IT- und Medienrecht

Deliktische Haftung eines Automobilherstellers gegenüber dem Käufer in einem sog. Dieselfall: Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten; Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile

Aktenzeichen  VI ZR 480/19

Datum:
27.7.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2021:270721UVIZR480.19.0
Normen:
§ 31 BGB
§ 249 Abs 1 BGB
§ 826 BGB
§ 287 ZPO
Art 5 Abs 2 EGV 715/2007
Spruchkörper:
6. Zivilsenat

Leitsatz

Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Ersatzfähigkeit von Finanzierungskosten, Schätzung der Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs im Zusammenhang mit der Berechnung der gezogenen Nutzungsvorteile).

Verfahrensgang

vorgehend OLG Karlsruhe, 19. November 2019, Az: 17 U 146/19, Urteilvorgehend LG Karlsruhe, 1. Februar 2019, Az: 21 O 134/18

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des 17. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 19. November 2019 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger 60 % und die Beklagte 40 %. Die Kostenentscheidung der Vorinstanzen wird – angesichts der teilweisen Klagerücknahme in der Revisionsinstanz – dahingehend geändert, dass die Kosten des Rechtsstreits in erster und zweiter Instanz der Kläger zu 60 % und die Beklagte zu 40 % trägt.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Der Kläger nimmt die Beklagte als Herstellerin des in seinem Fahrzeug eingebauten Dieselmotors auf Schadensersatz wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Der Kläger erwarb am 12. Dezember 2013 bei einem Autohaus einen gebrauchten VW Touran 2.0 TDI, 103 kW. Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor des Typs EA189 EU 5 ausgestattet, in dem eine Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten “Modus 1”, der bei Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen neuen europäischen Fahrzyklus (NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte “Modus 0” aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.
3
Zur Finanzierung des ihm von dem Verkäufer in Rechnung gestellten Bruttokaufpreises von 16.700 € schloss der Kläger mit einer Zweigniederlassung der Volkswagenbank GmbH einen Darlehensvertrag inklusive Kreditschutzbrief über einen Nettodarlehensbetrag von 13.231,25 €, der sich aus einem “Kaufpreis” in Höhe von 16.700 € zuzüglich eines “Beitrags zum Kreditschutzbrief” in Höhe von 1.531,25 € abzüglich eines “nicht zu finanzierenden Betrags” in Höhe von 5.000 € zusammensetzt. Der Bruttodarlehensbetrag inklusive Zinsen beläuft sich auf 15.645,84 €. Das Darlehen sollte in 84 monatlichen Raten über jeweils 186,26 €, erste Rate fällig am 8. Januar 2014, zurückgezahlt werden. In der Folgezeit wurde der Kaufpreis in Höhe von 11.700 € von der Darlehensgeberin an den Verkäufer überwiesen. Ob der Käufer den Differenzbetrag in Höhe von 5.000 € zu dem in der Rechnung ausgewiesenen Bruttokaufpreis an den Verkäufer bezahlt hat, ist zwischen den Parteien streitig.
4
Erstinstanzlich hat der Kläger zum einen die Erstattung des von ihm nach seinem Vortrag an den Verkäufer bezahlten Kaufpreises von 5.000 € zuzüglich der an die Darlehensgeberin gezahlten Darlehensraten abzüglich einer unter Berücksichtigung einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km errechneten Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 4 % auf die von ihm an den Verkäufer und an die Darlehensgeberin erbrachten Zahlungen sowie die Freistellung von der noch bestehenden Darlehensverbindlichkeit verlangt, wobei er den Rechtsstreit im Hinblick auf die seit Klageerhebung weitergefahrenen Kilometer teilweise – einseitig – für erledigt erklärt hat. Zum anderen hat er neben der Feststellung des Annahmeverzugs und der Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 603,93 € die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm alle weiteren Schäden zu ersetzen, die er aus der Manipulation des Motors oder entsprechenden Behebungsmaßnahmen erleidet.
5
Das Landgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 3.686,41 € nebst Zinsen in Höhe von 97,37 € sowie weitere Zinsen aus 3.686,41 € in Höhe von 4 % pro Jahr seit dem 1. Januar 2019 zu zahlen und den Kläger von den aktuell noch bestehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Darlehensgeberin aus dem Darlehensvertrag in Höhe von 4.470,65 € freizustellen, entsprechend dem Antrag des Klägers Zug-um-Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung des dem Kläger gegenüber der Darlehensgeberin zustehenden Anwartschaftsrechts auf Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Ferner hat es festgestellt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache in Höhe von 2.072,76 € erledigt ist und dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Verzug befindet. Darüber hinaus hat es die Beklagte verurteilt, den Kläger von vorgerichtlichen, nicht anrechenbaren Gebühren seiner Prozessbevollmächtigten in Höhe von 562,16 € freizustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
6
Gegen das landgerichtliche Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Beklagte hat mit ihrer Berufung ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiterverfolgt. Der Kläger hat im Berufungsverfahren zuletzt nach weiterer teilweiser einseitiger Erklärung der Erledigung der Hauptsache die Abänderung des landgerichtlichen Urteils hinsichtlich der Zahlung weiterer 2.241,39 € nebst Deliktszinsen bis 31. August 2019 in Höhe von 2.574,66 € sowie weiterer Deliktszinsen aus 17.665,68 € in Höhe von 4 % pro Jahr seit dem 1. September 2019 verlangt. Darüber hinaus hat er die Verurteilung der Beklagten zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von weiteren 41,77 € beantragt.
7
Das Oberlandesgericht hat unter Zurückweisung der weitergehenden Berufungen das landgerichtliche Urteil hinsichtlich des Zahlungsausspruchs (nunmehr 1.074,96 € nebst Deliktszinsen in Höhe von 1.054,68 € sowie weiterer Deliktszinsen in Höhe von 4 % p.a. aus 10.803,08 € seit 1. November 2018) und der Feststellung des erledigten Teils der Hauptsache (nunmehr in Höhe von 3.004,33 €) abgeändert.
8
Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen. Die Beklagte verfolgt mit ihrer Revision das Ziel der Klageabweisung weiter, soweit sie zur Zahlung von Darlehenskosten verurteilt worden ist. Soweit die Beklagte mit ihrer Revision weiter geltend gemacht hat, dass das Berufungsgericht sie zu Unrecht zur Zahlung von Deliktszinsen verurteilt und festgestellt habe, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befinde, hat der Kläger seine Klage in der Revisionsinstanz mit Zustimmung der Beklagten zurückgenommen. Der Kläger verfolgt mit seiner Revision den in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Antrag auf Zahlung weiterer (über den landgerichtlichen Zahlungsausspruch hinausgehender) 2.241,39 € weiter.


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