IT- und Medienrecht

Beschwerde, Staatsanwaltschaft, Gerichtsvollzieher, Zwangsvollstreckung, Erinnerung, Vollstreckungsauftrag, Form, Rechtsbeschwerde, Kostenentscheidung, Zwangsvollstreckungsverfahren, Befreiung, Nutzung, AG, Verfahrenskosten, sofortige Beschwerde, Sinn und Zweck, gesetzlichen Form

Aktenzeichen  6 T 1617/22

Datum:
23.6.2022
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2022, 14384
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

M 650/22 2022-04-20 Bes AGDACHAU AG Dachau

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen den Beschluss des Amtsgerichts Dachau vom 20.04.2022, Az. M 650/22, wird verworfen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
Die Staatsanwaltschaft Landshut (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) betreibt die Zwangsvollstreckung wegen der Verfahrenskosten aus dem Urteil des Landgerichts Landshut vom 04.10.2012, Az.: Ks 45 Js 21278/11.
Mit Verfügung vom 16.03.2022 beauftragte die Staatsanwaltschaft die Durchführung der Zwangsvollstreckung einschließlich der Erholung einer Vermögensauskunft nach den §§ 802c, 802f ZPO. Den Vollstreckungsauftrag übersandte sie als schriftliches Dokument an das AG Dachau – Gerichtsvollzieherverteilerstelle, wo das Schreiben am 22.03.2022 einging. Mit Schreiben vom 23.03.2022 wies der zuständige Gerichtsvollzieher HGV Thomas Holzmann (im Folgenden: Gerichtsvollzieher) die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass § 130d ZPO die Auftragserteilung durch Behörden auf elektronischem Weg vorsehe und der schriftliche Auftrag daher seines Erachtens unzulässig sei. Die Staatsanwaltschaft teilte dem Gerichtsvollzieher daraufhin mit Schreiben vom 25.03.2022 mit, dass um die Übersendung einer beschwerdefähigen Entscheidung gebeten werde. Mit Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 25.03.2022 lehnte der Gerichtsvollzieher die Durchführung der Zwangsvollstreckung mit der Begründung ab, dass der Vollstreckungsauftrag nicht der gesetzlichen Form des § 130d ZPO entspreche. Mit Schreiben vom 04.04.2022 erhob die Staatsanwaltschaft Landshut gegen diese Entscheidung Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO zum AG Dachau. Mit Beschluss vom 20.04.2022, an die Staatsanwaltschaft zugestellt am 29.04.2022, wies das AG Dachau die Erinnerung als unbegründet zurück. Mit Schreiben vom 29.04.2022, eingegangen bei dem AG Dachau per Fax am 02.05.2022 und per Brief am 05.05.2022, erhob die Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde. Mit Beschluss vom 04.05.2022 half das AG Dachau der Beschwerde nicht ab.
I.
1. Die sofortige Beschwerde ist nach § 793 ZPO statthaft.
2. Sie wurde jedoch entgegen der §§ 569 Abs. 1, 130d Satz 1 ZPO nicht als elektronisches Dokument übermittelt und damit nicht formgerecht erhoben. Sie konnte daher auch die bis 13.05.2022 laufende Rechtsmittelfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht wahren. Die sofortige Beschwerde ist daher unzulässig und war deshalb zu verwerfen.
a) Die Beschwerdeschrift nach § 569 Abs. 2 Satz 1 ZPO ist ein bestimmender Schriftsatz, für den die allgemeinen Vorschriften gelten (vgl. BGH, Beschluss vom 11.06.2015, Aktz.: I ZB 64/14 [Rn. 13]). Zu diesen allgemeinen Vorschriften gehört der seit dem 01.01.2022 geltende § 130d ZPO. Diese Vorschrift sieht die Einreichung bestimmender Schriftsätze nur noch in elektronischer Form vor (vgl. von Selle, in BeckOK ZPO, 44. Edition, Stand 01.03.2022, § 130d Rn. 3 und § 130a Rn. 7). Erklärungen, die entgegen dieser Vorschrift per Telefax oder per Schreiben bzw. Brief bei Gericht eingehen, sind unwirksam und können die Rechtsmittelfrist nicht wahren (vgl. OLG Frankfurt a.M. vom 11.03.2022, Aktz.: 5 WF 11/22 [Rn. 15 f.]).
b) Die Staatsanwaltschaft ist Behörde im Sinne des § 130d Satz 1 ZPO. Die Vorschrift ist in Zwangsvollstreckungsverfahren, welche die Staatsanwaltschaft wegen der Beitreibung von Verfahrenskosten betreibt, anzuwenden. Sie gilt daher sowohl für die Erteilung eines Vollstreckungsauftrages als auch für die Einlegung einer Erinnerung nach § 766 Abs. 2 ZPO. Insoweit wird auf die ausführliche und zutreffende Begründung des AG Dachau auf den Seiten 2 bis 4, Buchstabe B. Ziffern I. und II. des Beschlusses vom 20.04.2022 Bezug genommen, denen sich das Beschwerdegericht vollumfänglich anschließt. Zu ergänzen ist lediglich, dass § 130d ZPO auch für die Erhebung der sofortigen Beschwerde nach § 793 ZPO gilt.
