IT- und Medienrecht

“Diesel-Fall” – Schadensersatz bei Kauf nach Bekanntwerden der Problematik

Aktenzeichen  44 O 1663/19

Datum:
25.11.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 40567
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) 715/2007 Art. 5
BGB § 31, § 826, § 849
ZPO § 138 Abs. 3, § 287

 

Leitsatz

1. Dem Käufer eines vom Hersteller mit einer unzulässigen Prüfstandserkennungs- und Abschaltautomatik hinsichtlich der Abgasreinigung ausgestatteten Fahrzeugs (hier: VW Golf mit Motor des Typs EA189) steht ein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 826 BGB auch dann zu, wenn der Kauf bei einem Dritten erst nach dem Bekanntwerden der “Diesel-Problematik” (hier: Oktober 2016) stattgefunden hat (vgl. nun aber BGH BeckRS 2020, 19146 Rn. 27 ff.). (Rn. 12 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Schaden liegt in einem solchen Fall in der Verbindlichkeit, die der Käufer durch den ungewollten Vertragsschluss eingegangen ist (vgl. nun auch BGH BeckRS 2020, 10555 Rn. 44 ff.). Zu erstatten sind grundsätzlich der gezahlte Kaufpreis und die Finanzierungskosten. (Rn. 14 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hinsichtlich der Behauptung, die schädigende Handlung sei beim Hersteller (nicht) von einer die Voraussetzungen des § 31 BGB erfüllenden Person begangen worden, trifft den Hersteller eine sekundäre Darlegungslast (vgl. nun auch BGH BeckRS 2020, 10555 Rn. 35 ff.). (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Käufer hat sich auf seinen Schadensersatzanspruch die von ihm während seines Besitzzeitraums gezogenen Nutzungen (gefahrene Kilometer) im Wege des Vorteilsausgleichs anrechnen zu lassen (vgl. nun auch BGH BeckRS 2020, 10555 Rn. 64 ff.). Bei der Berechnung der Vorteile ist von einer Gesamtfahrleistung eines Golfs von 250.000 km auszugehen.  (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
5. Deliktszinsen sind in einem solchen Fall nicht geschuldet. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs VW Golf mit der … an die Klägerin 7.474,09 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 20.09.2019 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,76 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit 20.09.2019 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. bezeichneten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin 13 %, die Beklagte 87 %.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Gründe

