IT- und Medienrecht

Darlegungslast im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren

Aktenzeichen  101 AR 113/20

Datum:
16.12.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 35642
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfordert schlüssigen Tatsachenvortrag des Antragstellers dazu, dass die Antragsgegner in dem beabsichtigten Rechtsstreit insgesamt als Streitgenossen in Anspruch genommen werden. (Rn. 11)
2. Liegt diese Voraussetzung lediglich für einen Teil der (beabsichtigten) Streitgegenstände vor, so kann eine Zuständigkeitsbestimmung nur für diesen Teil in Betracht kommen. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die in Betracht kommenden Streitgegenstände aus dem Antrag – gegebenenfalls unter Heranziehung des dazu vorgelegten Klageentwurfs – unzweideutig ergeben. (Rn. 12)
3. Fehlt es daran, so ist es nicht Aufgabe des angerufenen Gerichts, die für eine Zuständigkeitsbestimmung erforderliche Antragsabgrenzung selbst zu formulieren. (Rn. 16 – 18)

Tenor

Der Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
Die Klägerin betreibt ein Hotel in B. im Bezirk des Landgerichts Schweinfurt und ein weiteres in W. Sie beabsichtigt, gegen den Antragsgegner zu 1), den Freistaat B., und die Antragsgegnerin zu 2), die Stadt W., Feststellungsklage mit dem Antrag zu erheben,
festzustellen, dass ihr die Beklagten die Ertragsverluste zu ersetzen hätten, die sie aufgrund der Maßnahmen des bzw. der jeweiligen Beklagten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erlitten habe.
Sie trägt in dem ihrem Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts beigefügten Klageentwurf vor, dass sie als Betreiberin beider Hotels von einer Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin zu 2) und mehreren Allgemeinverfügungen und Verordnungen des Antragsgegners zu 1) im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie unmittelbar betroffen sei, und vertritt darin sowie in der Antragsschrift selbst die Auffassung, die Antragsgegner seien Streitgenossen i. S. d. § 60 ZPO. Sämtliche Corona-Maßnahmen seien in Zusammenhang miteinander ergangen; sie seien auf Bundesebene zwischen der Kanzlerin und den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Bundesländer verabredet und dann in der ersten Phase ohne erhebliche Änderungen von beiden Antragsgegnern umgesetzt worden; später seien alle Maßnahmen in den einheitlichen Verordnungen des Antragsgegners zu 1) aufgegangen. Die Anspruchsgrundlagen, auf die sie sich gegenüber jedem der Antragsgegner berufe, seien dieselben; der Prozessstoff sei auch identisch.
Sie beantragt,
das Landgericht München I als zuständiges Gericht zu bestimmen.
Der Antragsgegner zu 1) teilt mit, dass das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege Ausgangsbehörde i. S. d. § 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die gerichtliche Vertretung des Freistaates Bayern (Vertretungsverordnung – VertrV) sei, weil sich die angekündigte Klage insbesondere gegen die durch dieses Ministerium getroffenen Maßnahmen richte; gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 VertrV sei zunächst das Bayerische Staatsministerium der Finanzen und für Heimat Vertretungsbehörde gewesen; diese Vertretungszuständigkeit sei allerdings gemäß § 15 Abs. 2 VertrV auf das Landesamt für Finanzen übertragen worden, dessen Dienststelle München nach dem Regionalprinzip gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 VertrV Vertretungsbehörde für die gegen ihn gerichtete Klage sei. Damit liege sein allgemeiner Gerichtsstand gemäß § 18 ZPO in München.
Die Antragsgegnerin zu 2) erklärt, dass sie der Zuständigkeit des Landgerichts München I zustimme.
Mit Verfügung vom 16. November 2020 ist die Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass der beabsichtigte Klageantrag die Ertragsverluste, auf deren Ersatz die festzustellende Pflicht gerichtet sei, nicht auf solche beschränke, die an einer bestimmten Betriebsstätte eingetreten seien; es dürfte damit dem Klageentwurf an der schlüssigen Darstellung fehlen, inwieweit die Maßnahme der Antragsgegnerin zu 2) zu Ertragsverlusten des in B. belegenen Hotels geführt haben könne. Auf eine erste Stellungnahme der Antragstellerin, die lediglich Ausführungen dazu enthalten hatte, dass die Maßnahmen beider Antragsgegner kumulativ gewirkt hätten, hat der Senat einen weiteren Hinweis erteilt, dass nicht schlüssig dargetan scheine, inwieweit die beiden Antragsgegner Streitgenossen hinsichtlich der Ertragsverluste des Hotels in B. sein könnten, da nicht ersichtlich sei, wie sich eine Allgemeinverfügung der Antragsgegnerin zu 2) – der Stadt Würzburg – dort auswirken könne. Daraufhin hat die Antragstellerin erklärt, sie würde „gerne den Versuch unternehmen, die Prozessrechtsverhältnisse im Rahmen der beabsichtigten Klage grafisch darzustellen“, und eine solche Darstellung vorgelegt. Ihr Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung sei unter Berücksichtigung dieser grafischen Darstellung und den Ausführungen in ihrem Antrag sowie ihrer ersten Stellungnahme begründet. Der Senat habe nur über eine Zuständigkeitsbestimmung zwischen dem Antragsgegner zu 1) und der Antragsgegnerin zu 2) im Hinblick auf die in Würzburg (in der Vergangenheit) geltenden Untersagungen und Corona-Beschränkungen zu entscheiden; das Prozessrechtsverhältnis zwischen ihr und dem Antragsgegner zu 1) wegen des Betriebs in B. sei zunächst irrelevant und könne für die Beurteilung außer Betracht bleiben.
