IT- und Medienrecht

Bescheid, Zustimmung, Regierung, Landratsamt, Bebauung, Unterhaltungslast, Wasserrecht, Vollstreckung, Unterhalt, Vergleich, Umfang, Anlage, Vergabe, Verfahren, Kosten des Verfahrens, Freistaat Bayern, lex specialis

Aktenzeichen  AU 9 K 20.914

Datum:
5.7.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 42216
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 wird in Ziffer I.2.3.1 und Ziffer I.3 aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin im angefochtenen Umfang in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
1. Die Regelung des Unterhalts der … mit Bescheid vom 11. Mai 2020 ist rechtswidrig,
weil sie auf der rechtsfehlerhaften Annahme beruht, dass es sich bei der … um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal und damit um ein Gewässer 3. Ordnung handelt, für das die Stadt … den Regelunterhalt zu tragen hat. Zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist die … als natürliches Seitengewässer der … jedoch als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass der Freistaat Bayern Träger des Regelunterhalts ist. Bei der Neureglung des Gewässerunterhalts der … ist der Beklagte daher bereits im Ausgangspunkt von einer unzutreffenden Annahme bezüglich der Gewässerklassifizierung ausgegangen. Da die Verteilung der Sonderunterhaltungslasten aber untrennbar mit der Festlegung des Regelunterhaltsverpflichteten verknüpft ist, basieren damit auch die die Klägerin betreffenden Regelungen in Ziffer I.2.3.1 und I. 3 des Bescheids auf der falschen Tatsachengrundlage und können daher keinen rechtlichen Bestand haben. 2. Die … ist als ein Gewässer 1. Ordnung anzusehen, für das der Freistaat Bayern die Regelunterhaltslast trägt.
Gemäß Art. 22 Abs. 1 des Bayerischen Wassergesetzes (BayWG) vom 25. Februar 2010 (GVBl. S. 66, 130) zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2019 (GVBl. S. 737) obliegt die Unterhaltung der Gewässer 1. Ordnung dem Freistaat Bayern, den Unterhalt der Gewässer 3. Ordnung tragen hingegen die Gemeinden als eigene Aufgabe.
a) Nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 1 BayWG sind Gewässer der 1. Ordnung die Bun deswasserstraßen und die in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführten Gewässer. Bei den Gewässern, die in das nach Art. 3 BayWG aufzustellende Verzeichnis eingetragen sind, handelt es sich nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 2 BayWG um Gewässer der 2. Ordnung. Alle anderen Gewässer werden nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 3 BayWG als Gewässer 3. Ordnung qualifiziert. Für Seitengewässer wie Altarme, Nebenarme, Flutmulden, Hafengewässer und ähnliche Verzweigungen eines Gewässers legt Art. 2 Abs. 2 BayWG fest, dass diese zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören, von dem das Seitengewässer abzweigt. Ausgenommen hiervon sind lediglich Seitenkanäle, die im Hinblick auf die Einteilung in die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu beurteilen sind. Es ist damit begrifflich zwischen den Seitenkanälen und den übrigen Seitengewässern zu unterscheiden.
Bei der Einordnung eines Gewässers ist zu berücksichtigen, dass die Annahme eines Seitenkanals die gesetzliche Ausnahme darstellt, sodass die Vermutung für das Nicht-Vorliegen eines Seitenkanals gilt, solange nicht das Gegenteil bewiesen ist (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Bei einem Seitenkanal im Sinn des Art. 2 Abs. 2 BayWG handelt es sich um ein künstlich hergestelltes Gewässer (§ 3 Nr. 4 WHG). Abzustellen ist damit allein darauf, ob ein völlig neues Gewässer entstanden ist und selbständig für sich besteht (vgl. hierzu Drost, Das neue Wasserrecht in Bayern, Art. 2 Rn. 12, Stand: September 2014). Im Gegensatz hierzu handelt es sich bei den anderen Seiten- oder Nebengewässern um Gewässerbestandteile, die von Natur aus bestehen. Dabei ist jedoch nicht erforderlich, dass sie auch in ihrem derzeitigen Bestand ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sind (vgl. Knopp in Siedler/Zeitler, Bayerisches Wassergesetz, Band I, Stand Februar 2019, Art. 2 Rn. 21).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist die … nach Ansicht der Kammer als Gewässer 1. Ordnung einzustufen, mit der Folge, dass nicht die Stadt, sondern der Freistaat Bayern Träger der Regelunterhaltslast ist.
