IT- und Medienrecht

Beschwerde, Haftbefehl, Untersuchungshaft, Staatsanwaltschaft, Antragsteller, Glaubhaftmachung, Anordnung, Versicherung, Antragsgegner, Straftat, Schaden, Betrug, Insolvenzantrag, Vollstreckung, sofortige Beschwerde, eidesstattliche Versicherung, sofortigen Beschwerde

Aktenzeichen  3 W 1384/20

Datum:
1.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 52682
Gerichtsart:
OLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

27 O 11862/20 2020-09-21 Bes LGMUENCHENI LG München I

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts München I vom 21.09.2020, Az. 27 O 11862/20, aufgehoben.
2. Zur Sicherung der Zwangsvollstreckung wegen einer Schadensersatzforderung des Antragstellers auf Zahlung von 182.314,84 € gegen den Antragsgegnersowie einer Kostenpauschale von 500,00 € wird der dingliche Arrest in das gesamte Vermögen des Antragsgegners angeordnet.
3. Die Vollziehung des Arrests wird durch Hinterlegung durch den Antragsgegner in Höhe von 182.814,84 Euro gehemmt.
4. Die Entscheidung über den Antrag auf Forderungspfändung obliegt dem Landgericht München I. 5. Der Antragsgegner hat die Kosten des Arrestverfahrens im zweiten Rechtszug zu tragen. Über die Kosten des ersten Rechtszugs hat das Landgericht München I zu befinden.
6. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 60.771,61 € festgesetzt.