3. Das Vorbringen der Staatsanwaltschaft in der Beschwerdeschrift vom 29.04.2022 führt nicht zu einer anderen Beurteilung.
a) Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, sie falle nicht unter den Begriff einer Behörde im Sinne des 130d Satz 1 ZPO, ist nicht zutreffend. Entgegen ihrer Auffassung ist aus der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit Gerichten vom 06.03.2013 (BT-Drucks. 17/12634) nicht abzuleiten, dass die in § 130d ZPO normierte Nutzungspflicht nur für Bundesbehörden gilt.
Im allgemeinen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs wird im Kapitel E. Erfüllungsaufwand, Ziffer 3 auf Seite 5 im dritten Absatz in Satz 1 ausdrücklich von einer „Nutzungspflicht von Behörden“ gesprochen. In Satz 2 dieses Absatzes wird sodann die Umsetzungsmöglichkeit des elektronischen Rechtsverkehrs bei Behörden der Länder thematisiert und im folgenden Satz 3 die Umsetzung bei Bundesbehörden. Das bedeutet, dass sowohl Landesbehörden, zu denen die Staatsanwaltschaft zählt, als auch Bundesbehörden einbezogen sind.
Im speziellen Teil der Begründung des Gesetzentwurfs wird zur Erläuterung der Vorschrift des § 130d auf Seite 27 in Satz 1 zu Nummer 4 (§ 130d neu) von einer Nutzungspflicht von Behörden gesprochen. Zwar werden im 2. Absatz der Erläuterung zu § 130d in Satz 1 Bundesbehörden angesprochen, soweit es darum geht, bis Ende 2014 einen elektronischen Zugang zu eröffnen und Akten elektronisch zu führen. Daraus ist aber nicht die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Nutzungspflicht für elektronische Kommunikationswege ab dem 01.01.2022 nur für Bundesbehörden besteht. Denn im folgenden Satz 2, der diese Nutzungspflicht anspricht, ist wieder allgemein von Behörden und nicht nur von Bundesbehörden die Rede. Die Formulierungen sind daher dahingehend zu verstehen, dass die flächendeckende Nutzungspflicht ab dem 01.01.2022 für Bundesbehörden umsetzbar ist, weil diese ohnehin ab 2014 einen elektronischen Zugang eröffnen und ab 2020 die Akten elektronisch führen müssen. Für andere Behörden, die nicht zur elektronischen Aktenverwaltung verpflichtet sind, ist zumindest die Nutzungspflicht für elektronische Kommunikationswege ab dem 01.01.2022 gerechtfertigt. Im folgenden Absatz 3 heißt es nämlich in Satz 1: „Um den elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren, sieht Satz 1 eine Pflicht für alle Rechtsanwälte und Behörden vor, Schriftsätze, Anträge und Erklärungen nur noch in elektronischer Form zu übermitteln.“ Die Formulierung „alle … Behörden“ schließt sowohl Bundesbehörden als auch Behörden der Länder ein.
Das Gesetz ist zudem darauf gerichtet, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern und letztlich flächendeckend zu etablieren. Dies kann aber nur gelingen, wenn sowohl Bundesbehörden als auch Behörden der Länder einbezogen werden. Ohne Einbeziehung des zahlenmäßig weit größeren Bereichs der Länderbehörden würde entgegen dem Willen des Gesetzgebers eine erhebliche Lücke in der Durchsetzung des elektronischen Rechtsverkehrs verbleiben.
b) Auf die Beitreibung der Kosten eines Strafverfahrens sind nach §§ 459, 459g Abs. 2 StPO die Vorschriften des Justizbeitreibungsgesetzes anzuwenden. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 2 JBeitrG findet das Justizbeitreibungsgesetz auf die Einziehung von Ansprüchen Anwendung, die die Justizbehörden der Länder aufgrund bundesgesetzlicher Regelungen betreiben. Im vorliegenden Fall ist die Staatsanwaltschaft als Landesjustizbehörde für die Einziehung der Verfahrenskosten zuständig, wobei die Kostentragungspflicht des Schuldners auf der Anwendung der Strafprozessordnung als Bundesgesetz beruht. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG ist § 753 Abs. 5 ZPO anzuwenden, der seinerseits auf § 130d ZPO verweist. Daraus folgt, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, den Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher in elektronischer Form zu übermitteln. Weiter sind nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG auch die Vorschriften des § 766 ZPO über die Erinnerung und § 793 ZPO über die sofortige Beschwerde anwendbar. Für die Erhebung der Erinnerung und der sofortigen Beschwerde gelten wiederum die allgemeinen Vorschriften, mithin auch § 130d StPO (vgl. bereits oben Ziffer 2. a).
c) Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft stehen die §§ 32 ff. StPO der Anwendung des § 130d ZPO im Zusammenhang mit der Beitreibung von Verfahrenskosten nicht entgegen. Vielmehr hat die Beitreibung der Kosten eine eigenständige Regelung in den §§ 459, 459g Abs. 2 StPO und dem Justizbeitreibungsgesetz erfahren, das seinerseits auf Vorschriften der ZPO verweist.
Folglich stellt auch § 32b Abs. 3 StPO keine spezialgesetzliche Regelung dar, welche die Anwendung der vorgenannten Vorschriften im Rahmen der Vollstreckung von Geldforderungen ausschließt. § 32b Abs. 1 und 3 StPO regeln nach ihrem Wortlaut die Erstellung elektronischer Dokumente durch die Strafverfolgungsbehörden und die Strafgerichte und deren Kommunikation untereinander in einem Strafverfahren. Die Vorschrift gilt aber nicht für die Kommunikation mit Dritten, hier dem Gerichtsvollzieher und den Zivilgerichten, im Rahmen der Vollstreckung von Geldforderungen (vgl. Valerius, in BeckOK StPO, 43. Edition, Stand 01.04.2022, § 32b Rn. 1 m.w.N.; AG Erfurt vom 11.04.2022, Aktz.: M 1093/ 22 [Rn. 12 ff.]; AG Düsseldorf vom 06.03.2022, Aktz.: 660 M 303/22 [ Rn. 11 ff.]).
Hinzu kommt, dass § 32b Abs. 3 StPO seinem Wortlaut und Sinn und Zweck nach darauf gerichtet ist, die elektronische Aktenführung und die elektronische Kommunikation auch im Rahmen des Strafverfahrens zu fördern. Die Vorschrift will daher erreichen, dass auch Strafverfolgungsbehörden die elektronische Kommunikation bereits vor einer verpflichtenden Nutzung im Strafverfahren, mithin vor dem 01.01.2026, ausbauen. Aus der Vorschrift kann daher nicht abgeleitet werden, dass die Staatsanwaltschaft generell von der Pflicht zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs befreit werden soll. Soweit also andere Gesetze innerhalb ihres Anwendungsbereiches die elektronische Übermittlung von Anträgen und Erklärungen vorschreiben, wie namentlich § 130d ZPO, ist die Staatsanwaltschaft daran gebunden.
4. Die Staatsanwaltschaft war nicht nach § 130d Satz 2 ZPO von der Einreichung der Beschwerde in elektronischer Form befreit. Die Staatsanwaltschaft hat eine vorübergehende Unmöglichkeit der Einreichung auf elektronischem Weg aus technischen Gründen weder dargelegt noch glaubhaft gemacht (vgl. § 130d Satz 3 ZPO).
5. Im Übrigen ist die Beschwerde auch unbegründet, da der Vollstreckungsauftrag an den Gerichtsvollzieher entgegen der §§ 459g Abs. 2, 459 StPO, §§ 1 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2, 6 Abs. 1 Nr. 1 JBeitrG, §§ 753 Abs. 5, 130d Satz 1 ZPO nicht in elektronischer Form erteilt wurde und die Voraussetzungen einer Befreiung nach § 130d Satz 2 ZPO nicht vorlagen.
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 2 Abs. 1 GKG).
IV.
Die Rechtsbeschwerde wird nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 ZPO zugelassen. Die Fragen, ob eine Staatsanwaltschaft bei Beauftragung eines Gerichtsvollziehers den Auftrag nach § 130d ZPO elektronisch erteilen muss und sie auch im weiteren Zwangsvollstreckungsverfahren Anträge und Erklärungen wirksam nur auf elektronischem Weg übermitteln kann, sind für alle Verfahren von Bedeutung, in denen die Staatsanwaltschaft die Zwangsvollstreckung wegen Geldstrafen und/oder Verfahrenskosten betreibt. Mehrere im Jahr 2022 veröffentlichte Entscheidungen von Amtsgerichten weisen darauf hin, dass diese Fragen nicht nur im hiesigen Verfahren streitig sind und eine Klärung von erheblicher Bedeutung für die Praxis ist. Obergerichtliche Rechtsprechung liegt bisher nicht vor.


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