II.
Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird zurückgewiesen.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für das Bestimmungsverfahren gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig.
Der Antragsgegner zu 1) hat nach seinen zutreffenden Ausführungen seinen allgemeinen Gerichtsstand für die beabsichtigte Klage in München, die Antragsgegnerin zu 2) den ihren in Würzburg; mithin liegen die Gerichtsstände in den Bezirken verschiedener Oberlandesgerichte (München und Bamberg), so dass das zunächst höhere gemeinschaftliche Gericht im Sinne des § 36 Abs. 1 ZPO der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle befindet gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO das Bayerische Oberste Landesgericht über den Bestimmungsantrag, weil es im Bestimmungsverfahren zuerst mit der Sache befasst worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008, X ARZ 105/08, NJW 2008, 3789 Rn. 10]; BayObLG, Beschluss vom 12. Februar 2020, 1 AR 94/19, NJW-RR 2020, 763 [juris Rn. 24]).
2. Es liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nicht vor.
a) Eine Gerichtsstandsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO erfordert schlüssigen Tatsachenvortrag des Antragstellers (vgl. BayObLG, Beschluss vom 25. Juni 2020, 1 AR 62/20, juris Rn. 23 m. w. N.) dazu, dass die Antragsgegner in dem beabsichtigten Rechtsstreit insgesamt als Streitgenossen in Anspruch genommen werden (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2018, X ARZ 321/18, NJW-RR 2019, 238 Rn. 21; BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 AR 112/19, juris Rn. 16 f.; Toussaint in BeckOK ZPO, 38. Ed. Stand: 1. September 2020, § 36 Rn. 12).
Liegt diese Voraussetzung lediglich für einen Teil der (beabsichtigten) Streitgegenstände vor, so kann eine Zuständigkeitsbestimmung nur für diesen Teil in Betracht kommen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 3. Dezember 2019, 1 AR 112/19, juris, Rn. 19). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass sich die in Betracht kommenden Streitgegenstände aus dem Antrag – gegebenenfalls unter Heranziehung des dazu vorgelegten Klageentwurfs – unzweideutig ergeben, da sonst über die Reichweite der beabsichtigten Rechtsverfolgung und damit auch der Zuständigkeitsbestimmung Unklarheit bestünde.
b) Danach scheidet im vorliegenden Fall die Bestimmung eines zuständigen Gerichts aus.
aa) Der Antrag im Klageentwurf zielt auf die Feststellung ab, dass beide Antragsgegner der Antragstellerin die Ertragsverluste zu ersetzen hätten, die durch die Maßnahme auch nur eines von ihnen verursacht worden seien. Damit ist auch eine Ersatzpflicht der Antragsgegnerin zu 2) für Ertragsverluste erfasst, die der Antragstellerin beim Betrieb des in B. – und damit außerhalb des Geltungsbereichs hoheitlicher Maßnahmen der Antragsgegnerin zu 2) – liegenden Hotels erwachsen seien. Insoweit mangelt es an jeglicher – gar schlüssiger – Darlegung, wie sich eine hoheitliche Maßnahme der Antragsgegnerin zu 2) auf die Ertragslage dieses auf fremdem Gebiet liegenden Hotels auswirken könnte.
Damit fehlt es an der für eine Zuständigkeitsbestimmung hinsichtlich des beabsichtigten Rechtsstreits erforderlichen schlüssigen Darlegung der umfassenden Streitgenossenschaft der Antragsgegner.
bb) Auch die Bestimmung eines Gerichts, das für einen Teil des beabsichtigten Rechtsstreits gemeinsam zuständig wäre, kommt vorliegend nicht in Betracht.
Der Senat hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass sich die rechtlichen Bedenken gegen den Bestimmungsantrag aus dem Mangel einer Beschränkung der geltend zu machenden Ertragsverluste auf eine bestimmte Betriebsstätte ergeben. Die Antragstellerin hat diesen Hinweis nicht zum Anlass genommen, ihren Bestimmungsantrag – und sei es nur hilfsweise – auf einen Klageantrag zu richten, der sich auf die Betriebsstätte im Gebiet der Antragsgegnerin zu 2) beschränkt. Sie hat lediglich erläutert, der Senat habe nur über eine Zuständigkeitsbestimmung zwischen dem Antragsgegner zu 1) und der Antragsgegnerin zu 2) im Hinblick auf die in Würzburg (in der Vergangenheit) geltenden Untersagungen und Corona-Beschränkungen zu entscheiden, und dazu eine grafische Darstellung vorgelegt.
Durch diese Bezugnahme auf die räumliche Begrenzung der als Ursache angesehenen Maßnahmen wird aber nicht ohne weiteres zum Ausdruck gebracht, dass auch eine Beschränkung bei der Geltendmachung der dadurch – nach Auffassung der Antragstellerin – bewirkten Verluste vorgenommen werde. Es kann dahinstehen, ob die von der Antragstellerin vorgelegte grafische Darstellung ein derartiges Verständnis fördern könnte, denn diese ist für die – zwingend sprachlich vorzunehmende – Darstellung der Reichweite der Zuständigkeitsbestimmung ungeeignet und es ist nicht Aufgabe des angerufenen Gerichts, die für eine Zuständigkeitsbestimmung erforderliche Antragsabgrenzung selbst zu formulieren.


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