(1) Vorliegend greift die gesetzliche Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG, wonach Sei tengewässer grundsätzlich zu der Ordnung des Hauptgewässers gehören. Diese konnte vom Beklagten nicht widerlegt werden. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der … um einen künstlich geschaffenen Seitenkanal der … handelt, der im Hinblick auf die Gewässerordnung rechtlich selbständig zu bewerten wäre. Weder das im Verfahren vorgelegte Kartenmaterial, noch die weiteren vom Beklagten im Verfahren vorgebrachten Argumente sind in der Lage, das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals zu belegen.
(aa) Den vorgelegten historischen Karten (Bl. 101, 185, 186, 234 der Akte) kann nicht entnommen werden, dass die … ursprünglich künstlich geschaffen wurde. Die verschiedenen Darstellungen lassen vielmehr auf eine natürliche Entstehung der … schließen. Den Karten ist zu entnehmen, dass der ursprünglich kurvige Verlauf der … – wohl insbesondere zum Zweck der Wasserkraftnutzung – im Laufe der Zeit stellenweise begradigt wurde. Die nachträglich vorgenommenen Begradigungen der … sprechen jedoch gegen ihre künstliche Entstehung. Wenn die … tatsächlich zum Zweck der Wasserkraftnutzung künstlich hergestellt worden wäre, so wäre damit zu rechnen gewesen, dass sie bereits in ihrem ursprünglichen Verlauf so gerade wie möglich festgelegt worden wäre und spätere Begradigungen nicht erforderlich geworden wären. Der frühere kurvige Verlauf der, spricht deshalb vielmehr dafür, dass es sich um ein natürlich entstandenes Seitengewässer handelt, das lediglich im Lauf der Zeit den jeweiligen Bedürfnissen der Anlieger angepasst wurde.
(bb) Dieser Einschätzung steht auch nicht entgegen, dass die … in der histori schen Karte der Uraufnahme von Bayern der Jahre 1808-1864 (Bl. 234 d. Akte) als „Mühlbach“ und in Altbescheiden des Landratsamts (Bl. 144 ff. d. Akte) und des ehemaligen Straßen- und Flussbauamts (Bl. 159 d. Akte) als „Werkkanal“ bzw. „…“ bezeichnet wird. Die Bezeichnung legt zwar nahe, dass die … in besonderem Maße der Wasserkraftnutzung diente, beweist aber nicht deren künstliche Entstehung. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass dem Kartenmaterial ebenfalls entnommen werden kann, dass die … als westlicher Arm der … – jedenfalls zeitweise – auch selbst als „(die) …“ bezeichnet wurde (vgl. bspw. Bl. 186 d. Akte).
Die unbestrittene Tatsache, dass der heutige Verlauf der … maßgeblich durch die Wasserkraftnutzung beeinflusst wurde, rechtfertigt nicht den Rückschluss darauf, dass es sich bei der … um einen vollständig künstlich geschaffenen Seitenkanal handelt. Die an der … im Lauf der Zeit zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Ausbau- und Umgestaltungsmaßnahmen stehen der Einordnung als natürliches Seitengewässer der … nicht entgegen. Denn auch natürliche Seitengewässer müssen nicht ausschließlich von natürlichen Vorgängen abhängig sein. Soweit eine technische Aus- oder Umgestaltung erfolgte, müssen die Seitengewässer lediglich noch in einem natürlichen Zusammenhang verbleiben (Knopp in Sieder/Zeitler, BayWG, Art. 2 Rn. 21). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Trotz der in der Vergangenheit an der … zum Zweck der Wasserkraftnutzung vorgenommenen Veränderungen ist sie im natürlichen Zusammenhang zum Hauptgewässer verblieben. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich insoweit auch nicht durch die aktuell zwischen … und … bestehenden Höhenunterschiede. Zwar kann die … aufgrund der heutigen Höhenverhältnisse nur mit Hilfe eines Wasserkraftwerks Wasser führen, doch lässt dies letztendlich keinen Rückschluss auf die ursprünglichen Gegebenheiten im Zeitpunkt der Entstehung der zu. Vielmehr sind bei der Beurteilung der Situation auch die über Jahrhunderte erfolgenden natürlichen Veränderungen eines Flusslaufs in den Blick zu nehmen.
Der Umstand, dass die … nicht selbst in der Anlage 1 zum BayWG aufgeführt ist, schließt die Einordnung als Gewässer 1. Ordnung ebenfalls nicht aus. Natürliche Seitengewässer gehören nach der gesetzlichen Regelung des Art. 2 Abs. 2 BayWG kraft Gesetzes zur Gewässerordnung des jeweiligen Hauptgewässers, sodass es einer selbständigen Nennung der Seitengewässer in den Gewässerverzeichnissen darüber hinaus nicht bedarf. Es genügt vielmehr, dass das Hauptgewässer – hier die … – in das Verzeichnis der Gewässer 1. Ordnung aufgenommen ist.
