte der Beklagte sein Begehren in der Form eines Auskunftsverwaltungsaktes geltend machen. Daher ist der Beklagte nicht auf eine allgemeine Leistungsklage zu verweisen und es ist über die hilfsweise erhobene Leistungswiderklage nicht mehr zu entscheiden. Klarstellend wird daher Ziffer II des Urteils des Sozialgerichts vom 26.09.2013 aufgehoben.
2.) Vorliegend war auch die Leiterin der Abteilung Arznei- und Heilmittel beim Beklagten zum Erlass des streitgegenständlichen Widerspruchsbescheides vom 24.07.2013 befugt. Nach dem klaren Wortlaut von § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGG erlässt den Widerspruchsbescheid, falls dem Widerspruch nicht abgeholfen wird, die nächsthöhere Behörde oder, wenn diese – wie vorliegend – eine oberste Bundes- oder eine oberste Landesbehörde ist, die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Vorliegend untersteht der beklagte GKV-Spitzenverband nach § 217d SGB V der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Somit ist die nächsthöhere Behörde im Falle des Beklagten eine oberste Bundesbehörde. Der Beklagte war daher als die Behörde, die den Bescheid vom 22.05.2013 erlassen hat, auch für die Entscheidung über den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin zuständig und damit befugt, den Widerspruchsbescheid vom 24.7.2013 zu erlassen (vgl. hierzu auch BSG, Urteil vom 28.02.2006 – B 3 KR 28/05 R – juris). § 85 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGG, wonach in Angelegenheiten der Sozialversicherung die von der Vertreterversammlung bestimmte Stelle zu entscheiden hat, steht dieser Befugnis zum Erlass des Widerspruchsbescheides nicht entgegen. Diese Vorgabe gilt nur dann, wenn auch tatsächlich die Pflicht zur Einrichtung einer entsprechenden Widerspruchsstelle besteht bzw. eine Widerspruchsstelle freiwillig eingerichtet wurde. Nach der für den Beklagten maßgebenden Vorschrift des § 217e Abs. 1 Satz 5 SGB V besteht keine Verpflichtung zur Einrichtung einer Widerspruchsstelle. Es gilt daher der allgemeine Grundsatz des § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IV, wonach Träger der Sozialversicherung zwar eine Widerspruchsstelle einrichten können, wenn sie nicht in anderem Zusammenhang ausdrücklich dazu verpflichtet werden. Ausweislich seiner Satzung vom 18.06.2007 hat der Beklagte allerdings von dieser Möglichkeit zur Einrichtung einer Widerspruchsstelle keinen Gebrauch gemacht.
3.) Damit ist zwar das Auskunftsverlangen des Beklagten in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden. Es besteht jedoch in materieller Hinsicht keine Verpflichtung der Klägerin, dem Beklagten über die bereits mit Schreiben vom 04.07.2013 erteilten Auskünfte hinaus die weiteren begehrten Informationen zu erteilen. Das streitgegenständliche umfassende Auskunftsverlangen kann nicht auf § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V gestützt werden.
Diese Rechtsgrundlage ist nach ihrem offenen Wortlaut hinsichtlich Inhalt und Ausmaß unbestimmt und wäre im Ergebnis – bei einer weiten Auslegung – auch unverhältnismäßig. Die Aussetzung des Verfahrens und die Vorlage an das BVerfG sind jedoch gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht geboten, da zum einen eine verfassungskonforme Auslegung der Norm möglich ist. Zum anderen ist der streitgegenständliche Verwaltungsakt in Teilen nicht einmal von dem weiten wörtlichen Anwendungsbereich des § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB gedeckt. Schließlich hat der Beklagte bei Bescheiderlass nicht das ausdrücklich vom Gesetzgeber angeordnete Ermessen ausgeübt.
a) § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V ermächtigt zu Grundrechtseingriffen (Art. 12 Abs. 1, 2 GG) bei den pharmazeutischen Unternehmern, wobei der Gesetzgeber selbst die geschützten Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse (z. B.. Preiskalkulationen) bezeichnet, vgl. BT-Drs. 16/12256, 66.