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
I.
Der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises und Zahlung der Finanzierungskosten ergibt sich aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB. Die Veränderung der Software stellte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung der Klägerin dar. Die schädigende Handlung war das Inverkehrbringen von Dieselmotoren unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Programmierung der Software.
1. Objektiv sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden verstoßt (BGH, NJW 2014, 383 ff.). Die Umprogrammierung der Steuerungssoftware führt im Ergebnis dazu, dass der gesetzlich definierte Grenzwert nur auf dem Prüfstand zur Typengenehmigung eingehalten wird. Dieser Zweck widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden, da ein bestimmtes Verhalten des Fahrzeugs nur zum Zwecke des Erwerbs der Zulassung hervorgerufen wird und im normalen Straßenverkehr nacht vorliegt und nicht erreicht werden kann. Durch dieses Verhalten wird beim Kunden der Eindruck erzeugt, die NOx-Emissionen des Pkws lägen im Normbereich, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist.
2. Durch dieses Verhalten hat die Beklagte der Klägerin auch einen Schaden im Sinne des § 826 BGB zugefügt. Ein Schaden liegt nicht nur dann vor, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt, sondern auch dann, wenn der Geschädigte durch eine auf sittenwidrigem Verhalten beruhende ungewollte Verpflichtung belastet ist, selbst wenn dieser eine objektiv gleichwertige Gegenleistung gegenübersteht (BGH, NJW-RR 2015, 275). Ausreichend ist dafür, dass der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages veranlasst wurde, den er sonst nicht geschlossen hätte und dass die Leistung für seinen Zweck nicht vollumfänglich brauchbar ist.
Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall vor. Entscheidender Punkt ist, dass die Klägerin durch das Verhalten der Beklagten einen Kaufvertrag abgeschlossen hat, den sie ansonsten nicht geschlossen hätte und aus dem Vertrag zur Kaufpreiszahlung und Abnahme des Fahrzeugs verpflichtet wurde. Das Gericht ist der Ansicht, dass kein verständiger Autokäufer einon Pkw kaufen würde, welcher zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses den entscheidenden gesetzlichen Anforderungen nicht genügt und dessen Hersteller die behördenseits erteilte Typengenehmigung durch Täuschung erschlichen hat. Es besteht nämlich die Gefahr, dass das Kraftfahrtbundesamt diese Typengenehmigung widerruft, was die Betriebsuntersagung zur Folge hat. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses war die Leistung zu den Zwecken des Käufers nicht voll brauchbar. Aus Sicht des Käufers droht zumindest theoretisch die Betriebsuntersagung urd Außerbetriebsetzung sowie auch eine Einschränkung der Fungibilität. Beim Weiterverkauf des Fahrzeugs und Offenlegung der Software muss die Klägerin als Verkäufer im Vergleich zum Anschaffungswert Preisabschläge hinnehmen, wenn das Fahrzeug überhaupt veräußerbar wäre.
3. Die Programmierung ist gesetzeswidrig, es liegt ein Verstoß gegen Art. 5 II i.V.m. Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emission von leichten Personenkraftfahr- und Nutzfahrzeugen und über den Zugang zur Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge durch Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, vor. Die Programmierung ist einer Abschalteinrichtung gleichzusetzen. Der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb ist durch die Software auf der Straße höher als auf dem Prüfstand.
4. Das Verhalten der Beklagten ist sittenwidrig im Sinne des § 826 BGB. Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, durch eine umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und -zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht denkenden verstößt (BGH, NJW 2014, 1380). Es genügt nicht, dass der Handelnde vertragliche Pflichten oder das Gesetz verletzt oder bei einem Anderen ein Vermögensschaden hervorruft. Es muss vielmehr eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung über die eingetretenen Folgen ergeben kann. Dies ist hier gegeben. Die Beklagte macht zwar keine Angaben, es ist jedoch offensichtlich, dass das Verhalten der Beklagten nur dazu diente, sich auf rechtswidrigem Wege Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und dadurch die Unternehmensgewinne zu steigern. Dieses per se legale Ziel wurde mit verwerflichen Mitteln erreicht. Dabei ist bei der Gesamtabwägung hervorzuheben, dass die Beklagte über einen erheblichen Wissensvorsprung verfügte. Nur sio wusste von der unzulässigen Abschaltvorrichtung. Im Gegensatz dazu vertrauten die Autokunden darauf, dass das Fahrzeug mit einer EG-Typengenehmigung gesetzeskonform betrieben werden kann. Dieses Vertrauen missbrauchte die Beklagte, indem sie die Kunden täuschte. Dem Kunden hingegen war es nicht möglich, diese Täuschung zu erkennen. Die Beklagtenseite nutzte damit das Vertrauen der Kunden bewusst zu ihrem eigenen Vorteil aus.
5. Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Das Gericht hat keine Zweifel, dass die mit der Entwicklung betrauten Mitarbeiter der Beklagten betreffend der unzulässigen Abschalteinrichtung vorsätzlich handelten, da dadurch für die Beklagte nicht unerhebliche Gewinne resultierten. Die Entwicklung der unzulässigen Abschalteinrichtung wurde nur aus dem Grunde eingesetzt, um sich einen Wettbewerbs- und Kostenvorteil zu verschaffen. Dabei war der Beklagten auch bewusst, dass das Verschweigen der Existenz einer Abschalteinrichtung für den Kunden für den Kauf des Fahrzeugs entscheidungserheblich war. Es ist lebensfremd anzunehmen, dass die Klägerin bei Kenntnis der Abschalteinrichtung den Pkw dennoch gekauft hätten.
Dies bestätigte die Klägerin auch glaubhaft im Rahmen der informatorischen Anhörung.
6. Die schädigende Haltung ist der Beklagten auch gemäß § 31 BGB zuzurechnen. Voraussetzung dafür ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter den objektiven und subjektiven Tatbestand verwirklicht hat (BGH, NJW 2017, 250 ff.). Die Klagepartei führte dazu aus, dass maßgebliche Mitarbeiter der Beklagten bis in die Vorstandsebene Kenntnis von den haftungsbegründenden, tatsächlichen Umständen hatten. Da die Beklagtenseite nicht hinreichend substantiiert bestritten hat, ist dieser Vortrag gemäß § 138 III ZPO als zugestanden anzusehen. Die Beklagtenseite traf bezüglich der verstehenden Behauptungen eine sekundäre Darlegungslast. Diese trifft sie als nicht primär beweisbelastete Partei ausnahmsweise, wenn die eigentlich darlegungs- und beweisbelastete Partei für einen hinreichend substantiierten Vortrag Umstände dartun müsste, die ihr unbekannt sind aber in den Wahrnehmungsbereich der Gegenpartei fallen und die Darlegung der entsprechenden Verhältnisse der Gegenpartei zumutbar ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Klägerin ist zu einer weitergehenden Darlegung und einem sachgerechten Beweisantritt nicht in der Lage, weil es ihr an entscheidender Kenntnis über die internen Betriebsabläufe der Beklagten mangelt. Die Betriebsabläufe gehören jedoch zum unmittelbaren Wahrnehmungsbereich der Beklagtenseite, deren Offenbarung ihr auch ohne weiteres zumutbar ist. Dieser sekundären Darlegungslast ist die Beklagtenseite nicht nachgekommen.
Der Klägerin steht gegen die Beklagte damit ein Anspruch aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zu.
II.
Die Beklagte ist der Klägerin zum Ersatz aller kausal aus der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden verpflichtet (§ 249 BGB). Hätte die Klägerin den streitgegenständlicher Kaufvertrag nicht geschlossen, wäre sie nicht zur Kaufpreiszahlung verpflichtet gewesen, weshalb ihr von der Beklagten grundsätzlich der geleistete Kaufpreis in Höhe von 9.990,00 Euro zu erstatten ist sowie die Finanzierungskosten.
Die Klägerin hat sich durch die von ihr während der Besitzzeit bezogenen Nutzungen 4.255,27 Euro anrechnen zu lassen, da ansonsten eine vom Schadensrecht nicht gedeckte Überkompensation stattfinden würde. Dies entspricht auch dem Rechtsgedanken des § 346 I BGB (s.a. LG Wuppertal, Urteil vom 16.01.2018, Az.: 4 O 295/17).
Unter Berücksichtigung der vom Gericht gemäß § 287 ZPO geschätzten Gesamtfahrleistung das streitgegenständlichen Fahrzeugs von maximal 250.000 Kilometer errechnet sich unter Berücksichtigung der Laufzeit zum Kaufzeitpunkt von 102.778 Kilometer eine Restlaufleistung von 147.222 Kilometer. Hiervon hat die Klägerin das Fahrzeug im Umfang von 62.709 Kilometer (Kilometer zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung minus Kilometerstand zum Zeitpunkt des Kaufvertrages) genutzt. Unter Berücksichtigung das Kaufpreises in Höhe von 9.990,00 Euro errechnet sich damit die Nutzungsentschädigung wie folgt:
„(Kaufpreis × gefahrene Kilometer) : Restlaufzeit = 4.255,27 Euro.“
Der Umstand, dass das Fahrzeug fahrtechnisch fahrbereit und technisch sicher ist, steht dem nicht entgegen. Der Käufer hat ein mit dem Makel des Abgasskandal behaftetes und damit schlecht verkäufliches Fahrzeug erhalten. Die technischen Folgen eines dadurch erforderlich gewordenen/werdenden Updates sind nicht abzuschätzen. Es besteht die Befürchtung, dass durch das Update ein höherer Wartungsaufwand entsteht.
III.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 I BGB.
Der darüberhinaus geltend gemachte Zinsanspruch ist nicht begründet, da die Voraussetzungen des § 849 BGB nicht vorliegen.
IV.
Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs ist begründet. Die Beklagte befindet sich im Annahmeverzug.
V.
Die Klägerin hat zudem Anspruch auf Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Nach Ansicht des Gerichtes jedoch nur in Höhe des ausgeurteilten Betrags in Höhe einer 1,5-fachen Gebühr. Damit ergibt sich ein erstattungsfähiger Anspruch auf außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1,5 Geschäftsgebühr: 684,00 Euro, Telekommunikationspauschale: 20,00 Euro zzgl. 19 % MwSt., damit insgesamt 837,76 Euro. Der insoweit geltend gemachte Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 BGB.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO.
Der Anspruch bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


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