Gründe

I.
Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf die zutreffende Darstellung im angefochtenen Beschluss vom 21.09.2020 Bezug genommen. Am 22.07.2020 veröffentlichte die Staatsanwaltschaft München I eine Presseerklärung. Darin wird mitgeteilt, dass gegen den Antragsgegner ein erneuter Haftbefehl erlassen worden sei, aufgrund dessen sich dieser nunmehr in Untersuchungshaft befinde. Die strafrechtlichen Ermittlungen seien auf einen Zeitraum ab 2015 ausgeweitet worden, es werde auch wegen Untreue und gewerbsmäßigen Bandenbetrugs ermittelt. Hinsichtlich der Details wird auf die Anlage K 7 Bezug genommen.
Das Landgericht München I wies den Antrag auf Erlass eines dinglichen Arrestes mit oben genannten Beschluss vom 21.09.2020 ohne mündliche Verhandlung zurück. Mit seiner sofortigen Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag weiter.
II.
Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Der beantragte Arrest war zu erlassen, einzig hinsichtlich des mitbeantragten Pfändungsbeschlusses (Ziffer 4 des Antrages) fehlt es an einer Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts.
1. Die sofortige Beschwerde der Antragsteller ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 567, 569, 572 Abs. 2 ZPO).
2. Die sofortige Beschwerde ist auch begründet. Dem Antrag auf Anordnung des Arrestes war nach §§ 916, 917, 923 ZPO stattzugeben. Der Antragsteller hat Arrestanspruch und Arrestgrund ausreichend glaubhaft gemacht.
2) Der Arrestanspruch ergibt sich zumindest aus § 826 BGB. Es kann dahinstehen, ob daneben auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 iVm § 331 Nr. 1, 4 HGB, § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG oder iVm § 264 a StGB oder § 263 StGB besteht.
2) Es ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsgegner als Vorstandsvorsitzender der W. AG zusammen mit weiteren Vorständen und Mitarbeitern seit dem Jahr 2015 wissentlich das Unternehmen finanzkräftiger dargestellt hat, als es in Wirklichkeit war. Hierzu gehörten auch die Vorspiegelung nicht existierenden Vermögenswerte, welche der Antragssteller unter Verweis und Vorlage des Berichts des Insolvenzverwalters glaubhaft macht. Zwar ist dem Ausgangsgericht insoweit zuzustimmen, dass der Antragsteller die konkreten Handlungen und Kenntnisse des Antragsgegners nicht einzeln darlegen kann. Die Bezugnahme auf die staatsanwaltschaftliche Presseerklärung insbesondere vom 22.07.2020 reicht in diesem Fall aber zur Glaubhaftmachtung auch des subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB aus. In der Presseerklärung vom 22.07.2020 (K7) wurden Ermittlungen wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs seit 2015 öffentlich gemacht. Es wurde ein erneuter Haftbefehl beantragt und der Antragsgegner in Untersuchungshaft genommen. Diesen Haftbefehl haben die Antragsteller zwar nicht vorlegen können. Angesichts der detaillierten Presseerklärung der Staatsanwaltschaft München I war dies für eine ausreichende Glaubhaftmachung einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung allerdings auch nicht notwendig.
An die im Rahmen des Sicherungsverfahrens nach § 294 ZPO ausreichende Glaubhaftmachung dürfen keine überzogenen Anforderungen gestellt werden. Es ist insbesondere kein voller Beweis zu erbringen. Für die Glaubhaftmachung einer Behauptung genügt es, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. An die Stelle des Vollbeweises tritt eine Wahrscheinlichkeitsfeststellung (BGH NJW-RR 2007, 776). Im Hinblick auf die Presseerklärung der Staatsanwaltschaft vom 22.07.2020 ist eine vorsätzliche Schädigungshandlung durch den Antragsgegner zu Lasten aktueller und potentieller Anleger ausreichend wahrscheinlich.
2) Dem Antragsteller ist durch die systematische Falschinformation seitens des Antragsgegners der geltend gemachte Schaden entstanden. Der Antragssteller hat durch eidesstattliche Versicherung (K 4) glaubhaft gemacht, dass er die streitgegenständlichen Aktienkäufe nicht getätigt hätte, wenn die Unternehmenskennzahlen korrekt dargestellt worden wären. Der Schaden ist vorliegend antragsgemäß aus der Differenz von Kaufwert plus Kosten abzüglich des von den Antragstellern benannten Wertes (Schlusskurs am 13. Juli 2020 € 2,4459 pro Aktie) und unter Berücksichtigung des Teilverkaufs vom 23. April 2020 zu berechnen. Er beträgt für den Antragsteller 182.314,84 €.
2) Ein Arrestgrund liegt vor.