BT-Drs. 16/12256, 66
„Die Verpflichtung der Apotheken und der pharmazeutischen Unternehmer, auf Anforderung Bezugsquellen und Einkaufspreise nachzuweisen, sichert die kontrollierte Einhaltung des Verfahrens. Durch die Möglichkeit von Krankenkassen, ihre Verbände mit der Überprüfung zu beauftragen, wird eine kassenübergreifende Prüfung möglich, was den Verwaltungsaufwand verringert. Dabei sind bereits aufgrund allgemeiner Rechtsvorschriften Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gegenüber Dritten zu wahren.“ Diese weitreichende Befugnis muss sich am Grundsatz der Normenklarheit und Bestimmtheit messen lassen, der der Vorhersehbarkeit von Eingriffen für Bürger und Unternehmer, einer wirksamen Begrenzung der Befugnisse gegenüber der Verwaltung sowie der Ermöglichung einer effektiven Kontrolle durch die Gerichte dient (vgl. BVerfG Urt. v. 20.04.2016 – 1 BvR 966/09, 1 BvR 1140/099). Die Adressaten des Eingriffsaktes müssen sich nach den Anforderungen der Ermächtigungsnorm richten können; nur hinreichend bestimmte Regelungen können Basis gerichtliche Kontrolle sein (Sachs GG Art. 20 Rn. 126 ff. mwH zur Rechtsprechung des BVerfG). Da der Auskunftsanspruch den pharmazeutischen Unternehmer in seiner wirtschaftlichen Freiheit belastet, da er zur Offenlegung seiner Abgabepreise und damit auch zur Offenlegung seiner Geschäftsgrundlagen und -geheimnisse gezwungen wird, darf der Eingriff nur so groß sein, wie dies zur Erreichung des Ziels erforderlich ist. Diesen Anforderungen genügt die Ermächtigungsnorm § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V nicht. aa) Es ist bereits völlig unklar, in welcher Form und in welchem Umfang die Nachweise durch die pharmazeutischen Unternehmer (§ 4 Abs. 18 AMG) zu erbringen sind. Es ist nicht geregelt, dass diese Einzelrechnungen unter konkreter Nennung des Lieferscheins usw. zu übermitteln haben. Nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes wäre es durchaus denkbar, dass die Übermittlung von Durchschnittspreisen – wie mittels Schreiben der Klägerin vom 04.07.2013 geschehen – ausreichend ist. Aus den Gesetzgebungsmaterialien ergibt sich, dass eine umfassende Offenlegung von Preisgefügen gerade nicht notwendig ist, vgl. BT-Drs. 16/13428, 93: „Apotheken sollen nicht verpflichtet werden, bei der Abrechnung mit den Krankenkassen regelmäßig ihre Einkaufspreiseoffen zu legen oder zu übermitteln. Die Krankenkassen sollen auf Anforderungen Nachweise für tatsächliche Einkaufspreise verlangen können. Der Auskunftsanspruch über vereinbarte Preise für Fertigarzneimittel in Zubereitungen soll gegenüber pharmazeutischen Unternehmern bestehen. Dieser Auskunftsanspruch soll in dem Umfang geltend gemacht werden können, wie dies für die Vereinbarung marktnaher Preise in der „Hilfstaxe“ erforderlich ist.“
Der gesetzgeberische Wille, gerade keine umfassende Offenlegung von Preisgefügen anzuordnen, würde konterkariert, würde man dem Beklagten einen umfassenden Auskunftsanspruch zu billigen. Die in jedem konkreten Einzelfall vereinbarten Preise sind daher auch unter Berücksichtigung des Schutzes von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen nicht vom Auskunftsanspruch gedeckt.
Die Vorschrift ist grundgesetzkonform dahingehend auszulegen, dass alleine für Auskünfte zu Durchschnittspreisen de lege lata verlangt werden können. Das Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (BVerfGE 32, 373 (383 f.)). Eine Norm ist daher nur dann verfassungswidrig, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfGE 88, 145 (166) m. w. N. und vom 19. September 2007 – 2 BvF 3/02 – BVerfGE 119, 247 (274)).
bb) Der Wortlaut der Ermächtigungsnorm lässt neben dem inhaltlichen Umfang der Nachweispflicht auch deren zeitlichen Rahmen völlig offen. Tatsächlich wäre vom Wortlaut eine umfassende und zeitlich unbeschränkte Nachweispflicht umfasst.