(2) Nach alledem ist das Vorliegen eines künstlich geschaffenen Seitenkanals nicht belegt. Nach der gesetzlichen Regel des Art. 2 Abs. 2 BayWG gehört die … damit als natürliches Seitengewässer zur Gewässerordnung der des Hauptgewässers. Nachdem die … in Anlage 1 lfd. Nr. 13 zum BayWG (Verzeichnis der Gewässer erster Ordnung) als Gewässer 1. Ordnung aufgeführt ist, gehört auch die … als Seitengewässer der … zu den Gewässern 1. Ordnung.
Damit ist aber nicht die Stadt, sondern der Freistaat Bayern der Regelunterhaltsverpflichtete, sodass die Neuregelung des Gewässerunterhalts der … mit Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2020 bereits im Ausgangspunkt auf falsche Tatsachen gestützt wurde. Da die Übertragung von Regel- und Sonderunterhaltungslasten in Wechselwirkung zueinanderstehen, beruht letztlich die gesamte Verteilung der Verantwortlichkeiten für den Gewässerunterhalt auf einer falschen Tatsachengrundlage. Nachdem der Beklagte unzutreffend davon ausgegangen ist, dass die Stadt … zum Regelunterhalt verpflichtet ist, dieser jedoch dem Freistaat Bayern obliegt, können auch die weiteren, hierauf fußenden Zuweisungen von Sonderunterhaltspflichten keinen rechtlichen Bestand haben. Diese sind inhaltlich – insbesondere auch im Hinblick auf die geregelten wechselseitigen Kostenerstattungsansprüche – an die Regelunterhaltspflicht geknüpft und können damit nicht isoliert fortbestehen. Aufgrund der untrennbaren inhaltlichen Verknüpfung von Regel- und Sonderunterhaltungslast bedarf es für die … als Gewässer 1. Ordnung ausgehend von der Regelunterhaltspflicht des Freistaats Bayern vielmehr einer einheitlichen Neubewertung der Verantwortlichkeiten und einer dementsprechenden Neuregelung des Gewässerunterhalts der …
(3) Die Frage, ob die konkrete Festlegung der Reichweite der Sonderunterhal tungslast der Klägerin im streitgegenständlichen Bescheid in angemessener Weise erfolgt ist, bedarf bei dieser Sachlage keiner weiteren Erörterung mehr.
Im Hinblick auf die von der Klägerin insoweit im Verfahren geäußerten Bedenken weist das Gericht allerdings darauf hin, dass die Festlegung einer alleinigen Sonderunterhaltungsplicht des Betreibers einer Wasserbenutzungsanlage und ein damit einhergehendes vollständiges Zurücktreten der Regelunterhaltspflicht für eine gewisse Gewässerstrecke nicht von vorn herein ausgeschlossen ist (vgl. hierzu auch BayVGH, U.v. 16.5.1978 – 22 VIII 75 – juris). Nach Art. 22 Abs. 3 BayWG obliegt die Unterhaltung eines Gewässers den Unternehmern von Wasserbenutzungsanlagen insoweit, als sie durch die Anlage bedingt ist. Die Sonderunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 3 BayWG geht insoweit der Regelunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 1 BayWG als lex specialis vor. Die Festlegung der konkreten Reichweite der Sonderunterhaltungslast erfolgt auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung des kausalen Wirkungszusammenhangs zwischen der Wasserbenutzungsanlage und den erforderlichen Unterhaltsmaßnahmen. Insoweit ist nicht generell ausgeschlossen, dass die Regelunterhaltungslast nach Art. 22 Abs. 1 BayWG aufgrund eines adäquatkausalen Verknüpfungszusammenhangs zwischen der Anlage und dem Gewässerzustand vollständig von der Sonderunterhaltungslast verdrängt wird.
Die zuständige Behörde hat die konkrete Reichweite der Sonderunterhaltungslast entsprechend des festgestellten Kausalzusammenhangs festzulegen. Dabei kann nach Auffassung der Kammer (unter anderem) auch auf die räumliche Ausdehnung der Stauwurzel einer Triebwerksanlage als insoweit sachgerechtes Kriterium abgestellt werden. Letztlich bedarf es einer individuellen Beurteilung anhand der Umstände des Einzelfalles, sodass eine pauschale Übertragung der für andere Anlagen festgelegten Reichweite der Sonderunterhaltungslast nicht in Betracht kommt und hieraus insbesondere keine eigenen individuellen Rechte abgeleitet werden können.
3. Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Als im Verfahren Unterlegener hat der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).

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