Der Arrestgrund wird durch das bisherige Verhalten des Antragsgegners indiziert. Es besteht regelmäßig ein Arrestgrund, wenn das dem Arrestanspruch zugrundeliegende Verhalten eine vorsätzliche strafbare Handlung darstellt, die sich gegen das Vermögen des Arrestgläubigers richtet (BGH, Beschluss vom 24.03.1983 – III ZR 116/92, KG Berlin, Beschluss vom 07.01.2010 – 23 W 1/10, OLG München, Beschluss vom 13.10.2016 – 15 W 1709/16). Aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen ist eine vorsätzliche Straftat zulasten des Vermögens der Antragsteller hinreichend wahrscheinlich. Ob im Ergebnis ein Betrug nach § 263 BGB oder ein Anlagebetrug nach § 264 a StGB inmitten stehen wird, kann derzeit noch nicht abgeschätzt werden, ist aber auch für die Qualifizierung als Straftat zulasten der Antragsteller ohne Belang. Hat sich der Antragsgegner eines Vermögensdeliktes zulasten der Antragsteller strafbar gemacht, ist die Annahme gerechtfertigt, der Antragsgegner werde sein rechtswidriges Verhalten fortsetzen und daher die Vollstreckung vereiteln oder erschweren (KG a.a.O.). Tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass diese Prognose unrichtig sein könnte, sind vorliegend nicht gegeben. Zwar hat sich der Antragsgegner dem Strafverfahren gestellt und verhält sich nunmehr kooperativ. Im Hinblick auf die Massivität der Vorwürfe, das offensichtlich über Jahre hinweg mit großer krimineller Energie vorgenommene Verschleiern, Verschweigen und Beschönigen der wirklichen Unternehmenslage und angesichts der im Juni 2020 für den Antragsgegner bestehenden ausweglosen Lage, kann allein die Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden nicht zu einer abweichenden Beurteilung führen. Zudem hat der Antragsteller glaubhaft dargelegt, dass der Antragsgegner Aktienverkäufe weiterer Aktienpakete im Wert von mehreren Millionen Euro im Zeitraum 18.06 – 23.06.2020 – wenige Tage vor dem Insolvenzantrag von Wirecard am 25.06.2020 – direkt oder mittelbar über Beteiligungsgesellschaften verkauft hat. Wegen dieser Verkäufe hat die Bafin Strafanzeige wegen Insiderhandels gegen die MB Beteiligungsgesellschaft gestellt, hinter der der Antragsgegner steht. Die genauen Motive des Antragsgegners für diese Transaktionen sind naturgemäß nicht bekannt, das glaubhaft gemachte Handeln zeigt aber erneut die Finesse knapp diesseits oder auch deutlich jenseits der gesetzlich gezogenen Demarkationslinie, mit der der Antragsgegner die Finanzmärkte bespielt. Vor diesem Hintergrund erscheint das Risiko einer zukünftigen Vermögensverschiebung zulasten der Antragsteller erheblich.
2) Im Rahmen der Kostenpauschale sind die Kosten des Hauptsacheprozesses sowie eine 0,3 Verfahrensgebühr für die Arrestvollziehung gemäß Nr. 3309 RVG-VV berücksichtigungsfähig (OLG Bamberg, Beschluss vom 28.07.2017 – 2 W 28/17). Der geltend gemachte Betrag 500,00 € ist jedenfalls erfasst.
3. Die Abwendungsbefugnis basiert auf § 923 ZPO.
4. Die Entscheidung über den Antrag auf Forderungspfändung bleibt dem Landgericht München I überlassen (§ 572 Abs. 3 ZPO, § 20 Abs. 1 Nr. 16 RpflG). Zwar ist eine gleichzeitige Entscheidung auch über die Pfändung im Arrestbeschluss grundsätzlich möglich, dies gilt aber nicht in der Rechtsmittelinstanz (Vollkommer in Zöller, § 930, Rz. 3). Diese Ansicht ist zwar nicht unumstritten (zum Streitstand siehe Seiler in Thomas/Putzo, § 930, Rz. 2), ihr ist aber aus Rechtsschutzgründen zu folgen. Andernfalls würden die Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners unangemessen eingeschränkt, da gegen einen Pfändungsbeschluss in der Beschwerdeinstanz nur noch die Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO statthaft wäre. Da die beantragte einstweilige Verfügung unter der Bedingung des (zumindest teilweisen Erfolges) der Pfändungsanträge gestellt wurde, war über sie in der Rechtsmittelinstanz nicht zu entscheiden.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
IV.
Der Gegenstandswert wird gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO auf 60.771,61 € festgesetzt.


Ähnliche Artikel

Unerwünschte Werbung: Rechte und Schutz

Ganz gleich, ob ein Telefonanbieter Ihnen ein Produkt am Telefon aufschwatzen möchte oder eine Krankenkasse Sie abwerben möchte – nervig können unerwünschte Werbeanrufe, -emails oder -schreiben schnell werden. Was erlaubt ist und wie Sie dagegen vorgehen können, erfahren Sie hier.
Mehr lesen

Was tun bei einer negativen Bewertung im Internet?

Kundenbewertungen bei Google sind wichtig für Unternehmen, da sich potenzielle Neukunden oft daran orientieren. Doch was, wenn man negative Bewertungen bekommt oder im schlimmsten Fall sogar falsche? Das kann schädlich für das Geschäft sein. Wir erklären Ihnen, was Sie zu dem Thema wissen sollten.
Mehr lesen

Der Influencer Vertrag

In den letzten Jahren hat sich Influencer Marketing einen starken Namen in der Werbebranche gemacht. Viele Unternehmen setzen auf platzierte Werbeanzeigen durch Influencer. Was jedoch zwischen Unternehmer und Influencer vertraglich im Vorfeld zu beachten ist, werden wir Ihnen im Folgenden erläutern.
Mehr lesen


Nach oben