cc) Der Wortlaut von § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V bestimmt ferner nicht, über welchen Abnehmerkreis die pharmazeutischen Unternehmer über die vereinbarten Preise Auskunft erteilen müssen. Neben dem Abnehmer Apotheke, wurden mit dem streitgegenständlichen Bescheid aber auch folgende Vertriebswege abgefragt: – Pharmazeutischer Unternehmer – Großhändler – selbst herstellende Apotheke – Pharmazeutischer Unternehmer – Großhändler – Herstellungsbetrieb – Pharmazeutischer Unternehmer – Herstellungsbetrieb Im Normtext werden jedoch alleine die Apotheker und die pharmazeutischen Unternehmer genannt. Andere Normadressaten sind nicht bestimmt, obwohl im Zusammenhang mit der Zubereitung von parenteralen Arzneimitteln auch andere Marktteilnehmer eine Rolle spielen. Zutreffend hat daher bereits das SG Reutlingen Urt. v. 20.01.2016 – S 1 KR 2979/12, BeckRS 2016, 66041 entschieden, dass die in § 129 Abs. 5c S. 4 geregelte subjektivöffentliche Pflicht nicht Lohnhersteller oder Pharma-Großhändler betrifft. Damit ist aber auch der „Umweg“ über ein Auskunftsbegehren gegenüber pharmazeutischen Unternehme bezüglich anderer Markteilnehmer als Apotheken versperrt. Nicht genannt vom Gesetzestext werden eben Herstellungsbetriebe oder z. B. Großhändler. Aus der Zusammenschau mit § 300 Abs. 3 S. 4 SGB V (Abrechnung der Apotheken: „ Für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen sind zusätzlich die mit dem pharmazeutischen Unternehmer vereinbarten Preise ohne Mehrwertsteuer zu übermitteln)“ ergibt sich, dass sich der Auskunftsanspruch primär auf diejenigen Daten erstreckt, die mit Apotheken über Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen vereinbart wurden. Auch wenn es aus Sicht des GKV-Spitzenverbands zweifellos sinnvoll sein mag, zur Gewinnung eines Überblicks über die Marktsituation und Marktentwicklung auch Kenntnis von den vereinbarten Preisen mit Großhändlern und Herstellerbetrieben zu haben, so lässt sich ein diesbezüglicher Anspruch de lege lata nicht begründen. Herstellungsbetriebe oder Großhändler werden weder im Wortlaut des § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB V noch in den Gesetzgebungsmaterialien genannt. Für einen weitergehenden Anspruch wäre eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage notwendig. Darüber hinaus dürfte es für einen Marktüberblick ausreichen, wenn der Beklagte die Preise der Klägerin mit einigen Apotheken mit großem und kleinem Herstellungsvolumen erfährt. Auch insoweit ist die Norm verfassungskonform einschränkend auszulegen.
c) Der streitgegenständliche Verwaltungsakt hält jedoch nicht einmal den Rahmen eines weiten Anwendungsbereichs des § 129 Abs. 5c Satz 4 SGB ein. Der pharmazeutische Unternehmer muss nach dem Wortlaut über die „vereinbarten Preise für Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen Nachweise erbringen“. Der Auskunftsanspruch umfasst damit nicht alle Fertigarzneimittel, die in parenteralen Zubereitungen verwendet werden können sondern nur solche, die auch tatsächlich in parenteralen Zubereitungen verwendet werden. Der Wortlaut ist hinsichtlich dieser Frage eindeutig und besagt, dass Auskunft über die vereinbarten Preise für „Fertigarzneimittel in parenteralen Zubereitungen“ zu erteilen ist. Das Gesetz ist aber damit dahingehend auszulegen, dass der pharmazeutische Unternehmer ausschließlich die Preise solcher Fertigarzneimittel offenlegen muss, von denen er sicher weiß, dass sie auch tatsächlich in parenteralen Zubereitungen verwendet werden. Dieses Ergebnis findet auch eine Stütze bei einer Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Sinn und Zweck des Auskunftsanspruches ist die Informationsverschaffung für den Beklagten, damit dieser „auf gleicher Augenhöhe“ mit den Apothekerverbänden über die Hilfstaxe verhandeln kann. Die Preise für Fertigarzneimittel, die nicht tatsächlich zur Herstellung von parenteralen Zubereitungen verwendet werden, können von vornherein nicht der Informationsverschaffung durch die GKV im Bereich der parenteralen Zubereitungen dienen, da sie in einem anderen Bereich des Arzneimittelmarktes abgesetzt und verwendet werden. Ein allgemeiner Auskunftsanspruch über alle theoretisch einsetzbaren Fertigarzneimittel ergibt sich damit auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Im Gegenteil würde ein weitreichenderer Anspruch den Überblick der GKV „verwässern“. Denn in unterschiedlichen Marktsegmenten werden unter Umständen andere Preise für dasselbe Fertigarzneimittel bezahlt (Dieners/Heil PharmR 2012, 436). Auch insoweit ist hinsichtlich der Reichweite des Auskunftsanspruchs eine einschränkende Auslegung des Anspruchs dahingehend erforderlich, wonach der pharmazeutische Unternehmer nur die Abgabepreise für Fertigarzneimittel offenlegen muss, von denen er sicher weiß, dass sie für die Herstellung von parenteralen Zubereitungen auch tatsächlich verwendet werden. Im streitgegenständlichen Bescheid vom 22.05.2013 wird der Klägerin jedoch aufgegeben ohne Einschränkung über sämtliche für das Inverkehrbringen in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Docetaxel Auskunft zu erteilen. Eine Einschränkung auf einer Verwendung in parenteralen Zubereitungen erfolgte nicht.
d) Schließlich kann dem gegenständlichen Bescheid vom 24.07.2013 nicht entnommen werden, dass das vom Wortlaut des Gesetzes „können“ vorgegebene Ermessen vom Beklagten gesehen und ordnungsgemäß ausgeübt wurde. Ausführungen zum Ermessen enthält der Auskunftsverwaltungsakt nicht. Aus diesen Gründen war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
IV.
Die Kostentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
V.
Die Revision ist zuzulassen, da über die Reichweite des Auskunftsanspruchs nach § 129 Abs. 5c S. 4 SGB V bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde.


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